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Autor Thema: BVerfG 1 BvR 16/13 - GG nur bei unvollst. vereinheitl. Unionsrecht anwendbar  (Gelesen 499 mal)

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BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 06. November 2019
- 1 BvR 16/13 -, Rn. 1-157,

http://www.bverfg.de/e/rs20191106_1bvr001613.html

Zitat
Leitsätze

zum Beschluss des Ersten Senats vom 6. November 2019

- 1 BvR 16/13 -

(Recht auf Vergessen I)


1.    a) Unionsrechtlich nicht vollständig determiniertes innerstaatliches Recht prüft das Bundesverfassungsgericht primär am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, auch wenn das innerstaatliche Recht der Durchführung des Unionsrechts dient.

    b) Die primäre Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes stützt sich auf die Annahme, dass das Unionsrecht dort, wo es den Mitgliedstaaten fachrechtliche Gestaltungsspielräume einräumt, regelmäßig nicht auf eine Einheitlichkeit des Grundrechtsschutzes zielt, sondern Grundrechtsvielfalt zulässt.

    Es greift dann die Vermutung, dass das Schutzniveau der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch die Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes mitgewährleistet ist.

    c) Eine Ausnahme von der Annahme grundrechtlicher Vielfalt im gestaltungsoffenen Fachrecht oder eine Widerlegung der Vermutung der Mitgewährleistung des Schutzniveaus der Charta sind nur in Betracht zu ziehen, wenn hierfür konkrete und hinreichende Anhaltspunkte vorliegen.

2.    a) Der verfassungsrechtliche Maßstab für den Schutz gegenüber Gefährdungen durch die Verbreitung personenbezogener Berichte und Informationen als Teil öffentlicher Kommunikation liegt in den äußerungsrechtlichen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nicht im Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

    b) Bei der Entscheidung über einen Schutzanspruch kommt der Zeit unter den Kommunikationsbedingungen des Internets ein spezifisches Gewicht zu. Die Rechtsordnung muss davor schützen, dass sich eine Person frühere Positionen, Äußerungen und Handlungen unbegrenzt vor der Öffentlichkeit vorhalten lassen muss. Erst die Ermöglichung eines Zurücktretens vergangener Sachverhalte eröffnet den Einzelnen die Chance zum Neubeginn in Freiheit. Zur Zeitlichkeit der Freiheit gehört die Möglichkeit des Vergessens.

    c) Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgt kein Anspruch, alle personenbezogenen Informationen, die im Rahmen von Kommunikationsprozessen ausgetauscht wurden, aus dem Internet entfernen zu lassen. Insbesondere gibt es kein Recht, öffentlich zugängliche Informationen nach freier Entscheidung und allein eigenen Vorstellungen zu filtern und auf die Aspekte zu begrenzen, die Betroffene für relevant oder für dem eigenen Persönlichkeitsbild angemessen halten.

    d) Für den Grundrechtsausgleich zwischen einem Presseverlag, der seine Berichte in einem Onlinearchiv bereitstellt, und den durch die Berichte Betroffenen ist zu berücksichtigen, wieweit der Verlag zum Schutz der Betroffenen die Erschließung und Verbreitung der alten Berichte im Internet – insbesondere deren Auffindbarkeit durch Suchmaschinen bei namensbezogenen Suchabfragen – tatsächlich verhindern kann.

3.    Von den äußerungsrechtlichen Schutzdimensionen ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als eine eigene Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu unterscheiden. Auch dieses kann im Verhältnis zwischen Privaten Bedeutung entfalten. Seine Wirkungen unterscheiden sich hier von denen unmittelbar gegenüber dem Staat. Es gewährleistet hier die Möglichkeit, in differenzierter Weise darauf Einfluss zu nehmen, in welchem Kontext und auf welche Weise die eigenen Daten anderen zugänglich sind und von ihnen genutzt werden, und so über der eigenen Person geltende Zuschreibungen selbst substantiell mitzuentscheiden.

Es ist also immer zu schauen, ob Unionsrecht vollständig vereinheitlicht ist oder nicht, denn davon hängt ab, welches Grundrecht zur primären, bzw., alleinigen Anwendung gelangt.

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1. Das Bundesverfassungsgericht prüft innerstaatliches Recht und dessen Anwendung grundsätzlich auch dann am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, wenn es im Anwendungsbereich des Unionsrechts liegt, dabei aber durch dieses nicht vollständig determiniert ist. Das ergibt sich schon aus Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. Die Bindung an die Grundrechte ist danach ein Korollar der politischen Entscheidungsverantwortung, entspricht also der jeweiligen legislativen und exekutiven Verantwortung. Die Beachtung der Grundrechte bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung haben die deutschen Gerichte und insbesondere das Bundesverfassungsgericht zu gewährleisten.

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2. Das schließt nicht aus, dass daneben im Einzelfall auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union Geltung beanspruchen kann. In Betracht kommt das freilich nur im Rahmen der unionsrechtlichen Verträge und damit dann, wenn nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh die „Durchführung von Unionsrecht“ in Frage steht. Hierdurch wird der innerstaatliche Anwendungsbereich der Charta bewusst begrenzt gehalten und der Grundrechtsschutz sonst – auf der gemeinsamen Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention – den Mitgliedstaaten und ihren innerstaatlichen Grundrechtsverbürgungen überlassen. Die Charta errichtet so keinen umfassenden Grundrechtsschutz für die gesamte Europäische Union, sondern erkennt schon mit der Begrenzung ihres Anwendungsbereichs föderative Vielfalt (vgl. Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV; siehe auch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) für die grundrechtlichen Gewährleistungen an. Einer gleichzeitigen Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte neben den Grundrechten des Grundgesetzes sind damit Grenzen gesetzt. Dies darf auch durch eine übermäßig weite Auslegung des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh nicht unterlaufen werden (vgl. BVerfGE 133, 277 <316 Rn. 91>).

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Die Begrenzung des Anwendungsbereichs der Charta hindert umgekehrt aber nicht, dass innerstaatliche Regelungen auch dann als Durchführung des Unionsrechts im Sinne des Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh zu beurteilen sein können, wenn für deren Gestaltung den Mitgliedstaaten Spielräume verbleiben, das Unionsrecht dieser Gestaltung aber einen hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt, der erkennbar auch unter Beachtung der Unionsgrundrechte konkretisiert werden soll. Die Unionsgrundrechte treten dann zu den Grundrechtsgewährleistungen des Grundgesetzes hinzu. Die Bindungskraft des Grundgesetzes stellt das grundsätzlich nicht in Frage.

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c) Die primäre Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes bedeutet nicht, dass insoweit die Grundrechtecharta ohne Berücksichtigung bleibt. Der Einbettung des Grundgesetzes wie auch der Charta in gemeinsame europäische Grundrechtsüberlieferungen entspricht es vielmehr, dass auch die Grundrechte des Grundgesetzes im Lichte der Charta auszulegen sind.
Das Unionsgrundrecht muß also auch dann, wenn das nationale Grundrecht bei Durchführung von nicht vereinheitlichtem Unionsrechts zur nationalen Anwendung gelangt, bei der Deutung des Grundgesetzes herangezogen werden.

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4. Die alleinige Heranziehung der Grundrechte des Grundgesetzes als Prüfungsmaßstab für innerstaatliches Recht, das der Durchführung gestaltungsoffenen Unionsrechts dient, gilt nicht ausnahmslos (a). Eine Prüfung allein am Maßstab der deutschen Grundrechte ist dann nicht ausreichend, wenn konkrete und hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, dass hierdurch das grundrechtliche Schutzniveau des Unionsrechts ausnahmsweise nicht gewährleistet ist (b). Insoweit ist dann eine Prüfung innerstaatlichen Rechts, das der Durchführung des Unionsrechts dient, auch unmittelbar an den Grundrechten der Charta geboten (c).

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c) Hat sich danach ergeben, dass die deutschen Grundrechte das Schutzniveau der Charta ausnahmsweise nicht mit abdecken, sind die entsprechenden Rechte der Charta insoweit in die Prüfung einzubeziehen. Soweit sich hierbei ungeklärte Fragen hinsichtlich der Auslegung der Charta stellen, legt das Bundesverfassungsgericht diese dem Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vor. Sind die Fragen demgegenüber im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus sich heraus derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt, oder durch dessen Rechtsprechung bereits geklärt (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Cilfit, C-283/81, EU:C:1982:335, Rn. 14; BVerfGE 140, 317 <376 Rn. 125>; 142, 74 <115 Rn. 123>) und geht es nur noch um deren konkretisierende Anwendung, hat das Bundesverfassungsgericht die Unionsgrundrechte in seinen Prüfungsmaßstab einzubeziehen und grundsätzlich auch zur Geltung zu bringen (vgl. hierzu – wie auch zu insoweit verbleibenden Reservevorbehalten – BVerfG, Beschluss vom selben Tag - 1 BvR 276/17 -, dort Rn. 42 ff., 50 ff.).
Hier der Hinweis auf die andere Entscheidung, die im Forum schon länger thematisiert ist

BVerfG -1 BvR 276/17 - Vorrang des Unionsrechts auch beim Unionsgrundrecht
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=32844.0

Die Unionsgrundrechte sind also bei nicht vollständig vereinheitlichem Unionsrecht zur Deutung des nationalen Grundrechts heranzuziehen, (BVerfG 1 BvR 16/13), und bei vollständig vereinheitlichtem Unionsrecht einzig anzuwendendes Grundrecht, (BVerfG 1 BvR 276/17).

Es besteht damit die sehr starke Vermutung, daß alle rundfunkspezifischen Pfändungsmaßnahmen der Behörden rechtswidrig sind, wo es keinen von den ÖRR erwirkten gerichtlichen Vollstreckungstitel als Grundlage für die Pfändung hat, (hier greift dann das Wettbewerbsrecht von Union und Bund, wonach sich Marktteilnehmer ihre Forderungen vom Gericht titulieren lassen müssen; siehe

BVerfG - 1 BvL 8/11 - Selbsttitulierungsrecht mit dem GG unvereinbar
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=33718.0


), denn gemäß Art 11 Unionsgrundrecht haben sich die Behörden der (eigenen) Einflußnahme in die Informations- und Meinungsfreiheit der Grundrechtsträger zu enthalten.


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- Gegner des Landes Brandenburg wie auch gesamt Europas;

 
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