Das Thread hat als Ausgangsthema die Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit des Art. 10 EMRK zum Gegenstand, womit wir im Bereich des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg sind. Da selbst erfahrene Juristen diesen Gerichtshof mit dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verwechseln, sollte man auch die unterschiedlichen Fassungen der Gesetzestexte beachten, auch wenn sie sehr ähnlich sind. Seit der Ratifizierung der Lissabonner Verträgen haben wir natürlich auch die Situation, dass viele Gesetze aus den Konventionen für Menschenrechte direktes Recht in Deutschland über die EU-Gesetzgebung geworden sind, wie der Art. 11 der EU-Charta, der sich ebenfalls mit der Meinungsfreiheit und der Informationsfreiheit beschäftigt. Dennoch haben wir es mit zwei verschiedenen Verfahrenswegen zu tun, die ich hier mal versuchen möchte, kurz zu skizzieren.
I. Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Straßburg):Hier kann jeder Bürger der 47 Mitgliedsstaaten (wozu auch nicht EU-Länder wie Russland, Türkei und die Schweiz gehören) in der Form einer Individualbeschwerde nach Ausschöpfung des inländischen Rechtsweges klagen. Der hierzu passende Gesetzesartikel Art. 10 EMRK lautet:
Art. 10 EMRK
Freiheit der Meinungsäußerung
(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung.
Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein,
Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne
Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.
Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Hörfunk-, Fernseh-
oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben.
Die Freiheit der Information, dies ist wohl mittlerweile unstrittig, schließt natürlich auch die Freiheit mitein, eine bestimmte Informationen nicht haben zu wollen, auch wenn bestimmte Behörden und Parteien diese Informationen den Bürgern aufdrängen wollen, wie dies nun einmal bei den Staatssendern von Landesregierungsgnaden der Fall ist.
Sehr nützliche Informationen für eine erfolgreiche Klage vor dem EGMR findet man auf den folgenden Seiten:
https://anwalt-gericht-menschenrechte.de/index.php/egmr/122-wie-wende-ich-mich-an-den-europaeischen-gerichtshof-fuer-menschenrechtehttp://www.echr.coe.int/Pages/home.aspx?p=applicants/ger&c=Ein Beispiel für eine erfolgreiche Klage vor dem EGMR, nach einer nicht begründeten Nicht-Annahmeentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes findet man übrigens hier (Individualbeschwerde Nr. 22028/04):
http://www.bmjv.de/SharedDocs/EGMR/DE/20091203_22028-04.html;jsessionid=FE1147429FFFA559724A2F89297CD03D.2_cid324?nn=6966392 Dies ist also der eine Verfahrensweg, den ich zumindest sehr nachvollziehbar finde, was ich bei den Verfahren vor dem EuGH in Luxemburg nicht so empfinde.
II. Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH, Luxemburg):Hier gilt also die EU-Charta und die anderen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft. Der dem Art aus den EMRK entsprechende Artikel der EU-Charta ist der Art. 11. Er lautet:
Art. 11 EU-Charta
Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit
(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt
die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche
Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.
(2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.
Auch wenn Absatz 1 hier scheinbar identisch mit Absatz 1 aus dem EMRK ist, habe ich hier den Eindruck, dass EU-Charta in Absatz 2 sogar weiter geht, als die Konventionen, da man mit Abs. (2) in der Tat argumentieren kann, dass die Pluralität der Medien durch die Überfinanzierung und die Subventionierung der öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten eben nicht mehr geachtet wird.
Dies ist natürlich interessant, wenn der Verfahrensweg nicht so kompliziert wäre, da ich hier nur die Möglichkeit sehe, die Richter am Amtsgerichten, Landgerichten und Oberlandgerichten zu überzeugen, ein Vorabentscheidungsersuchen in der nach 267 AEUV (ex-Art. 234 EG) beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg mit Bezug auf Art. 11 der EU-Charta einzulegen. Diese Richter kann man von der Rechtswidrigkeit des Rundfunkbeitrages in einigen Bundesländern jedoch erst dann überzeugen, wenn man mit einem halben Bein bereits im Gefängnis steht, weil man eine Vermögensauskunft während eines Vollstreckungsverfahrens verweigert hat.
https://dejure.org/gesetze/AEUV/267.htmlhttps://dejure.org/gesetze/EG/234.htmlhttp://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&num=C-337/06http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=197111&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1Das Landgericht Tübingen hat es in der Rechtssache C-492/17 meiner Ansicht nach vergessen, auch die Frage nach der Diskriminierung (Art. 21 der Charta) der Nicht-Nutzer von Rundfunk und Fernsehen vorzulegen, da diese durch die Reform des RBStV entgegen ihrer weltanschaulichen Überzeugungen zu einem Beitrag herangezogen werden, während die tatsächlichen Nutzer von Rundfunk und Fernsehen durch die Reform entlastet wurden. Diese Frage finde ich persönlich genauso wichtig, wie die Frage nach der Freiheit der Informationen.
Auch wenn die Möglichkeit, seine Richter davon zu überzeugen, erst einmal die EU zu fragen, ob der Rundfunkbeitrag nicht gegen EU-Recht verstößt, sicherlich ein interessanter Verfahrensweg ist, bin ich mir nicht sicher, ob man als einzelner Bürger mit Bezug auf die EU-Charta vor den Richtern in Luxemburg nach einer gescheiterten Verfassungsbeschwerde klagen kann.
Gibt es für den EuGH eigentlich auch so etwas wie ein Merkblatt?