Ich halte diese These, daß eine öffentlich-rechtliche Satzung (im Gegensatz zu der Satzung eines Vereins o. ä.) keine Bindungswirkung entfaltet bzw. nur bei freiwilligem Beitritt, für ein sehr dünnes Eis.
In Deutschland ist das gesamte Ortsrecht einer Kommune in Satzungen geregelt. Dieses bindet auch den Bürger, z. B. in Form der Abfallsatzung, welche die Abfallentsorgung einer Kommune und die dafür vom Bürger zu entrichtenden Abgaben regelt. Auch der Begriff der Freiwilligkeit ist unbestimmt. Wenn Max Mustermann nach Kleinkleckersdorf zieht, weil es ihm dort so gut gefällt, ist dann mit die Verlegung des Wohnsitzes in die Gemeinde Ausdruck des freiwilligen Beitritts auch zu den dort geltenden Gemeindesatzungen? Und was ist, wenn Max Mustermann die Gemeindesatzungen eben nicht akzeptiert - darf er dann des Ortes verwiesen werden?
Die kommunalen Satzungen bzw. die Satzungen einer Gebietskörperschaft haben den Rang einer Rechtsverordnung - würden sie, nach den Ausführungen im Eröffnungsbeitrag, keine bindende Wirkung haben, dann bliebe die Frage, wie das Leben in einer Gemeinde geregelt werden sollte - denn mangels Berechtigung darf die Gemeinde ja keine Gesetze erlassen, auch wenn diese möglicherweise nur für das Gemeindegebiet gelten sollten. Die Regelungen einer Satzung sind gegenüber den Adressaten der Satzung (also z. B. den Bürgern einer Gemeinde) auch rechtlich durchsetzbar - das hat schon manch einer vor Gericht erfahren müssen.
Auch die Satzung einer Rundfunkanstalt hat bindende Wirkung und ist rechtlich durchsetzbar. Die Rundfunkanstalt ist durch das jeweilige Landesgesetz über die Errichtung der Anstalt durch das Landesparlament mit dem Recht, Satzungen zu erlassen, beliehen worden. Das ist also auch aus dem demokratischen Blickwinkel einwandfrei.
Allerdings ist die Definition des Adressatenkreises (mir fällt gerade kein passenderer Begriff ein, ich meine damit den Kreis derjenigen, gegenüber denen die Satzung regelnde Wirkung entfalten soll) eingehender zu betrachten. Beim Ortsrecht ist der Adressatenkreis durch den, ebenfalls in der Satzung, festgeschriebenen Geltungsbereich bestimmt. Dieser ist üblicherweise durch räumliche Abgrenzung bestimmt, regelt also, daß die Satzung für das Gemeindegebiet von Kleinkleckersdorf gelten soll, womit sie für Bewohner des benachbarten Großkleckersdorf keine Wirkung hat.
Bei den Satzungen der Rundfunkanstalten ist dies etwas diffiziler. Denn wo ist der Rundfunkteilnehmer definiert? Ist der Inhaber einer Wohnung oder eines Betriebes nur aufgrund dieser Tatsache Rundfunkteilnehmer, oder bedarf es der tatsächlichen Nutzung, und darf diese durch das reine Besitzen eines Radios oder Fernsehgerätes unterstellt werden, obwohl diese Geräte auch abseits öffentlich-rechtlicher Inhalte für andere Zwecke genutzt werden können - z. B. nur für das Betrachten von Videos oder den Empfang der Radiosender des Nachbarlandes?
Und ist die Wirkung einer Satzung, die dem Adressaten eine Abgabe wegen der Existenz einer Rundfunkanstalt auferlegt, gegenüber demjenigen, der seine Empfangsgeräte eben nur wie oben angerissen nutzt oder gar keine Empfangsgeräte besitzt, mit dem Grundrecht, sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten, vereinbar?*
"Dies ist ein weites Feld" würde der alte Briest jetzt sagen.....**
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* die Vereinbarkeit der zwangsweisen Erhebung des Rundfunkbeitrags auch von einem Nichtnutzer ist eine der Fragen, die dem Bundesverfassungsgericht in der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 281/20 zur Entscheidung vorgelegt wurden.
** siehe Theodor Fontane: Effi Briest