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Autor Thema: EuGH C-377/17 - Zur Zulässigkeit eines Preisrahmens für Dienstleistungen  (Gelesen 996 mal)

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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
4. Juli 2019(*)

„Vertragsverletzung – Dienstleistungen im Binnenmarkt – Richtlinie 2006/123/EG – Art. 15 – Art. 49 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Honorare für Architekten und Ingenieure für Planungsleistungen – Mindest- und Höchstsätze“

In der Rechtssache C-377/17

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=215785&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=303434

Rn. 58
Zitat
Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass die in Kapitel III der Richtlinie 2006/123 enthaltenen Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer dahin auszulegen sind, dass sie auch auf einen Sachverhalt anwendbar sind, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweisen (Urteil vom 30. Januar 2018, X und Visser, C-360/15 und C-31/16, EU:C:2018:44, Rn. 110).

Rn. 89
Zitat
Jedoch ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Erreichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. März 2009, Hartlauer, C-169/07, EU:C:2009:141, Rn. 55, und vom 15. Oktober 2015, Grupo Itevelesa u. a., C-168/14, EU:C:2015:685, Rn. 76, sowie Beschluss vom 30. Juni 2016, Sokoll-Seebacher und Naderhirn, C-634/15, EU:C:2016:510, Rn. 27).

In dieser Deutschland betreffenden Rechtssache geht es um einen Preisrahmen für Architekten, um die Qualität der Dienstleistung zu schützen; nach Ausführung des EuGH ist das zulässig, wenn die staatlichen Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen.

Rn. 92
Zitat
Der Umstand jedoch, dass in Deutschland Planungsleistungen von Dienstleistern erbracht werden können, die nicht ihre entsprechende fachliche Eignung nachgewiesen haben, lässt im Hinblick auf das mit den Mindestsätzen verfolgte Ziel, eine hohe Qualität der Planungsleistungen zu erhalten, eine Inkohärenz in der deutschen Regelung erkennen. Trotz des Befunds in Rn. 88 des vorliegenden Urteils ist nämlich festzustellen, dass solche Mindestsätze nicht geeignet sein können, ein solches Ziel zu erreichen, wenn – wie aus den beim Gerichtshof eingereichten Unterlagen hervorgeht – für die Vornahme der Leistungen, die diesen Mindestsätzen unterliegen, nicht selbst Mindestgarantien gelten, die die Qualität dieser Leistungen gewährleisten können.

Der vom Staat festgelegte Rundfunkbeitrag könnte in der Relation Staat - Verbraucher*in deswegen unionsrechtswidrig sein, wenn der Staat entweder keine Qualitätsansprüche an die Rundfunkverantalter stellt oder die Umsetzung dieser Qualitätsansprüche nicht nachdrücklich realisiert.

Die Veranstaltung von Rundfunk ist unionsrechtlich bekanntlich eine Dienstleistung im Sinne des Art 56 AEUV¹ und ein hoher Verbraucher*innenschutz unionsrechtlich von Allgemeininteresse.²

Gibt der Staat also einen Preis für eine Marktdienstleistung vor, muß er die Qualität dieser Marktdienstleistung garantieren.

Die Bürger*innen können im Unionsrecht auf Grund des unionsrechtlich hohen Verbraucher*innenschutzes nicht verpflichtet werden, Produkte finanzieren zu müssen, die aus Verbraucher*innensicht als "minderwertig" zu bezeichnen sind.

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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MACIEJ SZPUNAR
vom 28. Februar 2019(1)
Rechtssache C-377/17

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=211193&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=303434

Zitat
40.      In diesem Zusammenhang ist es ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass nationale Vorschriften, die es Unternehmen verbieten, von den im nationalen Recht vorgesehenen Mindesttarifen abzuweichen, Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind, die Möglichkeit nehmen, durch geringere Honorarforderungen als den vom nationalen Gesetzgeber festgesetzten den Unternehmen wirksamer Konkurrenz zu machen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat ihren festen Sitz haben und denen es daher leichter als im Ausland niedergelassenen Unternehmen fällt, sich einen Kundenstamm aufzubauen(25).

Zitat
c)      Die Ansichten der Berufsverbände sind für die rechtliche Würdigung irrelevant

51.
     Diese Feststellung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass Verbände, und seien es Berufsverbände wie der Architects’ Council of Europe oder der European Council of Engineers Chambers, der Auffassung sind, dass die fraglichen Maßnahmen weder den Zugang zum deutschen Markt noch die Niederlassungsfreiheit behinderten. Diese Frage wurde bereits durch Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie entschieden. Diese rechtliche Bestimmung kann von keinem Berufsverband in Frage gestellt werden.

Zitat
69.      Im Hinblick auf das Ziel des Verbraucherschutzes bestehe keine berechtigte Annahme, dass dann, wenn ein bestimmtes Preisniveau unterschritten werde, dieser Preis nur durch ein niedrigeres Qualitätsniveau erreicht werden könne.

Zitat
72.      Die Kommission weist darauf hin, dass es eine Reihe von Mechanismen gebe, um die Qualität der Dienstleistungen zu sichern, z. B. Werbung, Regelungen von Berufsverbänden, Qualitätsmanagementsysteme und die Möglichkeit für Kunden, gezielt Informationen über spezialisierte Websites zu erhalten.

Zitat
73.      Sie habe nichts gegen ein System einzuwenden, das geeignete Preisorientierung ermögliche, um den Kunden zu erlauben, unrealistische Angebote zu erkennen. Der Hinweis der Bundesrepublik Deutschland auf den qualitätsbasierten Wettbewerb bedeute auch, dass es zurzeit trotz der Mindesttarife zu qualitativen Unterschieden komme, so dass Mindesttarife nicht als wirksame Voraussetzung für Qualität angesehen werden könnten.

Zitat
75.      Darüber sei der Schutz der Marktstruktur kein zwingender Grund des Allgemeininteresses und habe die Bundesrepublik Deutschland bei ihrer auf das Vorliegen einer Informationsasymmetrie gestützten Argumentation nicht angegeben, dass eine derartige Asymmetrie bei Beratungsleistungen, die nicht den verbindlichen Tarifen unterlägen, nicht vorkommen könne. Dazu gehörten auch Umweltverträglichkeitsstudien, Studien zur „Bauphysik“, zur Geotechnik sowie Leistungen der Ingenieurvermessung, bei denen durchaus eine Informationsasymmetrie bestehen könne. Ferner zeige ein Vergleich mit der Vergabe öffentlicher Aufträge zum einen, dass Preise für der HOAI unterfallende Leistungen unterhalb der Mindesttarife dieser Verordnung liegen, aber dennoch den Marktpreisen entsprechen könnten, so dass sie dann per definitionem nicht „ungewöhnlich niedrig“ wären und nicht einmal eine besondere Überprüfung auslösen würden. Zum anderen könne es selbst bei „ungewöhnlich niedrigen“ Preisen in Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge eine plausible Erklärung geben, so dass der öffentliche Auftraggeber das Angebot nicht alleine wegen des Preisniveaus zurückweisen könne.

Zitat
78.      Die Kommission verweist auf ihr Vorbringen zu den Berufsausübungsregelungen und macht geltend, dass die Bundesrepublik Deutschland auch ihre Argumente zum Nachweis der Einhaltung von Qualitätsanforderungen, Informationspflichten oder Wahlfreiheit der Verbraucher nicht widerlegt habe. Zwar sei es richtig, dass Vorkehrungen, die Anbietern zum Schutz der Kunden vorgeschrieben würden, häufig Kosten verursachten, die dann normalerweise auf die Kunden abgewälzt würden, im vorliegenden Fall erhalte der Kunde jedoch nur erhöhte Kosten ohne erkennbaren Gegenwert.

Zitat
80.      Die in Rede stehende Beschränkung ist gerechtfertigt, wenn die kumulativen (39) Bedingungen in Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 erfüllt sind (40).

Zitat
89.      Im Allgemeinen räumt der Gerichtshof den Mitgliedstaaten in dieser Phase im Allgemeinen einen „Wertungsspielraum“(46) ein, insbesondere weil die einschlägigen Ziele des öffentlichen Interesses von einem Mitgliedstaat zum anderen voneinander abweichen. Dies befreit den Mitgliedstaat jedoch nicht davon, die festgelegten Ziele klar zu definieren sowie verständlich und kohärent darzulegen, dass die betreffende Maßnahme geeignet ist, diese Ziele zu erreichen.

Zitat
92.      Die Geeignetheit von Mindestpreisen zur Förderung der Qualität der betreffenden Dienstleistungen muss daher, wie die Kommission zu Recht geltend macht, für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände belegt werden.

Zitat
106. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die sowohl die Qualität der Dienstleistungen als auch den Schutz der Verbraucher sicherstellen könnten: berufsethische Normen, Haftungsregelungen und Versicherungen, Informationspflichten, Pflichten zur Veröffentlichung von Tarifen oder zur Festlegung von Richtpreisen durch den Staat. Die Bundesrepublik Deutschland hat nicht nachgewiesen, dass die Wirkung der in Rede stehenden Bestimmungen zu Mindestsätzen die Qualität einer Dienstleistung und den Schutz der Verbraucher besser gewährleistet. Insbesondere die Aussage, dass die Einführung einer Zugangsregelung zu den betreffenden Berufen eine wesentlich stärkere Beschränkung der Niederlassungsfreiheit als die geltende HOAI darstellen würde, ist eine bloße Behauptung, die nicht auf Beweise gestützt wird.

Zitat
110. Die Geeignetheit von Höchstpreisen scheint mir nicht problematisch zu sein. So wie die deutsche Regierung nämlich zu Recht vorträgt, sind Höchstpreise in der Tat geeignet, dem Ziel des Verbraucherschutzes zu dienen, da sie für Transparenz sorgen und vor überhöhten Honorarforderungen schützen.

Zitat
111. Die deutsche Regierung hat jedoch nicht nachgewiesen, dass es nicht möglich ist, die Höchstpreise durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen zu ersetzen, die zu dem gleichen Ergebnis führen. Insbesondere wurde nicht nachgewiesen, warum beispielsweise Preisorientierungen, die Verbrauchern eine konkrete Vorstellung davon ermöglichen, wie eine Dienstleistung üblicherweise vergütet wird, nicht wirksam ihre Interessen schützen würden.

Fußnote
Zitat
9      Es ist zu betonen, dass dies nur für Maßnahmen gilt, die nicht aufgrund der Staatsangehörigkeit diskriminieren. Unmittelbar oder mittelbar aufgrund der Staatsangehörigkeit diskriminierende Anforderungen sind nach Maßgabe des Art. 14 Nr. 1 der Richtlinie 2006/123 ipso facto verboten.³ Für diese kann es keinerlei Rechtfertigungsgrund geben, vgl. Urteil vom 16. Juni 2015, Rina Services u. a. (C-593/13, EU:C:2015:399, Rn. 28).

Weiterführend:
¹
EuGH C-87/19 - Ausstrahlung von Fernsehendung = Dienstleistung nach Art. 56 AEUV
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=33545.0

²
EuGH C-46/08 - Verbraucherschutz ist zwingendes Allgemeininteresse
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35464.0

³
EuGH C-214/94 - Verbot der Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35516.0


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Der Gerichtshof hat nämlich bereits entschieden, dass die in Kapitel III der Richtlinie 2006/123 enthaltenen Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer dahin auszulegen sind, dass sie auch auf einen Sachverhalt anwendbar sind, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweisen (Urteil vom 30. Januar 2018, X und Visser, C-360/15 und C-31/16, EU:C:2018:44, Rn. 110).

Diese RN 58 ist wichtig. Denn sie besagt: Die LMA "Landesmedienanstalten" dürfen die Lizenzerteilung
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nicht benutzen, die Dienstleistungsfreiheit zu beeinträchtigen. Und nun das Wichtige:
Sie dürfen dies sowieso nicht für Anbieter aus dem EU-Ausland.
Aber sie dürfen es noch nicht einmal für innerdeutsche Anbieter.

Nun könnte man argumentieren: Sie dürfen - zwecks Qualitätssicherung,
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siehe den Rest des EuGH-Entscheides. Hier aber greift ein anderer rechtlicher Mechanismus, das Grundrecht der Informationsfreiheit
- EU-Charta, GG, Landesverfassungsgesetze, EMRK.
Die Dienstleistungsfreiheit für Medien darf nur eingeschränkt werden im Fall von Deliktnachweis in einem überdurchschnittlichem Maß. Alles andere wäre Zensur - Verstoß gegen das grundrechtlich basierte Zensturverbot.


Dies ist vorgemerkt für Übertragung in die "Metastudie LIBRA", das Sammelgutachten von rund 1000 Seiten als Anlage zu den diversen aktuellen Landesverfassungsbeschwerden.


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Hier aber greift ein anderer rechtlicher Mechanismus, das Grundrecht der Informationsfreiheit
- EU-Charta, GG, Landesverfassungsgesetze, EMRK.
Die Dienstleistungsfreiheit für Medien darf nur eingeschränkt werden im Fall von Deliktnachweis in einem überdurchschnittlichem Maß. Alles andere wäre Zensur - Verstoß gegen das grundrechtlich basierte Zensturverbot.
Siehe auch:

EuGH C-260/89 - Rundfunk - Keine Maßnahme rechtens, die Art 10 EMRK mißachtet
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35024.0

Nur gelten die Aussagen eben nicht nur in Bezug auf Unternehmen, bzw. "rundfunkveranstaltende Strukturen", sondern auch in Belangen einer jeden natürlichen Person, da sie beide keine Einmischung durch den Staat dulden müssen.

Achtung aber in Belangen der "rundfunkveranstaltenden Strukturen", (und aller anderen Unternehmen), ob nachstehenden Themas

EuGH C- 624/19 - Unmittelbares Recht auf gleiches Entgelt für gleiche Arbeit
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35517.0

Hier besteht auch für den Staat nötigenfalles eine Einwirkungspflicht, auch gegenüber dem ÖRR.


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