@"drboe": Ich verstehe den Einwand. Ich sehe diesen ebenfalls als berechtigt, allerdings als eigenen Diskussionspunkt. Ich unterscheide zwischen Bindungs- und Aussagewirkung. Die Bindung ist eine Sache, die beratende Tätigkeit im Schreiben mit Außenwirkung, eine andere.
Zur Rechtsbindung von Urteilen:Eine automatische Bindungswirkung gibt es nicht.
Zur Bindungswirkung kann ich anmerken, dass es für Urteile des BVerfG eben diese in den Fällen des § 31 BVerfGG schonmal gibt, Link:
https://dejure.org/gesetze/BVerfGG/31.html. Der Aussage des eingangs von mir zitierten Schreibens stehen Aussagen aus Urteilen des BVerwG entgegen, Link:
https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,34706.msg210373.html#msg210373. Das BVerwG ist die höchste Instanz im Verwaltungsrechtsweg. Über die Bindungswirkung von Urteilen aus unteren Instanzen ist in Einzelfällen sicherlich streitbar. Das BVerwG hat jedoch in dem zugrundeliegenden Urteil, BVerwG 6 C 10.18, vom 30. Oktober 2019, auch eine verfassungsrechtliche Aussage zum allgemeinen Gleichheitssatz getroffen. Damit fällt diese Entscheidung um so schwerer ins Gewicht.
Quelle: https://www.bverwg.de/301019U6C10.18.0Insoweit hält der Senat an seiner zu § 6 Abs. 3 RGebStV ergangenen Rechtsprechung unter der Geltung des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages nicht mehr fest. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
aa) Bei § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV handelt es sich nach seinem Normzweck um eine Härtefallregelung, mit der grobe Ungerechtigkeiten und Unbilligkeiten vermieden werden sollen, die durch das in § 4 Abs. 1 RBStV verankerte normative Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit entstehen. Die Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, nicht zu den Personengruppen des § 4 Abs. 1 RBStV gehörende Beitragsschuldner von der Beitragspflicht zu befreien, wenn sich ihre Schlechterstellung gegenüber den befreiten Personengruppen nicht sachlich rechtfertigen lässt. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV, wonach die Befreiung wegen eines besonderen Härtefalls "unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1", mithin unabhängig von dem in Absatz 1 zugrunde liegenden Regelungssystem in Betracht kommt. Bestätigt wird dieses Normverständnis durch die Gesetzesmaterialien, aus denen sich ergibt, dass "weiterhin" die Befreiung wegen eines besonderen Härtefalls in Betracht kommen soll, wenn, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann (vgl. LT-Drs. BY 16/7001 S. 16). Eine Berücksichtigung des dem Absatz 1 zugrunde liegenden Konzepts bei der Auslegung des besonderen Härtefalls widerspräche dem Charakter dieser Regelung als Ausnahmevorschrift.
Eine funktionierende Verwaltung würde sich meiner Meinung nach spätestens bei einer höchstinstanzlichen Entscheidung danach richten. Die Nichtbeachtung des BVerwG-Urteils stellt meiner Meinung nach auch einen Ermessensfehler dar, in Form einer
Ermessensunterschreitung (Ermessensnichtgebrauch): die Behörde übt ihr Ermessen (ganz oder teilweise) nicht aus
, siehe dazu
https://www.anwalt24.de/lexikon/ermessensfehler, oder eines Ermessensfehlgebrauch.
Zur Aussage des Schreibens:Hingenommen, dass die Landesrundfunkanstalten von ihrer sog. Definitionsmacht zweifelhaften Gebrauch machen und für sich entscheiden, sich nicht der höchstinstanzlichen Rechtsprechung anzuschließen, so verbleibt das Problem bei der Aussage 'die Härtefallregelung greife nicht', an die andere Stelle. Diese andere Stelle besitzt ihre eigene Definitionsmacht und könnte unabhängig von der an sie gerichteten Aussage des Schreibens, von sich aus entscheiden. In dem Schreiben wird ihr die konträre Position der BVerwG-Rechtsprechung vorenthalten. Das Schreiben hat aufgrund des rechtsberaterischen Inhalts und Addressats Außenwirkung! Hier werden tatsachenerhebliche Umstände weggelassen. Aus diesem Grund erinnert es mich an eine uneidliche Falschaussage, bei der eben solche Umstände zum tragen kommen. Die Beweislast, ob Vollstrecker vielleicht vorab oder auf den 'Sachverständigen-Seminaren' darauf hingewiesen wurden, sehe ich bei den Öffentlich-Rechtlichen. Das Schreiben ist eine zielgerichtete Manipulation der Rechtsanwendung.
Meine Meinung zur Rechtsstaatlichkeit in diesem Zusammenhang:Das BVerwG bestätigt im genannten 'Okt. Urteil' die Anwendbarkeit der Härtefallregelung auf Tatbestände außerhalb des Katalogs .... Das Gericht fasst darauf im 'Dez. Urteil' die Aussage über die Anwendbarkeit allgemein, um die unmittelbare Bindung der öffentlichen Gewalt an diese Regelung zu verdeutlichen.
Die Definitionsmacht ist dem Rechtsverständnis untergeordnet. Eine funktionierende Verwaltung ist an die Rechtsprechung gebunden, insbesonders, wenn das hohe Verwaltungsgericht klare Aussagen zur Rechtsanwendung trifft.
Quelle: https://m.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-demokratie/39300/rechtsstaatDer Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bindet die Verwaltung an die Gesetze. Er schließt beispielsweise Ermessensentscheidungen aus, die gegen ein Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift verstoßen.
Dementsprechend verpflichtet er ebenso zu Ermessen, wo dieses geboten ist. Das BVerwG macht deutlich, dass hier mehr als ein Ermessen, eine 'Regelung' vorliegt. Das ist der Sinn der Härtefallregelung. Werden dabei neue Härtefall-Gruppen entdeckt, können diese immer noch im normativen System verankert werden. Die Rundfunkanstalten sind aber von deren Prüfung nicht gänzlich entbunden, siehe auch
Quelle: https://www.anwalt24.de/lexikon/ermessensfehler.
Zu beachten ist, dass eine fehlende Anhörung nach § 28 Abs. 1 VwVfG, die als wichtige Erkenntnisquelle der Behörde gilt, oftmals auch einen Mangel bei der Ausübung des Ermessens nahelegt (vgl. BVerwG, DVBl 1965, 26 [28]).
. Dass der Ausschluss der Härtefallregelung/BVerwG-Härtefallrechtsprechung durch die Schreiber, dieser Mangel impliziert wird, dürfte logisch sein.
Es steht einem Rechtsstaat nicht wohl zu Gesichte, in ähnlichen Konstellationen wo bereits ein höchstinstanzliches Urteil gefällt wurde, die Praxis wie bisher oder wie hier, sogar den Extremfall des Gegenteiligen beizubehalten. Das Gericht ist auf die Akzeptanz und Umsetzung des Urteils angewiesen - milde ausgedrückt.
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