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Autor Thema: EuGH C-308/19 - Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung  (Gelesen 943 mal)

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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
21. Januar 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Von der nationalen Wettbewerbsbehörde verhängte Sanktionen – Verjährungsfrist – Verjährungsunterbrechende Handlungen – Nationale Regelung, mit der nach der Einleitung einer Untersuchung die Möglichkeit ausgeschlossen wird, dass eine spätere Verfolgungs- oder Ermittlungshandlung die neue Verjährung unterbrechen könnte – Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Art. 25 Abs. 3 – Anwendungsbereich – Art. 4 Abs. 3 EUV – Art. 101 AEUV – Grundsatz der Effektivität“

In der Rechtssache C-308/19

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=236722&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=4086897

Rn. 30
Zitat
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass zwar bestimmte Rechtsakte des Sekundärrechts der Union wie die Rahmenbeschlüsse und – unter bestimmten Bedingungen – die Richtlinien keine unmittelbare Wirkung haben, doch ihr zwingender Charakter für die nationalen Gerichte eine Verpflichtung zu unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts zur Folge hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. November 1990, Marleasing, C-106/89, EU:C:1990:395, Rn. 6 und 8, sowie vom 8. November 2016, Ognyanov, C-554/14, EU:C:2016:835, Rn. 58).

Rn. 31
Zitat
Eine Verordnung der Union gilt hingegen nach Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Nach ständiger Rechtsprechung ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, in Anwendung des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den Einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Unionsnorm ergangen ist, unangewendet lässt (Urteil vom 8. September 2010, Winner Wetten, C-409/06, EU:C:2010:503, Rn. 55).

Rn. 47
Zitat
Zudem sind die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, durch ihre nationalen Rechtsvorschriften nicht die uneingeschränkte und einheitliche Anwendung des Unionsrechts zu beeinträchtigen und keine Maßnahmen zu ergreifen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln ausschalten könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 1992, Batista Morais, C-60/91, EU:C:1992:140, Rn. 11 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Rn. 52
Zitat
Daher muss eine nationale Regelung, die den Zeitpunkt, zu dem die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, deren Dauer und die Modalitäten ihrer Hemmung oder Unterbrechung festlegt, den wettbewerbsrechtlichen Besonderheiten und den Zielen der Umsetzung der Wettbewerbsvorschriften durch die betroffenen Personen angepasst sein, um nicht der vollen Wirksamkeit der Wettbewerbsvorschriften der Union zu schaden (vgl. entsprechend Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C-637/17, EU:C:2019:263, Rn. 47).

Rn. 61
Zitat
Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts, wonach es dem nationalen Gericht obliegt, das nationale Recht so weit wie möglich in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht auszulegen, ist dem System der Verträge immanent, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C-585/18, C-624/18 und C-625/18, EU:C:2019:982, Rn. 159).

Rn. 62
Zitat
Allerdings unterliegt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts bestimmten Schranken. So findet die Verpflichtung des nationalen Gerichts, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, einschließlich des Grundsatzes der Rechtssicherheit, und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 2016, Pöpperl, C-187/15, EU:C:2016:550, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Rn. 63
Zitat
Die Frage, ob eine nationale Vorschrift wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht unangewendet bleiben muss, stellt sich nur, wenn sie nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden kann (Urteil vom 7. August 2018, Smith, C-122/17, EU:C:2018:631, Rn. 41).

Auszüge aus dem Schlußantrag des Generalanwaltes

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
GIOVANNI PITRUZZELLA
vom 3. September 2020(1)
Rechtssache C-308/19


http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=230617&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=4086897

Zitat
B.      Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten und Grundsatz der Effektivitätkartellrechtlicher Maßnahmen

45.      Bei der Beurteilung, ob eine Rechtsvorschrift wie die zum maßgeblichen Zeitpunkt geltende rumänische (eng ausgelegt, wie es das Berufungsgericht getan hat) mit dem Unionsrecht vereinbar ist, ist von der Annahme auszugehen, dass kartellrechtliche Maßnahmen sowohl dann effektiv sein müssen, wenn sie in die Zuständigkeit der Kommission fallen, als auch dann, wenn sie in die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden fallen.

46.      Die Mitgliedstaaten „[bestimmen nämlich] die für die Anwendung der Art. 101 AEUV und 102 AEUV zuständige(n) Wettbewerbsbehörde(n) … so …, dass die Bestimmungen dieser Verordnung wirksam angewandt werden. Nach dieser müssen die so bestimmten Behörden die wirksame Anwendung der genannten Artikel im öffentlichen Interesse sicherstellen (vgl. Erwägungsgründe 5, 6, 8, 34 und 35 der Verordnung)“(11).

48.      Dieser Rechtssatz jedoch, nach der ständigen Rechtsprechung  des Gerichtshofs, „[muss] mit den Erfordernissen der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Einklang gebracht werden …, die notwendig ist, um zu vermeiden, dass die Wirtschaftsteilnehmer ungleich behandelt werden“(14).

49.      Dies bedeutet, dass, wie in späteren Verfahren vor dem Gerichtshofs klargestellt wurde, das Ermessen der Mitgliedstaaten an die Beachtung der Grundsätze der Union(15) und insbesondere an den Effektivitätsgrundsatz gebunden ist. Die nationalen Vorschriften dürfen „die Verwirklichung des Unionsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren“(16).

50.      Dies gilt insbesondere im Bereich des Wettbewerbs. Die mit der Verordnung Nr. 1/2003 durchgeführte Modernisierung der Regeln und Verfahren zur Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV beruht nämlich auf der Konzeption eines dezentralen Systems der Anwendung des europäischen Kartellrechts, innerhalb dessen die Europäische Kommission, die nationalen Wettbewerbsbehörden und die Gerichte der Mitgliedstaaten in enger Verbindung handeln. Diese Stellen wurden im Vergleich zur vorherigen Regelung mit neuen Befugnissen ausgestattet, um eine effizientere Durchsetzung auf europäischer Ebene zu fördern und gleichzeitig ihre Kohärenz und Einheitlichkeit zu wahren.

52.      Die Mitgliedstaaten „müssen [daher] … dafür sorgen, dass die Vorschriften, die sie erlassen oder anwenden, die wirksame Anwendung der Art. 101 AEUV und 102 AEUV nicht beeinträchtigen“(17) und dass „die Verfahrensmodalitäten für Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der so bestimmten Wettbewerbsbehörden“ den Zweck der Verordnung Nr. 1/2003, „die wirksame Anwendung der Art. 101 AEUV und 102 AEUV durch diese Behörden sicherzustellen, nicht beeinträchtigen“(18).

61.      Die konkrete Erfahrung zeigt sodann, dass nicht nur zivilrechtliche Schadensersatzklagen eine echte Gelegenheit bieten können, mögliche kartellrechtliche Sachverhalte vor Gericht zu bringen, bei denen sonst kein Schutz bestünde(29), sondern dass das Recht eines jeden, den Ersatz des aus wettbewerbswidrigem Verhalten herrührenden Schadens zu verlangen, „die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union [erhöht]; damit trägt es zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Europäischen Union bei“(30).

Aus dem Quellenverzeichnis des Schlußantrages:

Zitat
40      Vgl. statt vieler, Urteil vom 6. November 2018, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (C-684/16, EU:C:2018:874, Rn. 59). Wie der Gerichtshof klargestellt hat (Rn. 60), „umfasst das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung u. a. die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist. Folglich darf ein nationales Gericht nicht davon ausgehen, dass es eine nationale Vorschrift nicht im Einklang mit dem Unionsrecht auslegen könne, nur weil sie in ständiger Rechtsprechung in einem nicht mit dem Unionsrecht vereinbaren Sinne ausgelegt worden ist“.


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