Generell ist es natürlich schwer zu bestimmen, was Religion ist.
Man muss sich eigentlich nicht wirklich mit allgemeinen Fragen der Religionswissenschaften beschäftigen, vielmehr kann man sich darauf beschränken, was der ARD-Gutachter unter Religion versteht. Denn nach Kirchhof hat Religion nichts mit Glauben oder Spiritualität zu tun, wenn er schreibt:
Bei dieser Einführung des Kindes in die Voraussetzungen seiner Freiheit ist selbstverständlich, dass jede Kultur zunächst ihr Lebensverständnis und ihre Lebenssicht vermittelt. An deutschen Schulen wird die deutsche Sprache gelehrt. Wir bringen unseren Kindern unsere Rechenarten bei, lehren sie, mit den bei uns verwendeten Computern umzugehen. In gleicher Weise sollten wir selbstbewusst genug sein, religiös in das Christentum einzuführen, weil dieses unsere Geschichte und unsere Gegenwart, unsere Kultur und unser Recht prägt. Dabei trifft allerdings die Familie und nicht den Staat die Erstverantwortung für die religiöse Entwicklung des Kindes. Die Eltern entscheiden, ob und an welchem Religionsunterricht ihr Kind teilnimmt.
Quelle:
Paul Kirchhof (2018): Religionsfreiheit. In: Peter Antes, Heinrich de Wall (Hrsg.):
Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Verfassungsrechtliche Grundlagen und konfessionelle Perspektiven, S. 16.
Damit ist der Begriff der Religion für den ARD-Gutachter lediglich ein historisches Konstrukt, das durch Kultur und Recht bestimmt wird. Durch diese Verknüpfung von Religion und Kultur ist es zudem nicht abwegig, dass Kirchhof in dem vom ihm geschaffenen Begriff „Informationskultur“ tatsächlich etwas Religiöses sieht. Auch wenn er den Bürgern noch das Recht der Religionsfreiheit gewährt, rückt er in seinem ARD-Gutachten von genau dieser Freiheitsvorstellung ab, wenn er nicht im selben Sinne die Informationsfreiheit der Bürger gewähren lassen will. Denn anders als bei der Kirchensteuer müssen alle Bürger in Deutschland den Rundfunkbeitrag bezahlen, wenn keine finanziellen Gründe für eine Befreiung vorliegen. Damit trifft der Staat und nicht die Familie eine Erstentscheidung, welche Information zu nutzen sind, womit verfassungsrechtlich weiterhin offen ist, ob die Landesregierungen in den Staatsverträgen zum Rundfunk tatsächlich eine derartige Bevormundung der Bürger auf der Basis des Kirchhofgutachtens vornehmen durften. Der Rundfunkbeitrag wird bei einer solch zugrunde gelegten Religionsauffassung tatsächlich zum Beitrag einer aufgezwungenen Kultur, da er den Bürgern bei der verantwortungsvollen Wahl seiner Informationsquelle nicht dieselbe Selbstbestimmungsfreiheit einräumt, die Kirchhof bei der Wahl der Religion noch gewähren will. Die neue Abgabendoktrin garantiert diese Wahl jedoch nicht, da der Rundfunkbeitrag den Weg frei macht, jegliche Form einer Zwangskultur durch eine Beitragspflicht zu fördern.
Kirchhof geht es in seiner Auffassung von Religion auch nicht um das Christentum, da dieses jederzeit durch andere Formen der Kultur ersetzbar ist, wenn er schreibt (a. a. O.: S. 17):
Keine Kultur wird ohne Religion auskommen. Goethe – eher ein Religionsskeptiker – sagt in seinem West-Östlichen Divan, dass alle Epochen, in denen der Glaube herrscht, fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt sind, alle Epochen, in welchen der Unglaube herrscht, vor der Nachwelt verschwinden. Wir stehen nicht vor der Frage, ob wir unsere Hochkultur ohne Religion fortentwickeln können. Erheblich ist allein die Frage, mit welchen Religionen wir leben wollen [Hervorhebungen von mir].
Damit geht es aus der Perspektive eines solchen Religionsbegriff für Kirchhof lediglich um die Frage nach einer allgemeinen Kultur für alle, worunter er offensichtlich
die Informationskultur des öffentlich-rechtlich Rundfunks versteht. Denn diese Auffassung einer religiösen Informationskultur für alle führt in der Tat dazu, dass die Weltanschauungen, die durch die Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verbreitet werden, in den Stand einer Ersatzreligion erhoben werden, mit der alle Bürger in Deutschland nunmehr leben sollen. Dies kommt der Einführung einer Staatskirche gleich, die durch Art. 140 GG (Art. 137 Abs. 1 WV) eigentlich verfassungsrechtlich verboten ist, da die Landesrundfunkanstalten zu den neuen Trägern der weltanschaulichen Auffassungen erhoben werden, die zuvor in der Obhut der Kirchen lagen. Eine Trennung zwischen „Kirche“ und Staat ist in dieser neuen Form von Religion nicht mehr erkennbar; was durch die Problematik noch verstärkt wird, dass die Intendanten der Landesrundfunkanstalten politisch nicht unabhängig sind. Denn diese werden in der Regel durch die jeweilige Landesregierung eines Bundeslandes ins Amt gehoben.