Gibt es schon Ergebnisse?
Hier mein Erlebnisbericht. Ich hoffe, dass ich die wesentlichen Inhalte korrekt in Erinnerung behalten habe.
Die heutige Verhandlung dauerte von 13.00 Uhr bis 15.00 Uhr. Der Kläger wurde von Herrn Bölck vertreten. Herr Bölck hat äußerst detailliert argumentiert. Sein Sachvortrag war hervorragend. Im Kern der klägerischen Argumentation stand die Frage, ob der Rundfunkbeitrag ein Beitrag im finanzverfassungsrechtlichen Sinne sei.
Es ging damit los, dass von klägerischer Seite argumentiert wurde, dass eine Raumeinheit wie eine Wohnung keinen Rundfunk empfangen kann. Rundfunk sei in technischer Hinsicht eine Ansammlung elektromagnetischer Schwingungen (Hinweis auf die Definition in § 2 Absatz 1 RStV). Nur wer ein Rundfunkempfangsgerät zur Verfügung hat, kann diese Schwingungen überhaupt nutzbar machen. Eine Raumeinheit könne dies nicht. Deshalb sei eine Wohnung als Anknüpfungspunkt für die Beitragspflicht nicht sachgerecht.
Herr Bölck argumentierte, dass es einen Sondervorteil nicht gebe bzw. dass dieser sich auflöst, wenn die Allgemeinheit bebeitragt werde. Das Gericht hielt dem entgegen, dass ja gar nicht die Allgemeinheit schlechthin von der Beitragspflicht erfasst werde, sondern beispielsweise Minderjährige oder manche Behinderte nicht beitragspflichtig seien. Dieses Argument stammte ursprünglich nicht vom Gericht selbst. Der Rechtsreferendar, der zum großen Teil die Diskussion für das Gericht führte, hatte es sich aus einem von Axel Schneider (Bayerischer Rundfunk) veröffentlichten Artikel angelesen. Dass die Argumentation des Gerichts diesbezüglich nicht haltbar ist, hätte meiner Ansicht nach beispielsweise mit einem Hinweis auf § 2 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 RStV gekontert werden können: "Rundfunk ist die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung." Darüber hinaus ist die Argumentation des Gerichts in diesem Punkt nicht stichhaltig gewesen, weil es gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt, auch Minderjährige, die noch nicht einmal voll geschäftsfähig sind, und solche Behinderte, die offenkundig aufgrund ihrer Behinderung gar keinen Rundfunk wahrnehmen können, hier als "Allgemeinheit" zu betrachten. Aber natürlich geht das alles so fix. Im Nachhinein kann man immer sagen: "Ach, da hätte ich dies oder das noch erwähnen können."
Am Ende meinte der Richter, dass Herr Bölck sich wohl zu sehr darauf versteifen würde, dass es sich bei dem Rundfunkbeitrag nicht um einen Beitrag im finanzverfassungsrechtlichen Sinne handeln würde. Herr Bölck erwiderte, dass der Gesetzgeber den Rundfunkbeitrag nunmal als Beitrag im finanzverfassungsrechtlichen Sinne verstanden haben will. Darauf konterte das Gericht mit dem Argument, dass nicht die Bezeichnung der Abgabe ausschlaggebend sei, sondern der materielle Gehalt der Abgabe. Hierauf meinte Herr Bölck, dass es sich ja früher um eine Rundfunkgebühr handelte und sich der Gesetzgeber wohl schon etwas dabei gedacht habe, die Abgabe nunmehr statt Rundfunkgebühr Rundfunkbeitrag zu nennen. Das Gericht war der Ansicht, dass es sich möglicherweise bereits bei der Rundfunkgebühr um einen Beitrag handelte und die gegenwärtige Abgabe eine Abgabe "sui generis", also eine Abgabe eigener Art sei, die der Besonderheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Rechnung tragen solle. Mit anderen Worte stellte das Gericht in den Raum, dass es sich ja eventuell auch um eine Sonderabgabe handeln könnte. An dieser Stelle wurde meiner Ansicht jedoch das Argument außer Acht gelassen, dass der Gesetzgeber nicht beliebig viele Abgaben erschaffen kann, was sich aus der Schutzfunktion des Finanzverfassungsrechts ergibt. Darüber hinaus sind an die Rechtmäßigkeit einer Sonderabgabe eben auch ganz bestimmte Bedingungen zu stellen, nämlich im Kern, dass diejenigen, die mit einer Sonderabgabe belastet werden, gleichgerichtete Interessen verfolgen müssen, was aber beim Rundfunkbeitrag nicht der Fall ist. Aber auch hier gilt wieder: Das geht alles so fix. Das Thema ist so komplex, dass man bei weitem nicht immer zum exakt richtigen Zeitpunkt das richtige Argument in die Diskussion anbringen kann. Zur Sprache kam auch, dass das VG Berlin wohl die Beitragseigenschaft des Rundfunkbeitrags verneinen würde, sofern es keine Befreiungsmöglichkeit aufgrund des Nichtbereithaltens von Rundfunkempfangsgeräten gäbe.
Im Rahmen der Argumentation "Der Rundfunkbeitrag ist kein Beitrag im finanzverfassungsrechtlichen Sinne" hat meiner Ansicht nach noch gefehlt, dass -wenn es sich um einen Beitrag handelt- sich der Beitrag nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch deutlich genug von einer Steuer unterscheiden muss (vgl. BVerfG, Urteil vom 06.07.2005 - 2 BvR 2335/95 u. 2391/95).
Weiterhin argumentierte Herr Bölck anhand des Umsatzsteuer-Urteils des Bundesverfassungsgerichts, dass es keine Beziehung zwischen Leistung und Gegenleistung gebe. Das Gericht plapperte vorherige Gerichtsentscheidungen nach, die eine individuelle Zurechenbarkeit der Leistung bejahten. Meiner Ansicht nach scheidet eine individuelle Zurechenbarkeit jedoch dann aus, wenn der Leistungsempfänger die Allgemeinheit als solche ist und sie (und nicht der Einzelne) einen strukturellen Vorteil aus dem Vorhandensein des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat.
Ferner wies Herr Bölck darauf hin, dass sich die Höhe des Rundfunkbeitrags nicht eindeutig genug für den Bürger erschließen lasse, weil sich die Beitragshöhe im RFinStV befinde, nicht jedoch im RBeitrStV.
Schließlich regte Herr Bölck eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht an. Das Gericht meinte hierzu, dass es in diesem Falle nicht nur Zweifel an der Verfassungswidrigkeit haben, sondern von der Verfassungswidrigkeit überzeugt sein müsse.
Der Kläger selbst argumentierte abschließend, dass der Rundfunkbeitrag in sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit eingreife.
Alles in allem hat der Kläger mit Herrn Bölck als Prozessbevollmächtigtem die absolut richtige Wahl getroffen. Er argumentierte ruhig und sachlich.
All diese Argumente konnten das VG Gießen dennoch nicht im geringsten überzeugen. Man merkte, dass man es auf Seiten des Gerichts mit sehr staatstreuen Justizmenschen zu tun hatte. Beide waren noch sehr jung und haben ihre Karriere im Justizsystem noch vor sich.