Liebe Mitstreiter,
das sind jetzt traurige Tage, nach den Urteilen, in deren Begründung schon das Urteil in Karlsruhe vorbereitet zu werden scheint.
Ich habe durchaus damit gerechnet und schicke euch meinen Text, den ich trotz Bemühen in keiner Zeitung unterbringen konnte.
Ich denke, die Stoßrichtung in den kommenden Monaten müßte bei etwas liegen, dass ich so umreiße (aber in meinem Text noch nicht zum Gegenstand gemacht habe). Die Medien sind längst vierte Macht im Lande, längst stärker als die drei anderen. Das Bundesverfassungsgericht müßte gerade gegen diese vierte Macht, die Rechte des Einzelnen stärken.
Nun bei allem auch ein wenig Genuss beim Lesen mein Beitrag.
Sehr freundliche Grüße aus Berlin
Johannes Dirschauer
Von der Macht medialer Geräte und dem Recht auf Stille
Ein Nachdenken über den umstrittenen Rundfunkbeitrag
Es ist nun gut 40 Jahre her, dass kein anderer als Heinrich Böll einen Streit vom Zaune brach und mit der Verweigerung der Zahlung seiner Kirchensteuer auf die in seinen Augen unselige finanzielle Liaison von Kirche und Staat aufmerksam machen wollte. Am Ende ließ die Katholische Kirche, ein im modernen Lichte nichts anderes als öffentlich rechtliches Unternehmen, die fälligen Steuern dann vom Gerichtsvollzieher eintreiben. Böll meinte damals, dass er sich als Literaturnobelpreisträger diesen Luxus ja leisten könne. Auch ein in derselben Frage zur gleichen Zeit anhängiges Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht endete abschlägig: grundgesetzlicher Zwang läge nicht vor, da sich jeder Kirchenangehörige jederzeit durch Austritt von der Kirchensteuer befreien könne“. (Karlsruhe März 1971)
Vierzig Jahre später scheint in einer durchaus vergleichbaren Frage ein einfacher Austritt undenkbar zu sein und von der einstigen Freizügigkeit darf man erneut zu träumen anfangen: wieder geht es um ein öffentlich-rechtliches Unternehmen, diesmal um Radio und Fernsehen, genauer um den seit dem 1.1.2013 gültigen 15. Rundfunkstaatsvertrag. Dieser wurde Ende 2010 von den MinisterpräsidentInnen der Länder beschlossen und im Journalistenmund als „Haushaltsabgabe“ bekannt gemacht. Das neue Gesetz hat die Gebühren auf eine neue Grundlage gestellt: Auf den ersten Blick spielt seither der Besitz von Geräten, die Fernseh- oder Radiosendungen empfangen könnten, keine Rolle mehr, sondern die Wohnung bzw. die Betriebsstätte werden zur Basis der Zahlung erklärt. Das Ganze heißt folglich auch nicht mehr Gebühr, sondern Beitrag - eine juristische Begrifflichkeit, die für den Laien einen kaum durchschaubaren juristischen Tatbestand bedeutet und sich dann für den kleinen NichtNutzer grundlegend rechtlos auswirkt. Auch heißt es nun nicht mehr GEZ (Gebühreneinzugszentrale), sondern der allgemeine Zahlungszwang wird modern maskiert: ARD ZDF Deutschlandfunk Beitragsservice.
Seither muss prinzipiell jeder ran, Ausnahmen gewährt allein der Gesetzgeber. „Ich hab‘ nichts“, also der Nichtbesitz empfangsbereiter Geräte spielt ebenso wenig eine Rolle wie gutbürgerlich rechtliche Einsprüche: „Ich kann nicht“, „Ich mag nicht“, „Ich darf nicht“.
Wenn einer auf Grund seiner Lebensführung Fernsehen oder Radio einfach nicht braucht, es im Gegenteil als störend empfindet oder jemandem dem wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft die Nutzung moderner Medien unüblich oder auch untersagt ist oder wer wegen einer Behinderung, die Medien ohnehin nicht oder nur beschränkt nutzen könnte: Alle müssen zahlen!
Sogar - man kann es oder will es kaum glauben: Selbst Blinde oder Gehörlose müssen blechen, wenn auch mit einer von der gnädigen Obrigkeit gewährten Ermäßigung: sie brauchen nur ein Drittel des Beitrags, für das, was sie entweder ganz und gar nicht sehen oder ganz und gar nicht hören können, entrichten. Aber dürfte man zynisch nach der Logik des Gesetzes fragen: „Bewohnen Blinde oder Gehörlose etwa nur ein Drittel ihrer Wohnung?“
Und wie verträgt sich dieser staatlicherseits mit Gewohnheiten innerhalb der eigenen Wohnung verbundene Zugriff auf das Geld der Bürger mit dem grundgesetzlichen Schutz auf die „Unverletzlichkeit der Wohnung“ (Grundgesetz: Artikel 13), ein Grundrecht, das ja schon mit dem Besitz der Geräte selbst ohnehin permanent beschädigt wird: Die NSA-Affäre lehrt uns, dass die einst mühselig errungene Privatsphäre im Medienzeitalter längst antiquiert ist. Georges Orwell lässt grüßen!
Schließlich ist danach zu fragen, ob es dem Staate in einer modernen Zivilgesellschaft überhaupt zusteht zu entscheiden, mit welcher Art von Behinderung und ab welcher Schwere Ermäßigung oder Befreiung in Sachen Fernsehen gewährt wird. Wäre dies nicht Sache des Bürgers mit oder ohne Handicap selbst überlassen, ob er für etwas zahlen will, was er nicht sehen kann oder nicht hören muss?
Von ähnlich vormodernem Geist zeugen dann vorgefertigte Formulare des neuen Beitragsservice mit der Überschrift: „Abmeldung der Wohnung“ (zum Ausdrucken aus dem Internet).
Wer also trotziger Nichtnutzer ist, könnte sich - man glaubt diese Stilblüte deutscher Bürokratie wiederum kaum – in besagtem Abmeldungsformular einem Toten gleichstellen Man trägt sich in der darunter gelegenen Zeile: „Sonstiges“ ein, legt brav entsprechende Belege (z.B. Schwerbehindertenausweis) bei und meldet sich von seiner Wohnung ab. Nolens volens muss man sich (weil ja lebend) also gewissermaßen zum Obdachlosen erklären, was am schlechten Ende jedoch wenig nutzt, da der „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“ das vorgedruckte Formular ohnehin nur zum Abgleich der Meldedaten nutzt, sich sodann für die Anmeldung der Wohnung bedankt und dass fällige Überweisungsformular samt angefallener Mahngebühren verschickt.
Eine Neuordnung der Rundfunkgebühren hätte durchaus Ordnung bringen und die längst überfällige Reform der alten Praktiken werden können, mit der das alte GEZ-Gespenst ausgetrieben worden wäre. Jahrzehntelang wurden die Nicht-Gebühren-Zahlenden in ihren Wohnungen heimgesucht, und deren private Räume nach möglichen Empfangsgeräten durchstöbert. Das mag ja nicht nur lästig für die Kontrollierten, sondern auch nicht gerade angenehm für die Kontrolleure gewesen sein. Jedenfalls sind diese Heimsuchungen legendär geworden, wurden immer wieder zum Abenteuer im alternativen Milieu und zu Unterhaltungsbeiträgen langer Kneipenabende.
Das neue Rundfunkgesetz sollte den alten Missstand beheben, trägt jedoch das Dilemma fort: Die Empfangsgeräte sind zwar nicht mehr Grundlage der Berechnung, aber ihre Existenz wird nunmehr voraussetzungslos vorausgesetzt.
Es wird davon ausgegangen, dass alle Geräte haben, die potentiell irgendwie Fernsehen und Radio empfangen könnten. Auch wenn die Geräte selbst nicht mehr Grundlage der Berechnung sein sollten, erhebt sich jetzt ein geradezu totaler Anspruch via Gerätewelt. Die Gleichschaltung, von der in anderen deutschen Zeiten unheilvoll geträumt wurde, artikuliert sich nicht politisch, sondern wird technisch-medial durchgezogen. „Voraussetzungslos vorausgesetzt“: das war in anderen Zeiten solchen Ideen wie „Gott“ oder „Freiheit“ vorbehalten. Aber das Bedingungslose zeitigte anno dazumal auch nie Gutes.
Dennoch muss wohl möglich sein, in einer Demokratie da nicht mitzumachen und folglich das jetzt scheinbar nicht mehr religiöse, sondern mediale „Opium des Volkes“(Marx) mitfinanzieren zu müssen. So sollte zumindest in der grundgesetzlich geschützten Privatsphäre der Grundsatz bürgerlicher Aufklärung noch gelten dürfen: „Kein Mensch muss müssen“. (Lessing)
Während Heinrich Böll gegen die kirchliche „Fiskalisierung des Glaubens“ Widerspruch erhob, setzen sich heute viele Menschen im Lande gegen die Medialisierung des Lebens zur Wehr.
Mittlerweile sind über 600 Klagen vor Gerichten anstellig. Aber in der breiten Öffentlichkeit ist dies kaum Thema. Denn es hat sich für einen Großteil der Bevölkerung im Vergleich zur vorherigen Gebührenlösung ohnehin nichts geändert. Nur für den einzelnen Nichtnutzer oder nur Radiohörer oder dann beispielsweise auch Laubenpieperbesitzer kommt es zu einer schmerzlichen finanziellen Mehrbelastung: für Nichtnutzer 215 Euro im Jahr. Für Senioren, die in ihrem von der Rente kaum haltbaren Schrebergarten einem beschlafbaren Raum haben, verdoppelt sich sogar der Beitrag, wenn dann zwei Wohnsitze zugrunde gelegt werden.
Das Gesetz sieht jedenfalls in punkto „sozialer Gerechtigkeit“ jenseits der Befreiung von Harz IV- und Bafög-Empfängern (wie zuvor schon üblich) keinerlei weitere soziale Differenzierung im Beitrag vor, wie es zum Beispiel bei der Berechnung der Kirchensteuer oder beim Solidarbeitrag selbstverständlich ist. So muss ein knapp über dem Harz-IV-Satz lebender Bürger denselben Obolus entrichten wie derjenige, für den die fälligen 215 Euro allenfalls Portokasse sind.
Auf der anderen Seite – vielleicht war allein dies die Absicht -: kassiert der neue Beitragsservice seit Einführung des Gesetzes Mehreinnahmen von geschätzten über einer Milliarde Euro schon im ersten Jahr.
Mit in die Tausende Euro gehende zusätzlicher Belastung müssen auch die finanziell ohnehin gebeutelten Kommunen, müssen Betriebe und Einkaufsketten rechnen, weil jedes kleinste behördliche Außenstellenbüro, jede Tante-Emma-Filiale gesondert, jedes Mietauto mit Radioempfang, nun als eigene Raumeinheit gelten und ein weiterer Beitrag entrichtet werden muss. Dagegen klagt gegenwärtig die Stadt Köln, die Drogeriekette Rossmann, der Autoverleih Sixt.
Bemerkenswert bleibt, dass die in unserem Land grundgesetzlich verankerten Grundrechte des Menschen in den Rahmenbedingungen des neuen Gesetzes nicht vorkommen. So muss am Ende auch hier wieder das höchste Gericht in Karlsruhe darüber zu urteilen haben, ob der 15. Rundfunkstaatsvertrag grundgesetzwidrig sei.
In verfassungsgerichtlicher Wächterfunktion wird es dann auch um Artikel 2 gehen, das Grundrecht eines Jeden „auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt“, also um die Frage, ob dies Nichtnutzern einen Schutz gewährt vor einer für sie geradezu Ablassartigen staatlich verordneten Zwangsabgabe. Denn sie schädigen mit ihrem Nichtsehen oder Nichthören wahrlich niemanden!
Schließlich impliziert der Artikel 5 des Grundgesetzes, das „Recht auf Informationsfreiheit“, dass jeder frei ist in der Auswahl der Quellen und eben immer auch in der Freiheit, sich einfach nicht zu informieren. Juristisch heißt das: negativer Grundrechtsgebrauch. Dies gewährt gleichsam das gute Recht auf Stille und damit verbunden, schützt es selbstredend davor, für staatlich verordnete Informationskanäle satte 215 Euro im Jahr – und das dann Jahr für Jahr – aufbringen zu müssen, eine Summe, die einen in seiner guten Stille empfindlich aufstören, ja verbittert stimmen müsste.
Zu guter Letzt: wenn ich selbst, zwar im Besitz einer bescheidenen Wohnung und eines noch weit bescheideneren immer nur freiberuflichen Einkommens bin, darüber hinaus schwerbehindert, weswegen ich Fernsehen oder Radio wo möglich meide, am Ende doch diese Zwangsabgabe entrichten muss, und es dann mit dem Bewusstsein täte, die großartigen Rundfunkorchester im Lande zu subventionieren, dann bitte ich demütig die gnädige Obrigkeit darum, den für mich horrenden Beitrag von 215 Euro im nächsten Jahr - wie bei der Kirchensteuer selbstverständlich – als Spende von der Steuer absetzen zu dürfen. (Was natürlich nicht vorgesehen ist.)
Heinrich Böll jedenfalls meinte im erwähnten Kirchensteuerstreit: „Was ich mache, ist wirklich keine Donquichotterie. Ich habe es lange bedacht und bewusst eingeleitet“.
Was ich gut vierzig Jahre später mache, erscheint mir wie die reinste Donquichotterie, ohnmächtig gegen die Medienmühle unserer Tage, mitten in der medial-digitalen Revolution, die wieder – davon bin ich überzeugt - ein tendenziell analphabetisch, bilderhöriges Dschungelcamp-Weltdorf hervorbringen wird, zu dem ich persönlich dann nur am nicht informierten äußersten Rande und angesichts meiner sicherlich bescheiden bleibenden Mittel natürlich nur ohne Rundfunkbeitrag dazugehören will und kann.