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Autor Thema: Urteile BVerfG zu Sonderabgaben  (Gelesen 2566 mal)

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  • Beiträge: 1.126
Urteile BVerfG zu Sonderabgaben
Autor: 18. November 2015, 15:20
Das hier dürfte bekannt sein. Es wird ja bereits von Herrn Dr. Eicher in seinem Aufsatz in der NJW zitiert:

http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv055274.html

siehe auch:

https://www.wohnungsabgabe.de/klagegrundallgemein.html

Zitat
Dr. Hermann Eicher, Justiziar des SWR, ist einer der beiden Autoren des Artikels „Die Rundfunkgebührenpflicht in Zeiten der Medienkonvergenz”, veröffentlicht in „Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht” 12/2009. Dort kann man folgendes lesen:

„Verfassungsrechtlich bedenklich ist schließlich die Reformvariante einer geräteunabhängigen Haushalts- und Betriebsstättenabgabe. Insofern ist fraglich, ob eine solche Abgabe den vom BVerfG(Vgl. BVerfGE 55 274(303 f.) = NJW 1981, 329) entwickelten Anforderungen an eine Sonderabgabe genügt und eine Inanspruchahme auch derjenigen, die kein Empfangsgerät bereithalten, vor Art. 3 I GG Bestand hätte.”


Und in dem Zusammenhang fiel mir noch das hier vor die Füße:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2009/05/rs20090512_2bvr074301.html

Zitat
RZ 45
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, dass die Abgabe als verfassungswidrige Sonderabgabe seine allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG verletze. Dem Zweck des Forstabsatzfondsgesetzes, der letztlich darin liege, der Nutz-, Schutz- und Erhaltungsfunktion des Waldes gemäß § 1 Nr. 1 BWaldG zu dienen, stünden zum einen die Industrieholz verarbeitenden Betriebe ebenso nahe wie die mit der Abgabe belasteten Betriebe, zum anderen gehe es dabei um eine Aufgabe, die der Allgemeinheit der Steuerzahler obliege. Deshalb stünden die mit der Abgabe belasteten Betriebe als homogene Gruppe der mit der Abgabe zu finanzierenden Aufgabe nicht evident näher als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler, so dass es an einer besonderen Gruppenverantwortung fehle. Zwischen der Belastung durch die Sonderabgabe und der hiermit finanzierten Begünstigung bestehe keine sachgerechte Verknüpfung. Überdies werde die Abgabe nicht gruppennützig verwendet, denn die Aktivitäten des Forstabsatzfonds förderten neben inländischen Holzprodukten zugleich auch aus importiertem Rohholz hergestellte Produkte.

Zitat
RZ 55...
Die Finanzverfassung, die die bundesstaatliche Verteilung der Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungskompetenzen im Wesentlichen - neben den Zöllen und Finanzmonopolen - nur für das Finanzierungsmittel der Steuer regelt, schließt die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben verschiedener Art zwar nicht aus; das Grundgesetz enthält keinen abschließenden Kanon zulässiger Abgabetypen. Die grundgesetzliche Finanzverfassung verlöre aber ihren Sinn und ihre Funktion, wenn unter Rückgriff auf die Sachgesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern beliebig nichtsteuerliche Abgaben unter Umgehung der finanzverfassungsrechtlichen Verteilungsregeln begründet werden könnten und damit zugleich ein weiterer Zugriff auf die Ressourcen der Bürger eröffnet würde. Die Finanzverfassung schützt insofern auch die Bürger.

Zitat
RZ 58...Mit einer Sonderabgabe darf nur eine homogene Gruppe belegt werden, die in einer spezifischen Beziehung (Sachnähe) zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck steht und der deshalb eine besondere Finanzierungsverantwortung zugerechnet werden kann. Das Abgabenaufkommen muss gruppennützig verwendet werden ( BVerfGE 75, 108 <147 f.> ; vgl. aus der ständigen Rechtsprechung näher BVerfGE 55, 274 <305 ff.>; 67, 256 <275 ff.>; 82, 159 <179 ff.>)....

Zitat
RZ 67...bb) Andere branchenspezifische Nachteile, die die Erhebung einer Zwangsabgabe rechtfertigen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sieht die Rechtfertigung der Abgabe im Wesentlichen darin, dass der Einsatz von Holz als Baustoff insbesondere aus umweltpolitischen Gründen im Interesse der Allgemeinheit (vgl. die in der „Charta für Holz“ formulierten Ziele) liege, Holz aber in einem Verdrängungswettbewerb mit anderen Baustoffen stehe und sein Marktanteil deshalb von der Überzeugungsarbeit des Holzabsatzfonds bei den am Baugeschehen Beteiligten abhänge; angesichts der kleinteiligen Branchenstruktur bedürfe es zentraler Absatzförderung. Es kann dahingestellt bleiben, ob die dieser Erwägung zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen zutreffen, etwa ob sich die Forst- und Holzwirtschaft, wie behauptet, in besonderer Weise Vorurteilen der Bevölkerung gegen den Werkstoff Holz gegenübersieht. Ebenso kann offen bleiben, ob die staatlichen Interventionen in den Wettbewerb zwischen Baumaterialien nicht ausschließlich oder doch ganz überwiegend durch allgemeine wirtschafts- und umweltpolitische Allgemeinwohlziele getragen werden und auch getragen werden müssen, die als solche eine spezifische Finanzierungsverantwortung der Abgabepflichtigen gerade nicht begründen können. Denn jedenfalls folgt aus dem zur Rechtfertigung der Abgabe Vorgebrachten nicht mit der gebotenen Evidenz die Sachgerechtigkeit staatlicher, durch Sonderabgaben finanzierter Absatzförderung. Angesichts einer, wie allgemein bekannt, hochentwickelten Holztechnologie und differenzierter Produkte, die sich jeweils in spezifischen Konkurrenzlagen zu behaupten haben, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, eine auf die Materialgattung Bauholz bezogene staatliche Absatzförderung sei unverzichtbar; insoweit ist auch nichts Weiterführendes dargetan worden. Die Verbesserung der allgemeinen Wertschätzung für ein Produkt ist im Ergebnis Gegenstand jedweder Absatzförderung. Für eine allgemeine Vermutung evidenten Mehrwerts staatlich organisierter im Vergleich mit privatwirtschaftlicher Absatzförderung fehlt auch hier die Grundlage. ...


Edit "Bürger" - gesammelte Links zum Thema "Sonderabgabe":
Urteile BVerfG zu Sonderabgaben
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=16581.0
"Der Rundfunkbeitrag eine Steuer?" > verfassungswidrige Sonderabgabe (2022)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=36805.0
Reihe Klage-Argumente - Die Haushaltsabgabe ist eine unzulässige Sonderabgabe
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=5621.0
Ist der Rundfunkbeitrag in Echt eine nicht-steuerliche Sonderabgabe?
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=30030.0
BVerfG 1 BvR 1675/16 - Rundfunkbeitrag ist eine Sonderabgabe
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=33318.0
Kirchhof > Rechtsgutachten zur Filmförderung als Sonderabgabe (01/2016)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=18796.0


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 16. Dezember 2022, 23:49 von Bürger«
"Verfassungsrechtlich bedenklich ist schließlich die Reformvariante einer geräteunabhängigen Haushalts- und Betriebsstättenabgabe. Insofern ist fraglich, ob eine solche Abgabe den vom BVerfG entwickelten Anforderungen an eine Sonderabgabe genügt und eine Inanspruchnahme auch derjenigen, die kein Empfangsgerät bereithalten, vor Art. 3 I GG Bestand hätte." Dr. Hermann Eicher, SWR-Justitiar in "Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 12/2009"

  • Beiträge: 691
Re: Urteile BVerfG zu Sonderabgaben
#1: 14. Februar 2017, 05:13
Liebe KlägerInnen,

ich habe eine Bundesverfassungsgerichtsentscheidung gefunden, die sich sehr gut gegen den Rundfunkbeitrag verwenden lässt:

BVerfGE 75, 108 - Künstlersozialversicherungsgesetz

Dazu Näheres:

Zitat
1.2 Als Beteiligter darf ein nicht selbst Versicherter nur dann zur Finanzierung von Sozialleistungen herangezogen werden, wenn es dafür einen sachorientierten Anknüpfungspunkt in den Beziehungen zwischen Versicherten und Beitragspflichtigen gibt, der diese Heranziehung nicht außerhalb der Vorstellungen liegend erscheinen läßt, von denen die Sozialversicherung in ihrem sachlichen Gehalt bestimmt wird.

Zitat
3. Im Sachbereich der Sozialversicherung verlangt der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG einen - bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise - sachlich einleuchtenden Grund dafür, daß ein Privater im Unterschied zu anderen Privaten über seine Steuerpflicht hinaus als Beteiligter im Sinne des Sozialversicherungsrechts zu einer Abgabe herangezogen wird, die weder ihm selbst noch seiner Gruppe zugute kommt, ihm vielmehr als fremdnützige Abgabe auferlegt wird, die sozialen Ausgleich und Umverteilung zum Ziel hat und herstellt.

Zitat
4. Während jeder Bürger ohne weiteres der Steuergewalt unterworfen ist, bedürfen weitere, auf Ausgleich und Umverteilung angelegte Abgabenbelastungen im Hinblick auf die Belastungsgleichheit der Bürger einer besonderen Rechtfertigung. Eine solche Rechtfertigung fremdnütziger Sozialversicherungsbeiträge kann sich aus spezifischen Solidaritätsbeziehungen und Verantwortlichkeitsbeziehungen zwischen Zahlungsverpflichteten und Versicherten ergeben, die in den Lebensverhältnissen, wie sie sich geschichtlich entwickelt haben und weiter entwickeln, angelegt sind. Solche Beziehungen, die von einer besonderen Verantwortlichkeit geprägt sind, können z.B. aus auf Dauer ausgerichteten integrierten Arbeitszusammenhängen oder aus einem kulturgeschichtlich gewachsenen besonderen Verhältnis gleichsam symbiotischer Art entstehen.

Zitat
RN 151
Die Anforderungen an einen sozialversicherungsrechtlichen Beitrag seien ersichtlich geringer als die Anforderungen an eine Sonderabgabe. Die sonstigen abgabenrechtlichen Kriterien der Abgeltung eines individuellen Vorteils, der Gruppennützigkeit sowie der engbegrenzten, nur ausnahmsweise gerechtfertigten Zulässigkeit von fremdnützigen Abgaben, träten im Rahmen der Sozialversicherung in den Hintergrund. Das Sozialversicherungsrecht werde vom Prinzip des sozialen Ausgleichs getragen. Entscheidend für die soziale Einstandspflicht der Vermarkter sei, daß sie eine Schlüsselposition bei der Vermittlung von Kunst und Publizistik einnähmen. Es wäre nicht gerechtfertigt, die Allgemeinheit mit Leistungen zu belasten, deren Äquivalent in spezifischem Maße den Vermarktern zugute komme.

Zitat
RN 110
Da im vorliegenden Fall ein sozialversicherungsrechtlicher Beitrag nicht angenommen werden könne, müsse die Künstlersozialabgabe sich allen Kriterien stellen, die das Bundesverfassungsgericht für zulässige Sonderabgaben verlange. Die Gruppe der Zahlungspflichtigen sei nicht homogen, denn branchentypische, strukturbedingte, organisatorische und quantitative Unterschiede in der Gruppe der Vermarkter könnten durch die Bereichsdifferenzierung des Gesetzes nur vermindert, nicht aber beseitigt werden. Erst recht kollidiere die Künstlersozialabgabe mit dem Erfordernis spezifischer, materieller Sachnähe und besonderer Gruppenverantwortung. Selbst unter Einrechnung der Bereichsdifferenzierung lasse sich nicht einmal für jene Abgabepflichtigen, bei denen tatsächlich von einer sozialen Pflichtigkeit im Verhältnis zu dem Versicherten gesprochen werden könne, behaupten, daß sie dem versicherungsrechtlichen Zweck der Abgabe "evident" näher stünden als die Allgemeinheit. Die Künstlersozialabgabe sei auch nicht primär gruppennützig, sondern typisch fremdnützig. Das allgemeine Interesse an sozialer Sicherung der betroffenen Künstler und Publizisten ergebe noch kein primäres Gruppeninteresse. Der Mangel der Gruppennützigkeit der Abgabe werde auch nicht etwa dadurch behoben, daß § 32 KSVG die Möglichkeit vorsehe, Ausgleichsvereinigungen zu bilden. Durch solche Ausgleichsvereinigungen würden nur die internen Abgabepflichten der einzelnen Verpflichteten mehr oder weniger verschoben.

Zitat
RN 165
Beteiligter in diesem Sinne ist allerdings nicht einfach jeder, den der Gesetzgeber mit einer Abgabe belegt, deren Aufkommen zur Finanzierung von Sozialleistungen verwandt wird. Die Heranziehung nicht selbst Versicherter als Beteiligter bedarf vielmehr eines sachorientierten Anknüpfungspunktes in den Beziehungen zwischen Versicherten und Beitragspflichtigen, der diese Heranziehung nicht außerhalb der Vorstellungen liegend erscheinen läßt, von denen die Sozialversicherung in ihrem sachlichen Gehalt bestimmt wird. Auch das gehört zum "verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff" der Sozialversicherung.

Zitat
RN 167
Der Gesetzgeber darf sich der Abgabe nur im Rahmen der Verfolgung eines Sachzwecks bedienen, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht. Mit einer Sonderabgabe darf nur eine homogene Gruppe belegt werden, die in einer spezifischen Beziehung zu dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck steht. Das Abgabenaufkommen muß gruppennützig verwendet werden.


Viele Grüße
Mork vom Ork


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Re: Urteile BVerfG zu Sonderabgaben
#2: 16. Dezember 2022, 23:44
Querverweis auf folgende Dissertation ;)
"Der Rundfunkbeitrag eine Steuer?" > verfassungswidrige Sonderabgabe (2022)
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=36805.0
mit dem Fazit, dass der sog. "Rundfunkbeitrag" weder Beitrag im beitragsrechtlichen Sinne noch Steuer ist,
sondern eine verfassungswidrige Sonderabgabe.


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