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Autor Thema: OVG Nieders. 06.06.2025 - 8 ME 116/24 > Vollstr.Einstell. wg. fehl. Mahnung  (Gelesen 101 mal)

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    • Protest + Widerstand gegen ARD, ZDF, GEZ, KEF, ÖRR, Rundfunkgebühren, Rundfunkbeitrag, Rundfunkstaatsvertrag:
Ein Beschluss, der mit verschiedenen kruden Thesen von ARD-ZDF-GEZ i.Z. diverser Vollstreckungsverfahren aufräumt - wie u.a. bzgl. Verwendung von Mustervorlagen aus dem Internet, Absendevermerken in der "Historie", formlosem Versand mit einfacher Briefpost, schlichtem Bestreiten des Zugangs an sich, damit begründetem Zweifel am Zugang und somit Nachweispflicht des Absenders, (fehlenden) Postrückläufen, unterstellten "Schutzbehauptungen", (Fehl-)Interpretation des diesbezüglichen BVerwG-Urteils vom 29.11.2023 – BVerwG 6 C 3/22
Revisionsverfahren BVerwG 6 C 3.22 - Zugang von Bescheiden
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=37520.0
usw.


Sehr lesenswert und sehr "verwertbar" !


OVG Niedersachsen, Beschluss vom 06.06.2025, 8 ME 116/24
https://dejure.org/2025,13842
Zitat von: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 06.06.2025, 8 ME 116/24
Leitsatz

1. (Vorbeugender) Rechtsschutz gegen die Vollstreckung einer Rundfunkbeitragsforderung ist zulässig, wenn der Vollstreckungsgläubiger das Vollstreckungsersuchen gestellt und die Vollstreckungsbehörde daraufhin dem Vollstreckungsschuldner die Zahlungsaufforderung hat zukommen lassen (ausführlich Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.5.2025 8 ME 132/24 , juris Rn. 24ff.).

2. Postverluste kommen vor; auch der sog. Historiensatz und die Behauptung, es habe keinen Postrückläufer gegeben, begründen keine Vermutung für den Zugang eines formlos mit der Post übersandten Briefes.

3. Dass rechtsschutzsuchende Personen sich im Internet verfügbarer Mustervorlagen für einen gerichtlichen Rechtsschutzantrag bedient haben, rechtfertigt nicht von vornherein Misstrauen gegenüber den von ihnen gemachten Angaben.


4. Das Institut der Folgenabwägung (§ 80 Abs. 4 Satz 3, 2. Alt. VwGO) hat nicht den Zweck, eine prozessuale Beweiserleichterung zu schaffen.

[...]

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 7. Kammer - vom 5. September 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 63,65 EUR festgesetzt.


Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO gegen die Vollstreckung von Rundfunkbeiträgen stattgegeben und ihn verpflichtet hat, die Zwangsvollstreckung aus den Rundfunkbeitragsbescheiden vom 1. Juni, 1. September, 1. Dezember 2023 und 1. März 2024 vorläufig einzustellen sowie das entsprechende Vollstreckungsersuchen an die Beigeladene vom 1. Juli 2024 vorläufig zurückzunehmen, hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, der Anordnungsantrag sei zulässig und begründet. Der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass durch das Vollstreckungsersuchen des Antragsgegners an die Beigeladene und deren Zahlungsaufforderung an die Antragstellerin die Vollstreckung eingeleitet worden sei. Das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen lasse sich indes nicht feststellen. Der Zugang der Mahnung vom 16. April 2024, der nach § 3 Abs. 1 NVwVG zeitlich vor der Vollstreckung erforderlich sei, werde von der Antragstellerin bestritten. Der insoweit beweisbelastete Antragsgegner könne den Zugang nicht nachweisen; die Zugangsvermutung des § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG greife nicht ein, insoweit reiche nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 29.11.2023 – BVerwG 6 C 3.22 –, juris) ein einfaches Bestreiten grundsätzlich aus. Dass es sich um eine bloße Schutzbehauptung handele, lasse sich nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht feststellen.

Die vom Antragsgegner im Beschwerdeverfahren dagegen vorgetragenen Gründe vermögen nicht zu überzeugen. Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerde einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Der sich daraus ergebenden Darlegungslast genügt der Beschwerdeführer nur dann, wenn er die tragenden Erwägungen der Vorinstanz aufgreift und sie substantiiert in Frage stellt (Thüringer OVG, Beschl. v. 27.6.2024 – 3 EO 288/24 –, juris Rn. 3).

I. Der einstweilige Rechtsschutzantrag ist zulässig.

Die gegenteilige Auffassung des Antragsgegners, es handele sich um (unzulässigen) vorbeugenden Rechtsschutz, weil gegen Vollstreckungshandlungen (ausreichender) repressiver Rechtsschutz gegenüber der Beigeladenen als der von ihm beauftragten Vollstreckungsbehörde möglich sei, wird vom Senat nicht geteilt (s. ausführlich Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.5.2025 – 8 ME 132/24 –, juris Rn. 24ff.). Durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG wird effektiver Rechtsschutz verfassungsrechtlich verbürgt. Dem müssen die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz Rechnung tragen, da dieser in besonderer Weise der Sicherung grundrechtlicher Freiheit dient (BVerfG, Beschl. v. 1.4.2025 – 2 BvR 1425/24 –, juris Rn. 21 u. v. 27.4.2005 – 1 BvR 223/05 –, juris Rn. 29f.), hier namentlich dem Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 13 Abs. 1 GG. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, ist die Vollstreckung mit dem Vollstreckungsersuchen an die Beigeladene und deren Zahlungsaufforderung gegenüber der Antragstellerin eingeleitet. Der Eingriff in Vermögensrechte der Vollstreckungsschuldnerin steht damit unmittelbar bevor, ohne dass es noch weiterer Zwischenakte bedürfte. Es ist dem Vollstreckungsschuldner in dieser Situation nicht zumutbar, abzuwarten bis ein Vollstreckungsakt, etwa eine Konto- oder Sachpfändung, erfolgt, und ihn darauf zu verweisen, einen derartigen Eingriff in seine Eigentumssphäre erst nachträglich durch einen Rechtsschutzantrag bei den Verwaltungsgerichten nach § 80 Abs. 5 VwGO wieder zu suspendieren. Denn dies hätte zur Konsequenz, dass er die Folgen des Eingriffs in seine Rechte, d. h. etwa die Einschränkung der Verfügungsmöglichkeit über ein gepfändetes Konto oder der Möglichkeit zur Nutzung eines gepfändeten privaten Kraftfahrzeuges, für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens – gegebenenfalls bis zum Abschluss der Beschwerdeinstanz – hinnehmen müsste, obwohl bereits im Vorhinein die Unzulässigkeit der Vollstreckungsmaßnahme hätte geklärt werden können. Außerdem wären der Ansehensverlust und die Rufschädigung durch das Bekanntwerden der Pfändungsmaßnahme im Verhältnis zu Dritten, die hiervon Kenntnis erlangen, bei einem späteren Erfolg im gerichtlichen Verfahren vielfach nicht vollständig reversibel (s. bereits Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.5.2025 – 8 ME 132/24 –, juris Rn. 28). Hinzu kommen Gesichtspunkte der Effektivität des Rechtsschutzes: Repressiver Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO würde stets nur die jeweilige einzelne Vollstreckungsmaßnahme betreffen, nicht aber die Vollstreckung insgesamt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 30.10.2003 – 3 A 3417/99 –, juris Rn. 26; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.2.1992 – 5 S 2520/91 –, juris Rn. 27), sodass es zu einer Vielzahl von Verfahren gegen einzelne Pfändungsmaßnahmen kommen könnte, was weder im öffentlichen Interesse liegt noch in dem der Beteiligten. Überdies ließe auch der Erfolg im Rechtsschutzverfahren gegen eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme den Schuldner permanent im Ungewissen, ob er weiterhin mit anderen Vollstreckungsmaßnahmen rechnen muss. Jedenfalls in Fallgestaltungen wie der vorliegenden, in denen die Unzulässigkeit der Vollstreckung insgesamt gerügt wird und das Fehlen von Vollstreckungsvoraussetzungen, deren Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Vollstreckungsgläubiger zu verantworten hat, ist es schließlich auch sachgerecht, wenn der Vollstreckungsabwehrantrag im einstweiligen Rechtsschutz gegen ihn als Passivpartei gerichtet wird.

II. Der Rechtsschutzantrag ist begründet.

Die vorherige Mahnung des Vollstreckungsschuldners ist eine der Vollstreckungsvoraussetzungen (s. § 3 Abs. 1 NVwVG; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 5.3.2021 – 4 LB 84/20 –, juris Rn. 36f.). Für den Zugang der Mahnung ist der Antragsgegner als Vollstreckungsgläubiger beweispflichtig. Die Antragstellerin bestreitet, das Schreiben vom 16. April 2024 erhalten zu haben. Es ist auf der Grundlage der Darlegungen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren, die vom Oberverwaltungsgericht allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), nicht erkennbar, dass er im Hauptsacheverfahren den ihm obliegenden (Voll-) Beweis des Zugangs dieses Schreibens führen könnte. Im Einzelnen:

Soweit der Antragsgegner das Verwaltungsgericht kritisiert, weil es die Behauptung der Antragstellerin, sie habe die Mahnung vom 16. April 2024 nicht erhalten, für glaubhaft erachtet habe, und dagegen die Zugangsvermutung des § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG anführt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus auf schriftliche Erklärungen, die – wie die Mahnung – kein Verwaltungsakt sind, überhaupt anwendbar ist, zweifelhaft ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 2.11.2022 – 11 CS 22.1984 –, juris Rn. 28 m. zahlr. N.). Der Antragsgegner missinterpretiert zudem die von ihm in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 29.11.2023 – BVerwG 6 C 3/22 –, juris), wenn er die Auffassung vertritt, das „… einfache Bestreiten durch die Antragstellerin (führe) … nicht zu Zweifeln am Zugang des Mahnschreibens, … vielmehr (könne) … die Würdigung der Umstände des Einzelfalles … nur zu dem Schluss führen, dass es sich … um eine reine Schutzbehauptung (handele)“. Das Bundesverwaltungsgericht hat vielmehr betont, zur Darlegung von Zweifeln genüge regelmäßig das einfache Bestreiten des Zugangs, weil einem Adressaten, der den Zugang überhaupt bestreite - anders als bei einem verspäteten Zugang - eine weitere Substantiierung typischerweise nicht möglich sei. Denn in aller Regel lägen die Umstände der Postbeförderung und -zustellung, aus denen sich Schlüsse auf den Zugang oder Nichtzugang eines mit einfacher Post versandten Bescheides ziehen ließen, außerhalb der Sphäre des Adressaten, so dass dieser aufgrund eigener Wahrnehmung nicht mehr vortragen könne als die Tatsache, den Bescheid nicht erhalten zu haben (BVerwG, Urt. v. 29.11.2023 – BVerwG 6 C 3/22 –, juris Rn. 24).

Dass aufgegebene Briefsendungen den Adressaten nicht erreichen, ist ein Phänomen, das sich als solches nicht leugnen, im Hinblick auf die Anzahl der verloren gegangenen Sendungen aber nicht valide quantifizieren lässt. Die Deutsche Post (DHL) macht, ebenso wie ihre privaten Konkurrenten, keine Angaben zur Anzahl von verloren gegangenen Briefsendungen. Auch die Bundesnetzagentur nimmt, mangels entsprechenden Auftrages, insoweit keine Erhebungen vor. Ältere Behauptungen des Verbandes für Post und Telekommunikation (DVPT) aus dem Jahr 2004 über tägliche Verluste von bis zu 70.000 Briefen und 2.000 Paketen, die in der Presse berichtet werden (https://rp-online.de/wirtschaft/unternehmen/post-verliert-taeglich-tausende-briefe-und-pakete_aid-16838943), erscheinen jedenfalls stark übertrieben. Aus dem Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle Post bei der Bundesnetzagentur ergibt sich lediglich die Zahl der Kundenbeschwerden gegenüber Postdienstleistern. Sie erreichten 2024 einen neuen Höchststand mit 3.821 Schlichtungsanträgen und 294 sonstigen Eingaben, insgesamt 4.115. Von den 3.821 im Jahr 2024 eingegangenen Anträgen wurden 2.314 Anträge (gut 60 Prozent) aufgrund von Verlust oder Entwendung der Postsendung gestellt, wobei sich nur 273 Fälle auf den Versand oder Empfang von Briefsendungen bezogen (s. Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle Post 2024, Ziffer 3.2, S. 8: https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Mediathek/Taetigkeitsberichte/2025/SchlichtungPost2024.pdf? __ blob=publicationFile&v=4). Die Deutsche Post verweist dazu nach einem Bericht des manager magazins darauf, dass die Anzahl der auf sie bezogenen Beschwerden im Verhältnis zu den 12,2 Milliarden Briefen, die im Jahr 2024 ausgeliefert worden seien, gering sei (https://www.manager-magazin.de/unternehmen/deutsche-post-beschwerden-ueber -verlorene-briefe-und-beschaedigte-pakete-erreichen-hoechstwert-a-bdea0888-4548-4926-ba7a-1c6fd239b576). Die Zahl der Beschwerden bei der Bundesnetzagentur dürfte indes kein aussagekräftiges Indiz für die Zahl der verloren gegangenen „schlichten“ Briefsendungen darstellen. In vielen Fällen wird der Adressat eines solchen Briefes nicht wissen, dass dieser verloren gegangen ist. Wenn er es dennoch erfährt, wird er das ausgebliebene Schreiben beim Absender (erneut) anfordern und sich kaum an die Schlichtungsstelle wenden. Dies dürfte in ähnlicher Weise auch für einen Absender gelten, der erfährt, dass seine Briefsendung den Empfänger nicht erreicht hat. Schlichtungsanträge werden, schon aufgrund des hiermit verbundenen Aufwandes, wohl nur dann angestrengt, wenn es um Wertverluste und Haftungsfragen geht, was auch in der Statistik der Schlichtungsstelle zum Ausdruck kommt. Aufgrund der mangelnden Datenlage ist eine seriöse Quantifizierung der Briefverluste im deutschen Postsystem daher nicht möglich. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass es allgemeiner Lebenserfahrung entspricht, dass immer wieder einzelne Briefsendungen auf dem Postweg verloren gehen (s. etwa Bayerischer VGH, Beschl. v. 2.11.2022 – 11 CS 22.1984 –, juris Rn. 29). Das Bundesverfassungsgericht nimmt ebenfalls an, dass keine Vermutung für den Zugang eines formlos mit der Post übersandten Briefes besteht (BVerfG, Beschl. v. 15.5.1991 – 1 BvR 1441/90 –, juris Rn. 13 u. v. 29.10.2009 – 1 BvR 1729/09 –, juris Rn. 22). Auch der Bundesgerichtshof vertritt die Auffassung, der Absender eines Briefes, der sich eines Postdienstleisters bediene, habe den nicht nachweisbaren Zugang der Sendung zu vertreten (vgl. BGH, Urt. v. 21.1.2009 – VIII ZR 107/08 –, juris Rn. 17).

Daran ändert auch der Hinweis der Antragsgegnerin auf den „Historiensatz“, der sich in ihrem Verwaltungsvorgang findet (Bl. 63 NDR-Beiakte), und die Behauptung, dass es keinen Postrückläufer für das Schreiben vom 16. April 2024 gegeben habe, im Ergebnis nichts. Der Historiensatz, der (regelmäßig) nach Abschluss des Versandvorganges unter Angabe des Postauslieferungsdatums, der Sendungsnummer und der Entgeltabrechnungsnummer generiert und dem betreffenden Beitragskonto beigefügt wird, belegt letztlich auch nur die Absendung des Schreibens, nicht aber, dass es den Empfänger erreicht hat (Bayerischer VGH, Beschl. v. 7.3.2024 – 7 CE 23.1749 –, juris Rn. 12), da der fehlende Zugang auf einem Verlust im Postlauf beruhen kann. Dass der Antragsgegner in der Antragstellerin – wie seine Ausführungen annehmen lassen – offenbar eine prinzipielle Rundfunkbeitragsgegnerin vermutet, rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil nicht ausgeschlossen ist, dass auch solche Personen wie andere Postempfänger von Briefverlusten betroffen sein können. Im Rahmen der danach zu prüfenden Glaubhaftigkeit des Vortrags des Vollstreckungsschuldners und seiner Glaubwürdigkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.11.2023 – BVerwG 6 C 3/22 –, juris Rn. 24) ist hier zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin den Zugang des Mahnschreibens nicht erst in der Antragsschrift an das Verwaltungsgericht, sondern bereits gegenüber der Beigeladenen nach Erhalt der Vollstreckungsankündigung vom 23. Juli 2024 in ihrem Schreiben vom 4. August 2024 ausdrücklich bestritten hat, also nicht erst im gerichtlichen Verfahren im Zusammenhang mit der Verwendung der nach der Behauptung des Antragsgegners aus unseriöser Quelle stammenden Mustervorlage. Auch wird lediglich der Zugang eines einzelnen Schreibens bestritten, was als eher glaubhaft anzusehen ist, als wenn der Erhalt sämtlicher oder einer Vielzahl von Postsendungen in Abrede gestellt würde, sofern dafür nicht besondere Gründe erkennbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.11.2023 – BVerwG 6 C 3/22 –, juris Rn. 33; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 31.10.2011 – 8 E 387/11 –, juris Rn. 18). Im Übrigen fehlen in der Beschwerdebegründung nähere Darlegungen über den Prozess der Briefversendung, etwa an welchen Postdienstleister die Sendung übergeben worden ist und wie sich dort der weitere Ablauf der Briefzustellung gestaltet, insbesondere welche Kontrollmechanismen bestehen, um Briefverluste zu verhindern, sodass der Vortrag des Antragsgegners insoweit auch den Erfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht genügt.

Soweit der Antragsgegner vorträgt, die Antragstellerin habe sich bei dem „…. vorliegenden Antrag offensichtlich eines Musterantrages … aus unseriöser Quelle (bedient), … der von einer Vielzahl von Beitragsschuldner verwendet … (werde), um die Vollstreckung von rückständigen Rundfunkbeiträgen abzuwenden“, und hieraus folgert, bei der Behauptung, die Mahnung nicht erhalten zu haben, handele es „… sich vielmehr ganz offensichtlich um eine bloße Schutzbehauptung, vermag dies nicht zu überzeugen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich dem von ihm wiedergegebenen Zitat der Website „… am ehesten www.beitragsblocker.de bzw. www.keinrundfunkbeitragmehr.denicht entnehmen lässt, dass Beitragspflichtige aufgefordert werden, wahrheitswidrig den Erhalt von Mahnschreiben zu bestreiten. Laut Aussage wird lediglich eine Lieferung von „… sämtliche(n) juristischen Argumente(n), um den Rundfunkbeitrag grundsätzlich infrage zu stellen“, angeboten. Auch trägt seine Behauptung, dass Antragsteller in anderen Verfahren keine individuellen Anpassungen des Mustertextes vorgenommen hätten, nicht den von ihm daraus gezogenen Schluss, dass „… daher erhebliche Zweifel (bestünden), dass die Antragstellerin den von ihr eingereichten Schriftsatz in Gänze gelesen bzw. sich auch nur ansatzweise inhaltlich damit auseinandergesetzt (habe)“. Was andere Antragsteller in anderen Verfahren für Angaben machen bzw. unterlassen, ist für die Einschätzung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Antragstellerin im hiesigen Verfahren bedeutungslos. Zutreffend ist zwar, dass die Antragstellerin keine geschlechtsspezifische Anpassung der Formulierungen des Mustertextes (Antragstellerin statt Antragsteller) vorgenommen hat, es ist aber zu berücksichtigen, dass die Verwendung des generischen Maskulinums dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, sodass sich eine sprachliche Anpassung im Hinblick auf das sexuelle Geschlecht (zumal einer Laiin) nicht aufdrängen muss. Nicht zutreffend ist, dass die Antragstellerin keine individuellen Anpassungen des Mustertextes vorgenommen hat. Sie hat die Höhe der vollstreckbaren Forderung und die Beitragsnummer sowie das Datum des Festsetzungsbescheides in den Anträgen auf Seite 1 eingefügt. Eine Wiederholung der Beitragsnummer im weiteren Text konnte ihr daher entbehrlich erscheinen. Bausteinfehler kommen im Übrigen vor; auch der Antragsgegner ist davon nicht frei: So ist im vorliegenden Verfahren – anders als vom Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 12. August 2024 an das Verwaltungsgericht unter Ziffer 2 (Seite 2) ausführt, nicht „… die Kreiskasse des Kreisausschusses des Wetteraukreises als Vollstreckungsbehörde am Wohnsitz der Klägerin in E. im Wetteraukreis … die zuständige Vollstreckungsbehörde“; auch wird im vorliegenden Verfahren keine „… Vollstreckung von Forderungen des hessischen Rundfunks (betrieben)“.

Dass Menschen erkennbar im Internet nach Formulierungshilfe für einen gerichtlichen Rechtsschutzantrag gesucht haben, rechtfertigt nicht von vornherein Misstrauen gegenüber den von ihnen gemachten Angaben. Dass, wer eine Vollstreckungsankündigung (seiner Gemeinde) wegen rückständiger Rundfunkbeiträge erhält, zunächst einmal im Internet nach Informationen und brauchbaren Vorlagen für einen Rechtsbehelfsschriftsatz sucht, um die Vollstreckung abzuwenden, entspricht einem nachvollziehbaren Verhalten. Zumal Nichtjuristen wären ohne solche Hilfestellungen, wie sie etwa bei Entschädigungen wegen Flugverspätungen oder -annullierungen weit verbreitet sind, regelmäßig darauf angewiesen, bereits in diesem Stadium einen Anwalt aufzusuchen, was (neben den ohnehin anfallenden Gerichtskosten) unmittelbar erhebliche Kosten für die Rechtsvertretung auslösen würde.

Soweit der Antragsgegner unter Hinweis auf Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 21.8.2024 – 8 ME 20/24 –, juris Rn. 8) die Auffassung vertritt, im Rahmen einer Folgenabwägung könne ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auch abgelehnt werden, wenn der Vollstreckungsschuldner geltend mache, ein Mahnschreiben sei nicht zugegangen, ist darauf hinzuweisen, dass der Senat dies lediglich bei als offen einzuschätzenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache angenommen hat. Von offenen Erfolgsaussichten kann aber nicht ausgegangen werden, wenn – wie im vorliegenden Verfahren – der Zugang der Mahnung als erforderlicher Vollstreckungsvoraussetzung (§ 3 Abs. 1 NVwVG) nicht nachgewiesen ist und die beweispflichtige Partei beweisfällig bleibt. Die (selbstverschuldete) Beweisnot des Vollstreckungsgläubigers, der nicht in der Lage ist, im Prozess die Vollstreckungsvoraussetzungen nachzuweisen, ist keine Situation für eine Folgenabwägung. Eine solche ist nach dem entsprechend heranzuziehenden § 80 Abs. 4 Satz 3, 2. Alt. VwGO nur zulässig, wenn keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen. Das Institut der Folgenabwägung soll es dagegen nicht ermöglichen, die gesetzlichen Vollstreckungsvoraussetzungen zu „überspielen“ und auch keine prozessuale Beweiserleichterung für eine Partei schaffen, die versäumt hat, Nachweise für ihr Verwaltungshandeln zu schaffen oder zu dokumentieren. Es kann – wie ausgeführt – nie völlig ausgeschlossen werden, dass einzelne Briefsendungen, aus welchen Gründen auch immer, „spurlos“ verschwunden sind. Der Antragsgegner hat es selbst in der Hand, für den Postversand ein Verfahren zu wählen, das ihm den Nachweis des Zugangs für den Fall der Notwendigkeit einer Zwangsvollstreckung gegenüber dem Beitragsschuldner ermöglicht, z. B. indem er rechtserhebliche Schreiben per Einschreiben oder gegen Empfangsbekenntnis versendet oder von vornherein zustellt. Wenn er dies unterlässt, muss er das prozessrechtliche Risiko aus der Nichterweislichkeit des Zugangs eines rechtserheblichen Schreibens tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, entspricht nicht der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO), weil sie im Verfahren kein Antrag gestellt und sich damit ihrerseits keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Ziffern 1.5 sowie 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (https://www. bverwg.de/user/data/media/streitwertkatalog.pdf). Danach ist in selbstständigen Vollstreckungsverfahren ein Viertel des Betrages anzusetzen, dessentwegen der Antragsteller die Aussetzung der Vollstreckung betreibt. Entsprechend dem Antrag der Antragstellerin vom 4. August 2024, die Vollstreckung in Höhe von 254,59 € auszusetzen, errechnet sich hier der im Tenor festgesetzte Betrag von 63,65 €. Er ist nicht im Hinblick auf den Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens weiter zu vermindern (Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.5.2025 – 8 ME 132/24 –; Beschl. v. 29.3.2007 – 4 ME 265/07 –, V. n. b.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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