Seit dem 14.12.2019 liegt dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde zu der Frage vor, ob ein nordrhein-westfälisches Gericht (in diesem Fall das Sozialgericht Düsseldorf) ein Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aussetzen oder die Frage, ob ein Gericht in NRW unabhängig im Sinne von Art. 47 GrCH ist, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen muß.
Das Aktenzeichen lautet: 1 BvR 2771/19
Über die Annahme hat das Gericht noch nicht entschieden.
Nachfolgend wird der Text der Verfassungsbeschwerde zur Verfügung gestellt, soweit er sich auf das Verfahren C-272/19 bezieht. Die Auslassungen sind durch ... gekennzeichnet. In der Hauptsache richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101Abs. 1 GG (gesetzlicher Richter), weil die ehrenamtlichen Richter am Sozialgericht den Streitstoff nur durch eine wertende Zusammenfassung des Berufsrichters zu Beginn der Verhandlung erfahren, nicht aber durch eigene Einsichtnahme in die Streitakte.
Diese Rechtsfrage hat zwar grundsätzliche Bedeutung für alle Gerichte, an denen ehrenamtliche Richter mitwirken, also auch für Verwaltungsgerichte, solange nicht der Einzelrichter entscheidet. Dies würde aber hier vom eigentlichen Thema wegführen, so daß die entsprechenden Ausführungen aus dem Beschwerdetext entfernt wurden.
Bundesverfassungsgericht
Schloßbezirk 3
76131 Karlsruhe
VERFASSUNGSBESCHWERDE
des
(Beschwerdeführer)
gegen
den Beschluß des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.09.2019, Az.
den Beschluß des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen v. 07.11.2019, Az.
Der Beschwerdeführer beantragt
1. den Beschluß des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.09.2019, Az. , aufzuheben
2. einstweilig anzuordnen, daß das Sozialgericht Düsseldorf den unter dem Az. geführten Rechtsstreit bis zu einer Entscheidung über diese Verfassungsbeschwerde gem. § 114 SGG auszusetzen hat
3. dem Land Nordrhein-Westfalen die Erstattung der notwendigen Kosten des Beschwerdeführers aufzuerlegen
Der Beschwerdeführer begehrt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Aufhebung des am 25.09.2019 ergangenen Beschlusses des Sozialgerichts Düsseldorf, Az. , mit dem der Antrag des Beschwerdeführers auf Ablehnung der ehrenamtlichen Richter und der Berufsrichterin wegen der Besorgnis der Befangenheit in dem Rechtsstreit (Aktenzeichen) zurückgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer ist durch diesen Beschluß in seinem Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG), auf das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) und auf die Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
Gründe:
I. Sachverhalt
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Des weiteren beantragte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz v. 20.09.2019 (Anlage 2), sowohl das Hauptsacheverfahren als auch das Ablehnungsverfahren bis zu einer Entscheidung des EUGH in der Rechtssache C?272/19 auszusetzen, da erhebliche Zweifel bestehen , ob die Gerichte in NRW, und damit auch das SG Düsseldorf, unabhängige und unparteiische Gerichte i.S.v. Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCH) sind. Der der Rechtssache C?272/19 zugrundeliegende Sachverhalt ist eine Vorlage des VG Wiesbaden (Beschluß v. 28.03.2019, Az.: 6 K 1016/15.WI), in der die institutionelle Unabhängigkeit der Gerichte des Landes Hessen in Zweifel gezogen wird. Die vom VG Wiesbaden vorgetragenen Tatsachen treffen weitestgehend auch auf die Gerichte im Land Nordrhein-Westfalen, und damit auch auf das SG Düsseldorf zu.
Zudem beantragte der Beschwerdeführer, dem EuGH die Frage „Handelt es sich bei dem SG Düsseldorf um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV i.V.m. Art. 47 Abs. 2 CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION (GrCH) ?“ zur Vorabentscheidung vorzulegen und das Verfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH gem. § 114 Abs. 2 SGG auszusetzen (s. Anlage 2).
Das SG Düsseldorf hat am 25.09.2019 durch Beschluß des Vorsitzenden Richters der 19. Kammer den Ablehnungsantrag als unbegründet zurückgewiesen.
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Das Gericht sah auch keinerlei Veranlassung, die Entscheidung des EuGH in dem Vorabentscheidungsersuchen eines hessischen Gerichts (C-272/19) abzuwarten, da das Gericht im Gegensatz zum Beschwerdeführer die Unabhängigkeit der nordrhein-westfälischen Gerichte und damit auch des Sozialgerichts Düsseldorf nichtbezweifeln würde.
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Der Beschwerdeführer hat gegen den o. a. Beschluß des SG Düsseldorf am 27.10.2019 Beschwerde beim LSG Nordrhein-Westfalen erhoben.
Diese Beschwerde wurde mit Beschluß vom 07.11.2019 (Az. ) als unzulässig verworfen, so daß der Rechtsweg damit erschöpft und die Verfassungsbeschwerde einzureichen war.
II. Annahme der Verfassungsbeschwerde
Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, da ihr gem. § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt.
Sie ist auch anzunehmen, weil dies gem. § 93a Abs. 2, Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Artikel 3 Abs. 1 GG und des grundrechtsgleichen Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 und 103 Abs. 1 GG angezeigt ist.
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1. Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG)
1.1.durch • • •
1.2. durch • • •
1.3. durch Verweigerung der Vorlage an den EUGH
Das SG Düsseldorf verletzt den Rechtsgrundsatz "Nemo iudex in sua causa", indem es selbst seine eigene Unabhängigkeit im Sinne des Art. 47 Abs. 2 GRCh feststellt. Das SG Düsseldorf ist nicht der gesetzliche Richter für die Entscheidung über die Frage der institutionellen Unabhängigkeit des Gerichts nach Maßgabe von Art. 47 Abs. 2 GRCh. Es verletzt mit dieser Entscheidung also auch den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 101 Abs. 1 GG.
Eine dem Art. 47 Abs. 2 GRCh genügende Unabhängigkeit des Gerichts erfordert die Unabhängigkeit der gesamten Institution der Gerichtsbarkeit und nicht nur die Unabhängigkeit der Person des Richters. Wie in dem Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 20.09.2019 dargelegt, steht in Deutschland die Institution des Gerichts aber unter der Kontrolle des Landesjustizministeriums. Damit steht die Rechtsprechung, auch im Widerspruch zu Art. 20 Abs. 2 GG, nicht unabhängig neben der vollziehenden Gewalt, sondern ist dieser tatsächlich untergeordnet. Damit ist nach diesseitiger Auffassung das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung verletzt.
Bei Zweifelsfragen über die Anwendung und Auslegung von Unionsrecht haben die Fachgerichte diese zunächst dem EuGH vorzulegen. Dieser ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 73, 339 <366 f.>; 82, 159 <192>; 126, 286 <315>; 128, 157 <186 f.>; 129, 78 <105>; 135, 155 <230 Rn. 177>; stRspr). Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen (vgl. BVerfGE 82, 159 <192 f.>; 128, 157 <187>; 129, 78 <105>; 135, 155 <230 f. Rn. 177>; stRspr). Kommt ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur Anrufung im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nach oder stellt es ein Vorabentscheidungsersuchen, obwohl eine Zuständigkeit des EuGH nicht gegeben ist (vgl. BVerfGE 133, 277 <316 Rn. 91>), kann dem Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsrechtsstreits der gesetzliche Richter entzogen sein (vgl. BVerfGE 73, 339 <366 ff.>; 126, 286 <315>; 135, 155 <231 Rn. 177>).
Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird offensichtlich unhaltbar gehandhabt, wenn ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt und das Unionsrecht somit eigenständig fortbildet (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht). Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewußt von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewußtes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt schließlich zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit (Unvollständigkeit der Rechtsprechung), wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Fachgerichte das Vorliegen eines „acte clair“ oder eines „acte éclairé“ willkürlich bejahen (zu den drei Fallgruppen vgl. BVerfGE 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <316 f.>; 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <106 f.>). [BVerfG, Beschluß der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Februar 2017 - 2 BvR 63/15 - Rn. 1 - 13]
Das SG Düsseldorf ist in dem dieser Verfassungsbeschwerde zugrundeliegenden Ablehnungsverfahren gem. § 172 Abs. 2 SGG das letztinstanzliche Fachgericht. Es hat daher nach den gem. § 31 BVerfGG bindenden Vorgaben des BVerfG die aufgeworfene entscheidungserhebliche unionsrechtliche Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Das SG Düsseldorf darf, dem Rechtsgrundsatz "Nemo iudex in sua causa" folgend, nicht selbst in dieser Frage urteilen.
Indem das SG Düsseldorf in dem mit dieser Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluß selbst über seine eigene institutionelle Unabhängigkeit im Sinne von Art. 47 GrCH entschieden hat, hat es dem Beschwerdeführer den gesetzlichen Richter entzogen und den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.
Damit gibt es für alle, die unter Verweis auf C-272/19 die Aussetzung des Verfahrens beantragt haben, ein konkretes Verfahren beim BVerfG, mit dem eine Entscheidung über die Pflicht zur Aussetzung angestrebt wird. Hierauf kann man sich unter Angabe des Az. berufen und die Aussetzung der Entscheidung über den Aussetzungsantrag beantragen, da das BVerfG ein für das jeweilige anhängige Verfahren entscheidungserhebliches Rechtsverhältnis vorab zu klären hat.