Ein kleiner Versuch der Systematisierung.
1. Derzeitige RechtsgrundlagenEs ist zwischen deutschem und europäischem Recht zu unterscheiden.
1.1. Derzeitige deutsche RechtsgrundlageDie derzeitige deutsche Rechtsgrundlage ist
§ 241a BGB:
http://dejure.org/gesetze/BGB/241a.html
(1) Durch die Lieferung beweglicher Sachen, die nicht auf Grund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft werden (Waren), oder durch die Erbringung sonstiger Leistungen durch einen Unternehmer an den Verbraucher wird ein Anspruch gegen den Verbraucher nicht begründet, wenn der Verbraucher die Waren oder sonstigen Leistungen nicht bestellt hat.
(2) Gesetzliche Ansprüche sind nicht ausgeschlossen, wenn die Leistung nicht für den Empfänger bestimmt war oder in der irrigen Vorstellung einer Bestellung erfolgte und der Empfänger dies erkannt hat oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können.
(3) Von den Regelungen dieser Vorschrift darf nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden. Die Regelungen finden auch Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.
1.2. Derzeitige europäische Rechtsgrundlage (Anküpfungspunkt)Die derzeitige europäische Rechtsgrundlage (Anknüpfungspunkt) ist
Art. 27 RL 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher (sog.
Verbraucherrechte-Richtlinie):
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:304:0064:0088:de:PDF
Werden unter Verstoß gegen Artikel 5 Absatz 5 und Anhang I Nummer 29 der Richtlinie 2005/29/EG unbestellte Waren, Wasser, Gas, Strom, Fernwärme oder digitaler Inhalt geliefert oder unbestellte Dienstleistungen erbracht, so ist der Verbraucher von der Pflicht zur Erbringung der Gegenleistung befreit. In diesen Fällen gilt das Ausbleiben einer Antwort des Verbrauchers auf eine solche unbestellte Lieferung oder Erbringung nicht als Zustimmung.
2. Geschichte der Rechtsgrundlagen§ 241a BGB wurde zuletzt geändert durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie (sog. Verbraucherrechte-Richtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 20.09.2013 - Bundesgesetzblatt Teil I 2013 Nr. 58 27.09.2013 S. 3642 (3643 linke Spalte). Diese Änderung diente der
Umsetzung des Art. 27 i.V.m. Art. 2 Nr. 3 Verbraucherrechte-Richtlinie (vgl. BT-Drs. 17/12637, S. 44 linke Spalte unten):
http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/500/50037.html(Die weitere deutsche Rechtsentwicklung bleibt unbeachtet. Zum einen, weil die alten Fassungen des § 241a BGB keine Gesetzeskraft mehr besitzen. Zum anderen, weil die Änderungen des § 241a BGB stets auf die Entwicklungen im europäischen Recht zurückzuführen sind.)
2.1. Verbraucherrechte-RichtlinieDie Verbraucherrechte-Richtlinie hat gemäß ihres Art. 1 den Zweck, durch Angleichung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verträge, die zwischen Verbrauchern und Unternehmern geschlossen werden, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen und damit zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen. In Bezug auf unbestellte Waren/Dienstleistungen erfolgt eine
Änderung der RL 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken (sog.
UGP-Richtlinie); gemäß dem Erwägungsgrund 60 Verbraucherrechte-Richtlinie erfolgt eine Änderung in Sachen unbestellte Waren/Dienstleistungen insoweit, als dass nunmehr ein vertraglicher Rechtsbehelf geschaffen werden soll, nach welchem der Verbraucher von der Verpflichtung zur Erbringung der Gegenleistung für derartige unbestellte Lieferungen oder Erbringungen befreit ist.
2.2. UGP-RichtlinieDie UGP-Richtlinie hat gemäß ihres Art. 1 den Zweck, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen. Deswegen wurden
durch Art. 15 UGP-Richtlinie der
Art. 9 RL 97/7/EG (sog.
Fernabsatz-Richtlinie I) und der
Art. 9 RL 2002/65/EG (mehr oder weniger
Fernabsatz-Richtlinie II)
geändert (im Sinne einer Angleichung. Vgl. Art. 1 UGP-Richtlinie)
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:149:0022:0039:de:PDFFerner wurde in Nr. 29 des Anhang I UGP-Richtlinie ein Tatbestand einer sog. aggressiven Geschäftspraktik normiert. Gemäß Art. 5 Abs. 5 S. 1 UGP-Richtlinie sind die im Anhang I normierten Geschäftspraktiken unter allen Umständen als unlauter anzusehen; seine Entsprechung findet die Nr. 29 des Anhang I der UGP-Richtlinie i.V.m. Art. 5 Abs. 5 S. 1 UGP-Richtlinie im deutschen Recht in Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. § 3 Abs. 3 UWG.
2.3. Fernabsatz-Richtlinie IDie Fernabsatz-Richtlinie I hat gemäß ihres Art. 1 die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz zwischen Verbrauchern und Lieferern zum Gegenstand. Unbestellte Waren/Dienstleistungen sind im
Art. 9 Fernabsatz-Richtlinie I geregelt:
http://ec.europa.eu/consumers/archive/policy/developments/dist_sell/dist01_de.pdf
Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um
- zu untersagen, daß einem Verbraucher ohne vorherige Bestellung Waren geliefert oder
Dienstleistungen erbracht werden, wenn mit der Warenlieferung oder Dienstleistungserbringung
eine Zahlungsaufforderung verbunden ist;
- den Verbraucher von jedweder Gegenleistung für den Fall zu befreien, daß unbestellte Waren
geliefert oder unbestellte Dienstleistungen erbracht wurden, wobei das Ausbleiben einer
Reaktion nicht als Zustimmung gilt.
2.4. Fernabsatz-Richtlinie IIDie Fernabsatz-Richtlinie II hat gemäß ihres Art. 1 die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher zum Gegenstand. Unaufgeforderte Dienstleistungen (entspricht im Wesentlichen "unbestellte Dienstleistungen") sind im
Art. 9 Fernabsatz-Richtlinie II geregelt:
http://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/ALL/?uri=CELEX:32002L0065
Unbeschadet der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die stillschweigende Verlängerung von Fernabsatzverträgen und soweit danach eine stillschweigende Verlängerung möglich ist, treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um
- die Erbringung von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, die diese nicht angefordert haben, zu untersagen, wenn mit dieser Leistungserbringung eine Aufforderung zur sofortigen oder späteren Zahlung verbunden ist;
- bei Erbringung unaufgefordert erbrachter Leistungen die Verbraucher von jeder Verpflichtung zu befreien; dabei darf das Ausbleiben einer Antwort nicht als Einwilligung gelten.
3. RechtsanwendungDiese Rechtsgrundlagen und deren Geschichte sind bei der Rechtsanwendung zu beachten. Die Geschichte der Rechtsgrundlagen zeigt, dass die Art. 9 beider Fernabsatz-Richtlinien, insb. aber Art. 9 Fernabsatz-Richtlinie I, den Ausgangspunkt des Rechtes der „unbestellten Waren/Dienstleistungen“ bildet; die Fernabsatz-Richlinie II ist gegenüber der Fernabsatz-Richtlinie I insoweit spezieller, als dass Fernabsatz-Richtlinie II sich auf den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, hingegen Fernabsatz-Richtlinie I sich auf den Fernabsatz zwischen Verbrauchern und Lieferern bezieht, vgl. jeweils Art. 1. Durch Art. 31 Verbraucherrechte-RL wurden die Fernabsatz-RL mit Wirkung vom 13. Juni 2014 aufgehoben. Maßgeblich für "unbestellte Waren/Dienstleistungen" ist nunmehr Art. 27 Verbraucherrechte-RL, der sich wiederum auf die UGP-Richtlinie bezieht, die sich ihrerseits auf die Fernabsatz-Richtlinien bezieht (siehe unter 2.2.). Das ist bei der Rechtsanwendung zu beachten.
Sodann sind bei der Rechtsanwendung die
Begriffsbestimmungen/Definitionen der jeweiligen Richtlinien zu beachten (zumeist in Art. 2 der jeweiligen Richtlinien normiert). Hier ist stets der Frage nachzugehen, ob und -- wenn ja -- inwieweit insb. sich die Begriffe „Verbraucher“ und „Lieferer“/„Gewerbetreibender“/„Unternehmer“ von Richtlinie zu Richtlinie geändert haben.
Erst wenn diese Auseinandersetzung stattgefunden hat, kann beurteilt werden, ob bspw. Landesrundfunkanstalten „unbestellte Waren/Dienstleistungen“ im Sinne der dargestellten Rechtsgrundlagen erbringen.