Es war nichts anderes zu erwarten. Mir kommt auch vor, dass das zukünftige Urteil zumindest teilweise schon vor dem Prozess geschrieben wurde. Diese Fehler zeigen auch schon, mit welcher Sorgfalt das Gericht vorgeht.
Leider vermittelt das Gericht wieder den Eindruck, dass es nicht ganz unvoreingenommen an das Thema Rundfunkfinanzierung herangehen kann. Wahrscheinlich ist der politische Druck oder die Angst vor richtungsweisenden Entscheidungen zu groß, den Status Quo zu hinterfragen. Es herrscht in dem Urteil die mittlerweile bei den Rundfunkurteilen gewohnte Begründungsarmut und die Weigerung, sich mit Fakten und Argumenten inhaltlich auseinanderzusetzen. Man genügt sich in Textbausteinen, allgemeinen Behauptungen und selbstreferenziellen Zitaten.
Es werden zwar einige Argumente von Person P aufgezählt, aber eine inhaltliche Abwägung bzw. Prüfung findet augenscheinlich nicht statt. Z. B. ob der ÖR Rundfunk seinem Programmauftrag wirklich nachkommt, ob es wirklich schlüssig ist, das Innehaben einer Wohnung (bzw. selbst den Besitz eines Empfangsgerätes) als Indiz für den Konsum des ÖR Programms zu nehmen, wenn dieses einen Marktanteil von 38% hat (AGF) und einen Anteil am Meinungsmarkt von 30% (DML). (Diese Details wurden interessanterweise im Urteil nicht erwähnt.) Herr P hat angeblich in der mündlichen Verhandlung den Rundfunkbeitragsstaatsvertrag mit einem angeblich in einem US Bundesstaat noch erhaltenen Gesetz verglichen, dass Gottesdienstbesucher darauf verpflichtet, ihre Gewehre mit in den Gottesdienst zu bringen, um sich gegebenenfalls vor Indianerangriffen zu schützen. Die Nutzungsannahme des RBStV war vor 60 Jahren richtig, als jeder Gerätebesitzer damit nur das ÖR Programm konsumieren konnte. Heute mit hunderten privaten Alternativangeboten ist sie es nicht mehr. Die Grundlage der Wohnungsabgabe ist eine unhaltbare Fiktion.
Die Gesetzestexte werden nicht an der Realität geprüft. Weil es so dasteht, ist der ÖR staatsfern und politisch unabhängig, obwohl sich seine Gremien in politischen Freundeskreisen organisieren. Weil der ÖR einen Programmauftrag hat, erfüllt er ihn auch, selbst wenn Kultur und Information in ungesundem Maße der Unterhaltung gewichen sind und selbst wenn bibeltreue Christen regelmäßig verunglimpft werden und auf der anderen Seite Gender Mainstreaming und alternative Formen des Zusammenlebens im Gegensatz zur Familie über alle Verhältnisse gepusht werden. Die Justiz lebt in der Scheinwelt von Gesetzestexten, die nicht der Realität entsprechen und fürchtet sich scheinbar aus diesem Schneckenhaus hervorzukommen, denn das würde Wellen schlagen.
Die bereitgestellten Fakten über die Schädlichkeit des ÖR Programms in Hinsicht der Frühsexualisierung, Verdinglichung von Mädchen usw. wurde augenscheinlich gar nicht berücksichtigt. Das Gericht ignoriert die Argumente des Klägers über weite Teile völlig.
Natürlich gibt es auch Sendungen, die sein Gewissen nicht stören, habe ich von Person P erfahren (z.B. Universum). Das bringt ihre Argumentation aber nicht zu Fall. Sie hat argumentiert und versucht, mit Fakten zu belegen, dass eine große Mehrheit der Sendungen dies tut. Überspitzt formuliert argumentiert das Gericht, dass wir die Finanzierung eines Pornokanals mit unserem Gewissen vereinbaren müssten, wenn darin eine Sendung über Gänseblümchen vorkäme. Dann könnte unser Beitrag ja für diese Sendung sein. Das ist aber nicht schlüssig. Irgendwo müsste eine vernünftige Schmerzgrenze sein. Auch diese inhaltliche Abwägung hat das Gericht verweigert.
Und natürlich ist der Rundfunkzwangsbeitrag auf Wohnen keine Steuer, denn dann wäre der RBStV verfassungswidrig, aber für das Gewissensargument ist er dann doch wie eine Steuer zu sehen, obwohl der Zwangsbeitrag zweckgebunden ist und es keinerlei partizipatorischen Mitwirkungsrechte gibt. Auch das ist widersprüchlich und nicht schlüssig.
Der Beklagte bzw. das Gericht (das die Argumentation des Beklagten in der Regel 1:1 übernimmt) widerspricht sich selbst, wenn es einerseits bestätigt, dass das Bundesverfassungsgericht nicht ausgeschlossen hat, dass ein Härtefall aus religiösen Gründen gegeben sein könnte, aber Kriterien wie weltanschauliche oder religiöse Gründe keine Rolle spielen sollen. Was würde denn bitte sonst einen Härtefall aus religiösen Gründen ausmachen? Warum wäre dafür eine objektive Unmöglichkeit des Rundfunkempfangs die Vorraussetzung? Dann wäre doch eine Befreiung aus Gewissensgründen gar nicht mehr nötig. Dann könnte man sich aus Mangel an Empfangsmöglichkeit (das Funkloch) befreien lassen. Warum solte die Ablehnung von Handys, Autos und anderen technischen Geräten notwendig sein, um ein Gewissensproblem mit dem Programm des ÖR zu haben? Warum sollte es einen Unterschied machen, ob ich das Auto oder das Internet an sich auch ablehne oder nicht? Diese Argumentation ist an den Haaren herbeigezogen.
Das Gericht schießt auf "Strohmänner" - eine beliebte Ablenkungstaktik. P hat nie behauptet, überhaupt keine Empfangsgeräte bereitzuhalten (wobei es sowieso sehr fraglich ist, wie viele Menschen mit ihrem Handy oder Laptop fernsehen. Das konstituiert wohl keinen Regelfall.)
Ich verstehe natürlich, dass das praktisch schlecht greifbare Gewissen für die Zwangseintreibung eine unangenehme Kategorie darstellen würde. Aber genauso war es bei der allgemeinen Wehrpflicht, welche schließlich gekippt wurde, weil die Bundesverfassung das Grundrecht auf Gewissensfreiheit höher bewertet hat als eine möglichst einfache Vollziehung.
Wenn man dieser Argumentation folgt, müsste man sagen, dass sich der Gesetzgeber dazu entschieden hat, dass die einzige Alternative zur Zahlung der Haushaltszwangsabgabe ist, die Gefängnisse mit Gewissenshäftlingen zu füllen. Die Finanzierung des ÖR als gewissensfreier Raum. Das wäre eine Anomalie in unserer Rechtsordnung. Das kann ich nicht glauben. Darüber hinaus wäre der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag damit dann verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat regelmäßig den Wert und Vorrang der Gewissensfreiheit gestützt.
Z.B.: BVerfG 2 BvR 75/71 - 11.4.1972:
„Die Gewissensfreiheit gewährleistet dem Einzelnen einen Rechtsraum, in dem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht. Hierzu gehört nicht nur die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an seinen gewissensmäßigen Überzeugungen auszurichten und nach diesen Überzeugungen zu handeln. Auf die zahlenmäßige Stärke oder soziale Relevanz einer bestimmten Glaubensüberzeugung kommt es dabei nicht an. Als spezifischer Ausdruck der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde schützt Art. 4 Abs. 1 GG gerade auch die vereinzelt auftretende Glaubensüberzeugung. (S. 28)
Die enge Beziehung der Gewissensfreiheit zur Menschenwürde als dem obersten Wert im System der Grundrechte schließt es aus, Betätigungen und Verhaltensweisen, die aus einer bestimmten Gewissensüberzeugung oder Glaubenshaltung fließen, ohne weiteres den Sanktionen zu unterwerfen, die der Staat für solches Verhalten regelmäßig vorsieht. Kennzeichnend für einen Staat, der die Menschenwürde zum obersten Verfassungswert erklärt und der die Glaubens- und Gewissensfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt und unverwirkbar garantiert, ist vielmehr, dass er auch Außenseitern und Sektierern die ungestörte Entfaltung der Persönlichkeit gemäß ihren subjektiven Gewissensüberzeugungen gestattet, solange sie nicht in Widerspruch zu anderen Wertentscheidungen der Verfassung geraten und aus ihrem Verhalten deshalb fühlbare Beeinträchtigungen für das Gemeinwesen oder die Grundrechte erwachsen. (S. 29)
Sofern ein solcher Konflikt nicht ersichtlich ist, hat jeder, der durch eine ihm auferlegte staatliche Pflicht in einen Gewissenskonflikt gerät, das Recht, von dieser Pflicht befreit zu werden.“
BverfG, Beschluß v. 26.5.1970, Az: 1 BvR 83, 244 und 345/69:
„Nur kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande, auch uneingeschränkte Grundrechte, also auch das Grundrecht der Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) in einzelnen Beziehungen zu begrenzen. Dabei auftretende Konflikte lassen sich nur lösen, indem ermittelt wird, welche Verfassungsbestimmung für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht hat (BVerfGE 2,1 [72f.]). Die schwächere Norm darf nur so weit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint; ihr sachlicher Grundwertegehalt muß in dem Fall respektiert werden. (S. 261)“
Wie P dargelegt hat, gibt es im vorliegenden Fall keine kollidierenden Grundrechte.
Bundesverfassungsgericht, Urteil v. 20.12.1960, Az: 1 BvL 21/60:
„Das Grundgesetz sieht die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde als höchsten Rechtswert an. So hat es folgerichtig in Art. 4 Abs. 1 die Freiheit des Gewissens und seiner Entscheidungen, in denen sich die autonome sittliche Persönlichkeit unmittelbar ausspricht, als "unverletzlich" anerkannt. (S. 54)
In der Konfliktlage zwischen der Gemeinschaft, die mit einer besonders ernsten Forderung an ihre Bürger herantritt (hier: Wehrpflicht), und dem Einzelnen, der nur seinem Gewissen folgen will, räumt Art. 4 dem Schutz des freien Einzelgewissens in bemerkenswert weitgehender Weise den Vorrang ein. Das ist einem Staate angemessen, der eine Gemeinschaft freier Menschen sein will und gerade in der Möglichkeit freier Selbstbestimmung des Einzelnen einen gemeinschaftsbildenden Wert erkennt. (S. 54)“
Selbst, wenn entgegen der Faktenlage eine Kollision von Grundrechten angenommen würde, ist es nicht vernünftig argumentierbar, dass die Finanzierung des Rundfunks einen höheren Wert einnimmt als die Landesverteidigung. Das Grundgesetz gibt dem Rundfunk keinen privilegierten Vorrang vor anderen Rechtspositionen. Daher wäre der Gewissensfreiheit auch gegenüber der Rundfunkfreiheit der Vorrang einzuräumen.
Unsere Rechtsordnung räumt der Verweigerung aus Gewissensgründen regelmäßig Vorrang vor anderen Rechtsgütern ein. ZB. der Verweigerung des Eides in der Strafprozessordnung, der Wehrdienstverweigerung, der Verweigerung zur Mitwirkung bei Abtreibungen im Schwangerschaftskonfliktgesetz, usw. Es gibt keinen Grund, warum der Rechtsbereich Rundfunk hierbei eine Ausnahme darstellen soll.