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Autor Thema: BGH KZR 17/14 - Vertrieb Printmedien -> Dienstl. v. allg. Interesse  (Gelesen 354 mal)

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Die Entscheidung betrifft zwar die Printmedien, aber sie enthält auf Unionsrecht bezogene Aussagen, die auch für den Rundfunk absolut relevant sind, denn einmal mehr wird klargestellt, daß auch Rundfunkdienstleistungen Marktdienstleistungen sind.

Urteil des Kartellsenats vom 6.10.2015 - KZR 17/14
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=95d773c504f620bc7c414bbd51ae739a&Seite=3&nr=73399&pos=115&anz=315

Zitat
Leitsatz
a) § 30 Abs. 2a GWB ist mit Art. 106 Abs. 2 AEUV vereinbar.

b) Der flächendeckende und diskriminierungsfreie Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften ist eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne des Unionsrechts.

c) Der Gesetzgeber hat die Presseverlage und Presse-Grossisten sowie ihre Vereinigungen damit betraut, den flächendeckenden und diskriminierungsfreien Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften im stationären Einzelhandel
sicherzustellen und damit unabhängig von den Kosten jede Zeitungs- und Zeitschriftenverkaufsstelle zu beliefern, die darum nachsucht.

Zitat
21
a) Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind marktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden. Die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit sich ein Mitgliedstaat zu Recht auf das Vorhandensein und den Schutz einer gemeinwirtschaftlichen Aufgabe berufen kann, sind im Unionsrecht nicht abschließend geregelt. Die Mitgliedstaaten verfügen daher über ein weites Ermessen bei der Definition dessen, was sie als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ansehen. Die entsprechenden Entscheidungen der Mitgliedstaaten werden von der Kommission lediglich auf "offenkundige Fehler" überprüft (EuG, Urteil vom 12. Februar 2008 - T-289/03, Slg. 2008, II-81 Rn. 165 f. - BUPA; Urteil vom 15. Juni 2005 - T-17/02, Slg. 2005, II-2031 Rn. 216 - Olsen; Mitteilung der Kommission zu den Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. 2001 C 17/4 Rn. 22; Mestmäcker/Schweitzer in Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., Art. 106 Abs. 2 AEUV Rn. 84). Auch die Gerichte der Union und der Mitgliedstaaten können insoweit keine weitergehende Kontrolle ausüben (vgl. Stadler in Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 12. Aufl., Art. 106 AEUV Rn. 48).

Zitat
22
Danach wurden als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte und von der Kommission bisher die Energieversorgung, Postdienste, Verkehrsleistungen, Telekommunikations- und Kommunikationsnetze, Rundfunk, Wasserversorgung und Abfallentsorgung anerkannt, wobei jeweils eine Pflicht zur flächendeckenden und diskriminierungsfreien Versorgung ohne Rücksicht auf die Wirtschaftlichkeit jedes einzelnen Vorgangs in Rede stand (vgl. Mitteilung der Kommission zu den Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, aaO Anhang II; Mestmäcker/Schweitzer in Immenga/Mestmäcker aaO Art. 106 Abs. 2 AEUV Rn. 85; Wernicke in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand März 2011, Art. 106 AEUV Rn. 38; Bahr in Langen/Bunte, Kartellrecht, 12. Aufl., § 30 GWB Rn. 130).
Rundfunk ist also eine marktbezogene Dienstleistung von allgemeinem Interesse, sagt die Zusammenfassung der Hervorhebungen in Rot der zitierten Rnn. 21 und 22.

Zitat
23
b) Nach diesen Grundsätzen ist nicht zu beanstanden, dass der deutsche Gesetzgeber den flächendeckenden und diskriminierungsfreien Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ansieht.

Zitat
29
a) Eine Betrauung setzt einen Hoheitsakt voraus, also ein Gesetz oder einen Verwaltungsakt, der die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen des betrauten Unternehmens zu Dienstleistungen klar definiert (EuGH, Urteil vom 11. April 1989 - 66/86, Slg. 1989, 803 Rn. 55 - Ahmed Saeed Flugreisen; EuG, Slg. 2008, II-81 Rn. 181 - BUPA; Stadler in Langen/Bunte aaO Art. 106 AEUV Rn. 54). Der Betrauungsakt verkörpert die politische Entscheidung eines Mitgliedstaates, die Gewährleistungsverantwortung für die Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten Dienstleistungen zu übernehmen, und zwar in der Weise, dass das im Betrauungsakt bezeichnete Unternehmen verpflichtet wird, auf diese Dienstleistungen bezogene konkrete Aufgaben auch dann zu erfüllen, wenn dies im Einzelfall wirtschaftlich unrentabel ist (Mestmäcker/Schweitzer in Immenga/Mestmäcker aaO Art. 106 Abs. 2 AEUV Rn. 53)

Zitat
30
Die Vorschrift des § 30 Abs. 2a GWB stellt einen staatlichen Hoheitsakt dar, der klar den flächendeckenden und diskriminierungsfreien Vertrieb von Zeitungs- und Zeitschriftensortimenten als gemeinwirtschaftliche Aufgabe der
Presse-Grossisten definiert, die auch dann zu erfüllen ist, wenn dies im Einzelfall wirtschaftlich unrentabel ist.
Demnach müssten also auch die Printmedien gar nicht gewinnorientiert tätig sein, sondern könnten sich Differenzen in ihren Einnahmen und Ausgaben vom Staat erstatten lassen?

Es gilt also auch hier gegenüber dem Staat das gleiche Recht, wie es für den dt. ÖRR gilt; die Bestimmungen des Verbraucherschutzes werden dadurch nicht berührt, denn die Relation "Unternehmen <-> Verbraucher*in" ist eine andere Rechtsbeziehung und im Unionsrecht sogar zwingendes Allgemeininteresse. Hierzu siehe:

Entscheidung nach einer Vorlage durch das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht mit einer weiteren Entscheidung auf Basis einer Vorlage durch den Bundesgerichtshof
EuGH C-46/08 - Verbraucherschutz ist zwingendes Allgemeininteresse
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35464.0

Weiterer Hinweis: Verbraucherschutz ist also nicht nur in den Bereichen Zivilrecht, Wettbewerbsrecht etc. -> zwingendes Allgemeininteresse, sondern auch in den Bereichen Verwaltungsrecht, öffentliches Recht, etc.

In der nachfolgenden Rn. 32 der hier thematisierten Entscheidung BGH KZR 17/14 wird klargestellt, daß alle diese Wirtschaftsteilnehmer die Marktregeln einzuhalten haben.

Zitat
32
aa) Nach der Rechtsprechung der Unionsgerichte ist der obligatorische Charakter der betreffenden Dienstleistung wesentliche Voraussetzung einer gemeinwirtschaftlichen Aufgabe im Sinne des Unionsrechts. "Obligatorischer
Charakter" bedeutet, dass die durch einen Hoheitsakt mit einer gemeinwirtschaftlichen Aufgabe betrauten Wirtschaftsteilnehmer grundsätzlich verpflichtet sind, die betreffende Dienstleistung unter Berücksichtigung der für ihre Erbringung geltenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen auf dem Markt anzubieten (EuG, Slg. 2008, II-81 Rn. 188 - BUPA). Jedoch ist der einseitige Verzicht auf die Erbringung einer Dienstleistung mit der Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen grundsätzlich vereinbar. So kann ein Mitgliedstaat Schifffahrtsgesellschaften, die sich an Liniendiensten von, zwischen und nach Inseln beteiligen, nach Art. 4 Abs. 1 VO 3577/92 gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen hinsichtlich bestimmter Verkehrsdienste auferlegen. Es steht einem Reeder aber grundsätzlich frei, die fraglichen Verkehrsdienste zu erbringen. Nur wenn er sie erbringt, muss er die dabei auferlegten Verpflichtungen beachten (vgl. EuGH, Urteil vom 20. Februar 2001- C-205/99, Slg. 2001, I-1271 Rn. 64 - Analir; EuG, Slg. 2005, II-2031 Rn. 189 - Olsen). Der Betrauungsakt muss danach nicht zwingend gewährleisten, dass die Dienstleistung von dem betrauten Unternehmen tatsächlich dauerhaft erbracht wird.

Zitat
45
aa) Das Unionsrecht in der Fassung des Vertrags von Lissabon erkennt seit 1. Januar 2009 ausdrücklich als gemeinsamen Wert der Union einen weiten Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage an, wie die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind (Art. 1 des Protokolls Nr. 26 zum Vertrag von Lissabon, ABl. 2008 Nr. C 115/308)
Es ist gerade nicht zulässig, daß sich der Staat bei seiner Organisation der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse an den Bedürfnissen der Unternehmen, (hier: dt. ÖRR), orientiert, da er sich an den Bedürfnissen der Nutzer*innen zu orientieren hat.

Zitat
58
Eine vielfältige und möglichst umfassend vertriebene Presse ist von grundlegender Bedeutung für die außer durch Art. 5 Abs. 1 GG auch durch Art. 6 Abs. 1 EUV iVm Art. 11 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta sowie Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützte freie Meinungsbildung. Nach einer Änderung des nach Ansicht des Gesetzgebers bewährten Großhandelsvertriebssystems könnten etwaige negative Entwicklungen auf dem grundrechtssensiblen Presse- und Pressevertriebsmarkt nur schwer oder gar nicht rückgängig gemacht werden. Dagegen schließt das gegenwärtige, durch zentrale Verhandlungen und Gebietsmonopole gekennzeichnete Pressevertriebssystem Diskriminierungen der Verlage beim Zugang zum Vertrieb ebenso zuverlässig aus, wie es die Überallerhältlichkeit von Presseprodukten gewährleistet.

Hinweis:
Printmedien könnten jetzt auf die kühne Idee kommen, sich sämtliche Abokündigungen der Verbraucher*innen vom Staat erstatten zu lassen, wenn die Verbraucher*innen zuvor darauf hingewiesen haben, daß sie sich das Abo wegen der zeitgleichen Zwangsfinanzierung des dt. ÖRR nicht mehr leisten können. (Oder so).


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Die in Rn. 29 benannte Rechtssache 66/86 ist nun separat thematisiert, siehe

EuGH Rechtssache 66/86 - Verbot, Regeln zu schaffen, die Kartelle begünstigen
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