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Autor Thema: EuGH C-203/15 - Einschränkung Grundrecht nur nach Art 52 Abs 1 Charta zulässig  (Gelesen 309 mal)

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Vorabhinweis:
Der EuGH führt in dieser die elektronische Kommunikation betreffenden Rechtssache die Art 7  Charta, (Grundrecht auf Privatleben), und Art 8 Charta, (Schutz personen-bezogener Daten), mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zusammen, hierzu siehe Rn. 96 der Entscheidung; 2 der in dieser Rn. 96 benannten Entscheidungen wurden in dem Thema zur Rechtssache EuGH C-473/12 zitiert.

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
21. Dezember 2016(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Elektronische Kommunikation – Verarbeitung personenbezogener Daten – Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation – Schutz – Richtlinie 2002/58/EG – Art. 5, 6 und 9 sowie Art. 15 Abs. 1 – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 7, 8 und 11 sowie Art. 52 Abs. 1 – Nationale Rechtsvorschriften – Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste – Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten – Nationale Behörden – Zugang zu den Daten – Keine vorherige Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde – Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht“

In den verbundenen Rechtssachen C-203/15 und C-698/15

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=186492&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=2438319

Zitat
94      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 52 Abs. 1 der Charta jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten muss. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen der Ausübung dieser Rechte und Freiheiten nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (Urteil vom 15. Februar 2016, N., C-601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 50).

Zitat
96      Dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist, ergibt sich ebenfalls aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach der Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens auf Unionsebene verlangt, dass sich die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten und dessen Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken (Urteile vom 16. Dezember 2008, Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia, C-73/07, EU:C:2008:727, Rn. 56, vom 9. November 2010, Volker und Markus Schecke und Eifert, C-92/09 und C?93/09, EU:C:2010:662, Rn. 77, Digital Rights, Rn. 52, sowie vom 6. Oktober 2015, Schrems, C-362/14, EU:C:2015:650, Rn. 92).

Zitat
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht.

2.      Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 in der durch die Richtlinie 2009/136 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Schutz und die Sicherheit der Verkehrs- und Standortdaten, insbesondere den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den auf Vorrat gespeicherten Daten zum Gegenstand hat, ohne im Rahmen der Bekämpfung von Straftaten diesen Zugang ausschließlich auf die Zwecke einer Bekämpfung schwerer Straftaten zu beschränken, ohne den Zugang einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde zu unterwerfen und ohne vorzusehen, dass die betreffenden Daten im Gebiet der Union auf Vorrat zu speichern sind.

3.      Die zweite Vorlagefrage des Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Berufungsgericht [England und Wales] [Abteilung für Zivilsachen], Vereinigtes Königreich) ist unzulässig.

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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
HENRIK SAUGMANDSGAARD ØE
vom 19. Juli 2016(1)
Verbundene Rechtssachen C-203/15 und C-698/15
https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=181841&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=2438319

Zitat
77.      Zwar wird mit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta eine Auslegungsregel aufgestellt, wonach die Rechte der Charta, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, „die gleiche Bedeutung und Tragweite [haben], wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird“.

78.      Nach Art. 52 Abs. 3 Satz 2 der Charta steht jedoch „[d]iese Bestimmung … dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt“. Meines Erachtens ergibt sich aus diesem Satz, dass es dem Gerichtshof freisteht, sofern er es im Rahmen des Unionsrechts für erforderlich hält, den Anwendungsbereich der Bestimmungen der Charta über den Anwendungsbereich der entsprechenden Bestimmungen der EMRK hinaus zu erweitern.

Zitat
79.      Hilfsweise füge ich hinzu, dass Art. 8 der Charta, wie er vom Gerichtshof im DRI-Urteil ausgelegt worden ist, ein Recht gewährt, das in keinem durch die EMRK garantierten Recht eine Entsprechung hat, nämlich das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten, was im Übrigen durch die Erläuterungen zu Art. 52 der Charta bestätigt wird(11). Folglich gilt die Auslegungsregel des Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta auf keinen Fall für die Auslegung von Art. 8 der Charta, worauf Herr Brice und Herr Lewis, die Open Rights Group und Privacy International, die Law Society of England and Wales sowie die tschechische, die irische und die finnische Regierung hingewiesen haben.

Zitat
140. Meiner Ansicht nach muss dem in Art. 52 Abs. 1 der Charta verwendeten Ausdruck „gesetzlich vorgesehen“ aus folgenden Gründen dieselbe Bedeutung beigemessen werden, wie sie dieser Ausdruck im Zusammenhang der EMRK hat.

141. Zum einen kann nach Art. 53 der Charta und den Erläuterungen zu diesem Artikel das durch die Charta gebotene Schutzniveau nie geringer sein als das von der EMRK garantierte Schutzniveau. Dieses Verbot, die „EMRK-Schwelle“ zu passieren, beinhaltet, dass die Auslegung des in Art. 52 Abs. 1 der Charta verwendeten Ausdrucks „gesetzlich vorgesehen“ durch den Gerichtshof mindestens ebenso streng sein muss wie die des EGMR im Kontext der EMRK(39).

Fußnote:
Zitat
25 – Konkret bestimmt Art. 51 Abs. 1 Satz 2 der Charta, dass die Mitgliedstaaten die durch die Charta garantierten Rechte bei der Durchführung des Rechts der Union zu wahren haben.

Zitat
40 – Der Ausdruck „gesetzlich vorgesehen“ wird in Art. 8 Abs. 2 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), Art. 9 Abs. 2 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit), Art. 10 Abs. 2 (Freiheit der Meinungsäußerung) und Art. 11 Abs. 2 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) der EMRK verwendet. Im Kontext der Charta gilt Art. 52 Abs. 1 für jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta verankerten Rechte, vorausgesetzt, die Einschränkung ist zulässig.

Querverweis:
EuGH C-473/12 - Art 8 Charta und Art 7 Charta sind zusammen einzuhalten
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=37653.0

Erläuterungen zur Charta der Grundrechte
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32007X1214%2801%29&qid=1705254716911



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