Das
Landgericht Tübingen, 5. Zivilkammer, befindet weiterhin über Unzulänglichkeiten der Vollstreckung von Rundfunkbeiträgen:
LG TÜbingen, Beschluss vom 29.08.2019 - 5 T 192/19Amtlicher Leitsatz:Auch die Vollstreckung von - nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 18.7.2018 und des Europäischen Gerichtshofs vom 13.12.2018 nicht mit Grundgesetz oder Europarecht kollidierenden - Rundfunkbeiträgen setzt Titel, Klausel und Zustellung (des Titels) voraus. Für jede nach der Zivilprozessordnung vorzunehmende Zwangsvollstreckung gilt: Die Zwangsvollstreckung darf nur beginnen, wenn der Titel bereits zugestellt ist (§ 750 Absatz I 1 ZPO).
Der Beschluss trägt den Tenor:
Auf die Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss des Amtsgerichts Bad Urach [...] aufgehoben und die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsersuchen des Gläubigers vom 3.5.2019 eingestellt. Der Gläubiger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Laut diesem Beschluss kann die Notwendigkeit einer Zustellung oder förmlichen Bekanntgabe des Vollstreckungstitels gerade nicht entfallen. In Randnr. 6 heißt es dazu
Verwaltungsakte können nach § 2 LVwVG zudem (erst) vollstreckt werden, wenn sie unanfechtbar geworden sind oder die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs entfällt, was wiederum förmliche Bekanntgabe voraussetzt. Letztere ist gem. § 2 LVwVfG nicht durch die von der Gläubigerin so gehandhabte einfache Aufgabe zur Post möglich.
Dann wird in Randnr. 8 ausgeführt:
Verzichtet die Behörde bewusst und regelmäßig auf Zustellung und/oder förmliche Bekanntgabe und ist dieser ständige, bewusste Verzicht gerichtsbekannt, ist auch für eine Heilung kein Raum. Das Vollstreckungsgericht kann auch im Rahmen seiner nur beschränkten Prüfungsmöglichkeiten in Vollstreckungsverfahren bei dieser Sach- und Kenntnislage nicht sehenden Auges über das Fehlen der Zustellung hinwegsehen. Handelt es sich beim Rückstandsbescheid um den ersten Verwaltungsakt, können i.ü. gemäß § 13 LVwVG keine Säumniszuschläge mitvollstreckt werden, ebenso wenig mehrfache Säumniszuschläge infolge Aufteilung eines rückständigen Zeitraums auf mehrere Bescheide oder auch eine Mahngebühr. Dem Bescheid voraus gehen nämlich gerichtsbekannt unverändert nur inhaltarme Schreiben mit einer Zahlungsaufforderung, in denen weder eine rechtsfähige Person als Absender angegeben ist noch ein Gläubiger. Dem Empfänger obliegt es, den Gläubiger zu erraten. Die angefochtene Entscheidung war daher mangels Zustellung aufzuheben, das Vollstreckungsverfahren einzustellen.
Zur Bekräftigung wird in Randnr. 7 ergänzend auf die Entscheidung eines anderen Gerichts verwiesen, bei der ebenfalls drohende
rechtsstaatliche Defizite konstatiert wurden:
Auf die Zustellung verzichtet auch der BGH in seinem obiter dictum nicht; insoweit macht er - entgegen BFH und VGH Mannheim - mit Beweisregeln (Anscheinsbeweis, vgl. dazu LG Tübingen, B v. 20.12.2018, Aktenzeichen 5 T 246/17 - juris - m.w.Nw.) Das Landessozialgericht hat erst unlängst die Betrachtungsweise des BGH und des Landgerichts gegenübergestellt und ausgeführt, dass bei Entfall der Prüfung der Zustellung des Titels, also der Prüfung dessen formal wirksamer Existenz (ohne Inhaltsprüfung) mit dem Grundgesetz nicht vereinbare rechtsstaatliche Defizite eintreten würden (vgl. LSG BW, B. v. 17.7.2019, Aktenzeichen L 11 KR 1393/19).
Quelle:
RA Skwar, 04.09.2019
Auch die Vollstreckung von Rundfunkbeitragsbescheiden setzt deren Zustellung voraushttps://xn--rabro-mva.de/auch-die-vollstreckung-von-rundfunkbeitragsbescheiden-setzt-deren-zustellung-voraus/Edit "Bürger":
Es sollte ggf. noch auf die im Forum bereits erwähnte Entscheidung des LSG BaWü eingegangen werden, auf welche vom LG Tübingen in Rn 7 Bezug genommen wird.
Thread bleibt für die weitere Aufbereitung vorerst geschlossen.
Bitte etwas Geduld. Danke für allerseitiges Verständnis und die Berücksichtigung.Edit "Bürger": Gesammelte Link-Auswahl zum Thema
hochinst. Urteile > Bestreiten/Nachweis Zustellung/Bekanntgabe (Zugangsfiktion)
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BVerwG > Bestreiten des Zugangs eines Verwaltungsaktes durch Nichtwissen
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Vollstr.-Einstellg. wg. fehl. Voraussetz./ fehl. Zugangsnachw. von Briefpost
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OVG: bestrittene Mahnung nicht in Postabgang > vorl. Unterlassg. d. Vollstreckg.
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"ordnungsgemäße Absendevermerke" der Bescheide bei Bestreiten des Zugangs
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Aushebelung der Zugangsfiktion durch die AGB der Deutschen Post
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Anwendung des BGH-Beschlusses vom 11.6.15 bei Vollstreckung ohne Bescheid
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LG Tübingen, Beschluss vom 29.08.2019 - 5 T 192/19 (Zustellungserfordernis)
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