Aus der Auswahl der Leitverfahren - 1 BvR 1675/16 u. a. - war für mich im Vorhinein eigentlich schon zu erkennen, dass es bei den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht um „die Mär der angeblichen Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“ gehen würde, die der Akzeptanz und Glaubwürdigkeit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in diesem Lande großen Schaden zugefügt hat. Aus meiner Sicht wäre es sowieso besser, wenn man in diesem Kontext von einer
Doktrin der staatlichen Pressefreiheit sprechen würde, da man davon ausgehe muss, dass das Bundesverfassungsgericht an dieser unsinnigen Maxime auch in Zukunft nicht rütteln wird, weshalb wir uns an die internationalen Gerichtshöfe in der Angelegenheit wenden müssen. Unter dieser Doktrin verstehe ich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, die davon ausgeht, dass Pressfreiheit in einem Staat nur dann möglich sei, wenn öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit staatlicher Hilfe finanziert werden würden.
Am deutlichsten kommt diese Doktrin in dem Gebühren-Urteil aus dem Jahre 2007 - 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06 - zum Ausdruck, in dem den Landesregierungen de facto untersagt wurde, die Höhe der Gebühr entgegen der Empfehlung der KEF selbst zu bestimmen. Die Regierungschefs waren der Empfehlung der KEF zuvor nicht ganz gefolgt. Danach sollte die Rundfunkgebühr ab 1. April 2005 um 1,9 Euro pro Anschluss und Monat erhöht werden. Die Landesregierungen hatten nur eine Anhebung um 88 Cent auf 17,03 Euro bis Ende 2008 bewilligt. Das Bundesverfassungsgericht hatte in diese Gebührenfestsetzung dann ernsthaft eine Verletzung der Rundfunkfreiheit der Beschwerdeführer (ARD, ZDF, Deutschlandradio) aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gesehen (vgl. Rn 113 ff des Urteils vom 11. September 2007).
Auch in den Urteilen vom 18. Juli 2018 kommt diese Doktrin ständig zum Vorschein, wenn argumentiert wird, dass die Pressefreiheit in Gefahr sei, wenn die Finanzierung der öffentlich-rechtlich Rundfunkanstalten nicht gewährleistet sei. Dieser Irrsinn kommt besonders in dem Abschnitt zu tragen, in dem es um die Neureglung für die Abgabe der Zweitwohnungen geht:
Eine Neuregelung durch die Gesetzgeber hat spätestens bis zum 30. Juni 2020 zu erfolgen. Ab dem Tag der Verkündung dieses Urteils sind bis zu einer Neuregelung diejenigen Personen, die nachweislich als Inhaber ihrer Erstwohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nachkommen, auf ihren Antrag hin von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien. Wer bereits Rechtsbehelfe anhängig gemacht hat, über die noch nicht abschließend entschieden ist, kann einen solchen Antrag rückwirkend für den Zeitraum stellen, der Gegenstand eines noch nicht bestandskräftigen Festsetzungsbescheids ist. Bereits bestandskräftige Festsetzungsbescheide vor der Verkündung dieses Urteils bleiben hingegen unberührt (vgl. § 79 Abs. 2 Satz 1BVerfGG). Eventuelle Einbußen der verfassungsrechtlich geschützten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind verfassungsrechtlich hinnehmbar, weil sie weit überwiegend nicht rückwirkend eintreten und damit für die Gesetzgeber kalkulierbar und kompensierbar sind. Im Übrigen machen sie nur einen niedrigen Anteil der Gesamterträge des Rundfunkbeitrags aus (Rn 155).
Spätestens beim letzten Satz dieser sehr abwegigen Argumentation hätte dem Autor dieses Urteils eigentlich auffallen müssen, dass dies ziemlicher Unsinn ist, was er da schreibt, da man die Pressefreiheit nicht an den Gesamteinnahmen der Erträge einer Rundfunkanstalt messen kann.
Die Doktrin der staatlichen Pressefreiheit ist für mich schon alleine deshalb absurd, weil eine solche durch den Staat geförderte Presse in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Staat steht, dass dieser ihr eben nicht erlauben wird, frei von staatlichem Einfluss zu handeln. Ein solches Abhängigkeitsverhältnis wird dann nicht dadurch eingeschränkt, dass man die Anzahl der Beamten in einem Rundfunkrat limitiert, wie man es im so genannten ZDF-Urteil versucht hat zu lösen (vgl. Urteil des 1. Senats vom 25. März 2014 – 1 BvF 1/11 und 1 BvF 4/11). So etwas ist Unsinn.
Bundesverfassungsgericht, Landesregierungen und Landesrundfunkanstalten sollten in dieser Richtung mal ehrlicher werden, so wie es in der Schweiz der Fall gewesen ist, als die Vertreter des Schweizer Fernsehens seine Bürger bei der Volksabstimmung mit der Behauptung eingeschüchtert haben, dass es ohne sie nur noch Fernsehen aus Frankreich, Deutschland und Italien geben würde. Es geht letztendlich nur um den Erhalt von Staatsfernsehen, weil man sich davon erhofft, den Bürgern bestimmte Informationen vermitteln zu können, die ein vorrangiges Interesse haben. Ob dies letztendlich gut oder schlecht ist, darauf kommt es nicht an, da dies nichts mit Pressefreiheit zu tun hat. Die Verkehrung der Pressefreiheit in ihr Gegenteil, so wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung macht, wirft dann jedoch grundsätzliche Fragen zum Demokratieverständnis der Gerichtsbarkeit in Deutschland auf.
Quellenverzeichnis:https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2007/09/rs20070911_1bvr227005.htmlhttps://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/07/rs20180718_1bvr167516.htmlhttp://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2014/03/fs20140325_1bvf000111.htmlhttps://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/laender-und-rundfunkanstalten-begruessen-gebuehren-urteil-es-wird-keinen-nachschlag-geben/2859540.htmlhttps://www.horizont.net/medien/nachrichten/-ARD-und-ZDF-siegen-im-Gebuehrenstreit-vor-dem-Bundesverfassungsgericht-72141