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Autor Thema: EuGH C-52/09 - Art 102 AEUV verbietet Preispolitik mit Verdrängungswirkung  (Gelesen 236 mal)

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Diese Entscheidung befasst sich mit der Tragweite des Art 102 AEUV; die dem Titel zu entnehmende Aussage sei deswegen zuerst zitiert.

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
17. Februar 2011(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Art. 102 AEUV – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Preise eines Telekommunikationsunternehmens – ADSL-Vorleistungsprodukte – Breitbandanschlüsse für Endkunden – Beschneidung der Margen der Wettbewerber oder ‚Kosten-Preis-Schere‘“

In der Rechtssache C-52/09

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=81796&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=3419308

Zitat
Die zu berücksichtigenden Preise

39      Dazu ist zu bemerken, dass der Gerichtshof bereits festgestellt hat, dass Art. 102 AEUV einem beherrschenden Unternehmen u. a. eine Preispolitik verbietet, die für seine gegenwärtigen oder potenziellen ebenso effizienten Wettbewerber eine Verdrängungswirkung entfaltet (vgl. in diesem Sinne Urteil Deutsche Telekom/Kommission, Randnr. 177 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Ein Unternehmen missbraucht seine beherrschende Stellung daher auch dann, wenn es eine Preispolitik verfolgt, durch die Unternehmen vom Markt verdrängt werden sollen, die vielleicht ebenso leistungsfähig sind wie dieses Unternehmen, wegen ihrer geringeren Finanzkraft jedoch nicht dem auf sie ausgeübten Konkurrenzdruck standhalten können (vgl. in diesem Sinne Urteil Deutsche Telekom/Kommission, Randnr. 199).

Zitat
21      Art. 102 AEUV gehört zu den Wettbewerbsregeln im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b AEUV, die für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind.

22      Diese Regeln sollen verhindern, dass der Wettbewerb entgegen dem öffentlichen Interesse und zum Schaden der einzelnen Unternehmen und der Verbraucher verfälscht wird, und sollen damit zum wirtschaftlichen Wohl in der Gemeinschaft beitragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2002, Roquette Frères, C-94/00, Slg. 2002, I-9011, Randnr. 42).

23      Mit der beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV ist somit die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens gemeint, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten (Urteile vom 13. Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, 85/76, Slg. 1979, 461, Randnr. 38, und vom 14. Oktober 2010, Deutsche Telekom/Kommission, C-280/08 P, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 170).

24      Art. 102 AEUV ist somit dahin auszulegen, dass er nicht nur Verhaltensweisen erfasst, durch die den Verbrauchern ein unmittelbarer Schaden erwachsen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. September 2008, Sot. Lélos kai Sia u. a., C-468/06 bis C-478/06, Slg. 2008, I-7139, Randnr. 68, sowie Deutsche Telekom/Kommission, Randnr. 180), sondern auch solche, die sie durch die Beeinträchtigung des Wettbewerbs schädigen. Obwohl Art. 102 AEUV es einem Unternehmen nämlich nicht verbietet, auf einem Markt aus eigener Kraft eine beherrschende Stellung einzunehmen, und insbesondere die Feststellung, dass eine beherrschende Stellung gegeben ist, für sich allein keinen Vorwurf gegenüber dem betreffenden Unternehmen enthält (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. November 1983, Nederlandsche Banden-Industrie-Michelin/Kommission, 322/81, Slg. 1983, 3461, Randnr. 57, sowie vom 16. März 2000, Compagnie maritime belge transports u. a./Kommission, C-395/96 P und C-396/96 P, Slg. 2000, I-1365, Randnr. 37), trägt nach ständiger Rechtsprechung das Unternehmen, das eine solche Stellung innehat, eine besondere Verantwortung dafür, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. April 2009, France Télécom/Kommission, C-202/07 P, Slg. 2009, I-2369, Randnr. 105 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25      Zur Missbräuchlichkeit einer Preispolitik wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ist festzustellen, dass nach Art. 102 Abs. 2 Buchst. a AEUV die unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Preisen ausdrücklich verboten ist.
Ist der Rundfunkbeitrag in seiner Höhe am Markt erzielbar?

Zitat
28      Für die Feststellung, ob das Unternehmen in beherrschender Stellung diese Stellung durch die Anwendung seiner Preispolitik missbräuchlich ausgenutzt hat, sind sämtliche Umstände zu berücksichtigen und es muss untersucht werden, ob diese Verhaltensweise darauf abzielt, die Wahl zwischen mehreren Bezugsquellen unmöglich zu machen oder zu erschweren, den Konkurrenten den Zugang zum Markt zu verwehren, Handelspartnern für gleichwertige Leistungen ungleiche Bedingungen aufzuerlegen oder die beherrschende Stellung durch einen verfälschten Wettbewerb zu stärken (Urteil Deutsche Telekom/Kommission, Randnr. 175 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Erschwert der Rundfunkbeitrag in seiner derzeitigen Höhe die Wahl der Verbraucher*innen, sich andere Informationsmedien, bspw., via Abo, leisten zu können?

Zitat
49      Dazu ist festzustellen, dass Art. 102 AEUV nur für wettbewerbswidrige Verhaltensweisen gilt, die die Unternehmen von sich aus an den Tag legen. Wird den Unternehmen ein wettbewerbswidriges Verhalten durch nationale Rechtsvorschriften vorgeschrieben oder bilden diese einen rechtlichen Rahmen, der jede Möglichkeit für ein Wettbewerbsverhalten der Unternehmen ausschließt, so ist Art. 102 AEUV nicht anwendbar. In einem solchen Fall findet die Wettbewerbsbeschränkung nicht, wie diese Vorschrift voraussetzt, in selbständigen Verhaltensweisen der Unternehmen ihre Ursache (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 11. November 1997, Kommission und Frankreich/Ladbroke Racing, C-359/95 P und C-379/95 P, Slg. 1997, I-6265, Randnr. 33 und die dort zitierte Rechtsprechung).

50      Dagegen ist Art. 102 AEUV anwendbar, wenn sich herausstellt, dass die nationalen Rechtsvorschriften die Möglichkeit eines Wettbewerbs bestehen lassen, der durch selbständige Verhaltensweisen der Unternehmen verhindert, eingeschränkt oder verfälscht werden kann (vgl. Urteil Kommission und Frankreich/Ladbroke Racing, Randnr. 34).
Hier kommen sicherlich Fragen auf, ob die den ÖRR übertragene Selbstverwaltungsbefugnis ausreichend dafür ist, daß Art 102 AEUV dennoch anwendbar ist. Kann der ÖRR sein Marktverhalten selber bestimmen, ist Art 102 AEUV bindend; -> Rn. 52.

Zitat
52      Nach alledem gilt Art. 102 AEUV umso mehr für ein Unternehmen, wenn es sein Marktverhalten völlig eigenständig bestimmen kann.

Zitat
76      Ob die Preispolitik eines Unternehmens in beherrschender Stellung, die eine Verdrängung bewirken kann, wirtschaftlich gerechtfertigt ist, ist anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteil Nederlandsche Banden?Industrie?Michelin/Kommission, Randnr. 73). Dabei ist zu ermitteln, ob die Nachteile der Verdrängungswirkung einer solchen Preispolitik für den Wettbewerb durch Effizienzvorteile ausgeglichen oder sogar übertroffen werden können, die auch dem Verbraucher zugutekommen. Steht die Verdrängungswirkung dieser Politik in keinem Zusammenhang mit Vorteilen für den Markt und die Verbraucher oder geht sie über dasjenige hinaus, was zur Erreichung solcher Vorteile erforderlich ist, so ist diese Politik als missbräuchlich anzusehen (Urteil British Airways/Kommission, Randnr. 86).

Zitat
91      Dazu genügt der Hinweis, dass die Missbräuchlichkeit einer Preispolitik, die auf eine Beschneidung der Margen der Wettbewerber des beherrschenden Unternehmens, die zumindest ebenso effizient sind wie dieses, hinausläuft, im Wesentlichen, wie in Randnr. 32 dieses Urteils festgestellt worden ist, darin zu sehen ist, dass eine solche Politik das normale Spiel der Wettbewerbskräfte auf einem Markt, der dem von dem Unternehmen beherrschten Markt benachbart ist, beeinträchtigen kann, da sie zu einer Verdrängung der Wettbewerber dieses Unternehmens auf dem letztgenannten Markt führen kann.
Werden die Printmedien durch das gegenwärtige System der Preisgestaltung der ÖRR in der Vielfalt ihrer eigenen Angebote auf dem Medienmarkt beeinträchtigt?

Zitat
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die Preispolitik eines vertikal integrierten Unternehmens in beherrschender Stellung auf dem Markt für Vorleistungen für den asymmetrischen digitalen Teilnehmeranschluss, bei der die Differenz zwischen den auf diesem Markt praktizierten Preisen und den auf dem Endkundenmarkt für Breitbanddienste verlangten Preise nicht ausreicht, um die spezifischen Kosten zu decken, die das Unternehmen für den Zugang zum letztgenannten Markt aufwenden muss, kann ein Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV sein, sofern es keine objektive Rechtfertigung dafür gibt.

Im Rahmen der Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer derartigen Politik sind jeweils sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Insbesondere

–        sind grundsätzlich in erster Linie die Preise und Kosten des betreffenden Unternehmens auf dem Endkundenmarkt zu berücksichtigen. Nur wenn in Anbetracht der Umstände eine Bezugnahme auf diese Preise und Kosten nicht möglich ist, sind die Preise und Kosten der Wettbewerber auf eben diesem Markt zu prüfen;

–        ist nachzuweisen, dass diese Politik insbesondere in Anbetracht der Unentbehrlichkeit des Vorleistungsprodukts – zumindest potenziell – eine wettbewerbswidrige Wirkung auf den Endkundenmarkt hat, ohne dass es eine wirtschaftliche Rechtfertigung dafür gibt.

Für eine derartige Beurteilung ist grundsätzlich ohne Bedeutung,

–        dass für das betreffende Unternehmen keine aus einer Regulierungsvorschrift resultierende Verpflichtung zur Erbringung von Vorleistungen für den asymmetrischen digitalen Teilnehmeranschluss auf dem vorgelagerten Markt, auf dem es eine beherrschende Stellung hat, besteht;

–        in welchem Grad dieses Unternehmen den betreffenden Markt beherrscht;

–        dass das genannte Unternehmen nicht auch auf dem Endkundenmarkt für Breitbanddienste eine beherrschende Stellung hat;

–        ob die Kunden, denen gegenüber eine derartige Preispolitik zur Anwendung kommt, neue oder alte Kunden des betreffenden Unternehmens sind;

–        dass das beherrschende Unternehmen keine Möglichkeit hat, etwaige Verluste auszugleichen, die ihm durch eine derartige Preispolitik entstehen können;

–        in welchem Grad die betreffenden Märkte sich entwickelt haben und ob auf diesen Märkten eine neue Technologie zur Anwendung gelangt, die sehr hohe Investitionen erfordert.

Der Vollständigkeit halber:
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
JÀN MAZÁK
vom 2. September 20101(1)
Rechtssache C-52/09

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=78688&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=3405404


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