Es ist nicht neu, dass die verfassungsrechtliche Rechtsprechung die Notwendigkeit der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit dem Rundfunkauftrag begründet, der unabhängig von der Einflussnahme durch Werbung gestaltet werden soll [1]. Neue ist in den Urteilen zum Rundfunkbeitrag vom 18. Juli 2018 (1 BvR 1675/16 u. a.) jedoch die Perspektive, dass die Vielfalt der Meinungen angeblich auch durch den Einsatz von Algorithmen in Gefahr sei [2]. In der vom Bundesministerium des Innern geförderten Publikation
(Un)Berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft aus dem Jahre 2018, die durch Textbeiträge von Bundestagsabgeordneten der vier etablierten Parteien und der Verbraucherzentrale unterstützt wird [3], habe ich dazu folgende Aussage gefunden:
Die gegenwärtige sozial- und kulturwissenschaftliche Kritik an Algorithmen bezieht sich vor allem auf zwei Aspekte: Dass Algorithmen, erstens, grundsätzlich auf subjektiven Vorstellungen und Vorurteilen beruhen, und dass sie, zweitens, meist im Verborgenen operieren. Wenig beachtet wird dabei die Frage, welchen politischen Einfluss Algorithmen eigentlich haben. Um den politischen Einfluss von Algorithmen zu verstehen, schlage ich Michel Foucaults Perspektive der Gouvernementalität vor. Die politische Bedeutung algorithmischer Modelle besteht dieser Perspektive nach gerade darin, dass sie das tun, was eigentlich dem liberalen Staat vorbehalten ist, nämlich die Bevölkerung zu regieren. Unternehmen wie Google oder Facebook, die weitverbreitete und potente algorithmische Modelle besitzen, sind – so mein Schluss – ›gouvernementale‹ Unternehmen, die die staatlichen Regierungsinstanzen vor grundlegende Fragen stellen.
(Janosik Herder in [3], S. 179).
Bei dem Verweis auf angeblich manipulierende Algorithmen in Rn. 79 der Urteile vom 18. Juli 2018 [4] geht es damit um Politik, auch wenn sich mir dieser Zusammenhang zur Zwangsfinanzierung des Staatsfunks bis heute nicht wirklich erschlossen hat. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die Autoren der Publikation, denen es wohl eher um die Risiken einer durch Algorithmen automatisierte Gesellschaft ging, sich tatsächlich vor den Karren der rundfunkrechtlichen Abgabenreform durch die Kirchhofbrüder spannen lassen würden.
Es ist vielmehr der Beitragsservice der Rundfunkbehörden selbst, der uns ein Beispiel für die Abwege einer automatisierten Verwaltung aufzeigt. Er behauptet in seinem neuen Jahresbericht nämlich, dass die umstrittenen Direktanmeldungen angeblich über ein automatisiertes Verfahren vorgenommen werden [5, S. 17]. Der dabei verwendete Algorithmus wird wahrscheinlich wie folgt lauten: Wenn nicht oder nicht in erwünschter Weise auf den Meldedatenabgleich reagiert wird, wird automatisch, d. h. zwangsweise, angemeldet. Der Hinweise der Rundfunkbehörden, dass Menschen, die diesen Vorgang nicht für rechtens halten, angeblich viel viel später mal die Möglichkeit hätten, gegen diesen Vorhang mit einer Anfechtungsklage zu reagieren, ist nicht haltbar, da sich aus dem automatisierten Vorgang direkt Zahlungsaufforderungen ergeben, die ohne rechtliches Gehör im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben werden können [6]. Die Rundfunkbehörden, womit die Landesrundfunkanstalten gemeint sind, sind also keine schützende Instanz vor einer Automatisierung der Gesellschaft, sondern vielmehr repräsentiert das System der Rundfunkfinanzierung genau einen solchen Vorgang, vor dem die Kritiker des Missbrauches von ADM-Systemen [3, S. 521] warnen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zum Hüter vor solchen Gefahren zu erklären, so wie es in Karlsruhe gemacht wurde, ist also nichts anderes, als den Bock zum Gärtner zu machen.
Als Nicht-Nutzer von Rundfunk und Fernsehen, der die Weltsicht der meisten Journalisten auch nicht besonders mag, komme ich mir zudem langsam als vernachlässigter Kollateralschaden in Auseinandersetzungen vor, die nach meinem Empfinden zwischen den alten und den neuen Medien in unsachlicher Weise toben. Es verwundert in diesem Zusammenhang nicht, dass bei der Verhaftungswelle im Dezember 2015 offensichtlich gezielt gegen zwei Aktivistinnen vorgegangen wurde, die zuvor bei Facebook und Youtube aufgefallen waren. Denn die Beteuerungen der Rundfunkbehörden, dass sie mit diesen Verhaftungen nichts zu tun gehabt hätten, sind für mich wenig glaubwürdig, wenn man insbesondere bedenkt, dass jeder Bürger, der die Zahlung des Rundfunkbeitrag verweigert, letztendlich nur einen Mausklick durch einen Sachbearbeiter beim Beitragsservice davon entfernt ist, dass gegen ihn Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden [6].
Automatischer geht dies schon gar nicht mehr, wobei man sich durchaus mal die Frage stellen sollte, ob der Beitragsservice überhaupt das Recht haben sollte, Verfahren per Amtshilfe einleiten zu dürfen.
Ich bin nicht bei Facebook oder anderen sozialen Netzwerken registriert und beabsichtige auch nicht in naher Zukunft Mitglied bei solchen Netzwerken zu werden, weshalb ich nicht beurteilen kann, wie dort mit Daten umgegangen wird. Auch wenn ich einen gewissen gesellschaftlichen Druck verspüre, dass man sich bei solchen Einrichtungen involvieren sollte, ist eine solche Registrierung immer noch freiwillig und beruht auf keinem Zwang, was man von der Zwangsmitgliedschaft bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eben nicht sagen kann. Hier wurden meine Daten aus meiner Meldung beim Einwohnermeldeamt, zu der ich gesetzlich verpflichtet bin, an den Beitragsservice weitergeleitet, ohne dass ich hierzu mein Einverständnis gegeben hätte.
Diese Daten wurden dann dazu verwendet, mich in der oben beschriebenen Form der automatischen Registrierung durch Direktanmeldung bei den öffentlich-rechtlich Rundfunkanstalten, die als Medieneinrichtung zur Presse gehören, anzumelden. Damit wurden meine Meldedaten direkt an die Presse weitergeleitet; denn aus den Datenschutzbestimmungen im RBStV ist beispielsweise nicht ersichtlich, ob ein Journalist, der bei der dem Beitragsservice übergeordneten "Rundfunkbehörde" arbeitet, nicht die Möglichkeit hätte, die Daten aus dem Meldedatenabgleich für journalistische Zwecke zu verwenden. Derartigen Zwecken habe ich bei meiner Meldung beim Einwohnermeldeamt jedenfalls nicht zugestimmt, weshalb ich damit auch ein Problem habe.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 18. Juli 2018 richtet sich also nicht nur gegen die Menschen, die den Rundfunkbeitrag aus weltanschaulichen, politischen oder finanziellen Gründen ablehnen, sondern auch gegen Unternehmen, die soziale Netzwerke oder Suchmaschinen betreiben [2]. Nachdem ich die Erfahrung gemacht habe, dass irgendjemand versucht hat, bei Google einen kritischen Beitrag von mir aus dem Ranking der Suchmaschine zu entfernen [7], habe ich jedenfalls erhebliche Zweifel, ob die verfassungsrechtliche Rechtsprechung hier tatsächlich dem Schutz der Pressefreiheit dient [1]. Es ist in diesem Zusammenhang durchaus bemerkenswert, dass dieses Forum über das Keyword „Rundfunkbeitrag“ auf den ersten Seiten des Ranking bei Suchmaschinen nicht zu finden ist, obwohl es dieses Thema schwerpunktmäßig behandelt. Man kann hier nicht ausschließen, dass die Betreiber von Suchmaschinen mit Behörden zusammenarbeiten, um Probleme zu vermeiden. Da es sich letztendlich um Maschinen handelt, wird bei den verantwortlichen Unternehmen wohl auch kein großer Aufwand betrieben, wenn es darum geht, einen Eintrag aus dem Suchergebnis zu entfernen. Insbesondere bei der Eingabe von Namen von Politikern fällt auf, dass dort fast immer der Hinweis zu finden ist, dass Einträge auf Grund der Europäischen Datenschutzbestimmungen entfernt wurden.
Es wird daher die Frage erlaubt sein, ob die "Rundfunkbehörden" diese Möglichkeit der Löschung von Einträgen bei Suchmaschinen dazu missbrauchen, um Meinungen, die sich gegen den Rundfunkbeitrag richten, zu unterdrücken. Quellenverzeichnis:[1]
Die Doktrin der staatlichen Pressefreiheit in der deutschen Rechtsprechung https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,28411.msg178838.html [2]
Die Panik vor dem Mausklick-Urteile vom 18. Juli 2018https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,28119.msg179602.html#msg179602[3]
(Un)Berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft (2018)https://www.oeffentliche-it.de/unberechenbar[4]
Urteil zum Rundfunkbeitrag vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. -https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2018/07/rs20180718_1bvr167516.html[5]
Beitragsservice Jahresbericht 2017https://www.rundfunkbeitrag.de/e175/e5774/Jahresbericht_2017.pdf[6]
Schreiben an den Ministerpräsidenten Armin Laschethttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=25835.0 [7]
Klagevorhaben nach Art. 18 Grundgesetz gegen ÖRRhttps://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=16297.15Edit "Bürger":
Um abschweifende Diskussionen einzudämmen, musste der ursprüngliche Thread-Betreff "Algorithmen als neue Feindbilder der Politik" präzisiert werden.
Danke für das Verständnis und die Berücksichtigung.