Aufmerksam geworden durch die Diskussion unter
WDR/Stadtkasse Gladbeck Vollstreckung > Gegenwehrhttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=32071.0hier ein paar Anmerkungen speziell zum
WDR und
Nordrhein-Westfalen, welche in großen Teilen aber auch auf andere Bundesländer/ Landesrundfunkanstalten übertragbar sein dürften:
Nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz bedarf es für die Vollstreckung eines vollstreckbaren Titels. Die Vollstreckungsbehörde und auch der WDR behaupten, dies sei der Festsetzungsbescheid des WDR.
Dafür fehlt es jedoch an der gesetzlichen Grundlage.
Das Verwaltungsverfahrensgesetz für Nordrhein-Westfalen bestimmt in
§ 2 VwVfG NRW - Ausnahmen vom Anwendungsbereichhttps://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=1&bes_id=4844&anw_nr=2&aufgehoben=N&det_id=404994(1) Dieses Gesetz gilt nicht für die Tätigkeit der Kirchen, der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften sowie ihrer Verbände und Einrichtungen und des Westdeutschen Rundfunks Köln.
Die Verwaltungsgerichte behaupten beharrlich und unter Verweis auf die Rechtsauslegung der betroffenen Rundfunkanstalten (Beck'scher Kommentar zum Rundrecht) - siehe u.a. unter
Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht - Die juristische Welt der Kommentarehttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=20125.0daß dieser Anwendungsausschluß nur für die eigentliche
Rundfunktätigkeit, nicht aber für die originäre
Verwaltungstätigkeit des WDR, also auch den Beitragseinzug, gelten würde.
Aus Anlaß der Selbstbetroffenheit habe ich dies in den vergangenen Tagen in der Bibliothek des NRW-Landtags in Düsseldorf recherchiert.
(Exkurs: ich kann diese Bibliothek nur wärmstens empfehlen, sie ist ein schier unerschöpflicher Fundus, mit sehr freundlichen und hilfsbereiten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und sogar einem hochwertigen Buchscanner für die Benutzer [USB-Stick mitbringen!] ausgestattet.)Die Parlamentsdokumente sind mittlerweile alle über das Internet auf der Webseite des NRW-Landtags abrufbar:
Man kann problemlos
nach allen NRW-Parlamentsdokumenten suchenhttps://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Navigation_R2010/040-Dokumente-und-Recherche/020-Parlamentsdatenbank/Inhalt.jspFür die 1. bis 9. Wahlperiode sind die Registerbände im PDF-Format abrufbar (auf der Seite nach unten scrollen), ab der 10. Wahlperiode erfolgt dies über die Parlamentsdatenbank.
Die Dokumente können dann nach Art und Dokumentennummer auf der Seite
Dokumentenabrufhttps://www.landtag.nrw.de/home/dokumente_und_recherche/dokumentenabruf.htmlheruntergeladen werden.
So bin ich an den
Gesetzentwurf zum VwVfG NRW vom 13.10.1976, Drucksache 8/1396, gelangt.
https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD08-1396.pdf [PDF, 167 Seiten, ~6,5MB]
Dort heißt es in der Begründung zum Gesetz (auf Seite 67):
Zu § 2 - Ausnahmen vom Anwendungsbereich
Die Vorschrift nimmt bestimmte Sachgebiete vom Anwendungsbereich des Gesetzes insgesamt aus; das bedeutet, daß die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes für diesen Bereich auch dann nicht heranzuziehen sind, wenn dort keine entsprechenden verfahrensrechtlichen Vorschriften bestehen. Das schließt jedoch nicht aus, daß über die Heranziehung von allgemeinen Verfahrensgrundsätzen die in dem Gesetz verankerten Grundsätze doch zur Anwendung kommen.
Damit gibt es für einen Festsetzungsbescheid des WDR über Rundfunkbeiträge keine Verfahrensvorschriften, weder über das Rechtsmittelverfahren noch über die Vollstreckbarkeit. Da andere Vorschriften im Gesetzesrang, z. B. der RBStV oder die Satzung des WDR, ebenfalls keine Verfahrensvorschriften enthalten, gibt es keine gesetzliche Grundlage für die Annahme, bei einem Festsetzungsbescheid des WDR handele es sich um einen vollstreckbaren Titel.
Dies kann auch nicht über den Umweg des letzten Satzes des Zitats erreicht werden. Denn unter den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen sind nur diejenigen Grundsätze zu verstehen, die allen üblichen Verfahren in öffentlicher und privater Verwaltung eigen sind. Rechtsmittelverfahren und die Vollstreckbarkeit von Verwaltungsakten gehören nicht dazu.
In der Gesetzesbegründung heißt es weiter:
Zu Absatz 1
Auch in ihrer Eigenschaft als Körperschaften des öffentlichen Rechts bleiben die Kirchen, die Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften Organismen eigener Art, denen durch Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung eine Selbständigkeit in der Verwaltung ihrer Angelegenheiten garantiert ist. Aus diesem Grunde sind die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes auf die Tätigkeit dieser Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie deren Verbände und Einrichtungen nicht anwendbar.
Da in Absatz 1 aber auch der WDR ausdrücklich genannt ist, müssen die obigen Ausführungen auch uneingeschränkt für die Tätigkeit des WDR gelten. Es sei angemerkt, daß in den Parlamentsdokumenten festgehalten ist, daß der Entwurf für ein Bundes-VwVfG übernommen und um landesspezifische Gegebenheiten, also hier den WDR, ergänzt wurde.
Auch die Gesetzeskommentare gehen von einem
vollständigen Anwendungsausschluß für den WDR aus. (Ich habe die Kommentare zwar gescannt, aber noch nicht per OCR bearbeitet, Zitate folgen also ggf. noch). Einzig die Rechtsauslegung der Rundfunkanstalten (= Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht) ist hier naturgemäß anderer Auffassung und behauptet, daß der Bereich des Beitragseinzugs nicht davon betroffen sei.
Die Begründung des Gesetzes spricht aber eine klare Sprache und bringt den Willen des Gesetzgebers klar zum Ausdruck. Es gibt, mit Ausnahme der Korrektur durch Einfügen eines fehlenden Wortes, keine Änderung an § 2 im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens, wie überhaupt die Landtagsabgeordneten weder in den Ausschüssen noch im Plenum großartig über den Entwurf gestritten, sondern diesen nach der 2. Lesung am 15.12.1976 einstimmig verabschiedet haben (Plenarprotokoll 8/35).
Damit ist aber auch nachgewiesen, daß die diesbezügliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, die ausnahmslos der Rechtsauslegung der Rundfunkanstalten folgt, keine Rechtsgrundlage hat und zumindest in der Nähe der Rechtsbeugung einzuordnen sein dürfte. Denn das Gericht darf ein Gesetz nur dann auslegen, wenn der 'Wille des Gesetzgebers nicht eindeutig ist und/ oder sich eine absichtliche oder versehentliche Regelungslücke ergibt.
Wenn der Gesetzgeber aber, wie im Fall des § 2 Abs. 1 VwVfG NRW, seinen Willen unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dann darf das Gericht den Willen des Gesetzgebers nicht abändern. Andernfalls würde das Gericht sich nämlich in die Rolle des Gesetzgebers begeben - ein klarer Verstoß gegen das in Art. 20 Abs. 2 GG festgeschriebene Prinzip der Gewaltenteilung.In allen in NRW zu betrachtenden Vollstreckungsfall (und entsprechend in allen anderen in Bundesländern mit gleichartigen Regelungen auch) mag es sinnvoll sein, die Vollstreckungsbehörde unter Verweis auf § 2 Abs. 1 VwVfG NRW und Vorlage der oben zitierten Parlamentsdokumente (ggf. nebst unmißverständlicher Erläuterungen) aufzufordern, die gesetzliche Grundlage für Annahme der Vollstreckbarkeit eines Festsetzungsbescheids über Rundfunkbeiträge nachzuweisen und andernfalls die Vollstreckung wegen fehlender gesetzlicher Grundlage ersatz- und bedingungslos einzustellen. Die Vollstreckungsbehörde wird, mangels entsprechender gesetzlicher Vorschriften, den Nachweis, daß es sich bei dem Festsetzungsbescheid des WDR um einen vollstreckbaren Titel handelt, nicht erbringen können. Sollte die Vollstreckungsbehörde sich hier noch zieren, dann könnte eine Unterlassungsklage gegen die Behörde (hier ist das VG zuständig) und der Hinweis, daß der Tatbestand des § 345 StGB (Vollstreckung gegen Unschuldige) erfüllt sein dürfte, hilfreich sein. Wenn all das nicht hilft, dann bleibt nur noch die Strafanzeige gegen die handelnden Behördenmitarbeiter, die Vorgesetzten sowie die Behördenleitung bei der zuständigen Staatsanwaltschaft, und zwar unter dem dringenden Hinweis, daß Gefahr im Verzuge ist.
Edit "Büger":
Herzlichen Dank für diese gut aufbereitete Argumentation, welche der schnellen Erfassbarkeit wegen noch ein wenig formatiert und um Querverweise ergänzt wurde, nachdem sie des Themenbezugs wegen hierher ausgegliedert wurde.
Siehe ergänzend auch unter
LRA = "Tendenzbetrieb" > Art 5 GG verbietet "justizförm. Verw.-Verfahren"
https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,27187.0.html
wo im dortigen Beitrag unter
https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,27187.msg187935.html#msg187935
bzgl. SächsVwVfG klargestellt ist, was auch im VwVfG NRW geregelt ist, nämlich der Anwendungsbereich des Gesetzes selbst
§ 1 VwVfG NRW - Anwendungsbereich
https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_detail?sg=0&menu=1&bes_id=4844&anw_nr=2&aufgehoben=N&det_id=404993(1) Dieses Gesetz gilt für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände, der sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, soweit nicht Rechtsvorschriften des Landes inhaltsgleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten.
(2) Behörde im Sinne dieses Gesetzes ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt.
Demgemäß kann - wenn WDR aus diesem die "öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit" (und damit auch die Verwaltungs-Tätigkeit eines - insbesondere die Allgemeinheit der Wohnungsbewohnenden und nicht mehr nur den Selbstverwaltungsbereich von Anstalts- Rundfunkteilnehmern betreffenden - "Abgaben-/Beitragseinzugs") regelnden Gesetz kategorisch und ohne Einschränkung ausgenommen ist - auch keine "Behörde im Sinne dieses Gesetzes" sein, selbst wenn er entsprechend § 1 Abs. 2 VwVfG NRW eine Stelle sein mag, die - mglw. jedoch ohne wirkliche gesetzliche Grundlage - "Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt".
Dass sich die Ausnahme vom Anwendungsbereich des VwVfG nicht auf die Verwaltungstätigkeit des Beitragseinzugs, sondern auf die Rundfunktätigkeit beziehen solle, kann man nur - vorsichtig ausgedrückt - als juristische Augenwischerei bezeichnen, denn schließlich ist Anwendungsbereich des VwVfG nicht die Rundfunktätigkeit, sondern eben gerade die Verwaltungstätigkeit. Eine Ausnahme von einem Bereich (hier angeblich "Rundfunktätigkeit"), welches das Gesetz (hier "Verwaltungsgesetz" zur Regelung der "Verwaltungstätigkeit") überhaupt nicht regelt, entbehrt jeder Logik.