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Vollstreckungsankündigung zu 6 Jahre alter Klage, die "statistisch erledigt" sei
querkopf:
--- Zitat von: Maverick am 08. September 2022, 14:21 ---Greift in diesem Fall §53 VwGo analog zu §204 Abs.1 BGB
--- Zitat ---§ 53 Hemmung der Verjährung durch Verwaltungsakt
(1) Ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, hemmt die Verjährung dieses Anspruchs. Die Hemmung endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes oder sechs Monate nach seiner anderweitigen Erledigung.
--- Ende Zitat ---
Dann hätte die Verjährungsfrist ab 4/2018 wieder begonnen und die Verjährung wäre spätestens am 31.12.2021 eingetreten. Korrekt?
--- Ende Zitat ---
Erst mal ist das nicht § 53 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung), sondern § 53 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG).
Allerdings ist § 53 HVwVfG nicht anwendbar, weil § 2 Abs. 1 HVwVfG bestimmt:
--- Zitat ---Dieses Gesetz gilt nicht für die Tätigkeit der Kirchen, der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie ihrer Verbände und Einrichtungen und für die Tätigkeit des Hessischen Rundfunks.
--- Ende Zitat ---
Damit könnten allenfalls die sogenannten Allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts herangezogen werden, diese umfassen aber nicht die Verjährung, weil diese je nach Verwaltungsart spezialgesetzlich und unterschiedlich geregelt ist.
Die Verjährung ist auch nicht durch die Klage gegen den Festsetzungsbescheid gehemmt worden, weil ein Festsetzungsbescheid an sich überhaupt keine vollstreckbare Forderung enthält, sondern lediglich feststellenden Charakter hat. Eine vollstreckbare Forderung ergäbe sich nur aus einem Leistungsbescheid — und der gerade liegt ja nicht vor.
Egal wie man es dreht und wendet: die Forderung ist verjährt. Dies bedeutet aber nicht, daß die Forderung erloschen ist. Eine Vollstreckung ist daher nicht unzulässig, solange vom Schuldner gegen die Forderung nicht die Einrede der Verjährung erhoben wird. Hier ist also aktives Handeln des Schuldners gefordert.
Maverick:
§53 VwVfG - korrekt. War wohl in Gedanken noch bei §94 VwGo "Aussetzung der Verhandlung". Danke.
Zum fehlenden Leistungsgebot kann ich mich nur noch dunkel an lange Diskussionen vor einigen Jahren im Forun erinnern - da wieder einzusteigen fehlt die Zeit.
Meine Erinnerung nach war die Argumentaion selten, wenn überhaupt, von Erfolg gekrönt. Aber lassen wir das mal beiseite, wenn es einen "einfacheren" Weg geben sollte, den man hilfweise und unkomplizierter beschreiten könnte.
Wenn nicht §53 VwVfG greift, kann man hier über §204 Abs.2 BGB argumentieren?
Und auch daraus eine Verjährung ableiten und dann natürlich die Einrede der Verjährung geltend machen?
Bei einem ruhenden Verfahren nach §251 ZPO endet die Hemmung der Verjährung nach 6 Monaten. Daher der Gedanke ruhendes Verfahren = ausgesetztes Verfahren.
Oder kann bei einem ausgesetzten Verfahren der Verwaltungsakt in Gestalt des zugrundeliegenden Widerspruchsbescheids nicht verjähren?
--- Zitat von: ope23 am 08. September 2022, 17:07 ---Nun, eine Mitteilung ist nichts. Das "statistisch erledigte" Verfahren ist weiterhin nur ausgesetzt.
Welchen Zweck eine solche Mitteilung eines VG überhaupt haben soll, erschließt sich mir nicht. Interessant wäre eben der Wortlaut dieser "Mitteilung"...
--- Ende Zitat ---
Die Mitteilung des VG hatte keinen weiteren bsonderen Wortlaut:
--- Zitat ---In Verwaltungsstreitverfahren Person A ./. LRA wird mitgeteilt, dass in den Verfassungsbeschwerdeverfahren, die in dem Aussetzungsbeschluss vom 4/2017 in Bezug genommen worden sind, bislang noch keine Entscheidung ergangen ist. Nachdem seit der Aussetzung des Verfahrens 6 Monate vergangen sind, gilt das Verfahren bei dem VG als statistisch erledigt.
Wenn mit Entscheidung der Verfassungsbeschwerdeverfahren der Grund für die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens entfallen ist - das BVerfG hat zugesagt, die Kammer entsprechend zu informieren -, wird es von Amts wegen oder auf Antrag eines der Beteiligten wieder aufgenommen. Es enthält dann ein neues Aktenzeichen.
Hochachtungsvoll
--- Ende Zitat ---
querkopf:
Vorab: nicht der Schuldner muß nachweisen, daß die Forderung verjährt ist, sondern der HR muß nachweisen, daß dies nicht der Fall ist. Für den Schuldner reicht es, auf das Alter der Forderung hinzuweisen und darauf, daß angesichts der seitdem vergangenen Jahre die Verjährung eingetreten ist. Will der HR dies nicht akzeptieren, muß er nachweisen, daß, durch welche Maßnahme und für welche Dauer die Verjährung unterbrochen wurde und er muß nachweisen, daß die dreijährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
Die Einrede der Verjährung ist ein sogenannter rechtsvernichtender Einwand, will der Gläubiger diesen widerlegen, so obliegt ihm hierfür die Darlegungs- und Beweislast.
§ 204 BGB hilft dem Schuldner nicht weiter, da er die Hemmung der Verjährung im Zivilrecht behandelt. Der Gläubiger, also hier der HR, kann sich hingegen möglicherweise auf diesen Paragraphen berufen, um nachzuweisen, daß die Verjährung eben noch nicht eingetreten ist, weil sie durch eine der in § 204 BGB genannten Gründe unterbrochen wurde. Es wäre taktisch unklug, dem Gegner die Argumente in den Mund zu legen.
Es reicht also vollkommen aus zu schreiben:
--- Zitat ---Die Forderung wurde mit Festsetzungsbescheid v. xx.xx.2016 erstmals geltend gemacht. Nach § 7 Abs. 4 RBStV i. V. m. § 195 BGB verjähren rückständige Rundfunkbeiträge nach 3 Jahren. Die Forderung ist daher verjährt. Eine verjährte Forderung darf nicht mehr vollstreckt werden,
--- Ende Zitat ---
Zum Thema Leistungsgebot gibt es u.a. diesen Thread:
Vollstreckungsrechtliche Folgen eines fehlenden Leistungsgebotes im Bescheid
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=18629.0
Ich habe aus gegebenem Anlaß zu den hier aufgeworfenen Rechtsfragen umfangreich recherchiert und habe inzwischen auch umfangreiche Schriftsätze zur Frage der Vollstreckbarkeit von Festsetzungsbescheiden verfaßt. Ich beabsichtige, diese Ausarbeitungen auch hier zur Verfügung zu stellen und obigen Thread entsprechend zu ergänzen, jedoch fehlt mir für eine forumsgerechte Aufbereitung dieser sehr umfangreichen Texte schlichtweg die Zeit.
Über das "statistisch erledigte" Verfahren brauchst Du Dir m. E. keine weiteren Gedanken zu machen, das ist erledigt. Die "statistische" Erledigung bedeutet, daß das Verfahren in den Stistiken des Verwaltungsgerichts als beendet und erledigt eingetragen wurde. Da das BVerfG die Verfassungsbeschwerden mit Urteil v. 18.07.2018 abgewiesen hat, ist eine entsprechende Argumentation in der ausgesetzten Klage hinfällig geworden, eine Wiederaufnahme des Verfahrens hätte also unweigerlich ein abweisendes Urteil zur Folge. Daher hat das Gericht das Verfahren nicht von Amts wegen wiederaufgenommen, vom Kläger ist eine Wiederaufnahme nicht beantragt worden (dies hätte zeitnah nach Erledigung der Verfassungsbeschwerde erfolgen müssen), so daß das Verfahren nun endgültig beendet ist. Allerdings ohne eine Entscheidung, weshalb der angegriffene Festsetzungsbescheid so zu behandeln ist, als hätte es diese Klage nicht gegeben. Die Rechts- und Bestandskraft des Bescheids tritt damit rückwirkend einen Monat nach der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ein — und der Lauf der Verjährungsfrist beginnt.
hankhug:
Nun, wenn aber der Festsetzungsbescheid (FB) rückwirkend Bestandskraft erlangt hat, dann wird doch immer behauptet, der FB sei ein vollstreckbarer Titel und die Verjährungsfrist sei dann 30 Jahre, siehe z.B. https://anwalt-kg.de/insolvenzrecht/gez-schulden/
--- Zitat ---Bitte beachten Sie: Die Verjährungsfrist von drei Jahren greift dann nicht, wenn die GEZ Schulden durch einen Festsetzungsbescheid festgestellt wurden. Dann sind die GEZ Schulden tituliert, der Festsetzungsbescheid ein vollstreckbarer Titel und die GEZ Schulden können 30 Jahre lang zwangsweise durchgesetzt werden.
--- Ende Zitat ---
Dass kein Leistungsbescheid und damit eben gerade kein vollstreckbarer Titel vorliegt und damit exklusiv für den ÖRR das komplette Verwaltungsrecht auf den Kopf gestellt wird, wird von den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten ja regelmäßig ignoriert bzw. totgeschwiegen. Oder es wird trotz substantiiertem Klägervortrag auf nicht substantiierten Klägervortrag verwiesen. Ich erinnere da an die Entscheidungen der Gerichte im Fall Georg Thiel.
Wenn sich die komplette Gerichtsbarkeit dazu entschieden hat, beim ÖRR elementare Rechtsgrundsätze zu ignorieren, werden -so fürchte ich- auch querkopfs umfangreiche Schriftsätze nichts ausrichten. Oder ist in Bezug auf den Rundfunkbeitrag irgendein anderslautendes Urteil bekannt?
querkopf:
1. ein Festsetzungsbescheid ist kein vollstreckbarer Titel, da es sich lediglich um einen feststellenden Verwaltungsakt handelt. Die Feststellung "Sie haben Ihr Auto rot lackiert" enthält keinen vollstreckbaren Inhalt, ebensowenig die Feststellung "Sie schulden dem ÖRR Geld".
2. vollstreckbar ist ausschließlich der Leistungsbescheid, also die unbedingte und unmißverständliche Aufforderung, etwas zu tun oder zu unterlassen, also "lackieren Sie innerhalb von zwei Wochen Ihr Auto blau" oder "zahlen Sie bis zum 25.02.2045 den Betrag von 1234,56 Euro auf das Konto De123456789012". Wie so etwas auszusehen hat, hat das BVerwG in mehreren Entscheidungen klar definiert.
Damit ist die zitierte Information bereits als falsch entlarvt. Daß der Autor zudem keine Ahnung hat, geht aus dem Verweis auf die 30jährige Verjährungsfrist hervor. Diese muß nämlich durch Gesetz bestimmt sein. Da aber in Hessen, wo der vorliegende Fall angesiedelt ist, das Hessische Landesverwaltungsverfahrensgesetz nicht für die Tätigkeit des HR gilt, gibt es keine gesetzliche Bestimmung darüber, wie die Verjährungsfrist bei einem rechtskräftigen Festsetzungsbescheid des HR über Rundbeiträge aussieht, weil der RBStV dieses nicht regelt und es ein Rundfunkverwaltungsverfahrensgesetz schlichtweg nicht gibt. Damit bleibt es bei der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren.
Daß die Gerichte diesen Sachverhalt in den bisherigen Verfahren schlichtweg ignoriert haben, liegt offenbar daran, daß dies wohl noch nie so detailliert mit Nachweisen der Gesetze und Gesetzesbegründungen sowie der Gesetzeshistorie, Rechtsprechung des BVerwG und Parlamentsdokumenten nachgewiesen wurde, und die Damen und Herren Richter sich einfach nur auf den Beckschen Kommentar zum Rundfunkrecht stützen konnten, in dem Frau T... (Mitarbeiterin des Beitragsservice) geschrieben hat, daß ein Festsetzungsbescheid über Rundfunkbeiträge vollstreckbar sei, ohne hierfür eine gesetzliche Grundlage zu benennen. Es gilt also in der Argumentation vor Gericht auch, den Richter in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, daß er gem. Art. 20 Abs. 3 GG der Bindung an Recht und Gesetz unterliegt und daß er nicht zu etwas verurteilen darf, wenn es kein Gesetz gibt, daß den Sachverhalt regelt.
In den Verfahren von Georg Thiel vor dem VG Münster hat die Richterin diese Rechtsgrundlagen vorsätzlich ignoriert. Sie ist in der Verhandlung ausdrücklich auf die fehlende gesetzliche Grundlage hingewiesen worden und hat daraufhin wortwörtlich geantwortet "Gesetze kann man ja auslegen" (ich war persönlich anwesend). Um der Richterin die Rechtsbeugung, die sie mit den Urteilen zweifellos begangen hat, nachzuweisen, bedarf es anderer Entscheidungen über den Sachverhalt durch das BVerwG oder durch eines der Landesverfassungsgerichte. Es sind derzeit in NRW mehrere Gerichtsverfahren anhängig, in denen die oben skizzierte (der schriftsätzliche Vortrag umfaßt eine zweistellige Seitenzahl) Argumentation Verfahrensgegenstand ist. Es bleibt also spannend.
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