Das NDR-Feature »Über Gebühr« war im Ton ausgewogen. Die Kernpunkte einer Sachkritik an der Verfasstheit und der Realität der Sender wurden natürlich nicht angesprochen. Die Dramaturgie lief darauf hinaus, die bekannten Positionen zu wiederholen, den Kritikern Sachfehler oder ein falsches Bewusstsein zu attestieren und schlussendlich mit dem Thema Transparenz bei den Finanzen ein bisschen zu punkten, weil dort wohl bald ein klitzekleines Zugeständnis nötig sein dürfte. Journalist Niggemeier durfte den Hofnarren spielen, der den König ganz, ganz toll findet, auch wenn ab und zu klitzekleine Fehlerchen passieren, auf die hinzuweisen, er untertängist zu tun gedenkt, aber nur mit dem allergrößten Bedauern.
Die Äußerungen zum Thema Transparenz waren äußerst unbeholfen. Sie entsprachen im Stil der Vorgehensweise eines Verdächtigen, der immer nur so viel zugibt, wie man ihm ohnehin nachweisen kann. Hier heißt das: Wir sagen nur so viel Transparenz zu, wie wir wahrscheinlich von der Politik aufgedonnert bekommen werden, aber bloß nicht mehr.
Während Herr Bellut sich noch als tatsächlich einsichtfähiger Zeitgenosse zeigte, ritt Herr Marmor die bekannte Welle von der angeblich erforderlichen Verschwiegenheit in Sachen Sportrechtekauf – dankenswerterweise, denn anhand dieser Thematik lässt sich die Amateurhaftigkeit der Rundfunkbeamten sehr, sehr gut erläutern.
Rolf Dobelli, Autor der Bücher »Die Kunst des klaren Denkens« und »Die Kunst des klaren Handelns« stellt in einem Kapitel den »Winner’s Curse« vor. Es geht um die Psychologie von Versteigerungen bzw. Bietergefechten. Von den US-Ölfeldern der zwanziger Jahre über die UMTS-Lizenzen bis hin zur privaten Immobilienersteigerung und den Handwerkerdienstleistungen, die im Internet vergeben werden: Gemäß Erkenntnissen der Sozialpsychologie zahlt der Gewinner einer Auktion systematisch zu viel. Ursache dafür ist das bei einer Versteigerung herbeigeführte konkretisierte, auch oft personale Konkurrenzverhältnis. Weiter referiert der Autor, dass es Testspiele der Sozialpsychologie gibt, in denen der Preis für 100 Euro ermittelt wird, freilich mit Spielregeln, die es real nicht gibt, aus denen aber dennoch ersichtlich wird, dass es subjektive, handlungsleitende Motive geben kann, für 100 Euro mehr als 100 Euro zu zahlen. Während Investorenlegende Warren Buffet sein Erfolgsrezept ganz schlicht damit beschreibt, immer höchstens 50 Cent für einen Dollar bezahlt zu haben, möchten sich die Gebührensender mit aller Macht die Gunst möglichst vieler Zuschauergruppen erkaufen, damit jeder Einzelne irgendwie auf seine Kosten kommt und der Gesamtumfang des Programms nicht in Frage gestellt wird. Solange das funktioniert, spielt Sparsamkeit im Detail keine Rolle. Weil die Sportrechteinhaber und die privaten Konkurrenten das wissen, gelingt es ihnen mit schöner Regelmäßigkeit, dem »Winner’s Curse« gegen ARD und ZDF Drive zu verleihen. Den Privaten wird das schon irgendwie vergolten, oder sie machen das aus Spaß an der Freud. Im Gegenzug halten ARD und ZDF dann bei anderen Paketen still, weil sie ja ihre Macht nicht missbrauchen wollen und mit den Beitragsgeldern sparsam umgehen. Bei den Sportrechteinhabern klingelt die Kasse so richtig gut. Sie sind die einzigen, die tatsächlich die Sektkorken knallen lassen können.
Die Privaten zahlen für Sportrechte nach einer Prognose, die zum obersten Limit wird. Sie schätzen die Entwicklung der Werbepreise ihres Mediums und sie wissen in etwa, wie die Attraktivität ihres Rahmenprogramms ist, wie stark ihre Sendermarke (mit welchen Gesichtern) ist und sie wissen recht genau, welches Zuschauerinteresse an bestimmten Sportformaten besteht. Sie gehen dann in ein Bietergefecht mit einer festen Summe, die sie nicht überschreiten. Die intern geübte Disziplin ist enorm. Und dieses intern festgezurrte Höchstgebot ist eine geheime Sache. Private Immobilienersteigerer müssen da schon einen guten Kumpel mitnehmen, dem sie vorher versichert haben, dass es kein juristisches Nachspiel haben wird, wenn er dem in die Gründerzeitbude verliebten Möchtegern-Immobilientycoon eins auf die Fresse haut, damit der mit dem Wahnsinn aufhört. Klappt das nicht, dann liegt der Zuschlag inklusive der total unterschätzten Renovierungskosten nicht selten bei zwei Neubauten. Geheim ist bei den Privaten, und die sind die professionell Agierenden, also nur deren Zukunftsprognose. Was sie dann konkret gezahlt haben, wenn sie unterhalb ihres Limits zum Zuge kamen, dass wird ohne weiteres veröffentlicht. Aktionäre und sonstige Anteilseigner haben ein Recht auf Information darüber, mit deren Hilfe sie zur Entscheidung über Halten oder Verkaufen ihrer Positionen kommen können.
Rechtlos steht demgegenüber der Rundfunkbeitragszahler dar. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkbeamten können sich nicht verspekulieren. Mit dem Geheimhaltungsgetue zu schlussendlich gezahlten Preisen kaschieren sie nur die Tatsache, dass sie als Amateure vorher kein definiertes Limit hatten. Denn der Skandal liegt ja darin, dass sie für ihre im Grunde privatwirtschaftlichen Aktivitäten ein solches nicht brauchen. Da sie nicht pleite gehen dürfen, finden die Mondpreise, die sie zahlen, einfach Eingang in den »Finanzbedarf«. Der wird von der KEF vorwärts wie rückwärts, hin und her gerechnet, bis die Kasse über eine »Gebührenperiode« stimmt oder eben die Gebühr angehoben wird, um die »Verluste« auszugleichen. Die waren dann an anderer Stelle von ARD und ZDF angefallen, haben den Cashflow gemindert oder führten dazu, dass ein Sender ein paar Kapitalmarktprodukte verkaufen musste, mit denen er munter an der Börse spekuliert hat. Ja, so reicht es dann, anstelle eines veritablen Medienmanagers von Format ein MBA zu sein: ein Monkey-Business-Administrator. Schlimm ist, dass diese Profis ihre Fehlleistungen auch noch verstecken dürfen, denn mit nichts anderem steht die angebliche Verschwiegenheitspflicht in Zusammenhang, so dass der zwangsweise zahlende Bürger keine Aussicht auf Besserung hat. Logisch, dass Lutz Marmor erklärt, die Geheimhaltung sei wichtig für zukünftige Rechteersteigerungen. So geht die Ausplünderung des Beitragszahlers immer wieder in eine neue Runde. Die privaten Konkurrenten interessiert es nicht die Bohne, was ARD oder ZDF zuletzt gezahlt haben. Für sie geht es wie bei jedem Business-Profi immer um die Zukunft: Aber wie Herr Schönenborn immer so gern floskelhaft sagt, wenn er Außenstehenden die Kuriositäten seiner Anstalt erklärt: bei ARD und ZDF ist alles »Historie«.
Dass sich die Beitragsausgebungsbeauftragten bei ihren Gehältern mit denen vergleichen, die sich in diesem Business nicht auf Absicherung durch einen Zwangsbeitrag stützen können, setzt dem ganzen die Krone auf. Beinahe hätte ich »Zwangsbeiträge« geschrieben, also den Plural eines Begriffs benutzt, um eine Verallgemeinerung, eine Systematik zu beschreiben. Das ist in der deutschen Sprache nicht unüblich, außer man verfasst nur juristische Schriftsätze, in denen alles auf die Goldwaage gelegt wird. Wenn Handelsblatt- und Buchautor Siebenhaar das mit dem Begriff »Fernsehbalette« macht, dann ist er natürlich ein ganz, ganz schlimmer Verleumder des braven MDR. In Sachen dieser Tanzbeinschwingerinnen, die vor zentralasiatischen Diktatoren das Röckchen lüften, sei noch festgestellt, dass die Privatisierung dieser Truppe mit ziemlicher Sicherheit nicht der Tatsache im Wege stehen wird, dass der Hauptauftraggeber bzw. der Auftraggeber, der das meiste Honoraraufkommen für die wenigsten Leistungen beisteuern wird, der MDR sein dürfte. Privatisierungen bzw. der Einkauf von kompletten Produktionen sind ohnehin das Hauptinstrument von ARD und ZDF, Transparenz zu verhindern.
Höchstmaß an Information für den Rundfunkbeitragszahler war in der Sendung dann der Moment, in dem Herr Marmor gönnerhaft eine kolportierte Zahl nicht dementierte. Super, so war das zu sowjetischen Zeiten mit der Informationspolitik aus Moskau auch. Jedenfalls kann ich mich dank der Korrespondentenberichte der damaligen Zeit noch sehr gut an diese sogenannte Kremlastrologie erinnern. Tolle Zeiten waren das, und bei ARD und ZDF sind sie zur Freude aller Ost-West-Nostalgiker noch gar nicht zuende gegangen. Und was würde Investorenlegende Warren Buffet machen, der mit dem neuzeitlichen Boom der Cola-Aktie Milliardär wurde, aber noch nie eine Apple-Aktie im Deopot hatte? Er würde die Finger von den Sportrechten lassen: »Ich verstehe Coca-Cola, ich verstehe Mars-Riegel. Aber es gibt Dinge, die ich nicht verstehe. Man muss seine Fähigkeiten kennen – und seine Grenzen«.