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Autor Thema: EuGH C-505/19 - Unionsgrundrecht steht auch im Strafrecht über Völkerrecht  (Gelesen 1120 mal)

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Nachstend zitiert wird die Stellungnahme des Generalanwaltes, da es noch keine Entscheidung des EuGH zum Sachverhalt hat. Die Vorlage stammt vom Verwaltungsgericht Wiesbaden und würde somit Deutschland betreffen.

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MICHAL BOBEK
vom 19. November 2020(1)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Red Notice der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) – Art. 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen – Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Ne bis in idem – Art. 21 AEUV – Freier Personenverkehr – Richtlinie (EU) 2016/680 – Verarbeitung personenbezogener Daten“


Rechtssache C-505/19

WS gegen Bundesrepublik Deutschland

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=233944&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=5666845

Zitat
3)      Bilaterale völkerrechtliche Verpflichtungen der Union und der Mitgliedstaaten

74.      Drittens erkenne ich an, dass das Argument einiger Streithelfer, wonach der Grundsatz ne bis in idem nach dem Abkommen EU-USA keinen absoluten Ablehnungsgrund darstelle, zumindest auf den ersten Blick nicht unbeachtlich ist. Es erscheint nicht fernliegend, anzunehmen, dass dann, wenn der Unionsgesetzgeber den Grundsatz ne bis in idem mit einer Reichweite auch „außerhalb von Schengen“ hätte versehen wollen, möglicherweise ein Ad-hoc-Ablehnungsgrund in das Abkommen hätte aufgenommen werden müssen.

75.      Bei näherer Betrachtung ist dieses Argument jedoch keineswegs maßgebend. Zunächst bedarf es kaum einer Erwähnung, dass es verschiedene Gründe haben kann, dass eine konkrete Bestimmung zu dieser Frage fehlt, etwa dass die US-Behörden sie nicht akzeptieren wollten(28). Vor allem aber ist auf Art. 17 Abs. 2 des Abkommens EU-USA hinzuweisen, wonach „in den Fällen, in denen die Verfassungsgrundsätze des ersuchten Staates oder die für diesen verbindlichen endgültigen richterlichen Entscheidungen ein Hindernis für die Erfüllung seiner Auslieferungspflicht darstellen können und dieses Abkommen oder der geltende bilaterale Vertrag keine Regelung dieser Angelegenheit vorsehen, … sich der ersuchte und der ersuchende Staat [konsultieren]“.

76.      Dieser Bestimmung ist zu entnehmen, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit anerkennen, dass bestimmte Verfassungsgrundsätze oder endgültige richterliche Entscheidungen innerhalb ihrer jeweiligen Rechtsordnungen „ein Hindernis für die Erfüllung [ihrer] Auslieferungspflicht darstellen können“, auch wenn die Parteien nicht vorgesehen haben, dass sich daraus ein absoluter Ablehnungsgrund ergibt(29). Dass ein solcher Grundsatz oder eine solche Entscheidung der Auslieferung nicht automatisch entgegensteht, sondern die Behörden verpflichtet, das im Abkommen vorgesehene Konsultationsverfahren einzuleiten, ändert nichts daran, dass das rechtliche Hindernis besteht (und verbindlich ist).

77.      Es kommt in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, dass, wie von mehreren Regierungen vorgetragen, das Abkommen EU-USA die Auslieferung in Fällen, in denen möglicherweise der Grundsatz ne bis in idem gilt, nicht regelt und diese Frage somit nach derzeitiger Rechtslage ausschließlich durch das nationale Recht geregelt ist. In diesem Zusammenhang ist die deutsche Regierung weiter der Ansicht, dass eine weite Auslegung von Art. 54 SDÜ sich negativ auf die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der Union und Drittstaaten auswirken würde, weil sie ihnen die Erfüllung völkerrechtlicher Verträge, denen sie als Vertragspartei angehörten (und somit des Grundsatzes pacta sunt servanda), erschweren, wenn nicht unmöglich machen könnte.

78.      Richtig ist, dass mangels einer unionsrechtlichen Regelung der Frage die Regelungen über die Auslieferung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen(30). Soweit Situationen jedoch unionsrechtlich geregelt sind, sind die betreffenden nationalen Regelungen im Einklang mit dem Unionsrecht, insbesondere mit den durch Art. 21 AEUV garantierten Freiheiten, anzuwenden(31).

79.      Bereits 1981 hat der Gerichtshof festgestellt, dass „für die Strafgesetzgebung und die Strafverfahrensvorschriften … grundsätzlich die Mitgliedstaaten zuständig [bleiben]. Das Gemeinschaftsrecht [setzt] jedoch auch auf diesem Gebiet hinsichtlich derjenigen Kontrollmaßnahmen Schranken, deren Aufrechterhaltung den Mitgliedstaaten … im Rahmen des freien Waren- und Personenverkehrs gestattet ist.“(32) Dies muss erst recht 40 Jahre später gelten, nachdem sich die Mitgliedstaaten verpflichtet haben, ihren Bürgerinnen und Bürgern „einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts [im Folgenden: RFSR] ohne Binnengrenzen [zu bieten], in dem … der freie Personenverkehr gewährleistet ist“(33).

80.      Dementsprechend steht es den Mitgliedstaaten der Union in der Tat weiterhin frei, den Bereich zu regeln und bilaterale (oder multilaterale) Abkommen mit Drittstaaten abzuschließen. Dies ist jedoch nur insoweit zulässig, als sie keine Verpflichtung eingehen, die mit den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen nicht im Einklang steht. Grundsätzlich dürfen die Mitgliedstaaten selbst in Bereichen, die in die nationale Zuständigkeit fallen, außerhalb des besonderen Kontexts von Art. 351 AEUV ihre unionsrechtlichen Verpflichtungen nicht im Wege von mit Drittländern geschlossenen Übereinkünften umgehen oder davon abweichen. Dies würde, grundsätzlich betrachtet, den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts in Frage stellen(34).

81.      Diesen Gesichtspunkten kommt in der vorliegenden Rechtssache, die ein in der Charta geregeltes Recht betrifft, besondere Bedeutung zu. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Befugnisse der Union unter Beachtung des Völkerrechts auszuüben sind und die Auslegung eines aufgrund dieser Befugnisse erlassenen Rechtsakts und – gegebenenfalls – die Festlegung seines Anwendungsbereichs im Licht des einschlägigen Völkerrechts zu erfolgen haben(35). Der Gerichtshof hat jedoch ebenso klargestellt, dass dieser Vorrang des Völkerrechts vor Bestimmungen des Unionsrechts sich nicht auf das Primärrecht der Union und insbesondere die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, zu denen die Grundrechte gehören, erstreckt(36). Dementsprechend könnten weder die Union noch die Mitgliedstaaten (sofern sie innerhalb des Rahmens der Unionsverträge handeln) einen möglichen Verstoß gegen die Grundrechte mit einer ihnen obliegenden Verpflichtung zur Einhaltung eines oder mehrerer völkerrechtlicher Verträge oder Rechtsakte rechtfertigen.

82.      Jedenfalls dürfte das Argument, wonach die hier vertretene Auslegung von Art. 54 SDÜ den Mitgliedstaaten die Einhaltung des Grundsatzes pacta sunt servanda erschweren, wenn nicht unmöglich machen würde, zumindest was das Interpol-Übereinkommen angeht, nicht zutreffen. Durch eine von Interpol ausgestellte Red Notice sind ihre Mitglieder nicht verpflichtet, die gesuchte Person unter allen Umständen zu verhaften oder Maßnahmen zur Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit zu ergreifen. Sie müssen Interpol und den ersuchenden Staat unterrichten, wenn eine gesuchte Person in ihrem Hoheitsgebiet aufgefunden wurde; alle sonstigen Maßnahmen, einschließlich solcher zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit dieser Person, sind jedoch nach Art. 87 der Datenverarbeitungsvorschriften von Interpol nur insoweit zu ergreifen, als dies „nach nationalem Recht und geltenden völkerrechtlichen Verträgen zulässig ist“(37). Diese Bestimmung nennt nämlich als eine mögliche Alternative zu Maßnahmen, mit denen die Bewegungsfreiheit dieser Person eingeschränkt wird, auch die „Überwachung“ der gesuchten Person. Wie im Übrigen in Nr. 27 oben erwähnt, ist ein Staat durch eine Red Notice keineswegs zur Auslieferung der Person, gegen die diese ausgestellt wird, verpflichtet. Hierzu ist ein besonderes Ersuchen erforderlich, das nicht in den Bestimmungen von Interpol geregelt ist.

83.      Dementsprechend kann meines Erachtens Art. 54 SDÜ auf Fälle Anwendung finden, in denen eine Person in einem Drittstaat vor Gericht gestellt wurde oder werden könnte. Wenn die Geltung des Grundsatzes ne bis in idem auf horizontaler Ebene von einem Mitgliedstaat verbindlich festgestellt worden ist, ist die betreffende Person durch diesen Grundsatz vor einer Auslieferung wegen derselben Tat durch jeden anderen Mitgliedstaat geschützt. Dieses ist der Rahmen, in dem der Grundsatz ne bis in idem und die gegenseitige Anerkennung Anwendung finden: Ein zweiter (oder dritter oder sogar vierter) Mitgliedstaat ist verpflichtet, anzuerkennen und zu akzeptieren, dass der erste Mitgliedstaat das Auslieferungsersuchen geprüft hat, zu seiner Überzeugung festgestellt hat, dass in der Tat eine Übereinstimmung zwischen einer früheren Verurteilung in der Union und der/den Tat(en), dere(n)twegen um Auslieferung ersucht wird, besteht, zu dem Schluss gekommen ist, dass für diese Taten der Grundsatz ne bis in idem greift, und das Auslieferungsersuchen auf dieser Grundlage abgelehnt hat(38).

84.      So betrachtet kann eine bereits abgeschlossene Prüfung des Bestehens eines Auslieferungshindernisses nach dem Grundsatz ne bis in idem durch den ersten, mit dem Ersuchen befassten Mitgliedstaat schließlich für alle anderen Mitgliedstaaten, die mit einem nachfolgenden Auslieferungsersuchen gegen dieselbe Person befasst werden, verbindlich sein. In diesem Rahmen gibt es jedoch entgegen einer Reihe in diesem Abschnitt vorgetragener, auf das Völkerrecht und politische Erwägungen abhebender Argumente mehrerer Streithelfer (mit Sicherheit) keine (unmittelbare) Einschränkung für bilaterale Abkommen oder völkerrechtliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Diese können sicherlich zur Anwendung kommen, wenn der Mitgliedstaat tatsächlich der erste Staat ist, der mit der Sache befasst ist. Erforderlich ist lediglich, die Entscheidung zu akzeptieren, die in derselben Sache bereits von einem anderen Mitgliedstaat innerhalb der Union getroffen wurde. Sobald diese Entscheidung getroffen ist und ein Auslieferungsersuchen abgelehnt wurde, genießt ein Unionsbürger einen gewissen „Schutzschirm“ innerhalb der Union, womit er sich innerhalb der Union frei bewegen kann, ohne befürchten zu müssen, wegen derselben Tat(en) strafrechtlich verfolgt zu werden.

96.      Solange die Behörden des zuständigen Mitgliedstaats nicht überprüfen konnten, ob der Grundsatz ne bis in idem gilt, muss es ihnen selbstverständlich gestattet sein, die Red Notice umzusetzen und gegebenenfalls und soweit erforderlich, die Freizügigkeit der gesuchten Person einzuschränken. Tatsächlich gibt es im Unionsrecht keine Grundlage, wonach sie daran gehindert sein könnten, ihren nationalen Regelungen oder gegebenenfalls anwendbaren völkerrechtlichen Verträgen nachzukommen. Sobald diese Entscheidung jedoch von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats gegebenenfalls dahin getroffen wurde, dass der Grundsatz ne bis in idem für eine bestimmte Red Notice wirksam greift, sind alle anderen Mitgliedstaaten an diese konkrete rechtskräftige Feststellung gebunden.

97.      Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist es den Mitgliedstaaten meines Erachtens nach Art. 54 SDÜ in Verbindung mit Art. 50 der Charta und Art. 21 Abs. 1 AEUV verwehrt, eine von Interpol auf Ersuchen eines Drittstaats ausgestellte Red Notice umzusetzen und damit die Freizügigkeit einer Person einzuschränken, wenn eine rechtskräftige Entscheidung der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats über die tatsächliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem für die konkreten Vorwürfe, derentwegen diese Notice ausgestellt wurde, ergangen ist.

105. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2016/680 müssen die Mitgliedstaaten u. a. sicherstellen, dass personenbezogene Daten „auf rechtmäßige Weise und nach Treu und Glauben verarbeitet werden“ (Buchst. a), „für … rechtmäßige Zwecke erhoben und nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise verarbeitet werden“ (Buchst. b) und „sachlich richtig und erforderlichenfalls auf dem neuesten Stand sind“ (Buchst. d). In Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie heißt es wiederum: „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Verarbeitung nur dann rechtmäßig ist, wenn und soweit diese Verarbeitung für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich ist, die von der zuständigen Behörde zu den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Zwecken wahrgenommenen wird, und auf Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts der Mitgliedstaaten erfolgt.“

121. Es ist daher gerade die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem im konkreten Einzelfall, die eine gewisse Weiterverarbeitung der in der Red Notice enthaltenen personenbezogenen Daten erforderlich machen kann. Zu bedenken ist, dass die Weiterverarbeitung nicht nur im Interesse der Behörden der Mitgliedstaaten erfolgt, sondern auch oder vielleicht sogar gerade auch im Interesse der Person, gegen die die Red Notice ausgestellt wurde. Andernfalls, wenn also sämtliche Daten sofort gelöscht werden müssten, sobald der Grundsatz ne bis in idem greift, hätte dies eher seltsame Folgen: Das rechtlich vorgesehene Gedächtnis der nationalen Polizeibehörden würde zu demjenigen von Dory, dem Fisch (der immer noch nach Nemo sucht(54)), so dass die gesuchte Person letztendlich in einer wenig glücklichen Wiederholung von Bill Murrays Murmeltiertag(55) für die betreffenden strafrechtlichen Vorwürfe wieder und wieder den Schutz nach dem Grundsatz ne bis in idem geltend machen und darlegen müsste.

126. In diesem Zusammenhang mag vielleicht der Hinweis darauf lohnenswert sein, dass nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2016/680 der Verantwortliche die Einhaltung des Kriteriums der Notwendigkeit nachweisen muss. Es ist auch daran zu erinnern, dass eine betroffene Person bestimmte Rechte nach den Art. 12 bis 18 der Richtlinie genießt.

130. Die Antwort auf diese Frage wäre angesichts ihrer Formulierung recht einfach. Die Bestimmungen der Richtlinie 2016/680 sind insoweit klar: Eine internationale Organisation verfügt nicht über ein angemessenes Datenschutzniveau im Sinne der Richtlinie 2016/680, wenn weder ein Angemessenheitsbeschluss nach Art. 36 dieser Richtlinie noch geeignete Garantien im Sinne von Art. 37 dieser Richtlinie gegeben sind, es sei denn eine der Ausnahmen in Art. 38 der Richtlinie findet Anwendung.

Die eigentliche Entscheidung des Gerichtshofes wird freilich nachgetragen.

Entsprechend den in Rot erfolgten Hervorhebungen und übereinstimmend zu den im Forum bereits bekannten weiteren Entscheidungen des EuGH ist die Aussage zulässig, daß in der gesamten Union nichts rechtens ist, was nicht mit dem Unionsgrundrecht übereinstimmt, da selbst nationale Maßnahmen des Strafrechts dem Unionsgrundrecht entsprechen müssen.

Insofern ist Art. 11 GrCh höherrangig als Art 10 EMRK; wenn eine Maßnahme gegen Art 10 EMRK verstößt, verstößt sie automatisch gegen Art 11 GrCh, jedenfalls in allen vom Unionsrecht geregelten Bereichen wie bspw. Datenschutz, Verbraucherschutz und audio-visuelle Medien.


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Keine Unterstützung für
- Amtsträger, die sich über europäische wie nationale Grundrechte hinwegsetzen oder dieses in ihrem Verantwortungsbereich bei ihren Mitarbeitern, (m/w/d), dulden;

- Parteien, der Mitglieder sich als Amtsträger über Grundrechte hinwegsetzen und wo die Partei dieses duldet;

- Gegner des Landes Brandenburg wie auch gesamt Europas;

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Aus einem älteren Schlußantrag einer anderen Rechtsache, die zwischenzeitlich im Forum thematisiert worden ist, ohne das dieser Aspekt dort benannt worden wäre, weil er hier besser passt.

EuGH C-73/16 - Steuerrecht - Datenschutz - Grundrecht auf Privatleben
https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,35246.msg213466.html#msg213466

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 30. März 2017(1)
Rechtssache C-73/16

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=189382&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=3293259

Rn. 118
Zitat
Mit der vierten Frage soll geklärt werden, ob ein innerstaatliches Gericht der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union folgen darf, wenn diese der Rechtsprechung des EGMR widerspricht.

Rn. 121
Zitat
Ähnlich hat im Übrigen auch schon der Gerichtshof entschieden, als er angerufen wurde, um die Reichweite der Befugnis bzw. Verpflichtung zur Vorlage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV zu präzisieren.(56) Oftmals enthalten diese Vorabentscheidungsersuchen bereits die konkreten Fragen, deren Beantwortung zur Entscheidung des jeweiligen Ausgangsstreits erforderlich ist. Gleichwohl antwortet der Gerichtshof auch auf die allgemeinere Frage nach Art. 267 AEUV. Andernfalls wäre es nämlich sehr unwahrscheinlich, dass der Gerichtshof Gelegenheit bekäme, sich zu solchen Fragen zu äußern. Und zugleich wäre zu befürchten, dass innerstaatliche Gerichte über ihre Befugnis oder Verpflichtung zur Inanspruchnahme des Vorabentscheidungsersuchens im Ungewissen blieben und ihnen daher vermeidbare Fehler bei der Anwendung des Unionsrechts unterlaufen würden.

Rn. 122
Zitat
Was die umformulierte Vorlagefrage angeht, so besagt Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta, dass die Rechte der Charta, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird. Nach den Erläuterungen zu dieser Bestimmung werden die Bedeutung und Tragweite der garantierten Rechte nicht nur durch den Wortlaut der EMRK, sondern u. a. auch durch die Rechtsprechung des EGMR bestimmt.(57). Art. 52 Abs. 3 Satz 2 der Charta lässt es jedoch zu, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.

Rn. 123
Zitat
Folglich erlaubt das Unionsrecht dem Gerichtshof nur insoweit eine Abweichung von der Rechtsprechung des EGMR, als Ersterer bestimmten Grundrechten einen weiter reichenden Schutz zuschreibt als Letzterer. Und auch diese Abweichung ist nur zulässig, falls sie nicht gleichzeitig dazu führt, dass ein anderes Grundrecht der Charta, das einem Recht der EMRK entspricht, einen geringeren Schutz erfährt als in der Rechtsprechung des EGMR. Man denke etwa an Fälle, in denen ein Ausgleich zwischen bestimmten Grundrechten hergestellt werden muss.(58)

Rn. 124
Zitat
Wenn sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein zulässiger weiter reichender Grundrechtsschutz ergibt, verpflichtet der Vorrang des Unionsrechts die innerstaatlichen Gerichte, im Anwendungsbereich des Unionrechts der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu folgen und diesen Schutz zu gewähren.

Rn. 125
Zitat
Gelangt das innerstaatliche Gericht allerdings zu der Auffassung, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Hinblick auf ein bestimmtes Grundrecht, das sowohl in der Charta als auch in der EMRK niedergelegt ist, einen geringeren Schutz gewährt als die Rechtsprechung des EGMR, so folgt daraus zwangsläufig eine Frage zur Auslegung des Unionsrechts, nämlich im Hinblick auf das betroffene Grundrecht und Art. 52 Abs. 3 der Charta. Denn diese Auffassung des innerstaatlichen Gerichts liefe darauf hinaus, dass die Auslegung des fraglichen Grundrechts durch den Gerichtshof im Widerspruch zu Art. 52 Abs. 3 stehen würde.
Würde das nationale Gericht zur Auffassung gelangen, daß die EMRK im konkreten Fall einen höheren Grundrechtsschutz gewähren würde, als die Grundrechtecharta der EU, besteht Vorlagepflicht an den EuGH; das ist dann also keine Kann-Bestimmung mehr.

Rn. 126
Zitat
Soweit eine solche Frage für die Entscheidung eines bei dem innerstaatlichen Gericht anhängigen Rechtsstreits erheblich ist, kann es den Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zur Entscheidung dieser Frage anrufen. Wenn die Entscheidung des innerstaatlichen Gerichts nicht mehr mit Rechtsmitteln angreifbar ist, ist es gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV sogar verpflichtet, den Gerichtshof anzurufen.


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Hier hat es inzwischen die Entscheidung des Gerichtshofes.

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
12. Mai 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen – Art. 54 – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 50 – Verbot der Doppelbestrafung – Art. 21 AEUV – Freizügigkeit – Von Interpol herausgegebene Red Notice – Richtlinie (EU) 2016/680 – Rechtmäßigkeit der Verarbeitung von personenbezogenen Daten, die in einer von Interpol herausgegebenen Red Notice enthalten sind“

In der Rechtssache C-505/19

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=241169&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=3602362

Die Aussagen des Generalanwaltes werden indirekt bestätigt, allerdings nicht so direkt, wie im Schlußantrag formuliert, da sich der EuGH hier nur zum konkreten Fall äußert.

Rn. 78
Zitat
Zum Kontext von Art. 54 SDÜ ist festzustellen, dass nach Art. 50 der Charta, in dem das Verbot der Doppelbestrafung auf der Ebene der Grundrechte der Union verankert ist, niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden darf. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ergibt sich aus dieser Vorschrift, dass das Verbot der Doppelbestrafung eine Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen, die strafrechtlicher Natur im Sinne dieses Artikels sind, gegenüber derselben Person wegen derselben Tat verbietet (Urteil vom 20. März 2018, Garlsson Real Estate u. a., C-537/16, EU:C:2018:193, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Rn. 100
Zitat
Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung mangels einer unionsrechtlichen Regelung der Auslieferung von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten an einen Drittstaat zwar für den Erlass entsprechender Regelungen zuständig bleiben, doch müssen sie bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Unionsrecht und insbesondere die durch Art. 21 Abs. 1 AEUV gewährleistete Freiheit beachten, sich in den Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. November 2018, Raugevicius, C-247/17, EU:C:2018:898, Rn. 45, und vom 2. April 2020, Ruska Federacija, C-897/19 PPU, EU:C:2020:262, Rn. 48).


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Nachtrag zu Fußnote 36 des Schlußantrages zu dieser Entscheidung.

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
3. September 2008(*)

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) – Restriktive Maßnahmen gegen Personen und Organisationen, die mit Osama bin Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen – Vereinte Nationen – Sicherheitsrat – Resolutionen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen – Umsetzung in der Gemeinschaft – Gemeinsamer Standpunkt 2002/402/GASP – Verordnung (EG) Nr. 881/2002 – Maßnahmen gegen Personen und Organisationen, die in einer von einem Organ der Vereinten Nationen erstellten Liste eingetragen sind – Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen – Durch Ziff. 6 der Resolution 1267 (1999) des Sicherheitsrats geschaffener Ausschuss des Sicherheitsrats (Sanktionsausschuss) – Aufnahme der betreffenden Personen und Organisationen in Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 – Nichtigkeitsklage – Zuständigkeit der Gemeinschaft – Art. 60 EG, 301 EG und 308 EG als gemeinsame Rechtsgrundlage – Grundrechte – Recht auf Achtung des Eigentums, Anspruch auf rechtliches Gehör und Recht auf effektive gerichtliche Kontrolle“

In den verbundenen Rechtssachen C-402/05 P und C-415/05 P

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=67611&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=688756

Zitat
307    Wäre Art. 300 Abs. 7 EG auf die UN-Charta anwendbar, hätte diese danach Vorrang vor den Bestimmungen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a., C-308/06, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

308    Dieser Vorrang auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts würde sich jedoch nicht auf das Primärrecht und insbesondere die allgemeinen Grundsätze – zu denen die Grundrechte gehören – erstrecken.
Selbst die Bestimmungen der UN-Charta haben keinen Vorrang vor Primärrecht und Grundrecht der Union und damit auch das übrige Völkerrecht nicht.


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