Impressionen aus Karlsruhe
Ausklang nach dem Urteil in zwei Gruppen
Die Gruppe der Sympathisanten der Kläger fand sich im Freien eines nahegelegenen Gartenlokals zusammen, die Vertreter des ÖRR, der Politik und der Richter einmütig im Inneren des Lokals.
Die Menschen der Klägerseite hatten ja leider zum größten Teil gar nicht mehr zu hoffen gewagt, dass die von Parteien entsandten Verfassungsrichter den Mut, Recht zu sprechen, aufzubringen wagen. Aber dieses war dann doch ein gelinder Schock, den es erst einmal zu verdauen galt. Man wollte nicht gleich auseinander gehen, sondern den Verdauungsprozess gemeinsam einleiten und dieses unmittelbar Erlebte gemeinsam ausklingen lassen, sich gegenseitig für den weiteren Weg stärken.
Ich persönlich will mich bei Entscheidungen immer fragen, ob Angst oder Liebe mich bewegt.
– Bei Liebe hat jeder sein volles Gehirnpotenzial zur Verfügung, bei Angst nur die Überlebensprogramme Draufschlagen, Davonlaufen oder Totstellen.
So an dieser Stelle meine Frage:
Was führte die Menschen also zusammen, Angst oder Liebe?
Ich denke Liebe zum Leben. Dem Miteinander in unserem Land war gerade ein tüchtiger Schlag versetzt worden.
Sieger und Verlierer. Wer waren die „Kampfparteien“? Die, denen Geld genommen werden soll und die, denen Geld gegeben werden soll.
Hinter jeder Maske steckt ein Mensch, habe ich gerade gelesen. Und jeder Mensch hat ein Gewissen, ob er sein Menschsein und sein Gewissen verleugnet oder nicht. Das Gewissen ist da und meldet sich irgendwann lauter und sei es über Schreie des Körpers.
Wer Unrecht tut, macht sich schuldig, hat also entsprechend Schuldgefühle, ob er sie wahr nimmt oder nicht. Schuld wartet auf Strafe. Wenn den Menschen kein anderer bestraft, bestraft er sich selbst.
Wer Unrecht hinnimmt, leistet Beihilfe, macht sich also mitschuldig.
Da sind die zwei Gruppen, die im Freien und die in der „geschlossenen Anstalt“, im Gastraum im Haus. Wenn sich die Menschen freiwillig an dem herrlichen Sommertag in den geschlossenen Raum begeben wollten, mussten sie an den Tischen im Freien vorbeigehen. „Setzen Sie sich doch zu uns!“ wurden sie eingeladen. Aber ohne ein Danke für die Einladung gingen die „Sieger“ mit unbeweglichen Gesichtern in ihren geschlossenen Raum.
Waren sie glücklich? Oder hatten sie Angst? Hatten sie Angst vor Gesprächen mit den „Verlierern“, also denen, denen sie unrecht angetan hatten, aus welchen Motiven auch immer? War es ihnen eine Angelegenheit des Herzens, dieses Urteil herbeizuführen?
Die Menschen im Freien hatten keine Angst vor Gesprächen mit den „Siegern“. Sie hatten keine Schuldgefühle, brauchten deshalb auch keine Angst zu haben. Sie hatten alles getan, was zum gegebenen Zeitpunkt in ihrer Macht stand, um das Unrecht abzuwenden. Sie hatten sich bis zum Verfassungsgericht durchgeklagt. Nicht nur für sich persönlich sondern für all die Armen, die nicht den Mut oder die Kraft hatten, sich gegen das Unrecht zu wehren. Also im Namen des Volkes? Sie hatten nicht verschuldet, dass sich die Verfassungsrichter der anderen Seite verpflichtet fühlten und dennoch „im Namen des Volkes“ verkündeten.
Konnten diese engagierten Menschen glücklich sein? Sie konnten über die Situation nicht jubeln, aber sie konnten ihr Alltagsglück in dem Bewusstsein aufrecht erhalten, dass sie zu den Menschen gehörten, denen es eine Herzensangelegenheit war, sich für die Durchsetzung des Rechts einzusetzen. Sie waren die Menschen „im Freien“.
„Glück besteht vor allem darin, das Leben zu lieben.“ Matthieu Ricard, Glück
Ein Herzenswunsch: Mögen alle erkennen, was wirklich wichtig für das Leben in unserer Welt und damit auch für das eigene Leben ist! Mögen sich alle den beglückenden Erfahrungen des Miteinander zuwenden, statt das destruktive Gegeneinander fortzuführen!
Eine Überzeugung: Jeder Mensch hat das Potenzial in sich, sich jederzeit für eine neue Richtung in seinem Leben zu entscheiden.