In seinem grundlegenden Gutachten zum Rundfunkbeitrag hat Herr Prof. Kirchhof die Abgabe, die auf Wohnungen abzielt, als praxistauglich erklärt.
Ein Gesamtschuldverhältnis der Bewohner gegenüber der Landesrundfunkanstalt wird in dem Gutachten jedoch nirgends erwähnt. Aus gutem Grund?
Verstößt ein Gesamtschuldverhältnis, das einen bunten Haufen Menschen per Gesetz aneinander bindet, deren gemeinsamer Wille offensichtlich nur darin besteht, sich dauerhaft an einem Ort gemeinsam aufzuhalten, nicht gegen den Grundsatz der Vereinigungsfreiheit?
Empfang öffentlich rechtlicher Medien ist jeder natürlichen Person nur individuell mit den eigenen Augen, Gehör und Hirn möglich. Worin unterscheidet sich diese "individuelle Empfangsmöglichkeit" bei Zusammenwohnenden von der von Einzelpersonen, so dass bei Wohngemeinschaften eine "gemeinsame Empfangsmöglichkeit" konstruiert werden kann, die jede der darin enthaltenen natürliche Person gegenüber allein wohnenden natürlichen Personen finanziell privilegiert?
Ich hatte vor einiger Zeit eine E-Mail zum Thema Gesamtschuldnerschaft an das Büro von Herrn Prof. Kirchhof gesendet, die nicht beantwortet wurde. Auf ein gleichlautendes Fax bekam ich die mir bereits bekannte Standartantwort Prof. Kirchhofs. Ein weiteres insistieren auf Antwort wird bis dato ignoriert. Daher hier Fax/ Emails und Antworten öffentlich:
E-Mail vom 28.07.2017 / Fax vom 30.09.2017:
Die Gesamtschuldnerschaft der Wohnungsinhaber im RBStVSehr geehrter Herr Professor Kirchhof!
Ihr Konzept, den Rundfunkbeitrag an die Haushalte anzuknüpfen, wurde vor einigen Jahren von den 16 Landtagen Deutschlands übernommen.
In der praktischen Ausgestaltung des RBStV wurde daher die "Inhaberschaft einer Wohnung" zum Anknüpfungspunkt. Bei mehreren Inhabern einer Wohnung sollen diese dann als Gesamtschuldnerschaft einen Beitrag entrichten.
Dazu habe ich 2 Fragen zum aktuellen RBStV. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir diese, einem interessierten juristischen Laien, beantworten würden.
1) Eine "Inhaberschaft der Wohnung" bedeutet für mich "Wohnen". Der Rundfunkbeitrag ist nicht an Rundfunkkonsum, Gerätebesitz, Wohneigentum oder Miete gebunden. Er verknüpft daher voraussetzungslos das menschliche Grundbedürfnis "Wohnen" mit der Zahlungspflicht. Meinem Gefühl nach ist das nicht möglich. Eine staatliche Zahlungspflicht eines Festbetrages kann nicht an etwas gebunden sein, was man als Mensch nicht oder nicht ohne Schaden an Leib oder Seele lassen kann. Auch wenn man sich "danach" um eine Ermäßigung oder Befreiung bemühen kann.
Hier verletzt die gesetzliche Regelung m.M.n. Menschenrecht.
2) Im § 2 des RBStV wird eine Gesamtschuldnerschaft aus der Personenmehrheit, die eine definierte Wohneinheit bewohnt, definiert. Diese Gesamtschuldnerschaft soll sich nach der Abgabenordnung richten bzw. danach behandelt werden. Mir ist aufgefallen, dass in Ihrem Gutachten von einer gesamtschuldnerischen Ausgestaltung nie die Rede war.
Ist dies nun grundrechtlich zulässig, diese Personenmehrheit in Landesgesetzen zu einer Abgabevereinigung zusammenzufassen?
Dazu:
Im Zivilrecht entstehen Gesamtschuldnerschaften "aus sich selbst heraus". Beispiele: Im Vertragsrecht durch Unterschriften, im Strafrecht durch erkannte Tätergemeinschaft und im Versicherungsrecht durch beteiligte Unfall- oder Schadensverursacher. Im Zivilrecht sind die einzelnen Gesamtschuldner dem oder den Gläubigern einen Ersatz schuldig. Dies ist m.M.n. auch der Grund, warum der/die Gläubiger privilegiert werden, indem sie laut Gesamtschuldnerregelung sich die Gesamtschuld der Einfachheit halber von dem Schuldner holen können, bei dem es am einfachsten geht. Ob dieser nun im Innenverhältnis von den anderen Mitschuldnern einen Ausgleich erhalten kann ist erst einmal zweitrangig. Der/die Gläubiger werden bevorteilt, weil ein Ausgleichsgefälle herrscht. Justitias Waage schlägt zu Gunsten des/der Gläubiger aus.
Im Abgabenrecht besteht erst einmal eine gesetzliche Regelung, die gleichermaßen für alle Bürger gilt. Die Schuldnervereinigung entsteht nicht aus sich selbst heraus. Sie muss erst, ebenfalls im Gesetz, festgelegt werden. Beispiele sind die Ehe, Vereine, GenbR etc. . Trotz allem muss dann noch eine Aufteilung der Gesamtschuld - Stichwort Ehegattensplitting - möglich sein. Da hier GG Art 9 Vereinigungsfreiheit (negativer Art)eingeschränkt wird, ist eine bundesrechtliche Bestimmung der Vereinigung einer "bunten Mischung" Zusammenwohnender unerlässlich. Deweiteren besteht kein Ausgleichsgefälle, da die gesetzliche Anordnung Finanzierungsfunktion, nicht Sühnefunktion hat. Es muss gleichermaßen darauf geachtet werden, dass die Finanzierungsfunktion sichergestellt wird, aber auch, dass Grund- oder Persönlichkeitsrechte der beteiligten Zahlungverpflichteten voll und ganz eingehalten werden.
Es existiert kein Rechtskonstrukt "Wohngemeinschaft". Zudem ist die Wohnung noch ein grundgesetzlich geschützter Raum mit spezieller Handlungsfreiheit. Zusammenwohnende können nicht einfach per Landesgesetz dazu verpflichtet werden, sich für Abgaben zu vereinen. Auf freiwilliger Basis ist dies natürlich möglich und auch wohl im Zusammenleben unerlässlich. Soll man jedoch gesetzlich bestimmte, von aussen aufgetragene Abgabenteilschuld von Mitbewohnern gerichtlich einfordern können, so ist dies bei Wahrung des Hausfriedens unmöglich.
Ein weiterer Gesichtspunkt der rechtswidrigkeit ist die alleinige Bindung einer Zahlungspflicht aufgrund einer örtlichen Übereinstimmung. Wenn eine gemeinsame Zahlungspflicht nur daraus entstehen kann, dann können auch Bewohner ganzer Strassenzüge zur Zahlung bestimmter Abgaben gemeinschaftlich verpflichtet werden. Oder aktuell: Die Schäden einer Großdemonstration sind von den polizeilich registrierten Demonstranten, die sich an dem Ort zu dem Zeitpunkt der Demonstration befanden, gemeinschaftlich zu ersetzen.
Es werden mit der Gesamtschuldnerregelung sowohl die Vereinigungsfreiheit GG, als im Kleinteiligen auch noch andere Persönlichkeitsrechte verletzt, z.B. der Schutz persönlicher Daten.
Über eine Antwort würde ich mich freuen
Hochachtungsvoll und mit freundlichen Grüssen
Antwort E-Mail vom 06.10.2017:
Ihre Anfrage zum Thema RundfunkgebührenSehr geehrter Herr ...,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die Sie uns erneut per Fax zugesendet haben – über den Verbleib Ihrer E-Mail ist uns leider nichts bekannt. Da wir sehr häufig Anfragen zum Thema Rundfunkgebühr erhalten, bitten wir um Ihr Verständnis, dass wir Ihnen hiermit eine allgemeine Stellungnahme von Herrn Professor Kirchhof zum Thema „Gutachten zur Rundfunkgebühr“ weiterleiten, die – dies ist uns bewusst – Ihre Fragen nicht im Detail beantworten kann:
Für Ihren Brief, in dem Sie die Probleme der Rundfunkfinanzierung ansprechen, danke ich Ihnen sehr. Ich habe mich in meinem Gutachten für die Erneuerung des Rundfunkbeitrags eingesetzt. Die alte Abgabe knüpfte an den Besitz eines Gerätes an. Das bedeutete für die moderne Zeit, dass ein Haushalt mit vielen Geräten – angefangen beim Radiowecker über den Laptop bis zum Autoradio – viele Rundfunkbeiträge hätte bezahlen müssen. Das wäre unangemessen gewesen.
Deshalb habe ich vorgeschlagen, den Beitrag nicht an das Gerät, sondern an den Haushalt anzuknüpfen. Dieses ist nach dem gegenwärtigen Stand der Technik sachgerechter. Ich habe mich gefreut, dass die 16 Landtage, die über diesen Beitrag entscheiden, dieses Konzept übernommen haben.
Allerdings entsprechen nicht alle Einzelheiten meinem Vorschlag. Das gilt insbesondere für den Wegfall der Rundfunkwerbung, für die Behandlung der Zweitwohnungen und der Studenten, für den Ausnahmefall eines Haushalts, bei dem offensichtlich nicht ferngesehen oder auch nicht Radio gehört wird.
Jedes Finanzierungskonzept gibt dem Rundfunk Geld, mit dem er gute oder schlechte Programme machen kann. Deswegen übernimmt derjenige, der die Finanzierung neu strukturiert, naturgemäß keine Verantwortlichkeit für das jeweilige Programm.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Kirchhof
Wir hoffen, Ihnen hiermit weitergeholfen zu haben und verbleiben
mit freundlichen Grüßen
...
- Sekretariat -
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Juristische Fakultät
Forschungsstelle für Staats- und Steuerrecht
Professor Dr. Dres. h. c. Paul Kirchhof
Bundesverfassungsrichter a. D., Seniorprofessor distinctus
Erneute Anfrage vom 08.10.2017
Re: Ihre Anfrage zum Thema RundfunkgebührenSehr geehrte Frau ...!
Vielen Dank für Ihre Antwort. Wie Sie schon erwähnten, beantwortet sie aber leider nicht meine Frage.
Mich würde erstmal nur eine Antwort auf die einfache Frage interessieren, ob die Gesamtschuldnerschaft beim Rundfunkbeitrag überhaupt im Konzept Herrn Professor Kirchhofs vorgesehen war.
Das Modell der Gesamtschuldnerschaft ist ja ein starres, an festgelegte, rechtlich autonome juristische Personen gebundenes. Das Wohnen in einer Wohnung jedoch ist allgemein betrachtet, permanent durch viele Änderungen (z.B. Umzug, Tod, Volljahrigkeit uvm.) des Lebens gekennzeichnet. Dazu kommen die auch veränderlichen Zustände der Befreiungen und Ermäßigungen, die oft zu schwierig zu berechnenden gestörten Gesamtschuldverhältnissen führt. Eine immerwiederkehrende Überprüfung und Änderung des Ist-Zustandes der Gesamtschuldnerschaft ist nötig. Daher wird ein Datenabgleich mit den Einwohnermeldeämtern und Dokumenten zu Befreiungen und Ermäßigungen bis zum Ende dieser Regelung in Intervallen unabdingbar sein um eine sogenannte "Beitragsgerechtigkeit" aufrecht zu erhalten. Der NDR selbst spricht von einer systemimmanenten "schleichenden Erosion" des Beitragszahlerbestandes. Ob das im Sinne der Datensparsamkeit ist, wage ich zu bezweifeln.
Vielleicht könnten Sie ja diese kurze Anfrage weiterleiten...
Mit freundlichen Grüssen
Antwort vom 10.10.2017
AW: Ihre Anfrage zum Thema RundfunkgebührenSehr geehrter Herr ... ,
mit Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, dass Sie mit unserem Schreiben nicht zufrieden sind. Weitergehende Informationen können Sie dem Gutachten entnehmen:
„Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ von Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Kirchhof, ersch. Beim Nomos-Verlag, ISBN 978-3-8329-5838-1.
Mit freundlichen Grüßen
...
Weitere Anfrage vom 10.10.2017:
Re: Ihre Anfrage zum Thema RundfunkgebührenSehr geehrte Frau ...!
Abermals vielen Dank für die schnelle Reaktion auf meine weitere Anfrage.
Sie haben vielleicht übersehen, dass meine erste Anfrage sich nun gerade auf eine fehlende Konstruktion einer Gesamtschuldnerschaft im Gutachten von Herrn Professor Kirchhof bezog.
Oder kann ich vielleicht den Verweis auf das Gutachten daher dahingehend interpretieren, dass Herr Professor Kirchhof bei Erstellung des Gutachtens offen gelassen hat, in welcher Art denn die gemeinschaftliche Zahlungspflicht einer Wohngemeinschaft in der Praxis gestaltet werden soll?
Mit besten Grüssen aus Hamburg
Unbeantwortet...
Weitere Beiträge zum Thema siehe Link-Sammlung unter
[Übersicht] Gesamtschuldnerschaft
https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,29680.0.html
„Eine ewige Erfahrung lehrt jedoch, daß jeder Mensch, der Macht hat, dazu getrieben wird, sie zu mißbrauchen. Er geht immer weiter, bis er an Grenzen stößt. Wer hätte das gedacht: Sogar die Tugend hat Grenzen nötig. Damit die Macht nicht mißbraucht werden kann, ist es nötig, durch die Anordnung der Dinge zu bewirken, daß die Macht die Macht bremse.“ (Montesquieu)