"Beitragsservice" (vormals GEZ) > Alternativen zum ÖR-Rundfunk und dessen Finanzierung
No-Billag/Schweiz > Was können wir aus der Initiative/Abstimmung lernen?
jasonbourne:
Werte Mitstreiter,
die Schweizer haben gestern mit 70% zu 30% für die Beibehaltung des Schweizer ÖRR gestimmt.
Aus dieser Abstimmung lassen sich viele Schlüsse ziehen, die in unserem Kampf hilfreich sind.
Es freut mich wenn eine lebhafte Diskussion entsteht, und wenn am Ende ein paar grundlagen rauskommen die hilfreich sind, wäre es eine sensation.
1) Die ÖRR - Fuzis in Deutschland (man verzeihe mir die Wortwahl, *** hätte es besser getroffen war mir aber dann doch zu abwertend) werten die Abstimmung als starkes Signal auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland. Dem muss man einige Dinge entgegnen:
a) Es zeigt das Demokratieverständnis mancher Menschen, wenn sie Ergebnise von Abstimmungen ungefragt übertragen. Die Situation in der Schweiz ist eine deutlich andere als in Deutschland, die private Medienlandschaft wesentlich dünner und die Lage aufgrund der Vielsprachigkeit eine gänzlich andere. Bevölkerungsgruppen wie die räto-romanisch sprechenden hätten wohl bei einer Abschaffung des Schweizer ÖRR erst einmal kein Medium ihrer Sprache mehr gehabt. Des weiteren ist die Schweiz ein deutlich konservativeres Land als Deutschland.
b) Trotz enormer Mobilisierung der ÖRR in der Schweiz haben 30% für die Abschaffung gestimmt - ein starkes Signal, besonders wenn man a) betrachtet. Der ÖRR hat - getragen von vielen in der Öffentlichkeit stehenden Personen - eine enorme Kampagne gegen die "no Billag" Initative und ihre Initatoren gefahren, unter zuhilfenahme aller Register. 30% sind daher eine erstaunlich hohe Anzahl, zumal es in keinen Umfragen jemals zur Annahme der Initative gereicht hat. Teilweise stand die Initative vor der Kampange des ÖRR bei 40% - das zeigt wie breit die Wiederstandsfront gegen eine Zwangsfinanzierung ist.
2) Die No Billag Initative hatte keine Alternative für den ÖRR! Das war ein Fehler.
Es ermöglichte dem ÖRR, eine Kampagne zu fahren und die Angstkarte vor der Abschaffung zu spielen. Es gab keine Alternative, sondern eine No Bilag hätte umgehend zu einem Zusammenbruch des ÖRR geführt.
Das gab der Initative das Label "aufrührerisch" "destruktiv" - und dem ÖRR die einfache Möglichkeit emotional zu polemisieren.
Es braucht also eine vernünftige Alternative aus unseren Reihen, mit einer Perspektive für den ÖRR nach dem Zwangsbeitrag.
3) Radikalität
Analog zu 2. war No Bilag sehr radikal - Abschaffung und fertig. Mit radikalen Positionen lässt sich in einer Demokratie nicht gewinnen. Für eine moderatere Initiative "Abschaffung des Beitrags" wäre eine höhere Zustimmung möglich gewesen, für eine Reform mit einer Ausstiegsmöglichkeit ohne Zwangsfinanzierung vlt. sogar eine Mehrheit. So gab es die Möglichkeit, die Karte "Angst vor einer gravierenden Änderung" zu spielen und die Initative in die rechte Ecke zu stellen. Durch diese Radikalität kam es auch zu keiner wirklichen Diskussion, was denn eigentlich zu finanzieren ist. Eine Sachdiskussion blieb weitestgehend aus - dabei hätte diese wohl die meisten und besten Argumente für no bilag geliefert.
Wir sollten das vermeiden, in dem es eine klare Fokussierung auf Sachfragen gibt und radikale Positionen vermeiden.
4) Erfolg trotz Niederlage
Die Gegner des ÖRR mögen eine Niederlage erlitten haben, aber die hohen Herren in ihren Sendertürmen hatten, Verzeihung, den Arsch auf dem Grundeis.
Eine Reformankündigung des Schweizer ÖRR gab es umgehend nach der Abstimmung - vorher konnte man ja auch schlecht zugeben das die Initiative zwar sehr radikal war, aber auf jeden Fall einen guten Grund hatte. Der Schweizer Beitrag soll um 1/3 sinken, zahlreiche weitere Ankündigungen wurden gemacht.
Was auch immer passiert, die hohen Tiere von ARD, ZDF und Co. sind nicht sicher mit ihren 400k € Gehalt & Pension.
Es ist möglich, den Elfenbeinturm zum Wanken zu bringen, und selbst wenn man eine Schlappe erleidet zwingt eine Aktion wie No billag den Gegner zu erheblichen Bewegungen.
5) Ausstieg aus dem Zwangsbeitrag
Die Früchte hängen für uns in Deutschland wesentlich tiefer als die, die sich No Billag zum pflücken ausgesucht hat.
Es muss nur irgendwie der Zwangsbeitrag fallen. Ob via rechtlichen oder politischen weg ist dabei nicht von Belang: Sobald es (wieder) einen Weg um den Zwangsbeitrag herum gibt, wird mit den Füßen abgestimmt. Und dann fällt es schon von alleine.
Sollte der rechliche Weg scheitern, so ist nichts verloren, denn man kann immer noch politisch einen Weg finden.
Es hatte einen Grund, warum der ÖRR seine Finazierung auf die Wohung umstellen wollte - er hatte zuviele Nichtnutzer und Nichtzahler. Sobald es wieder einen Weg gibt, nicht zahlen zu müssen ohne vor einem komplexen Rechtsstreit zu stehen den die Gerichte abschmettern und der teilweise im Gefängnis bzw. im Offenbahrungseid endet, erledigt sich das von alleine.
Nebenbei klingt "gegen den Zwangsbeitrag" deutlich besser als "ARD ZDF abschaffen" - mit letzterem erschreckt man Omas und gibt dem "zurück in die Nazi-Zeit" auftrieb, mit ersterem bleibt man an der Sache. Und da ist klar: Die besseren Sachargumente, die haben wir.
Ich freue mich auf eure Beiträge!
Gesammelte Link-Auswahl zu diesem Thema:
Die Schweiz streitet über die Halbierung der Rundfunkgebühren (08/2023)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=37440.0
Schweizer zieht wegen Rundfunkgebühren vor Gerichtshof für Menschenrechte (01/2023)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=36904.0
Ja zur Billag: Rundfunk in der Schweiz (08/2018)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=28372.0
No-Billag/Schweiz > Was können wir aus der Initiative/Abstimmung lernen?
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=26657.0
https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,26657.msg167654.html#msg167654
So reagieren ARD und ZDF auf die Schweizer Abstimmung zur Rundfunkgebühr (03/2018)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=26666.0
Kommentar zu NoBillag: Ein trügerischer Sieg (03/2018)
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NoBillag: Liebe GEZ-Gegner – mobilisiert Eure Leute in der Schweiz! (02/2018)
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SRG: Teurer Abstimmungskampf mit Billaggeldern? (02/2018)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=26265.0
Schweiz: NoBillag - Zahlen und Fakten rund um die Radio- und Fernsehgebühren (01/2018)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=25877.0
Schweiz: Bundesrat will No-Billag-Initiative Wind aus den Segeln nehmen (10/2017)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=24955.0
brverweigerer:
Das sehe ich weitestgehend genauso.
--- Zitat ---Die ÖRR - Fuzis [...] werten die Abstimmung als starkes Signal auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland. Dem muss man einige Dinge entgegnen:
--- Ende Zitat ---
Hier würde ich noch hinzufügen, dass die Schweiz ein wesentlich kleineres Land als Deutschland ist, und das Argument "Lässt sich nicht am Markt finanzieren" deswegen vielleicht für viele Leute plausibel klang. Dazu die intensive Propaganda der Befürworter, dass es um eine "Abschaffung" des SRF ginge, und dann nur noch "Berlusconi-Medien" aus dem Ausland zu empfangen wären, mag auch zu einem gewissen Teil zum Ergebnis beigetragen haben.
Das ist in Deutschland definitiv kein Argument, und sollte auch klar so benannt werden. Es gibt keine sprachlichen Minderheiten/unterschiedlichen Gruppen, die nur mit staatlichen Medien zu versorgen wären, und bei ca. 80 Mio. Einwohnern ist auch angesichts der Skaleneffekte bei der Verbreitung von Rundfunk eine (angemessene) Finanzierung auf freiwilliger Basis kein Problem.
Ein genereller Punkt erscheint mir noch wichtig: In der (auch seitens der Zwangsfunker immer wieder betonten) Geschichte des ÖRR gab es bis vor wenigen Jahren keinen Anspruch, dass es sich beider Veranstaltung von Rundfunk um eine solidarische Dienstleistung im Sinne öffentlicher Daseinsvorsorge handeln würde. Zu Zeiten, als mein Opa noch auf dem Schwarzweißfernseher die Tagesschau und am Wochenende anschließend die Sportschau oder Karl Moik geguckt hat, war es so, dass keineswegs jeder einen Fernseher hatte, und sich das nur derjenige leisten konnte, der über ein entsprechende Einkommen verfügte. Aus Erzählungen weiß ich, dass sich meine Großeltern anfangs zum gemeinsamen Schauen einer Fernsehsendung mit den Nachbarn verabredet haben, in der Wohnung der Familie, die sich dank des Wirtschaftswunders schon einen VW Käfer, eine Waschmaschine und einen Fernseher leisten konnte.
Damals war die Anschaffung eines Rundfunkgerätes (und die damit einhergehende Zahlungspflicht für Rundfunkgebühren) eine freiwillige Sache, die (bei wesentlich schlechterer allgemeiner Verfügbarkeit von Informationen) keineswegs als "lebensnotwendig" für die Demokratie angesehen wurde, sondern als ein komfortables Unterhaltungs- und Informationsangebot für diejenigen, die es sich leisten konnten und wollten. Wer lieber Zeitung gelesen hat oder sein Gehalt für politische Debatten in der Kneipe ausgeben wollte, wurde deswegen nicht als unsolidarischer Egoist verunglimpft, der sich nicht um die Belange seiner Mitmenschen sorgt und deswegen nicht den Rundfunk mitbezahlen möchte.
Es ist auch aus diesem Blickwinkel völlig absurd, dass der Rundfunk heutzutage wieder als unverzichtbare Kultur-, Volksbildungs- und Demokratieinstitution hochgejubelt wird, ohne die sich die Bürger nicht sachgerecht und vollständig informieren, bilden und hochwertig unterhalten könnten. Dieses Argument gab es zur Zeit der Einführung des ÖRR und noch bis vor wenigen Jahren überhaupt nicht, und ist auch daher leicht zu widerlegen.
Es handelt sich bei den Argumenten "Solidarität" und "Säule der Demokratie" vielmehr um eine völlig neue Erfindung, die vor einigen Jahren aufgekommen ist um dem infolge technologischen Fortschritts obsolet gewordenen System eine andere Begründung zu verpassen und es so krampfhaft am Leben zu erhalten.
jasonbourne:
@brverweigerer
Ein sehr guter Punkt!
Der ÖRR versucht immer sich selbst als staatstragend darzustellen, ist davon aber weit entfernt.
Der ÖRR ist keine Grundfeste der Demokratie und auch nicht deren Bewahrer.
Es gibt genauso eine Demokratie mit privaten Medien, und eine Verkleinerung oder Abschaffung der ÖRR würde vermutlich zu mehr und nicht weniger Qualität in den Medien führen.
Alleine, dass sich der ÖRR so stilisieren muss, zeigt, dass er ein Legitimationsproblem hat.
marx:
Medienvielfalt ist gegeben, wenn möglichst viele und vom Staat unabhängige Medien koexistieren. Die Publikationskosten sinken stetig.
Etwas Spendengeld - schon steht das neue Format.
Für die Vielfaltsicherung brauchen wir die Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr. Der Rundfunk - als lineares Medium - stirbt aus. Er ist unpraktisch und zu teuer.
Vorstellbar ist ÖRR noch in rudimentärer Form - als Parlamentskanal: die "Redebeiträge" sollten eben nicht nur zu Protokoll gegeben werden. Besser noch wäre eine liquide Demokratie, die von solchen Übertragungen profitiert.
sparks:
--- Zitat von: brverweigerer am 05. März 2018, 20:45 ---In der (auch seitens der Zwangsfunker immer wieder betonten) Geschichte des ÖRR gab es bis vor wenigen Jahren keinen Anspruch, dass es sich beider Veranstaltung von Rundfunk um eine solidarische Dienstleistung im Sinne öffentlicher Daseinsvorsorge handeln würde.
--- Ende Zitat ---
Stimmt, das ist eine ganz neue Erfindung, offenbar um im nachhinein diesen Zwangsbeitrag für die Allgemeinheit zu rechtfertigen, möglicherweise auch, um damit die Zahlungsverweigerer kleinzukriegen oder zu diffamieren.
--- Zitat ---Zu Zeiten, als mein Opa noch auf dem Schwarzweißfernseher die Tagesschau und am Wochenende anschließend die Sportschau oder Karl Moik geguckt hat, war es so, dass keineswegs jeder einen Fernseher hatte, und sich das nur derjenige leisten konnte, der über ein entsprechende Einkommen verfügte. Aus Erzählungen weiß ich, dass sich meine Großeltern anfangs zum gemeinsamen Schauen einer Fernsehsendung mit den Nachbarn verabredet haben, in der Wohnung der Familie, die sich dank des Wirtschaftswunders schon einen VW Käfer, eine Waschmaschine und einen Fernseher leisten konnte.
--- Ende Zitat ---
Das kann ich voll bestätigen, habe das selbst so ähnlich erlebt (bin kurz nach dem Krieg großgeworden). Wir sind als Jugendliche manchmal zum Fernsehen ins Kaufhaus gegangen, wo weit und breit die einzigen (s/w) Fernsehgeräte standen. Aber der Reiz des Neuen war schnell verflogen. Je mehr Leute sich Fernseher anschafften, umso mehr litt die Kommunikation darunter. Deswegen habe ich mir auch nie einen Fernseher angeschafft - und doch überlebt. :)
Edit "Bürger" @alle:
Bitte bei aller Breite der Aspekte nicht das Kern-Thema dieses Threads aus den Augen verlieren, welches da lautet
No-Billag/Schweiz > Was können wir aus der Initiative/Abstimmung lernen?
und insbesondere analysieren soll, was wir aus der Initiative/Abstimmung lernen - und damit besser machen können.
Danke für das Verständnis und die Berücksichtigung.
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