Es ist wohl eher so, dass die ÖR-Sendeanstalten fast alles ausblenden, was ihnen nicht in den Kram passt. Schon vor seiner Verabschiedung war der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag umstritten. Dieser Streit hält schlicht bis heute an. Vermutlich hatten die Macher des sogn. Rundfunkbeitrags gehofft, dass die Aufregung nicht lange anhalten würde, so sie solche denn überhaupt befürchtet haben, da ja der monatlich geforderte Betrag gleich blieb. Das war zwar taktisch gut überlegt, aber es gab und gibt eben doch viele, die hinter die Kulissen dieses Fischzuges sehen. Der Vorwurf des Lebens in einer Filterblase trifft daher voll auf die Anhänger des sogn. Rundfunkbeitrags zu. Dabei planten die ÖR-Anstalten seit Jahren die Änderung der vormaligen Rundfunkgebühr. Die Diskussionen und die Kritik konzentrieren sich ja vor allem auf die Frage, ob es sich bei der Abgabe, anders als ihre Bezeichnung vermuten lässt, nicht um einen Beitrag sondern vielmehr um eine Steuer handelt. Zum Thema hält die ARD u. a. ein Gutachten zum Download bereit, das bereits von Mai 2007 stammt. Kurzinfo dazu:
Titel:
"
Verfassungsrechtliche Fragen einer Reform der Rundfunkgebühr", Mai 2007(!)
Quelle:
http://www.ard.de/download/398614/index.pdfVerfasser: Prof. Dr. Hans D. Jarass, LL.M. (Harv.)
Inhaber des Lehrstuhls für deutsches und europäisches öffentliches Recht und
Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Politik der Universität Münster
Format: Datei ist ein PDF, enthält aber leider wohl einen Scan. D. h., das Kopien von Textteilen nicht möglich sind.
Mit diesem Gutachten zeigt sich aber nicht nur, dass man mindestens innerhalb des ÖRR seit langer Zeit über eine Änderung des seinerzeitigen Gebührenmodells nachgedacht hat, sondern im Gutachten wird auch deutlich, dass praktisch alle mit einer Änderung verbundenen Risiken schon früh bekannt waren. Z. B. der Verzicht auf eine Koppelung an das Empfangsgerät:
Im Einzelfall ist möglich, dass in einem privaten Haushalt, keinerlei Rundfunksempfangsgeräte bereitgehalten werden. Da es nur um eine Modifikation des geltenden Rundfunksrechts geht, kann dieser Umstand nicht völlig außer Acht gelassen werden. Die Verbindung der privaten Haushalte mit dem Bereithalten eines Fernsehempfangsgerätes bildet daher nur eine Art widerlegbare Vermutung. ... Wird in einem Haushalt kein Rundfunkempfangsgerät bereitgehalten, besteht auf jeden Fall ein Anspruch auf Freistellung von der Rundfunkgebühr. (Seite 23)
Für Betriebe findet man den entsprechenden Punkt einerseits auf den Seiten 24 und 25. Dieser Punkt ist dem Verfasser so wichtig, das er auch an andere Stelle darauf zurück kommt:
Entscheidend ist, dass die modifizierte Rundfunkgebühr ebenfalls mit der Möglichkeit des Empfangs der von den öffentlich-rechtlichen Anstalten verbreiteten Programme verknüpft ist und damit der Gebühr eine Gegenleistung gegenübersteht. Zwar knüpft die modifizierte Rundfunkgbühr zunächst an Haushalte und Betriebsstätten an. Wird aber in einem Haushalt oder in einer Betriebsstätte kein Rundfunkempfangsgerät bereitgehalten und besteht daher nicht die Möglichkeit zum Empfang der öffentlich-rechtlichen Programme, besteht ein Rechtsanspruch auf Befreiung. Es muss keine Rundfunkgebühr entrichtet werden. (S. 33)
Bemerkung:
Im Gutachten wird die neue Abgabe
modifizierte Rundfunkgebühr genannt, da mehrere Ansätze diskutiert werden.
Im später erstellen Gutachten von Kichhoff liest sich das ganz anders. M. E. geht aber Prof. Kirchhoffs Ansatz zur Notwendigkeit einer Neuordnung der Rundfunkfinanzierung schon deshalb fehl, weil er jegliche Nicht-Beteiligung an der Finanzierung des Rundfunks als
Vermeidungsstrategie von Abgabepflichtigen diffamiert, wenn er, mit Blick auf die bis Dezember 2012 geltende Rundfunkgebühr konstatiert: "
Die gegenwärtige, geräteabhängige Abgabenlast lädt zu Vermeidungsstrategien ein, wenn die Zuordnung eines Gerätes zum Haushalt oder zum Gewerbetrieb Abgabenvorteile verspricht." Bis zum 31.12.2012 war es nämlich das gute Recht jedes Bürgers sich durch Geräteverzicht nicht an der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beteiligen. Der Vorwurf, dies wäre eine "
Vermeidungsstrategie", geht völlig an der Sache vorbei. Wenn eine Alternative zum System der bis 12/2012 geltenden Rundfunkfinanzierung angestrebt wird, an der sich jeder Bürger beteiligen soll, dann wäre der nachvollziehbare Weg dazu m. E. die Verabschiedung einer Steuer. Damit bin ich sicher nicht allein. Eine als Rundfunksteuer korrekt titulierte Abgabe birgt nach meiner Ansicht ebenso wenig die Gefahr staatlicher Abhängigkeit und Einflussnahme auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie die bisherigen Regelungen selbige letztlich nicht verhindert haben.
Im Gutachten von Prof. Jarass werden 2007 auch die Konsequenzen dessen vorweggenommen, was wir derzeit zum zweiten Mal erleben, nämlich die Abgabe höher als notwendig festzulegen, wodurch seit Frühjahr 2015 und über einen Zeitraum von ca. 5-6 Jahren die Finanzierung des ÖRR unangemessen hoch ist:
Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Erhebung der Rundfunkgebühr nur insoweit legitim ist, als dies zur Erfüllung der Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks "geboten erscheint". Mit der Rundfunkgebühr dürfen nur die Mittel erhoben werden, die tatsächlich für das Funktionieren des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erforderlich sind. ... Daher hat der Gesetzgeber Vorkehrungen zu treffen, dass jedenfalls im längeren Verlauf einerseits ausreichende Mittel generiert werden, sie andererseits aber auch langfristig das Niveau nicht überschreiten. Im ersten Fallen würde andernfalls die Rundfunkfreiheit verletzt, im zweiten die allgemeine Handlungsfreiheit. (S. 38)
Zum Risiko eines Beitrags, der direkt den Anstalten zufließt, heißt es:
Will man daher eine Abgabe einführen, die nicht an das Bereithalten von Rundfunksempfangsgeräten und damit an die Möglichkeit der Nutzung der öffentlich-rechtlichen Programme anknüpft, gleichwohl aber unmittelbar den Rundfunkanstalten zufließt, dürfte nur eine nicht-steuerliche Abgabe in Betracht kommen. (S. 42)
Fussnote dazu: Für eine Einstufung als Beitrag dürfte die potentielle Gegenleistung zu schwach ausfallen.
Ist ja toll! Machen wir aber trotzdem!
Nur das Land Thüringen hatte kalte Füsse. Es stimmte dann dennoch für den Rundfunkbeitragsstaatsvertrag. Was aber kein Beleg dafür ist, dass die zuvor geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht zutreffen oder gar ausgeräumt sind, zumal die Bedenken sich explizit auf den Charakter einer Wohnungs- und Betriebsstättenabgabe bezogen.
Zu Problemen einer Sonderabgabe zur Finanzierung und die möglichen verfassungsrechtlichen Konsequenzen:
Eine Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur zulässig, wenn die Abgabepflichtigen eine abgrenzbare "homogene Gruppe" darstellen, die zu dem mit der Abgabe verfolgten Zweck eine besondere Sachnähe besitzen und sich aus dieser Sachnähe eine spezifische Gruppenverantwortung ergibt; darüber hinaus muss die Abgabe gruppennützig verwandt werden. ... Insgesamt muss man eine eine Ausgestaltung der Rundfunkabgabe als Sonderabgabe als verfassungsrechtlich unzulässig einstufen. (S. 43)
Das war ganz die Linie des bekannten Ex-Kritikers dieser Änderung, dem SWR Justitiar Eicher:
Verfassungsrechtlich bedenklich ist schließlich die Reformvariante einer geräteunabhängigen Haushalts- und Betriebsstättenabgabe. Insofern ist fraglich, ob eine solche Abgabe den vom BverfG entwickelten Anforderungen an eine Sonderabgabe genügt und eine Inanspruchahme auch derjenigen, die kein Empfangsgerät bereithalten, vor Art. 3 I GG Bestand hätte.Die Risiken waren alle bekannt, dennoch ist man schnurgerade in die Verfassungswidrigkeit marschiert. Erstaunlich? Nicht die Bohne, wenn sich ein Übermaß an Arroganz mit Allmachtsphantasien mischt.
Kurz: ich sehe nicht das Risiko, das sich die Kritiker des sogn. Rundfunkbeitrags in einer Filterblase befinden und andere Ansichten nicht mindestens gewogen haben. Das ist bei der Betrachtung der Natur der Abgabe auch fast unmöglich, wenn man seriös argumentieren will. Da die Diskussion teils in juristischen Fachzeitschriften geführt wurde, wären Auslassungen und Fehler der Betrachtungen in jedem Fall auf Widerspruch gestoßen. Es hat früher auch eine Diskussion um die Natur der Rundfunkgebühr gegeben. Nur war dies dem Publikum wenig bekannt. Ebenso wenig wie der Versuch der ÖR-Anstalten ihre Einnahmesituation durch die Änderung der Finanzierung bzw. des Anknüpfungspunktes zu verbessern. Einzig bei der Einführung des Begriffs "neuartige Empfangsgeräte" gab es einerseits Widerstand und zugleich ein Vollzugsdefizit. Zudem hat man sich nicht getraut jeden PC in Unternehmen für die PC-Gebühr heran zu ziehen.
Eigentlich muss mehr verwundern, dass nahezu alle VG bereits auf unterster Ebene unisono nahezu wortwörtlich identische Urteile schreiben. Bereits 2014 hat mir das VG Hamburg ein Urteil zur Verfügung gestellt, das 1:1 die Positionen und Formulierungen der ÖR-Rundfunkanstalten übernimmt. In seiner Streitschrift formuliert das F. Hennecke so:
In der Tat lassen die bisherigen verwaltungsgerichtlichen Urteile weithin nicht nur bewährte juristische Argumentationsmuster, sondern darüber hinaus auch rechtsstaatliche Entscheidungskriterien vermissen. ... Nach einer jahrzehntelangen dogmatischen Entfaltung der Grundrechte in der Staatsrechtswissenschaft ist die Willfährigkeit gegenüber der öffentlichen Gewalt und die Grundrechtsblindheit, die in allen Entscheidungen zutagetritt, erschreckend. ... Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist auf dem Wege ihre Vertrauenswürdigkeit und ihre Reputation zu verlieren. Der Rechtsstaat nimmt Schaden.
So einen Frontalangriff auf deutsche Richter schreibt man nicht, wenn man die Tatsachen nicht auf alle denkbaren Möglichkeiten hin abgeklopft und bewertet hätte. Zumal dann nicht, wenn man dem Verein einmal angehörte. Der Ex-Richter am BVerwG Martin Pagenkopf
(*) haut aber letztlich in die gleiche Kerbe, wenn er die Entscheidungen des BVerwG zerlegt. Mit der Streitschrift stehen letztlich sämtliche deutschen Verwaltungsrichter am Pranger. Und zwar völlig zurecht.
M. Boettcher
* Siehe u.a.:
Dr. Martin Pagenkopf: Rundfunkbeitrag als Demokratieabgabe?
http://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,20028.msg129496.html#msg129496
Edit "DumbTV":
Vollzitat des Eröffnungsbeitrages entfernt. Bitte Zitate nur zum Hinweis auf oder Verdeutlichung von besonderen Aspekten verwenden, auf die eingegangen wird.
Danke für das Verständnis und Berücksichtigung.