Das hat schon Prof. Kirchhof in seinem Gutachten behauptet. In meiner Klageschrift heißt es daher u. a.
... Bis zum 31.12.2012 war es das gute Recht jedes Bürgers sich durch Geräteverzicht nicht an der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu beteiligen. ...
M. Boettcher
Hier ist ja der Kern der ganzen Debatte, die am Ende vorm EuGH entschieden wird. Im Zuge der Einführung des Rundfunkbeitrags wurde nicht allein das Bezahlmodell umgestellt, sondern eine neue Bürgerpflicht geschaffen. Wo vorher zumindest logisch nachvollziehbar die theoretisch wahrscheinliche Nutzung bezahlt wurde (durch Fenrsehgeräte und Radios), wurde es danach zur solidarischen Pflicht
aller Haushalte erklärt, den örR zu finanzieren.
Ein solch nutzungsunabhängiges Finanzierungsmodell hätte aber rechtlich ganz anders aufgezogen werden müssen, da es de facto eine Steuer ist. In Ermangelung dieser rechtlichen Grundlagen für die Bebeitragung der gesamten Bevölkerung mussten und müssen DDR-ähnliche Nutzungsstatistiken erstellt, die Definition der Grundversorgung bis ins Unendliche ausgedehnt und so auch neue Nutzungsformen wie das Internet erschlossen werden, um die Fiktion der Vollnutzung und damit die Beitragsgrundlage aufrecht erhalten zu können.
Diese fiktive Vollnutzung ist längst in den Hintergrund getreten, weil neben der Einführung der Bürgerpflicht auch der Auftrag des örR umdefiniert bzw. erweitert wurde. Der politische Auftrag lautet nicht mehr die Bereitstellung einer medialen "Grundversorgung", die leicht empfangbar ist, sondern quasi verpflichtend alle Bürger damit zu erreichen.
Die Logik dahinter beißt sich in den Schwanz: örR ist Grundversorgung, muss für alle "frei" empfangbar sein, also können es auch alle empfangen, also müssen auch alle bezahlen, also müssen es auch alle sehen/hören. Sich den Inhalten zu entziehen, ist in diesem Denkmodell schlicht nicht mehr vorgesehen, da ja damit der "Auftrag", alle Zahler zu erreichen, nicht erfüllt würde.
Selbst wenn der Rundfunkbeitrag für nichtig erklärt wird, befürchte ich, dass Politik und örR von diesem Auftrag nicht mehr abrücken. Hier wurden durch die Aufblähungen des Apparats so kolossale Fakten geschaffen, dass er tatsächlich too big to fail geworden ist. Selbst ein marginales Zurückrudern käme einem Systemkollaps gleich, so dass ein weiteres Herumwursteln selbst bei fortwährenden gerichtlichen Niederlagen noch als praktikabelste Lösung erscheint.
Die Option Pay per View wird daher auch bei einer Niederlage vorm EuGH kaum erörtert werden. Eher wird eine Rundfunksteuer kommen, die am Ende ungefähr aufs Gleiche hinausläuft und in fünf bis zehn Jahren wieder höchstinstanzlich geprüft werden muss.
Änder könnte das nur ein klares Urteil von BVerfG oder EuGH, dass der Ansatz der kostenpflichtigen Zwangsvollversorgung verfassungswidrig ist. Mal sehen, ob sich das BVerfG hier drantraut. Ich tippe: nein.