Nachfolgend mein Textentwurf für ein Vorbringen zum "individuellen bzw. strukturellen Vorteil". Für Kritik, Änderungs- und/oder Ergänzungsvorschläge bin ich sehr dankbar.
Durch den Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) wird im privaten Bereich in die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit und den Gleichheitssatz eingegriffen. Das ist unstreitig.
Eingriffe in Grundrechte durch Gesetz erfordern die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.
Für die materielle Verfassungsmäßigkeit des RBStV müssten dessen Regelungen dem Bestimmtheitsgrundsatz, hergeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip, genügen. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß im Gesetze bestimmt werden.
Durch die bisherige Rechtsprechung wurde den Regelungen des RBStV eine Steuereigenschaft abgesprochen, da den Rundfunkbeiträgen eine Gegenleistung zugunsten des Abgabepflichtigen gegenüberstünde (u.a. BayVGH v. 15.05.2014 Az Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12 Rdnr 76).
Gegenleistung für die Rundfunkbeiträge sei ein struktureller bzw. individueller Vorteil, der jedem Schuldner der Rundfunkbeiträge aufgrund des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zukomme (BayVGH v. 15.05.2014 Az Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12 Rdnr 80).
Zu einem solchen Vorteil -als Inhalt bzw. Zweck gemäß dem Bestimmtheitsgrundsatz- kann der Rundfunkbeitragsschuldner dem RBStV nichts entnehmen.
In § 1 des RBStV ist lediglich ausgeführt: "Der Rundfunkbeitrag dient der funktionsgerechten Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Sinne von § 12 Abs. 1 des Rundfunkstaatsvertrages sowie der Finanzierung der Aufgaben nach § 40 des Rundfunkstaatsvertrages."
In § 12 Abs. 1 des Rundfunkstaatsvertrages ist lediglich ausgeführt: "Die Finanzausstattung hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Lage zu versetzen, seine verfassungsmäßigen und gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen; ...". Welches die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Aufgaben sind, ist für den Rundfunkbeitragsschuldner nicht erkennbar.
Auch aus § 40 des Rundfunkstaatsvertrages kann der Rundfunkbeitragsschuldner nichts zu den Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entnehmen.
Das RBStV bezieht sich ausschließlich auf Finanzierungsgesichtspunkte. Aufgrund welcher Gesichtspunkte die auf Finanzierung in Anspruch genommene Person gesetzlich zu diesem Finanzierungsbeitrag verpflichtet sein soll, kann die in Anspruch genommene Person weder dem RBStV noch den in § 1 des RBStV zum Zweck genannten Verweisungen entnehmen.
Mithin verstößt das RBStV gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. und ist materiell-rechtlich nicht verfassungsgemäß.
Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, warum die Erhebung des Rundfunkbeitrages vielfach als "Zwangsbeitrag" bezeichnet und empfunden wird. Der einzelne in Anspruch genommene, insbesondere derjenige, der die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht nutzen möchte oder kann, kann einen Vorteil für sich nicht erkennen. Er wird auch nicht über einen etwaigen Vorteil aufgeklärt.
Es bedarf aber unabdinglich eines solchen Vorteils, um der gesetzlichen Erhebung von Rundfunkbeiträgen eine Rechtfertigung zu geben.
Auch im Tatsächlichen ist nicht erkennbar, dass durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Anforderungen, die jedem auf Finanzierung in Anspruch genommenen einen individuellen bzw. strukturellen Vorteil bieten sollen, erfüllt werden.
In BayVGH v. 15.05.2014 Az Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12 Rdnr 80 wird unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien zum RBStV LT-Drs. 16/7001 S. 11 zum Vorteil ausgeführt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk fördere in besonderem Maße die Grundlagen der Informationsgesellschaft und leiste einen wichtigen Beitrag zur Integration und Teilhabe an demokratischen, kulturellen und wirtschaftlichen Prozessen. Aus diesem Grund sei grundsätzlich jede Person im Einwirkungsbereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an der Finanzierungsverantwortung zu beteiligen.
(Nur) die Gebührenfinanzierung erlaube es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ein von Einschaltquoten und Werbeaufträgen unabhängiges Programm anzubieten, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenständlicher und meinungsmäßiger Vielfalt entspricht (BayVGH v. 15.05.2014 Az Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12 Rdnr 82 unter Bezugnahme auf BVerfG v. 22.2.1994 BVerfGE 90, 60/90; 119, 181/219).
Für das Ziel einer quotenunabhängigen Deckung des Finanzbedarfs werde kein rein nutzungsbezogenes Entgelt erhoben (BayVGH v. 15.05.2014 Az Vf. 8-VII-12, Vf. 24-VII-12 Rdnr 82).
Fakten sind aber:
- Die ARD ist der deutsche Seifenopern-Sender. Sie zeigt mehr Daily Soaps als jeder andere, vier verschiedene an jedem Werktag und sie wiederholt sie teilweise auch häufiger als jeder andere.
- Das Erste ist Deutschlands Quizsender Nummer eins und die erste Adresse für Freunde der volkstümlichen Musik (Stefan Niggemeier, Selbstbewusst anders sein, APuZ 9-10/2009, 3).
- Durch neue Übertragungswege und die Liberalisierung des Rundfunkmarktes ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in einem stärker gewordenen Wettbewerb mit privaten Rundfunkanbietern (Quelle: Wikipedia), was begründetermaßen Zweifel an der verfassungsrechtlich vorgegebenen Unabhängigkeit erweckt.
- Trotz Sparvorgaben ist der Mitarbeiterapparat bis in die jüngste Zeit weiter aufgestockt worden (Quelle: Wikipedia).
- ohne Not hat die ARD ihre politischen Magazine kastriert, das ZDF-Auslandsjournal, einstmals um 19.30 Uhr im Programm, läuft nur noch nach dem "heute journal", die Regionalmagazine haben Landespolitik und brisante Recherchen durch harmlose Besuche in der Nachbarschaft ersetzt, der traditionsreiche ZDF-"Länderspiegel" ist zum Restverwertungsmagazin mit Human-Interest-Schwerpunkt verkommen, Auslandskorrespondenten beschweren sich über mangelnde Sendeplätze (Stefan Niggemeier, Selbstbewusst anders sein, APuZ 9-10/2009, 5).
- erzählende Serien, Fernsehfilme, Kinofilme haben mit 35% einen sehr hohen Anteil an ARD und ZDF; bei RTL und Sat1 macht dieses Segment nur 24% aus (Volker Lilienthal, Integration als Programmauftrag, APuZ 9-10/2009, 10).
- Der Politik-Anteil bei der "heute"-Sendung des ZDF betrug 2007 nur 38% (Volker Lilienthal, Integration als Programmauftrag, APuZ 9-10/2009, 11).
- Gemessen am Budget ist die ARD der größte nicht-kommerzielle Programmanbieter weltweit. (Quelle: Wikipedia).
Warum genügt für die tatsächliche Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen an öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht ein die auf Finanzierung in Anspruch genommenen entlastendes Konzept?
- Bereits im Dezember 2008 gaben 63 % im Rahmen einer Umfrage befragter 14- bis 49Jähriger an, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihrem Bildungsauftrag nicht mehr nachkämen (Stefan Niggemeier, Selbstbewusst anders sein, APuZ 9-10/2009, 4). Was rechtfertigt es, über die Meinung der auf Finanzierung in Anspruch genommenen hinweg eine Selbstverständlichkeit des Anspruchs auf Finanzierung zugrundezulegen?
- Was rechtfertigt, dass Die Deutsche Welle mit Hörfunk und Fernsehprogramm als Auslandssender eine Sonderrolle einnehmen kann, da sie von der Bundesregierung beaufsichtigt und durch Steuergelder finanziert wird?
- Warum wird zur Begründung des RBStV auf ausgeweitete Internet-Nutzung durch "neuartige Empfangsgeräte" Bezug genommen, während tatsächlich eine deutliche Einschränkung der Internet-Auftritte der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender besteht und die Anstalten kein inhaltliches Vollprogramm im Internet bereitstellen dürfen? Im Internet veröffentlichte textliche Leseangebote sind nur "sendungsbezogen" erlaubt, setzen also eine erstausgestrahlte Radio- und Fernsehsendung voraus. In der Aktualität ist es jedoch schlicht unmöglich, sich immer an die vorherige Existenz einer Sendung zu halten (Volker Lilienthal, Integration als Programmauftrag, APuZ 9-10/2009,
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Der Gebührenzahler und Wohnungsinhaber sollte das Recht haben, sich zeitunabhängig aus verfügbaren Quellen genau dann zu informieren, wenn er das wünscht. Das Medium Internet erlaubt dies. Das Medium Internet ist heute DIE Plattform der nachhaltigen permanenten Informationen. Worin besteht angesichts dessen noch der besondere Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, der dem Gebührenzahler einen individuellen bzw. strukturellen Vorteil bietet?
- Was ist unter den Komplexen "Information", "Bildung", "Kultur" und "Unterhaltung" überhaupt detailliert zu verstehen und inwiefern ist im Zuge des RBStV überhaupt überprüft und nachgewiesen, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihrem gesetzlich vorgegebenen Zweck noch nachkommen?
- Wer bestimmt, dass dem verfassungsgemäßen Auftrag nicht bereits Genüge getan ist, wenn ein Nachrichtensender, ein Dokusender und ein Unterhaltungs-/Kultursender staats- und quotenunabhängig und werbefrei existieren, was den auf Finanzierung in Anspruch genommenen ganz erheblich milder belasten würde? Würden sich die öffentlich-rechtlichen Sender auf ihre Aufgaben konzentrieren, kämen sie mit weitaus weniger finanziellen Mitteln aus.