7.
Die Rundfunkabgabe ist entgegen dem Widerspruchsbescheid und der in diesem Bescheid zitierten Rechtsprechung kein „Beitrag“ im verfassungsrechtlichen Sinne. Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit öffentlicher Abgaben kommt es bekanntlich und wie auch im Widerspruchsbescheid ausgeführt auf die kriteriengerechte Zuordnung der Abgabe zu den verfassungsrechtlich zulässigen Abgabetypen Steuer, Gebühr, Beitrag oder „Sonderabgabe“ an. Der Beklagte vertritt – übrigens in offenkundigem Widerspruch zur Selbstbezeichnung der Abgabebescheide als „Gebühren-/Beitragsbescheid“- jedenfalls im Widerspruchsbescheid die Auffassung, die Rundfunkabgabe sei ein „Beitrag“ im verfassungsrechtlichen Sinne. Er beruft sich hierbei auf inzwischen getroffene gerichtliche Entscheidungen.
Die Rundfunkabgab ist jedoch kein „Beitrag“ und wäre sogar auch als solcher in der gegenwärtigen Ausgestaltung verfassungswidrig.
7.1.
Das konstitutive Merkmal eines „Beitrages“, das diesen allein verfassungsrechtlich legitimiert, ist der spezifische Sach- und Sinnzusammenhang zwischen Abgabetatbestand und Abgabezweck. Bei allen in der Rechtsordnung geltenden Beiträgen ist dieser Zusammenhang gegeben: Tatbestand Handwerk und Mitgliedschaft in der Handwerkskammer mit Beitragspflicht; Tatbestand Arbeitsverhältnis und Pflichtbeitrag zur solidarischen Sozialversicherung; Tatbestand Grundstückseigentum und kommunale Erschließungsbeiträge. In allen Fällen zulässiger Beiträge setzt der Sach- und Sinnzusammenhang eine individuelle Zurechenbarkeit des Beitragszweckes zum Beitragstatbestand voraus. Sach- und Sinnzusammenhang mit individueller Zurechenbarkeit von Tatbestand und Nutzen des Beitrages legitimieren die außersteuerliche Abgabe des Beitrages. In diesem Sinne entfaltet die Qualifizierung einer öffentlichen Abgabe als „Beitrag“ auch limitierende und damit legitimierende Wirkung: die zulässige Höhe des Beitrages ist im Unterschied zur Steuer von einer ökonomischen und monetären Bewertung des Beitragsnutzen für den Beitragspflichtigen abhängig. Insoweit ist auch dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz mit seinen Hinweisen auf die limitierende und damit verfassungsrechtliche legitimierende Bewertung einer Abgabe als Beitrag zu folgen.
Den notwendigen Sach- und Sinnzusammenhang als Legitimationsgrund für den „Beitrag“ hat das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich wieder in einem Verfahren um die Verfassungsmäßigkeit eines rheinland-pfälzischen Kommunalbeitrages hervorgehoben (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25.6.2014, 1 BvR 668/10; 1 BvR 2104/10).
7.2.
Die demgegenüber wahre Natur der Rundfunkabgabe tritt deutlich hervor, wenn man den Abgabetatbestand, der die Abgabepflicht auslöst, nüchtern ins Auge faßt: es ist schlicht die Wohnung des Bürgers. § 2 des Rundfunkbeitragstaatsvertrages und der entsprechenden Landesgesetze regeln diesen Tatbestand mit erschreckender Deutlichkeit. Die rigiden und perfektionierten Anzeigepflichten, Auskunftsrechte und Datennutzungsrechte der §§ 8, 9, 11 und 14 des Beitragsgesetzes dienen der Ermittlung genau dieses Tatbestandes.
Die Wohnung als elementare Lebensvoraussetzung des Bürgers wird als solche zu einem Abgabentatbestand gemacht. Ein in der gesamten Rechtsordnung einzigartiger Sachverhalt!
An diesem gewollten und eindeutigen Gesetzestatbestand gehen alle Argumentationslinien vorbei, die die allgegenwärtige Zugänglichkeit des Rundfunks, den jederzeit abrufbaren Nutzungsvorteil, den auch abstrakten Vorteilsgewinn zum Abgabetatbestand und Rechtfertigungsgrund für die Rundfunkabgabe erklären. Käme es wirklich hierauf an, wäre der Nutzungsvorteil überall und ortsungebunden gegenwärtig und könnte es nicht, wie im Falle des Klägers, zu einer Vervielfachung der Abgabe in Abhängigkeit von Wohnsitzen kommen. Die Rede von dem allgemeinen Nutzungsvorteil des Rundfunks als Beitragsgrund ist demgegenüber ein politisches Argument und geht am Wortlaut und Sinn des Gesetzes vorbei. Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hat den Gesetzeswortlaut ganz einfach nicht zur Kenntnis genommen.
Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz legt dabei allerdings den inneren Widerspruch des gesamten Systems offen: Gemeint ist der ubiquitäre Empfang des Rundfunks, geregelt aber ist eine Wohnungsabgabe.
7.3.
Mit der Normierung der schlichten Wohnung als Abgabetatbestand wird der notwendige und spezifische Sach- und Sinnzusammenhang eines individuell zurechenbaren Tatbestandes mit einem individuell zurechenbaren Abgabenzweck zerrissen. Die „Wohnung“ ist ein derart weitgefaßter Tatbestand, den jeder Bürger lebensnotwendig erfüllt, daß mit dieser Tatbestandsnormierung jeder „Beitrag“ für jedwede Bereitstellung öffentlicher Leistungen, die jederzeit und überall und naturgemäß auch von jeder Wohnung aus erreichbar sind, gerechtfertigt werden könnte: Ein „Eisenbahnbeitrag“, ein „Straßenbeitrag“, eine „Parkanlagenbeitrag“, eine „Museumsbeitrag“ und so fort. (Nicht ohne Grund werden öffentliche Einrichtungen und Anstalten über Gebühren finanziert, die dem Freiwilligkeitsprinzip Rechnung tragen, sofern nicht überhaupt eine Steuerfinanzierun g Platz greift.) Die Wohnung als Abgabetatbestand entgrenzt den Begriff des Beitrages, der doch nur in seiner Begrenztheit verfassungsgemäß ist. Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hebt zu Recht hervor, daß die Qualifizierung einer Abgabe als „Beitrag“ zum Schutze des Bürgers limitierende Wirkung hat, übersieht aber, daß diese limitierende Wirkung nicht nur die Beitragshöhe erfaßt, sondern auf der anderen Seite auch für den Abgabetatbestand selbst gelten muß. Nicht nur die Höhe ist begrenzt, sondern auch die Reichweite des Tatbestandes. Der Sach- und Sinnzusammenhang von Abgabentatbestand und Abgabezweck bleibt unentrinnbar. Wenn man freilich, wie der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, den Rechtfertigungsgrund des Rundfunkbeitrages von einer allgemeinen Nutzungsmöglichkeit abhängig macht und den Abgabentatbestand damit vollständig im Allgemeinen entgrenzt, verliert man auch den Blick dafür, was der Gesetzgeber tatsächlich geregelt hat.
7.4. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz soll allein die Bereitstellung einer öffentlichen Leistung eine außersteuerliche Abgabe begründen können. Damit wird der Begriff des „Beitrages“ endgültig aufgegeben und die gesamte öffentliche Finanzverfassung aus den Angeln gehoben.
7.5.
Selbst wenn man die Rundfunkabgabe als Beitrag verfassungsrechtlich gelten lassen wollte, ist ein Vergleich mit sonst in der Rechtsordnung geltenden Beiträgen hilfreich. Alle geltenden Beitragsregelungen normieren Lebenssachverhalte als Tatbestände, auf die Bürger individuellen Einfluß hat oder die ihm sonst im Sinne des Beitragszweckes zugeordnet werden können. Allen Beitragsregelungen ist bewußt, daß sie in die Lebensverhältnisse der Bürger und meist auch in dessen Grundrechte eingreifen und daher dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen. Demzufolge sehen alle Beitragsregelungen Kompensationen für die (Grund-)Rechtseingriffe vor. Diese Kompensationen bestehen in der körperschaftlichen Mitwirkung der Beitragspflichtigen in den beitragsberechtigten Körperschaften. Diese kompensatorischen körperschaftlichen Mitwirkungsrechte sind zusätzliches verfassungsrechtliches Legitimationserfordernis für den „Beitrag“. Dies gilt für die berufsständischen Selbstverwaltungskörperschaften, für die Sozialversicherungsträger und im Falle kommunaler Beiträge für die kommunale Selbstverwaltung. Zudem haben die Sozialversicherungsbeiträge im Sozialstaatsprinzip, die kommunalen Erschließungsbeiträge in der Sozialbindung des Eigentums ihren verfassungsrechtlichen Rückhalt.
Im Falle der Rundfunkabgabe aber fehlt eine solche verfassungsrechtliche Stütze und gibt es keine körperschaftliche Beteiligung der Abgabe- oder „Beitrags“-Schuldner. Dabei hätte man in diesem Falle, in dem der Schutzbereich des Grundrechtes auf Informations- und Meinungsfreiheit berührt ist, an eine umso sensiblere Regelung und eine umso stärkere Kompensation einführen müssen. Man wende nicht ein, das gehe von der Natur der Sache her nicht und lasse sich im Hinblick auf die Unabhängigkeit der rundfunkinternen Willensbildung auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht realisieren – dann geht eben auch der Beitrag nicht!
Es kommt hinzu, daß im Bereich der sonstigen beitragspflichtigen Körperschaften die Verwendung des Beitragsaufkommens transparent ist und nach öffentlichem Haushaltsrecht ausgewiesen wird. Die Transparenz ist zusätzlicher Legitimationsgrund. Im Falle des Rundfunks kann hiervon aber keine Rede sein.
7.6.
Die gelegentliche Argumentationslinie in der Rechtsprechung, wonach die Rundfunkabgabe ein „Entgelt“ für tatsächlichen oder potentiellen Rundfunkempfang darstelle, beschreibt zwar den zutreffenden Zusammenhang von Entgelt und Leistung, verrät aber unausgesprochen, daß es in Wahrheit dieser Zusammenhang ist, der die Abgabepflicht begründet, und nicht die „Wohnung“ als solche, wie es aber im Gesetz steht. Die „Wohnung“ mag zwar, wie behauptet, ein Indiz dafür sein, daß jemand wirklich oder potentiell Rundfunk empfängt, aber ein solches Indiz ist auch die pure Existenz des Bürgers oder sein Seh- und Hörvermögen. Die Wohnung als alleiniges Indiz zu typisieren und abgabepflichtig zu machen, ist willkürlich. Das mag zwar praktisch sein; aber den erforderlichen Sinnzusammenhang von Leistung und Entgelt stellt man damit nicht her.
7.7.
Selbst im Steuerrecht als einem der eingriffstärksten Rechtsbereiche verzichtet der Gesetzgeber nicht auf einen Sachzusammenhang von Steuertatbestand als einem geregelten Lebensverhältnis, auf das der Bürger zumindest Einfluß hat, und der Steuerpflicht. Es gibt keine „Kopfsteuer“, keine Steuer auf die „Wohnung“ (vom Sonderfall der Zweitwohnungssteuer angesehen), keine generelle „Solidarpflicht“, keine allgemeine „Staatsabgabe“– aber eine „Demokratieabgabe“ für den Rundfunk soll es geben?
7.8.
Vorsorglich sei angemerkt: Scheitert die Rundfunkabgabe als „Beitrag“, ist sie auch als Steuer nicht zu retten. Es mag zwar Vieles dafür sprechen, daß die Rundfunkabgabe tatsächlich als Steuer zu qualifizieren ist; für eine solche Steuer aber fehlt den Ländern bekanntlich die Gesetzgebungskompetenz. Dies braucht an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt zu werden. Die im Widerspruchsbescheid zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Potsdam (Urteil vom 30.7.2014, 1 K 1090/13) läuft darauf hinaus, daß die Rundfunkabgabe, wenn sie schon keine Steuer
sein kann, ein „Beitrag“ sein müsse: Eine solche Argumentation aber stellt die Dinge auf den Kopf und macht alles noch schlimmer.
7.9
Insgesamt läßt sich die Rundfunkabgabe in die Typik der verfassungsrechtlich zulässigen Abgaben nicht einordnen. Das Finanzierungssystem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks faßt vielmehr alle Inhaber einer Wohnung in Deutschland –und das ist jedermann- zu einer Zwangsgemeinschaft zur Finanzierung des Rundfunks zusammen. In dieser Zwangsgemeinschaft kommt es weder auf die Freiwilligkeit des Rundfunkempfangs noch auf dessen Tatsächlichkeit an. Das Abgabenaufkommen wird öffentlich-rechtlichen Anstalten zugeführt, deren Tätigkeit keiner öffentlichen Verantwortung und keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Die Rundfunkabgabe ist damit eine Zwangsumlage eigener Art. Eine solche hat in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder keinen Raum. Die Rundfunkabgabe ist darüberhinaus ein einziger Fremdkörper in der gesamten Rechtsordnung.
7.10.
Alle Argumentationslinien, die in Politik und Rechtsprechung die Rundfunkabgabe als Beitrag zur Sicherung einer unabhängigen Meinungsbildung, als Gewährleistung einer informationellen Infrastruktur, als Beitrag zur Demokratie („Demokratieabgabe“) rechtfertigen wollen, sind nicht rechtlicher, sondern politischer Natur. Sie kommen nicht über das hinweg, was der Gesetzgeber tatsächlich geregelt hat. Allein darauf aber kommt es bei der rechtlichen Bewertung an. In dieser Argumentation, die auch im Urteil des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz zum Ausdruck kommt, tritt zudem ein paternalistisches Staatsverständnis zutage, wonach dem Bürger zur Meinungsbildung und zum Demokratiebewußtsein verholfen werden müsse, wenn nicht gar die Erinnerung an den „Volksempfänger“ unseligen Angedenkens fortlebt. Ganz abgesehen davon, daß es höchst zweifelhaft ist, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk die ihm zugesprochene Gemeinwohlfunktion mit seinem derzeitigen Programm auch tatsächlich erfüllt.