Nach unten Skip to main content

Autor Thema: Neuestes vom LG Tübingen - Angriffsfläche BGH, LRA, Beitragsservice (3.2.16)  (Gelesen 9723 mal)

k
  • Beiträge: 110
...da sind ein paar Breitseiten gegen BGH, LRA und Beitragsservice dabei  >:D und noch das ein oder andere weitere Schmankerl...

LG Tübingen, Beschluss vom 03.02.2016, 5 T 311/15
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=20312
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001249229
Zitat
Zum Zeitpunkt der Beschwerdeeinlegung fehlerhaft war das Vollstreckungsersuchen nur insoweit, als die den Beitragsfestsetzungsbescheid erlassende Behörde nicht genannt worden war. Das Vollstreckungsersuchen ersetzt den Titel; daher schreibt § 15 a IV LVwVG ausdrücklich vor, dass alle signifikanten Daten des zu vollstreckenden Bescheids angegeben werden müssen, unter anderem die den Bescheid erlassende Behörde. Diese ist jedoch - unerklärbar - nicht erwähnt. Soweit der BGH die Ansicht vertritt, es würde ausreichen, wenn sich diese Behörde aus dem Ersuchen ergebe, zumal die Identität von Verwaltungsaktsbehörde und Vollstreckungsbehörde der Regelfall (§ 4 LVwVG) wäre (BGH, VII ZB 11/15, B. v. 8.10.2015), vermag dies nicht ohne weiteres zu überzeugen: Das Vollstreckungsrecht basiert auf strengen Formalvorgaben (Titel, Klausel, Zustellung). Abweichend hiervon sind Behörden durch die Möglichkeit der Vollstreckungsersuchen privilegiert, allerdings nur unter den explizit gefassten engen Vorgaben des § 15 LVwVG, der eben uneingeschränkt die Angabe der Behörde verlangt und dieses Verlangen auch nicht auf Ausnahmen von § 4 LVwVG beschränkt und eindeutig von „Angabe“ und nicht von „Erkennbarkeit“ spricht. Insoweit spielt auch das Empfängerverständnis keine Rolle; die Normen sind Ausfluss der vollstreckungsrechtlichen Formenstrenge und exakten Bestimmbarkeit. Im Übrigen ergibt sich die Notwendigkeit der Angabe der Verwaltungsbehörde auch aus dem Sinn der Vorschrift schon deshalb, weil für den Außenstehenden keineswegs ohne weiteres erkennbar ist, dass die Gläubigerin zugleich die einen Verwaltungsakt erlassende Verwaltungsbehörde ist. Unter einer Behörde versteht man im allgemeinen eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln, die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein. (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1959 - 2 BvF 1/58 -, BVerfGE 10, 20-55, Rn. 134). Vorliegend handelt es sich um eine Behörde (Anstalt des öff. Rechts), die sich selbst als „Unternehmen“ bezeichnet und entsprechend öffentlich auftritt (vgl. http://www.swr.de/unternehmen/-/id=3586/mmm7ol/index.html; Behördenleiter mit Anstellungsstruktur außerhalb des verwaltungsmäßigen und behördenüblichen Bereichs). 
Zitat
Eine Prüfung dieses Titels selbst ist dem Gerichtsvollzieher und dem Beschwerdegericht nicht gestattet. Der Verwaltungsakt „Festsetzungsbescheid“ weist auch keine derart offenkundigen Fehler auf, dass er im Rahmen der Vollstreckung abweichend vom Grundsatz, dass dort nur die Formalien, nicht die materielle Richtigkeit geprüft werden darf, aus rechtsstaatlichen Gründen nicht übersehen werden könnte. So ist das Fehlen einer Begründung in den Festsetzungsbescheiden gem. § 39 II LVwVfG zumindest vertretbar, auch wenn es künftig durchaus - auch im automatisierten Verfahren - geboten sein könnte, zumindest die im jeweiligen Land zugrundeliegenden Normen korrekt zu zitieren und nicht dem Empfänger lediglich Normenlisten betreffend alle Bundesländer zu überlassen.

Aber damit nicht genug der Schelte im Urteil:
Zitat
Auch das Fehlen eines Grundbescheids über die künftig zu zahlenden Beiträge und die Beitragspflicht als solche ist bei korrekter und vollständiger Angabe der Festsetzungsbescheide nicht Pflichtteil des Vollstreckungsersuchens. Zudem wäre die Nichtexistenz solcher Bescheide nach den Beschlüssen des BGH vom 8.10.2015 (VII ZB 11/15), vom 21.10.2015 (I ZB 6/15) und 11. Juni 2015 (I ZB 64/14) zumindest vertretbar, obwohl vieles dafür spricht, dass bei Rundfunkbeiträgen - wie bei allen anderen gesetzlichen Abgaben (Steuern, Gebühren, Beiträge) - unabhängig von gesetzlicher Fälligkeit ein anfänglicher (originärer, primärer, die Abgabenhöhe mit Gründen und Rechtsmittelbelehrung festsetzender) Leistungsbescheid/Verwaltungsakt erforderlich ist . Schon das Gebot effektiven Rechtsschutzes würde es gebieten - im Übrigen kostenneutral - statt der formlosen Zahlungsaufforderung einen Leistungsbescheid zu versenden, der zur Klärung der den Schuldner interessierenden Frage der materiellen Rechtsmäßigkeit die (einmalige) Anfechtungsklage ermöglichen würde. Unter anderem durch Fehlen dieses Bescheids kommt es dazu, dass schuldnerseits regelmäßig materiellrechtliche Einwände im Vollstreckungsverfahren (unzulässig) vorgebracht werden. Das gesamte deutsche Verwaltungsrecht geht selbstredend von der Notwendigkeit eines Leistungsbescheids aus, vgl. z. B. Bundesgebührengesetz, Bundesverwaltungsvollstreckungsgesetz, Systematik von §§ 13, 14 Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz. Die Handlungsform einer hoheitlich handelnden, den Bürger belastenden Verwaltung ist der Verwaltungsakt, nicht die Rechnung oder Zahlungsaufforderung, wenn es wie hier um die einseitige, außenverbindliche Anordnung geht (vgl. z. B. Püttner, Allg. Verwaltungsrecht, Kap. 4). Keine öffentlich-rechtliche Geldleistung wird ohne Bescheid zahlungsfällig; der Verweis auf § 38 AO hilft nicht. Die Steuerschuld entsteht kraft Gesetzes, wie der Rundfunkbeitrag. Die Festsetzung erfolgt aber nicht mittels Zahlungsbitte, sondern durch den Verwaltungsakt „Steuerbescheid“ (§ 155 AO). Auch das Lohnsteuerrecht verzichtet nicht auf Bescheide bzw. Festsetzungen (§ 168 AO). Der Beitragsbescheid müsste dem konkreten Schuldner auch die Höhe, den Gläubiger und den Fälligkeitstag benennen, der sich - vom BGH übergangen - auch nicht aus dem Staatsvertrag ergibt („Dreimonatszeitraum, Mitte“).

Und noch was nettes zum Abschluss:
Zitat
Nicht entscheidungserheblich ist der fehlerhafte Gebrauch der Gläubigeridentifikationsnummer durch den Beitragsservice. Richtig wäre die Verwendung der Nummer der jeweiligen Rundfunkanstalt, da sich diese als Gläubigerin lediglich des Beitragsservice als rechtlich unselbständiger logistischer Unterstützung bedient. Da die Nummernvergabe durch die Bundesbank aber ohne Prüfung der rechtlichen Eigenschaften - hier der fehlenden Rechtsfähigkeit - erfolgt (vgl. Verfahrensbeschreibung der Bundesbank), kann hierdurch auch keine Gläubigerstellung begründet werden. Dies schließt allerdings nicht aus, dass - je nach Gestaltung der Schriftstücke - das Gericht bei Fortdauer dieser Praxis künftig zu dem Ergebnis gelangen könnte, dass entgegen dem Kopf der Schriftstücke sich doch der Beitragsservice als Gläubigerin (unzutreffend) darstellt.


Unterschriftenaktion: https://online-boykott.de/unterschriftenaktion
Rechtlicher Hinweis: Beiträge stellen keine Rechtsberatung in irgendeiner Form dar. Sie spiegeln ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wider. Weitere Infos: Regeln

  • IP logged  »Letzte Änderung: 25. September 2024, 22:03 von Bürger«

G
  • Beiträge: 1.548
Und diese Maulschelle ist auch nicht zu verachten.

Zitat
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Gläubigerin.

Es gibt also doch dieses "Ein von unbeugsamen Richtern bevölkertes Gericht hört nicht auf, dem Unrecht Widerstand zu leisten".


Unterschriftenaktion: https://online-boykott.de/unterschriftenaktion
Rechtlicher Hinweis: Beiträge stellen keine Rechtsberatung in irgendeiner Form dar. Sie spiegeln ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wider. Weitere Infos: Regeln

  • IP logged  »Letzte Änderung: 07. März 2016, 23:58 von Bürger«

e
  • Beiträge: 811
Zitat
"Dies schließt allerdings nicht aus, dass - je nach Gestaltung der Schriftstücke - das Gericht bei Fortdauer dieser Praxis künftig zu dem Ergebnis gelangen könnte, dass entgegen dem Kopf der Schriftstücke sich doch der Beitragsservice als Gläubigerin (unzutreffend) darstellt. "
...ist doch unsere Rede!

Die Tübinger sind die Besten!!!


Unterschriftenaktion: https://online-boykott.de/unterschriftenaktion
Rechtlicher Hinweis: Beiträge stellen keine Rechtsberatung in irgendeiner Form dar. Sie spiegeln ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wider. Weitere Infos: Regeln

  • IP logged  »Letzte Änderung: 07. März 2016, 23:59 von Bürger«
Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.
                                                Curt Goetz

K
  • Beiträge: 810
Grundsätzlich ist die Wehrhaftigkeit des LG Tübingen in dieser Angelegenheit bemerkenswert.

In folgendem Punkt muss man das LG Tübingen jedoch korrigieren:

Zitat
Beitragsservice als rechtlich unselbständiger logistischer Unterstützung

Aus der "Verwaltungsvereinbarung Beitragseinzug" ergibt sich, dass der Beitragsservice über zwei Organe verfügt:

  • einen Geschäftsführer (§ 5 der Verwaltungsvereinbarung) als ausführendes Organ, der mit Wirkung gegenüber Dritten handelt und
  • einen Verwaltungsrat (§ 3 der Verwaltungsvereinbarung) als beschließendes Organ, in welchem die Mitglieder des Beitragsservice ihre Kontroll- und
    Stimmrechte wahrnehmen.

Damit ist der Beitragsservice eine rechtlich verselbständigte Organisation. Er mag "Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" (verstanden als die Gesamtheit einer öffentlichen Infrastruktur) sein, er ist jedoch nicht Teil einer Rundfunkanstalt im Sinne einer rechtlich unselbständigen Verwaltungseinheit.

Eventuell liegt dem LG Tübingen die Verwaltungsvereinbarung Beitragseinzug selbst nicht vor.



Edit "Bürger":
Weitere Diskussion zum Thema "(Nicht-)Rechtsfähigkeit" des sog. "Beitragsservice" bitte unter
Ist der Beitragsservice etwa doch rechtsfähig?
http://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,17825.0.html
In hiesigem Thread der Thementreue bitte nicht weiter vertiefen,
Danke für das Verständnis nud die Berücksichtigung.


Unterschriftenaktion: https://online-boykott.de/unterschriftenaktion
Rechtlicher Hinweis: Beiträge stellen keine Rechtsberatung in irgendeiner Form dar. Sie spiegeln ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wider. Weitere Infos: Regeln

  • IP logged  »Letzte Änderung: 09. März 2016, 13:46 von Bürger«

a

anne-mariechen

Grundsätzlich ist die Wehrhaftigkeit des LG Tübingen in dieser Angelegenheit bemerkenswert.

Eventuell liegt dem LG Tübingen die Verwaltungsvereinbarung Beitragseinzug selbst nicht vor.

@ Knax
deine Feststellung, dass dem LG Tübingen die Verwaltungsvereinbarung Beitragseinzug nicht vorliegt, davon ist auszugehen.
Die RF-Anstalten füttern die Gerichte mir Argumenten für die Klageabweisungen und nicht für die Aufklärung der tatsächlich eingeführten und umgesetzten Strukturen.

Bestimmt ein halbes Jahr habe ich versucht an dieses Dokument zu kommen. Bis ich dann den Hinweis vom LAG Köln aufgefunden wurde, wo es um die Klärung von befristeten Arbeitsverträgen ging. Hier hat sicherlich die anwaltliche Seite für die Offenlegung beigetragen.

Der RF benutzt unsere Beiträge und Gelder um an den geeigenten Stellen seine gewollte Darstellung in Form von seinem Einfluss umzusetzen.



Edit "Bürger":
Bitte im Sinne der Thementreue und der Übersicht wegen nicht in allgemeine Verlautbarungen abdriften,
sondern alle eng am Kern-Thema dieses Threads bleiben, welches da lautet
"Neuestes vom LG Tübingen - Angriffsfläche BGH, LRA, Beitragsservice (3.2.16)"
Danke für die Berücksichtigung.


Unterschriftenaktion: https://online-boykott.de/unterschriftenaktion
Rechtlicher Hinweis: Beiträge stellen keine Rechtsberatung in irgendeiner Form dar. Sie spiegeln ausschließlich die persönliche Meinung des Verfassers wider. Weitere Infos: Regeln

  • IP logged  »Letzte Änderung: 09. März 2016, 13:44 von Bürger«

 
Nach oben