medienkorrespondenz.net, 01.12.2019
„Dieser Diskurs hat keinen Anspruch auf mich“Lutz Hachmeister, geboren 1959 in Minden (Westfalen), war unter anderem Medienredakteur beim Berliner „Tagesspiegel“ (1987 bis 1989), Leiter des Marler Grimme-Instituts (1989 bis 1995) und Direktor des von ihm gegründeten Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) in Berlin und Köln (2005 bis 2019). Er hat die Medienbranche in vielen Funktionen erlebt – als Kommunikationsforscher, Kritiker, Berater, Produzent, Festival-Organisator und Filmemacher. Zum 1. September 2019 gab er die Leitung des IfM an seinen Nachfolger Leonard Novy ab (vgl. MK-Meldung). MK-Mitarbeiter René Martens sprach mit Lutz Hachmeister über dessen Berufsbiografie in der Medienbranche.Ein Gespräch mit dem Medienforscher und Filmemacher Lutz HachmeisterVon René Martens
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Hachmeister: […] In der Primetime wäre beim ZDF heute nicht einmal ein Format wie „Mondän“ möglich. Ich erinnere mich, dass wir noch einmal mit dem damaligen ZDF-Kulturchef Peter Arens darüber gesprochen haben, ob wir nochmal etwas in der Primetime über die Playboy-Kultur der 1960er Jahre machen wollen. Da sagte er, das sei für das ZDF zu intellektuell. Und das war nicht ironisch gemeint.
MK: Kann man mit den ARD-Anstalten besser zusammenarbeiten?
Hachmeister: Da gibt es ein anderes Problem: Man hat es ja mit halben Fußballmannschaften als Redakteursteams zu tun, weil ein einzelner Sender solche Produktionen, die ja nun wahrlich nicht teuer sind, gar nicht mehr finanzieren kann oder will. De facto gibt es im Ersten Programm ja nur sechs bis zwölf Dokumentarfilm-Sendeplätze pro Jahr, wenn man Kino-Koproduktionen einbezieht. Das ist eine Lotterie, das sorgt auf beiden Seiten für keine große Freude. Ich sage ja immer, dass man leichter ein Visum für Nordkorea bekommt, als einen Dokumentarfilm-Sendeplatz in der ARD. […]
MK: Dieses System scheint ja auch Leute zu absorbieren oder quasi zu verspeisen, die Ende 20, Anfang 30 noch Ideen hatten, die vom Erwartbaren abweichen.
Hachmeister: Manche haben eben als junge Wilde angefangen und sich dann zu Systemfunktionären entwickelt, die eisern aus der Wagenburg heraus argumentieren. Das geht nur mit einem hohen Maß an Schizophrenie. Natürlich wissen die, was sie da machen. Es gibt natürlich auch noch Leute, die sich im System einen gewissen Freiraum und eine Spielfreude bewahrt haben, aber die werden weniger.
MK: Das heißt, Reformen von innen heraus sind unrealistisch?
Hachmeister: Das System ist zu sehr mit sich selbst verkrustet und an der Bürokratie erstickt, als dass das noch möglich wäre. Es finden auch kaum noch wirklich relevante Diskussionen statt – weder innen noch von außen nach innen.
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Hachmeister: Ich habe das Gefühl, dass ich jedenfalls seit drei Jahrzehnten dasselbe schreibe, mit einem hohen Grad an Vergeblichkeit. Dennoch: Es gibt, den Möglichkeiten der Netzkommunikation sei Dank, jetzt die Chance, eine Art drittes System aufzubauen, jenseits der bisherigen starren „dualen“ Struktur, unter einem neuen öffentlich-rechtlichen Dach oder stiftungsbasiert, medienübergreifend. Da lohnen sich noch einmal alle intellektuellen Anstrengungen, daran zu arbeiten, durchaus im Sinne einer Rettung des öffentlich-rechtlichen Grundgedankens. […]
Hachmeister: […] man könnte einen Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunkbeitrags für eine Art „freie Spitze“ verwenden, in die auch Gelder von Stiftungen fließen könnten, auch ein bestimmter Teil der Werbeeinnahmen der privaten Anbieter – das war ja das alte Channel-Four-Modell. Es geht bei den Überlegungen zu einem „dritten System“ darum, mehr Wettbewerb zugunsten von Autoren und Produzenten zu schaffen, eingefahrene Abhängigkeiten aufzubrechen, vor allem das mortal gatekeeping durch Redakteure und Programm-Manager.
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Komplettes Interview lesen auf: https://www.medienkorrespondenz.de/leitartikel/artikel/dieser-diskurs-hat-keinen-anspruch-auf-mich.htmlsiehe u.a. auch:
Hachmeister: "Staatskanzlei-Rundfunkpolitik ist Auslaufmodell"https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,28176.0.htmlHachmeister warnt vor Ende der deutschen Medienindustriehttps://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,25789.0.html"Keine Strategie" und "verzweifelt" - Lutz Hachmeister kritisiert ARD und ZDFhttps://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,24284.0.htmlDas kalkulierte Vakuum der deutschen Medienpolitikhttps://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,29788.0.htmlMedienpolitik – ein Arkanpolitik?Bereich«Medienpolitik, ganz nüchtern gesagt, war in Deutschland bislang korrupt oder inkompetent, häufig beides zusammen.
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