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Autor Thema: FG Berlin-Brandenburg (7 V 7177/15) - Einstellung, fehlender Bekanntgabenachweis  (Gelesen 17391 mal)

E

Emge Phil

FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 01.09.2015 - 7 V 7177/15

Leitsatz

Zitat
Soweit der Rechtssuchende sich gegen die Vollstreckung von Rundfunkbeiträgen durch Berliner Finanzämter wendet, ist der Finanzrechtsweg gegeben.
In Berlin sind die Finanzämter für die Vollstreckung von Rundfunkbeiträgen zuständig.
Die angefochtene Vollstreckungsmaßnahme ist rechtswidrig, wenn zweifelhaft ist, ob der zugrunde liegende Bescheid über Rundfunkbeiträge bekanntgegeben wurde.


Rn. 17-19

Zitat
Ausgehend von diesen Kriterien erscheint ernstlich zweifelhaft, dass im Streitfall die Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben waren. Denn nach Aktenlage sieht es das erkennende Gericht nicht als nachgewiesen an, dass der nach § 5a Satz 1 VwVfG Bln, § 3 Abs. 2 Buchst. a VwVG erforderliche Leistungsbescheid, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist, im Streitfall vorliegt.

Auf das Fehlen eines solchen Leistungsbescheids kann sich der Vollstreckungsschuldner auch gegenüber der um Vollstreckung ersuchten Finanzbehörde berufen. Aus § 5a Satz 1 VwVfG Bln, § 5 Abs. 1 VwVG, § 250 Abs. 1 Satz 2 AO folgt nichts Abweichendes (BFH, Beschlüsse vom 04.07.1986 VII B 151/85, BFHE 147, 5, BStBl II 1986, 731; vom 30.09.2002 VII S 16/02 [PKH], BFH/NV 2003, 142 mit weiteren Einzelheiten der Begründung, der das erkennende Gericht folgt).

Zu Unrecht hält der Antragsgegner dem Antragsteller entgegen, dass er das Bestreiten des Zugangs nicht ausreichend substantiiert habe. Da es sich insoweit um eine negative Tatsache handelt, ist eine Substantiierung regelmäßig nicht möglich und daher zur Begründung von Zweifeln am Zugang eines Verwaltungsakts auch nicht notwendig (Klein/Ratschow, AO, 12. Aufl. 2014, § 122 Rn 60 m.w.N.).


http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/cyq/bs/10/page/sammlung.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=STRE201670169&doc.part=L&doc.price=0.0#focuspoint


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Insbesondere in Bezug auf diesen Thread
Substantiierte Darlegungen bei Nichtzustellung von Bescheiden
http://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,18542.0.html

erscheint mir ebenfalls interessant:

Rn. 20
Zitat
Allerdings kann der Zugang eines Verwaltungsakts auch im Wege des Indizienbeweises nachgewiesen werden (Seer in Tipke/Kruse, AO, § 122, Bearb. Februar 2011, Tz 58 m.w.N.). Solche Indizien hat der Antragsgegner jedoch nicht vorgetragen. Es erschiene zwar überraschend, wenn sechs ordnungsgemäß adressierte Postsendungen (je drei Bescheide und Mahnungen) den Antragsteller in einem Zeitraum von einem halben Jahr nicht erreicht hätten, jedoch ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht, wie die Schriftstücke adressiert waren. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob die Unwahrscheinlichkeit solcher „massenhaften Postverluste“ bei ordnungsgemäßer Adressierung für einen Indizienbeweis herangezogen werden könnte.


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E

Emge Phil

Im finanzgerichtlichen Verfahren, das betreffend Rundfunkbeiträge z. B. in Berlin (da Vollstreckung durch Finanzämter) zur Anwendung kommt, ist die
- korrekte Adressierung ebenso wie der
- Aufgabevermerk zur Post
kein Indizienbeweis.

BFH, Urt. v. 14.03.1989 – VII R 75/85
https://www.jurion.de/Urteile/BFH/1989-03-14/VII-R-75_85

Rn. 16
Zitat
Nach § 122 Abs. 2 AO 1977 trägt eindeutig die den Verwaltungsakt absendende Behörde die Beweislast für den Zugang des Verwaltungsakts. Sie hat im Zweifel den Zugang des Verwaltungsakts zu beweisen. Dieser klaren Regelung des Gesetzes widerspricht es, wenn der Nachweis der Posteinlieferung auf erste Sicht als ausreichend angesehen wird und anschließend vom Steuerpflichtigen als Empfänger des Verwaltungsakts verlangt wird, er solle "diesen Anschein" entkräften durch den in der Regel gar nicht zu führenden Beweis der negativen Möglichkeit (negativa non sunt probanda), daß ihm die Sendung nicht zugegangen ist. Auf diese Weise würde das von der Behörde als Absender zu beweisende gesetzliche Erfordernis des Zugangs (§ 122 Abs. 2 AO 1977) praktisch durch den bloßen Nachweis der Absendung ersetzt; denn der Empfänger kann in der Regel nicht substantiiert einen anderen, atypischen Geschehensablauf darlegen (so im Ergebnis auch BFH-Urteile vom 23. September 1966 III 226/63, BFHE 87, 203, BStBl III 1967, 99; vom 5. Dezember 1974 V R 111/74, BFHE 114, 176, BStBl II 1975, 286; und vom 8. Dezember 1976 I R 240/74, BFHE 121, 142, BStBl II 1977, 321, III 1 a bb der Gründe).

BFH, Urt. v. 23.02.1994 – X R 27/92
https://www.jurion.de/Urteile/BFH/1994-02-23/X-R-27_92

Rn. 8, 12
Zitat
Zur Begründung führte es aus, für den Nachweis des Zugangs gälten, wenn der Steuerpflichtige den Zugang überhaupt bestreite, die allgemeinen Beweisregeln. Nach § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) trage die Behörde, auch wenn es um den Zugang mehrerer Bescheide gehe, für den Zugang jedes einzelnen Bescheides die Beweislast. Auch wenn, wie im Streitfall, an vier verschiedenen Zeitpunkten sechs zutreffend adressierte Bescheide abgesandt worden seien und deshalb eher unwahrscheinlich sei, daß von diesen Bescheiden keiner den Empfänger erreicht habe, verbiete sich die Anwendung des Anscheinsbeweises für den Nachweis des Zugangs bestimmter Schriftstücke.

(...)

Das FG hat sich für die Annahme, das FA habe den Zugang der streitigen Einkommensteuerbescheide nicht nachweisen können, auf die Aussage der Kläger sowie darauf gestützt, daß weder die Absendevermerke des Sachbearbeiters noch die Niederschriften über die beiden Pfändungsversuche am 13. März 1985 und am 8. Januar 1986 geeignet waren, Zweifel über den tatsächlichen Zugang der Steuerbescheide zu beseitigen. Insoweit zutreffend geht das FG davon aus, daß weder der Absendevermerk noch die Niederschrift über die Vollstreckungsversuche geeignet waren, Zweifel am Zugang der Einkommensteuerbescheide auszuräumen.

BFH, Beschl. v. 27.10.1998 – VII B 101/98
https://www.jurion.de/Urteile/BFH/1998-10-27/VII-B-101_98

Rn. 5
Zitat
Bestreitet der Steuerpflichtige den Zugang eines nach den Akten des FA ordnungsgemäß adressierten und zur Post gegebenen Bescheides überhaupt, so gilt die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 AO 1977 nicht. Bestehen danach Zweifel am Zugang eines Schriftstücks, muß das FA den Zugang nachweisen.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 20. Juli 2016, 00:18 von Bürger«

K
  • Beiträge: 810
Zitat von: FG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 01.09.2015 - 7 V 7177/15
Auf das Fehlen eines solchen Leistungsbescheids kann sich der Vollstreckungsschuldner auch gegenüber der um Vollstreckung ersuchten Finanzbehörde berufen.

Die Sache ist meiner Ansicht nach die: In den neueren "Festsetzungsbescheiden" fehlt regelmäßig das Leistungsgebot. Nur bei dem Leistungsgebot handelt es sich um ein "Anfordern von Geldforderungen", das vollstreckungsrechtlich von Bedeutung ist. Allein dieses Anfordern ist von Bedeutung, weil eine Festsetzung allein keine Anforderung von Geldforderungen ist. Die Zahlungsaufforderungen des Beitragsservice, die man zuvor erhält, sind keine Leistungsgebote, da sie nicht den Charakter von Verwaltungsakten haben, siehe dazu VG München, Az. M 6a S 04.4066:

Zitat von: VG München, Az. M 6a S 04.4066
Das Rechnungsstellen von (hier: Rundfunk-) Gebühren durch Zusendung eines Kontoauszugs mit der schlichten Bitte um Zahlung eines als fällig angesehenen Geldbetrags ist – insbesondere wenn (wie vorliegend) dem Schreiben keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt ist – als bloße Zahlungsaufforderung, wie sie auch unter Privaten üblich ist, aufzufassen und nicht als Verwaltungsakt mit besonderem Regelungscharakter, maßgeblich nicht als vollstreckbarer Leistungsbescheid bzw. vollstreckbare Gebührenfestsetzung.

Aus diesem Grund halte ich das Bestreiten des Zugangs gar nicht mal so sehr als den Kern des Problems. Die Festsetzung mag bekannt gegeben worden sein. Vollstreckungsrechtlich ist die Festsetzung jedoch nicht von Bedeutung, sondern das Leistungsgebot, in welchem sich die Anforderung von Geldforderungen befindet.

Nun mag man mir bei meiner Argumentation § 10 Absatz 6 Satz 1 RBStV entgegenhalten:

Zitat von: § 10 Absatz 6 Satz 1 RBStV
Festsetzungsbescheide werden im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt.

Genau an dieser Stelle wird allerdings wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass mit einer Festsetzung gleichzeitig auch der festgesetzte Betrag angefordert wird, was jedoch in den neuen "Festsetzungsbescheiden" gerade nicht geschieht.


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...dies wäre dann in Bezug auf Themen wie diese
Vollstreckungsrechtliche Folgen eines fehlenden Leistungsgebotes im Bescheid
http://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,18629.0.html

Dennoch wäre beim Bestreiten des Zugangs/ der Bekanntgabe (insbesondere der ehemaligen Gebühren-/ Beitragsbescheide bis Aug 2014) mglw. Vorsicht geboten, sich auf ein fehlendes Leistungsgebot zu berufen, DENN:

Man kann es ja nicht wissen, wenn er nicht zugestellt/ nicht bekanntgegeben wurde... ;)
Im dümmsten Falle hat die Gegenseite vielleicht aus unerfindlichen Gründen doch einen Zustellnachweis über einen Bescheid, welcher einem nicht erinnerlich ist, erhalten zu haben, und - aus welchen Gründen auch immer - ist in dem Bescheid abweichend vom Regelfall vielleicht doch ein Leistungsgebot enthalten...

Da Kern-Thema des hiesigen Threads die fehlende Bekanntgabe von Bescheiden ist, hier bitte das Thema "fehlendes Leistungsgebot" nicht weiter vertiefen, da dies bei fehlender Bekanntgabe nicht überprüfbar wäre.
Danke für das Verständnis und die Berücksichtigung.


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Beachte aus immer wiederkehrendem Anlasse auch das unter
hochinst. Urteile > Bestreiten/Nachweis Zustellung/Bekanntgabe (Zugangsfiktion)
http://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,13736.0.html
neu hinzugefügte
BFH-Urteil von 1989 zur Nichtanwendbarkeit von Anscheinsbeweisen sowie der Unzumutbarkeit von Nachforschungen seitens des Adressaten zwecks "Glaubhaftmachung" des Nicht-Zugangs von Verwaltungsakten
Beachte jedoch auch, dass sich insbesondere die Amts-, Land- und Verwaltungsgerichte bislang augenscheinlich (noch?) nicht (alle) an diese höchstinstanzliche BFH-Rechtsprechung gebunden fühlen...


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