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Autor Thema: Grundzüge der Substantiierungslast im Gerichtsverfahren  (Gelesen 1168 mal)

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Guten TagX,

rein fiktiv natürlich.

Aktuelle Ausbildungsliteratur: Daßbach, JA 2019, 772 (775 ff.); Fischer, JuS 2020, 221
Grundzüge der Substantiierungslast
https://www.ag-zivilrecht.de/podcast/folge2/substantiierung.pdf
Zitat von: Aktuelle Ausbildungsliteratur: Daßbach, JA 2019, 772 (775 ff.); Fischer, JuS 2020, 221 - Grundzüge der Substantiierungslast
Die „Substantiierungslast“ ist eine Erfindung der Rechtsprechung und findet sich in der ZPO an sich nicht. Das Rechtsinstitut ist hochgradig fehleranfällig und es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht der BGH ein Urteil eines OLG-Senates (!) aufhebt, weil dort die Grenzen der Substantiierungslast verkannt wurden.

Die extrem strenge Handhabung der Substantiierungslast durch den BGH (= im Zweifel ist es substantiiert genug) ist verständlich, wenn man sich klarmacht, dass bei der Qualifikation von Parteivortrag als „unsubstantiiert“ derselbe Effekt eintritt, wie bei § 296 ZPO, nämlich, dass Parteivortrag vom Gericht im Rahmen der Entscheidungsfindung ignoriert wird. Manche sprechen daher von der „Substantiierungsschere“ mit der Parteivortrag einfach weggeschnitten wird. Das Prozessrecht dient aber dazu, das materielle Recht durchzusetzen und nicht dazu, dessen Verwirklichung zu behindern. Insofern ist wie immer zu beachten:
„Das BGB ist die Herrin, die ZPO ist die Magd“.

[...]

Jetzt muss natürlich auch zwischen Zivilprozessen und Prozessen vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterschieden werden, nach dem Motto:
"Das Verwaltungsrecht ist die Herrin, die VwGO die Magd."

BVerwG, Beschluss vom 27.10.2014 - 3 B 40.14 -
Verletzung des rechtlichen Gehörs durch überzogene Anforderungen an die Substantiierung; durch Nachbewertung erzielbarer Erlös als Verkehrswert
https://www.bverwg.de/de/271014B3B40.14.0
Zitat von: BVerwG, Beschluss vom 27.10.2014 - 3 B 40.14 -
Leitsatz:

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO wird verletzt, wenn das Gericht überzogene Anforderungen an die Substantiierung des Vorbringens eines Beteiligten stellt und sich dadurch einer sachlichen Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Argumenten entzieht.

eXkurs Aktenanforderung Untersuchungsausschüsse (Substantiierungslast bei der Versagung):

BVerwG, Beschluss vom 02.09.2019 - 6 VR 2.19 -
Aktenanforderung eines Landesuntersuchungsausschusses gegenüber Bundesbehörden im Fall Anis Amri
https://www.bverwg.de/de/020919B6VR2.19.0
Zitat von: BVerwG, Beschluss vom 02.09.2019 - 6 VR 2.19 -
[...]

47
Das Beweiserhebungsrecht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses wird durch das Staatswohl begrenzt, das durch das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Informationen gefährdet werden kann (BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 - 2 BvE 11 und 15/83 - BVerfGE 67, 100 <133 ff.>; Beschluss vom 17. Juni 2009 - 2 BvE 3/07 - BVerfGE 124, 78 <123 ff.>). Dieser Versagungsgrund spiegelt sich im Recht der Amtshilfe in § 5 Abs. 2 Satz 2 VwVfG wider. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Umgang mit Informationen in einem Untersuchungsausschuss eigenen Geheimschutzbestimmungen unterliegt, denen auch der Antragsteller unterworfen ist (§§ 14 und 15 UntAG BE). Daraus hat das Bundesverfassungsgericht im Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag ein gestuftes procedere sowie Begründungs- und Substantiierungslasten
entwickelt (BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 - 2 BvE 11 und 15/83 - BVerfGE 67, 100 <138 f.>; Beschluss vom 13. Oktober 2016 - 2 BvE 2/15 - BVerfGE 143, 101 Rn. 143), die im Hinblick auf die Bedeutung des Beweiserhebungsrechts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse in den Ländern insoweit auf das Amtshilfeverhältnis zwischen Bund-Land übertragbar erscheinen.
Dass auch die Beobachtung von Vorschriften zur Wahrung von Dienstgeheimnissen deren Bekanntwerden nicht ausschließt, steht dem nicht entgegen, denn diese Tatsache betrifft alle drei Gewalten (BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 - 2 BvE 11 und 15/83 - BVerfGE 67, 100 <136>; Beschlüsse vom 17. Juni 2009 - 2 BvE 3/07 - BVerfGE 124, 78 <124> und vom 13. Oktober 2016 - 2 BvE 2/15 - BVerfGE 143, 101 Rn. 138).

[...]

Ick hoffe, mein Fass Butter hilft bei der nunmehr konkreten Diskussion zu den Grundzügen der Substantiierungslast weiter.

 :)

Nachtrag:

Das BVerfG hat in der Entscheidung
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. April 2024
- 2 BvR 29/24 -, Rn. 1-36,

https://www.bverfg.de/e/rk20240418_2bvr002924.html
die Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kassiert u.a. folgende:

VGH München, Beschluss vom 09.01.2024 – 10 ZB 24.13 (Anhörungsrüge)
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2024-N-9680?hl=true
Zitat von: VGH München, Beschluss vom 09.01.2024 – 10 ZB 24.13
Titel:
Verwaltungsgerichte, Anhörungsrügeverfahren, Verwaltungsgerichtsverfahren, Beweiswürdigung, Gehörsverletzung, Rechtliches Gehör, Wiederholungsgefahr, Streitwertfestsetzung, Gefahrenprognose, Interessenabwägung, Kostenentscheidung, Generalpräventiver Grund, Maßgeblicher Zeitpunkt, Ausweisungsinteresse, Faktischer Inländer, Substantiierte Darlegung, Anlasstat, Symptomatischer Zusammenhang, Gerichtskostengesetz, Gefährliche Körperverletzung

Während also der VGH München meinte, der Kläger habe eine substantiierte Darlegung versäumt, bescheinigt das BVerfG dem VGH München, dass es genau umgekehrt war.


Edit "Bürger: Danke. Bitte @alle, zunächst auch noch ausgiebig per Forum-Suche prüfen, inwiefern zu diesem Thema bereits Link-Sammlungen/ Diskussionen im Forum bestehen.
Ergänzend sei hingewiesen auf web-Suche mit Begriffen wie "substantiieren"/ "Substantiierung"/ "Substantiiertheit"
https://www.google.com/search?q=substantiieren
https://www.google.com/search?q=substantiierung
https://www.google.com/search?q=substantiiertheit
denn diese liefert u.a. "substantiierte" Beiträge zu diesem Thema wie z.B. diesen:
addlegal.de, 26.01.2024
BGH: Anforderungen an die Substantiierung
https://www.addlegal.de/beitraege/bgh-anforderungen-an-die-substantiierung
Bitte aber bei allem beachten, dass das Forum kein "echtes Jura-Forum" ist, in welchem elementare Grundzüge von Klagen vertieft werden können.
Danke für allerseitiges Verständnis & Mitwirkung.


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Während also der VGH München meinte, der Kläger habe eine substantiierte Darlegung versäumt, bescheinigt das BVerfG dem VGH München, dass es genau umgekehrt war.
D.h., diese Substantiierung gilt für beide Seiten, wobei beim Kläger noch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs dazukommt, welches durch das Gericht nicht verletzt werden darf?


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Bei Verarbeitung pers.-bez.-Daten ist das Unionsgrundrecht unmittelbar bindend; (BVerfG 1 BvR 276/17 & BVerfG 1 BvR 16/13)

Keine Unterstützung für
- Amtsträger, die sich über europäische wie nationale Grundrechte hinwegsetzen oder dieses in ihrem Verantwortungsbereich bei ihren Mitarbeitern, (m/w/d), dulden;

- Parteien, deren Mitglieder sich als Amtsträger über Grundrechte hinwegsetzen und wo die Partei dieses duldet;

- Gegner des Landes Brandenburg wie auch gesamt Europas;

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@pinguin, die Substantiierungslast trifft auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wie aus der Entscheidung
BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. April 2024
- 2 BvR 29/24 -, Rn. 1-36,
https://www.bverfg.de/e/rk20240418_2bvr002924.html
hervorgeht.

Zur Substantiierungslast siehe im Forum noch:

FG Berlin 11 V 11240/16 > substantiiert. Bestreit. d. Zugangs mehrerer Schreiben
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=23188.0

Dazu aktuell:

BVerwG, Urteil vom 29.11.2023 - 6 C 3.22 -
https://www.bverwg.de/291123U6C3.22.0
Widerlegung der Bekanntgabevermutung beim Bestreiten des Zugangs eines Verwaltungsakts
Zitat von: BVerwG, Urteil vom 29.11.2023 - 6 C 3.22 -
Leitsätze:

1. Einfaches Bestreiten reicht grundsätzlich aus, um Zweifel am Zugang eines Verwaltungsakts im Sinne des § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG darzulegen.

2. Bestreitet der Adressat den Zugang, sind die Glaubhaftigkeit seines Vortrags und seine Glaubwürdigkeit zu würdigen. Die ungewöhnlich hohe Anzahl vermeintlich nicht zugegangener Schreiben, für die es keine Erklärung gibt, reicht für sich genommen nicht aus, um von einer Schutzbehauptung auszugehen. Sie bietet aber einen Anlass für die Suche nach weiteren Anhaltspunkten in dieser Richtung.


Die Vermutung der Inhaberschaft der Wohnung ist widerlegbar!
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=31682.0

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.11.2016, 2 S 146/16
https://www.landesrecht-bw.de/perma?d=NJRE001284849
Zitat von: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.11.2016, 2 S 146/16
Leitsatz

1. Zu den Anforderungen an die Widerlegung der aus § 2 Abs. 2 Satz 2 RBStV (juris: RdFunkBeitrStVtr BW) folgenden Vermutung der Wohnungsinhaberschaft im Rundfunkbeitragsrecht.(Rn.30)

2. Der im Mietvertrag genannte Mieter bewohnt eine von ihm gemietete Wohnung entgegen der Vermutung aus § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 RBStV (juris: RdFunkBeitrStVtr BW) dann nicht selbst, wenn er diese Wohnung nachweislich vollständig untervermietet hat und ihm deshalb die nötige Zutritts- und Wohnberechtigung fehlt.(Rn.30)



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Zur Substantiierungslast bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung § 32 BVerfGG:
https://dejure.org/gesetze/BVerfGG/32.html
Zitat
§ 32

(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

(2) 1Die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. 2Bei besonderer Dringlichkeit kann das Bundesverfassungsgericht davon absehen, den am Verfahren zur Hauptsache Beteiligten, zum Beitritt Berechtigten oder Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(3) 1Wird die einstweilige Anordnung durch Beschluß erlassen oder abgelehnt, so kann Widerspruch erhoben werden. 2Das gilt nicht für den Beschwerdeführer im Verfahren der Verfassungsbeschwerde. 3Über den Widerspruch entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach mündlicher Verhandlung. 4Diese muß binnen zwei Wochen nach dem Eingang der Begründung des Widerspruchs stattfinden.

(4) 1Der Widerspruch gegen die einstweilige Anordnung hat keine aufschiebende Wirkung. 2Das Bundesverfassungsgericht kann die Vollziehung der einstweiligen Anordnung aussetzen.

(5) 1Das Bundesverfassungsgericht kann die Entscheidung über die einstweilige Anordnung oder über den Widerspruch ohne Begründung bekanntgeben. 2In diesem Fall ist die Begründung den Beteiligten gesondert zu übermitteln.

(6) 1Die einstweilige Anordnung tritt nach sechs Monaten außer Kraft. 2Sie kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden.

(7) 1Ist ein Senat nicht beschlußfähig, so kann die einstweilige Anordnung bei besonderer Dringlichkeit erlassen werden, wenn mindestens drei Richter anwesend sind und der Beschluß einstimmig gefaßt wird. 2Sie tritt nach einem Monat außer Kraft. 3Wird sie durch den Senat bestätigt, so tritt sie sechs Monate nach ihrem Erlaß außer Kraft.

Ablehnend:
BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Februar 2024 - 2 BvQ 16/24 -
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2024/02/qk20240228_2bvq001624.html

Zitat
2
1. Ein Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung substantiiert dargelegt werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. März 2017 – 2 BvQ 2/17 –, Rn. 1; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. Februar 2022 - 1 BvQ 12/22 -, Rn. 3). Dazu gehört die Darlegung, dass der Antrag in der zugehörigen Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Wird isoliert eine einstweilige Anordnung beantragt, muss der Antrag die Angaben enthalten, die zur Begründung der noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde erforderlich sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Mai 2019 - 2 BvQ 46/19 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Oktober 2020 - 2 BvQ 63/20 -, Rn. 10).

3
2. Diesen Anforderungen wird die Antragsbegründung nicht gerecht.

4
a) Der Vortrag, die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde sei nicht offensichtlich unbegründet, erschöpft sich in einem pauschalen Verweis auf die Argumentation eines Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (VG Karlsruhe, Beschluss vom 24. April 2023 - 12 K 2386/22 -, juris), auf die der Antragsteller „in vollem Umfang“ Bezug nimmt. Damit genügt der Vortrag schon deshalb nicht den Substantiierungsanforderungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG, weil das Bundesverfassungsgericht nicht die Aufgabe hat, in Bezug genommene Dokumente und andere Anlagen auf verfassungsrechtlich relevante Tatsachen oder auf verfassungsrechtlich relevanten Vortrag hin zu durchsuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 <263>; 83, 216 <228>; BVerfGK 19, 362 <363>).

Erfolgreich
BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/04/qk20200417_1bvq003720.html

Zitat
10
3. Der Antragsteller hat am 16. April 2020 beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

11
Zur Begründung trägt er im Kern vor: Angesichts des unmittelbar bevorstehenden Versammlungstermins am 18. April 2020 drohe durch Zeitablauf ein in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr korrigierbarer endgültiger Rechtsverlust, weshalb bei der Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde maßgeblich seien. Eine Verfassungsbeschwerde sei offensichtlich begründet. Es fehle bereits an einer Rechtsgrundlage für ein Versammlungsverbot. § 3 Abs. 1 CoronaVO komme dafür nicht in Betracht. Die gegenteilige Sicht des Verwaltungsgerichtshofs, wonach die Corona-Verordnung für Versammlungen ein präventives Verbot mit Ausnahmevorbehalt vorsehe, verkenne die Bedeutung, die Art. 8 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zukomme. Danach dürfe selbst bei größter Gefahrenlage die Ausübung eines für die freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierenden Grundrechts wie der Versammlungsfreiheit nicht normativ verboten und lediglich nach Maßgabe eines Ausnahmevorbehalts erlaubt werden. Ein präventives generelles Versammlungsverbot lasse sich auch nicht in Ansehung der begrenzten Geltungsdauer der Corona-Verordnung rechtfertigen, zumal in Bezug auf solche Versammlungen, die sich gerade gegen die Beschränkungen und Verbote der Verordnung richteten. Im Übrigen würde es für ein derartiges Versammlungsverbot an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung fehlen, weil nach § 32 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes Einschränkungen der Versammlungsfreiheit nur in Bezug auf Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider zulässig seien. Beschränkungen der Versammlungsfreiheit seien deshalb nur nach Maßgabe von § 15 VersG möglich, dessen Voraussetzungen hier nicht erfüllt seien. Im Übrigen habe der Verwaltungsgerichtshof zwar formal ein nach § 3 Abs. 6 CoronaVO eröffnetes Zulassungsermessen anerkannt, sodann aber ausgeführt, dass neben einem Verbot kein Raum für eine anderweitige rechtsfehlerfreie Ermessensausübung verbleibe. Im Ergebnis laufe dies auf ein mit Art. 8 GG unvereinbares absolutes normatives Versammlungsverbot ohne Prüfung des Einzelfalls hinaus. Die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens habe ein Ermessen nicht ausgeübt. Ein Versammlungsverbot sei hier unverhältnismäßig, insbesondere weil durch Auflagen, namentlich zur Einhaltung von Abständen zwischen den Versammlungsteilnehmern, dem Ziel des Infektionsschutzes in hinreichendem Maße Rechnung getragen werden könne.

13
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.

15
Die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde können ferner maßgeblich werden, wenn verwaltungsgerichtliche Beschlüsse betroffen sind, die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen sind und die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen, insbesondere wenn die behauptete Rechtsverletzung bei Verweigerung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, die Entscheidung in der Hauptsache also zu spät käme. Blieben in solchen Fällen die im Zeitpunkt der Eilentscheidung erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gegen die verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung außer Ansatz, würde sich bei der Folgenabwägung das Rechtsgut durchsetzen, das gewichtiger oder dessen behauptete Gefährdung intensiver als das kollidierende ist, selbst wenn schon die im Eilrechtsschutzverfahren mögliche Prüfung ergibt, dass die rechtlichen Voraussetzungen für seinen Schutz offensichtlich nicht gegeben sind. Dies widerspräche der Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Beachtung der Grundrechte im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zu sichern (BVerfGE 111, 147 <153> m.w.N.>).


Vorläufiger Rechtsschutz gegen einen Festsetzungsbescheid (ablehnend):
VG München, Beschluss v. 10.05.2022 – M 26b S 21.1696
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2022-N-11072?hl=true


Vorläufiger Rechtsschutz Zwangsvollstreckung Rundfunkbeiträge
VG München, Beschluss v. 02.11.2023 – M 26b E 23.5056
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2023-N-31282?hl=true

Zitat
Titel
Rundfunkbeitrag, Zwangsvollstreckung, Erfolgloser Eilantrag, Unzulässiger Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis mangels Vorbefassung der Behörde


Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 296,88 Euro festgesetzt.


41
Im Hinblick auf das Recht der Antragstellerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG (Grundgesetz) kann gerade von der anwaltlich nicht vertretenen Antragstellerin eine trennscharfe Abgrenzung mehrerer im Rahmen der Zwangsvollstreckung potentiell in Betracht kommender Rechtsbehelfe vernünftigerweise nicht verlangt werden (vgl. zur Abgrenzung etwa VG München, U. v. 16.08.2021 – M 26a K 19.5925 – juris Rn. 27; VG München, B. v. 25.11.2020 – M 6 E 20.4600 – juris Rn. 19.). Dies gilt umso mehr in Anbetracht des Umstandes, dass die Rechtslage hinsichtlich der Abgrenzung zwangsvollstreckungsrechtlicher Rechtsbehelfe im Bereich der Verwaltungsvollstreckung von Leistungsbescheiden jedenfalls für den nicht juristisch ausgebildeten Bürger regelmäßig nicht auf den ersten Blick zu durchschauen ist. Dies ergibt sich insbesondere aus der Regelung in Art. 26 Abs. 2 Satz 1 VwZVG (Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz), wonach für die Vollstreckung die ordentlichen Gerichte zuständig sind, und diversen weiteren Verweisen im VwZVG auf Vorschriften des Zwangsvollstreckungsrechts der Zivilprozessordnung. Zugleich fehlen außerdem eindeutige Hinweise im VwZVG, dass verwaltungsprozessuale Rechtsbehelfe statthaft sind, wenn Einwendungen gegen die Einleitung der Vollstreckung und nicht gegen den Ablauf der einzelnen Vollstreckungsmaßnahme vorgebracht werden.

42
Vor diesem Hintergrund kann die Klage der Antragstellerin trotz des Verweises auf § 767 ZPO unter Berücksichtigung der zu seiner Begründung vorgetragenen Argumente als Antrag auf Gewährung verwaltungsprozessualen Eilrechtsschutzes ausgelegt werden. Umgekehrt darf der Verweis auf § 767 ZPO nicht zum Nachteil der Antragstellerin gewertet werden.

44
2. Der so verstandene Antrag erweist sich jedoch bereits als unzulässig.

45
a. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B. v. 16.08.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 m.w.N; VG München, B. v. 28.01.2021 – M 26b E 21.393 – juris – Rn. 15). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.

46
b. Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung fehlt das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin hat es versäumt, sich zunächst hiermit an den Antragsgegner zu wenden und Maßnahmen nach Art. 21 VwZVG zu beantragen, bevor sie um gerichtlichen Rechtsschutz ersuchte.

47
Zwar kennt der Antrag nach § 123 VwGO anders als etwa § 75 VwGO kein generelles Antragserfordernis. Zugleich kann der im konkreten Einzelfall für den Erfolg des Antrags nach § 123 VwGO erforderliche Anordnungsanspruch nur dann bestehen, wenn die Voraussetzungen der geltend gemachten Anspruchsgrundlage vollständig erfüllt sind. Setzt diese einen an die Behörde gerichteten Antrag voraus, so besteht ein Anordnungsanspruch grundsätzlich nur dann, wenn ein solcher vom Antragsteller tatsächlich gestellt wurde (BVerwG, B. v. 22.11.2021 – 6 VR 4.21 – juris Rn. 8; ebenso BayVGH, B. v. 16.05.2023 – 8 CS 22.2615 – juris Rn. 19; BayVGH, B. v. 18.10.2021 – 4 ZB 21.1406 – juris Rn. 17; Happ, in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 123 Rn. 34.).


VG Hamburg Beschluss vom 01.03.2018 Az. 19 E 9236/17
https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/NJRE001339121

Zitat
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Zwangsvollstreckung wegen Rundfunkgebühren

Leitsatz

1. Bei der Erhebung von Rundfunkbeiträgen handelt der Norddeutsche Rundfunk als Behörde (Anschluss an VGH Mannheim, Urt. v. 4.11.2016, 2 S 548/16, juris Rn. 23 ff. m.w.N). (Rn.13)

2. Kündigt die Freie und Hansestadt Hamburg für vom Norddeutschen Rundfunk festgesetzte Rundfunkbeiträge im Wege der Amtshilfe eine Vollstreckung an, kommt die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Betracht.(Rn.7)

3. Von einer "Anforderung von Öffentlichen Abgaben und Kosten" im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO ist auch bei Vollstreckungsmaßnahmen, die der Verwirklichung eines Festsetzungsbescheides über Rundfunkbeiträge dienen, auszugehen. Gegen dieses Verständnis spricht nicht die Aufhebung von § 75 1 HmbVwVG a.F. (juris: VwVG HA)(Rn.9)

4. Die Mahnung nach § 31 Abs. 1 HmbVwVG (juris: VwVG HA) muss durch die Vollstreckungsbehörde erfolgen.(Rn.20)

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 124,55 EUR festgesetzt.


Teilweise erfolgreich (Mahngebühr)
Verwaltungsgericht Hannover Beschl. v. 05.05.2020, Az.: 7 B 3472/19
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/16a3322b-25bc-4bd3-aa89-6bec95636033

Zitat
Leitsatz

1. Zum vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage gegen bestandskräftige Rundfunkbeitragsbescheide der beklagten Rundfunkanstalt.

2. Zulässig im Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage gegen bestandskräftige Rundfunkbeitragsbescheide sind nur sog. "nachgeborene Einwendungen".

3. Ist ein weiterer Rundfunkbeitragsbescheid, aus dem die Rundfunkanstalt vollstrecken lässt, noch nicht bestandskräftig und hat der Antragsteller insoweit gegen diesen Bescheid zugleich Anfechtungsklage erhoben, kann ein Antrag nach § 769 ZPO bzw. § 123 VwGO gegen die Rundfunkanstalt auf vorläufge Unterlassung der Vollstreckung insoweit in einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen diesen Bescheid umgedeutet werden.

4. Der Wohnungsinhaber kann der Rundfunkbeitragspflicht nicht mit dem Vortrag entgehen, er habe die eigene Wohnung, in der er ordnungsbehördlich gemeldet ist, tatsächlich nicht genutzt, sondern durchgehend in der Wohnung seiner Lebengefährtin gewohnt, die ihrerseits Rundfunkbeiträge leistet, wenn er dort ordnungsbehördlich nicht gemeldet ist.

5. Unter diesen Voraussetzungen kann sich der Wohnungsinhaber auch nicht auf das Verbot des BVerfG in seinem Urteil vom 18.7.2018 - 1 BvR 1675/16 u.a. - (BGBl. I S. 1349) berufen, ihn mit mehr als einem Rundfunkbeitrag zu belasten, weil er selbst nur Inhaber einer Wohnung ist und nur mit einem Rundfunkbeitrag belastet wird.

Tenor:

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren 15,00 € Mahngebühren gegen den Antragsteller durch die Beigeladene vollstrecken zu lassen. Er hat sein an die Beigeladene gerichtetes Vollstreckungsersuchen vom 1. März 2019 in Höhe von 720,96 € vorläufig um 15,00 € auf 705,96 € zu ermäßigen.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.


Erfolgloser Eilantrag Kontopfändung (Betrag bereits "ausgekehrt")
VG Cottbus Beschluss vom 28.03.2023, Az. 6 L 103/22
https://gerichtsentscheidungen.brandenburg.de/gerichtsentscheidung/21730

Zitat
Tenor

1. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

2. Der Streitwert wird auf 203,09 € festgesetzt.

Der sinngemäße, am Wortlaut orientierte Antrag des Antragstellers,

die Zwangsvollstreckung des Antragsgegners einzustellen und festzustellen, dass die Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom 28. September 2021 rechtswidrig gewesen ist,

hat keinen Erfolg.

Er ist bereits unter allen rechtlich sinnvollen Gesichtspunkten unzulässig.

Soweit der anwaltlich nicht vertretene Antragsteller wörtlich einerseits beantragt hat, die Zwangsvollstreckung einzustellen sowie die einstweilige Aussetzung (der Vollziehung) anzuordnen, andererseits aber auch festzustellen begehrt, dass die Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners vom 28. September 2018 rechtswidrig gewesen ist, war dieser Antrag gemäß § 88, 122 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen die Vollstreckungsmaßnahmen des Antragsgegners nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO begehrt, da sowohl Pfändungs- als auch Einziehungs- (bzw. Überweisungs-) -verfügung Verwaltungsakte sind, die mit Widerspruch und Anfechtungsklage in der Hauptsache angegriffen werden können (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 13. August 2021 – 6 L 266/20 –, Rn. 5, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. August 2018 – 2 S 1254/18 –, Rn. 5, juris VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.05.2017 - 2 S 894/17 -, juris, Rn. 7).

Mit Blick auf den so verstandenen Antrag, fehlt dem Antragsteller allerdings das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

Die angegriffene Pfändungs- und Einziehungsverfügung hat sich nämlich im Rechtssinne erledigt. Mit der aufgrund der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Antragsgegners (§ 10 Abs. 6 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages (RBStV) i.V.m. § 22 Abs. 1 Nr. 3 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg (VwVGBbg) i.V.m. § 309, §§ 314, 315 der Abgabenordnung (AO)) erfolgten Zahlung von 812,35 € am 12. November 2021 durch die Drittschuldnerin – hier die C... als kontoführende Bank des Antragstellers – an den Antragsgegner als Pfändungsgläubiger war die Forderung erloschen, der Pfandgegenstand mithin verwertet und die Vollstreckung insgesamt beendet. Eine in der Hauptsache zu erhebende Anfechtungsklage wird ebenso wie eingelegte Rechtsbehelfe und dementsprechend auch Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO – wie vorliegend – unzulässig, wenn sich die Pfändungs- und Einziehungsverfügung mit ihrer Verwirklichung erledigt und ein Kläger bzw. Antragsteller deshalb durch die angegriffene Verfügung nicht mehr beschwert ist (vgl. BFH, Beschluss vom 11. April 2001 - VII B 304/00 -, BStBl II 2001, 525, juris).



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Guten TagX,

rein fiktiv natürlich.

Substantiierungslast zur Zugangsfiktion im Verwaltungsvollstreckungsverfahren.

Erfolgreicher Eilantrag:

VGH München, Beschluss v. 07.03.2024 – 7 CE 23.1749
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2024-N-4497?hl=true

Zitat
Leitsätze:

1. Aus der entsprechenden Anwendung des § 754 Abs. 2 S. 1 ZPO ergibt sich, dass ein Gerichtsvollzieher zur Vornahme der Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Rundfunkbeiträge allein durch den Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung des Ausstandsverzeichnisses ermächtigt ist, ohne dass er noch die Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit des dort aufgeführten Festsetzungsbescheids prüfen muss. (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

2. Zu den formalinhaltlichen Mängeln eines Ausstandsverzeichnisses, die – falls sie tatsächlich vorliegen – die Vollstreckung bereits aus formalen Gründen verbieten würden, zählt die Geltendmachung eines Leistungspflichten, der Feststellungsbescheid sei ihm nicht zugegangen. (Rn. 7 – 8  ) (redaktioneller Leitsatz)

3. Um die Bekanntgabevermutung des Art. 17 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 VwZVG zu widerlegen, genügt die Behauptung, den Festsetzungsbescheid nicht erhalten zu haben. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

4. Die rechtlichen Ausführungen des BVerwG zu § 41 Abs. 2 S. 3 VwVfG sind auf den auf die Zustellung eines Festsetzungsbescheids zum Rundfunkbeitrag anzuwendenden und im wesentlichen gleichlautenden Art. 17 Abs. 2 VwZVG übertragbar. (Rn. 13 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 176,72 Euro festgesetzt.

1
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsgegner zu Recht aufgegeben, die gegen den Antragsteller eingeleitete Zwangsvollstreckung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig einzustellen, soweit sich diese auf einen Betrag in Höhe von 176,72 Euro aus dem Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 bezieht. Die vom Antragsgegner mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach Maßgabe von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung des angegriffenen Beschlusses.

2
1. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte einstweilige Anordnung hat. Soweit der Antragsgegner meint, dem stehe entgegen, dass das Beitragskonto des Antragstellers „mit Eingang des Klage- und Antragsschriftsatzes vom 30.07.2023“ kulanzweise „bis zum erstinstanzlichen Abschluss der vorliegenden Verwaltungsstreitsache, längstens jedoch bis zum Ablauf von zwei Jahren seit Rechtshängigkeit, mahnausgesetzt“ worden sei, was bedeute, dass „vorläufig keine Beitragsbescheide und keine (weiteren) Vollstreckungsersuchen ergehen“, geht er in Bezug auf den vorliegenden Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO fehl. Die vom Antragsgegner mit Schriftsätzen an das Verwaltungsgericht vom 2. August und 11. September 2023 ausgesprochene Mahnaussetzung lässt das Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegend inmitten stehenden Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht entfallen.

3
a) Mit Vollstreckungsersuchen vom 3. April 2023 und unter Beifügung eines mit einer Vollstreckungsanordnung versehenen Ausstandsverzeichnisses suchte der Antragsgegner um Durchführung der Zwangsvollstreckung, insbesondere um Bestimmung eines Termins zur Abnahme der Vermögensauskunft gemäß § 802f Abs. 1 ZPO gegen den Antragsteller nach. Das Ausstandsverzeichnis wies dabei drei Bescheide aus, mit denen rückständige Rundfunkbeiträge und Säumniszuschläge über insgesamt 297,72 Euro festgesetzt worden waren. Nachdem er sich zivilgerichtlich vergeblich gegen die erfolgten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gewandt hatte, stellte der anwaltlich nicht vertretene Antragsteller mit Schreiben an das Verwaltungsgericht vom 30. Juli 2023 den „Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 und 6 VwGO“ der Festsetzungsbescheide vom 2. November 2020, 2. Juni 2022 und 2. Januar 2023. Nach Anhörung der Beteiligten legte das Verwaltungsgericht das Begehren des Antragstellers sachlich als Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen den Festsetzungsbescheid des SWR vom 2. November 2020 und den Festsetzungsbescheid des Antragsgegners vom 2. Juni 2022 sowie als Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Festsetzungsbescheid des Antragsgegners vom 2. Januar 2023 in Höhe von 176,72 Euro aus.

4
b) Die Mahnaussetzung und die Ankündigung, auf (weitere) Vollstreckungsersuchen bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu verzichten, entfalten in Bezug auf den vorliegenden Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO keine Rechtswirkungen.

5
aa) Nach dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag rückständige Rundfunkbeiträge werden gemäß § 10 Abs. 5 RBStV durch die zuständige Landesrundfunkanstalt festgesetzt und zusammen mit Zinsen, Kosten und Säumniszuschlägen, die nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 RBStV in Verbindung mit den entsprechenden Satzungsregelungen zu entrichten sind, im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt (§ 10 Abs. 6 RBStV). In Bayern erfolgt die Zwangsvollstreckung gemäß Art. 7 Satz 1 des Ausführungsgesetzes Medienstaatsverträge – AGM – im Vollstreckungsverfahren nach den Vorschriften des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes. Der Antragsgegner ist insoweit als Anstalt des öffentlichen Rechts (Art. 1 Abs. 1 Bayerisches Rundfunkgesetz) gemäß Art. 27 Abs. 1 Satz 1 und Art. 26 Abs. 1 VwZVG in Verbindung mit Art. 7 Satz 2 AGM die zuständige Anordnungsbehörde i.S.v. Art. 20 Nr. 1 VwZVG. Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG ordnet die Anordnungsbehörde die Vollstreckung dadurch an, dass sie auf eine Ausfertigung des Leistungsbescheids oder eines Ausstandsverzeichnisses die Klausel setzt: „Diese Ausfertigung ist vollstreckbar“. Gemäß Art. 7 Satz 2 AGM ist der Antragsgegner befugt, für die Vollstreckung seiner Forderungen eine Vollstreckungsanordnung zu erteilen und zu diesem Zweck die Vollstreckungsklausel auf die Ausfertigung des Leistungsbescheids oder eines Ausstandsverzeichnisses zu setzen. Bei einer Vollstreckungsanordnung, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können Unterschrift und Dienstsiegel fehlen (Art. 7 Satz 3 AGM, Art. 24 Abs. 3 VwZVG).

6
Gemäß Art. 26 Abs. 7 Satz 1, Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VwZVG sind auf die Vollstreckung von Ausstandsverzeichnissen die Vorschriften des Achten Buchs der Zivilprozessordnung über die Zwangsvollstreckung mit Ausnahme der §§ 883 bis 898 ZPO und damit auch § 754 ZPO entsprechend anzuwenden. Aus der entsprechenden Anwendung von § 754 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergibt sich, dass der Gerichtsvollzieher zur Vornahme der Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Rundfunkbeiträge in Bayern allein durch den Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung des Ausstandsverzeichnisses ermächtigt ist. Eine rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit eines dort aufgeführten Festsetzungsbescheids durch den Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht findet im Vollstreckungsverfahren nicht statt (vgl. BGH, B.v. 26.7.2018 – I ZB 78/17 – juris Rn. 15).

7
bb) Der Antragsgegner hat mit der Vollstreckungsanordnung vom 3. April 2023 die Verantwortung dafür übernommen, dass die in den Art. 19 und 23 VwZVG bezeichneten Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung in Bezug auf die im Ausstandsverzeichnis aufgeführten Festsetzungsbescheide gegeben sind. Dem hält der Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO entgegen, der im Ausstandsverzeichnis enthaltene Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 über Rundfunkbeiträge sei ihm zu keinem Zeitpunkt zugegangen. Da der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG nur vollstreckt werden darf, wenn er dem Leistungspflichtigen zugestellt wurde, macht der Antragsteller insoweit mit dem vorliegenden Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO formalinhaltliche Mängel des Ausstandsverzeichnisses geltend, die – falls sie tatsächlich vorliegen – die Vollstreckung bereits aus formalen Gründen verbieten würden (vgl. BayVGH, U.v. 8.6.1983 – 4 B 80 A. 590 – BayVBl 1984, 208, 209).

8
Das Begehren des Antragstellers im vorliegenden einstweiligen Anordnungsverfahren ist somit darauf gerichtet, in Anlehnung an § 732 ZPO durch gerichtliches Gebot den Antragsgegner als Anordnungsbehörde zu zwingen, die bereits begonnene Zwangsvollstreckung (nachträglich) vorläufig für unzulässig zu erklären und beim Hauptgerichtsvollzieher U. K. (als Vollstreckungsbehörde) die Einstellung der bereits eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen zu erwirken (vgl. Art. 22 Nr. 1 bzw. 4 VwZVG; BayVGH, U.v. 8.6.1983 – 4 B 80 A. 590 – BayVBl 1984, 208, 209). Anders als hinsichtlich der nach Verfahrenstrennung nicht mehr inmitten stehenden Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO kann dieses Begehren mit einer bloßen Mahnaussetzung und einem Verzicht auf (weitere) Vollstreckungsersuchen nicht erreicht werden. Dem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO fehlt daher nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

9
2. Entgegen dem Vorbringen im Beschwerdeverfahren verfügt der Antragsteller über einen Anordnungsanspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Festsetzungsbescheid des Antragsgegners vom 2. Januar 2023 in Höhe von 176,72 Euro. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass insoweit die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG nicht vorliegen, weil der Antragsgegner keinen Nachweis dafür erbracht hat, dass der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 dem Antragsteller zugestellt wurde.

10
a) Unabhängig davon, dass es für die Wirksamkeit des Festsetzungsbescheids keiner förmlichen Zustellung bedarf (vgl. Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG), weil weder im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag noch in der Rundfunkbeitragssatzung des Antragsgegners eine (förmliche) Zustellung angeordnet ist, kann der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 als Verwaltungsakt, mit dem eine öffentlich-rechtliche Geldleistung gefordert wird (Leistungsbescheid), nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG nur vollstreckt werden, wenn er dem Leistungspflichtigen zugestellt wurde.

11
Ist die Zustellung wie hier durch Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG bestimmt (Art. 1 Abs. 5 VwVZG), richtet sie sich nach den Vorschriften des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 VwZVG). Art. 17 Abs. 1 VwZVG bestimmt, dass die Zustellung von schriftlichen Bescheiden, die – wie Festsetzungsbescheide des Antragsgegners (vgl. § 10 Abs. 5 RBStV) – bei der Heranziehung zu sonstigen öffentlichen Abgaben und Umlagen ergehen, dadurch ersetzt werden kann, dass der Bescheid dem Empfänger durch einfachen Brief verschlossen zugesandt wird. Bei Zusendung durch einfachen Brief gilt die Bekanntgabe nach Art. 17 Abs. 2 Satz 1 VwZVG mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, dass das zuzusendende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Schriftstücks und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (Art. 17 Abs. 2 Satz 2 VwZVG).

12
b) Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Antragsgegner habe keinen Nachweis dafür erbracht, dass der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 dem Antragsteller zugestellt worden sei, ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners genügt die Rüge des Antragstellers, er habe den Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 nicht erhalten, um die Bekanntgabevermutung des Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwZVG zu widerlegen. Weder der Umstand, dass der Zeitpunkt der Aufgabe des Festsetzungsbescheids zur Post im Historiensatz des Antragsgegners vermerkt ist, noch die Tatsache, dass es keinen Postrückläufer für den Festsetzungsbescheid gegeben und der Antragsteller die sonstigen Briefe des Antragsgegners erhalten hat, rechtfertigen es, das Vorbringen des Antragstellers als Schutzbehauptung zu werten oder eine über das schlichte Bestreiten des Zugangs hinausgehende qualifizierte Darlegung von ihm zu fordern.

13
aa) Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Urteil vom 29. November 2023 – 6 C 3.22 – (juris Rn. 17 ff.) ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, wann die Bekanntgabevermutung nach § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG widerlegt ist. Es hat hierzu ausgeführt, das Eingreifen der Bekanntgabevermutung gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG setze einen schriftlichen Verwaltungsakt voraus, der an die zutreffende Adresse des Empfängers adressiert sei und im Inland durch die Post übermittelt werde. Darüber hinaus sei erforderlich, dass der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post als Ereignis, das den Lauf der Drei-Tage-Frist auslöse, feststehe (BVerwG, U.v. 29.11.2023 – 6 C 3.22 – juris Rn. 22 m.w.N.).

14
Die Bekanntgabevermutung entfalle gemäß § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei (Halbsatz 1); bei Zweifeln am Zugang oder seinem Zeitpunkt sei die Behörde nachweispflichtig (Halbsatz 2). Die Zweifelsregelung in § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG komme nur dann zur Anwendung, wenn nicht bereits Gewissheit über den Nichtzugang bzw. späteren Zugang bestehe. Die Frage, ob es einen Postrücklauf gebe, sei nicht erst im Rahmen der Zweifel des § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG zu würdigen; gebe es einen Postrücklauf, stehe vielmehr positiv fest, dass der Verwaltungsakt im Sinne des § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwVfG nicht zugegangen sei. Für einen Rückgriff auf die Zweifelsregelung bestehe dann kein Raum (BVerwG, U.v. 29.11.2023 – 6 C 3.22 – juris Rn. 23 m.w.N.).

15
Zweifel im Sinne des § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG seien schon dann gegeben, wenn die Behörde oder das Gericht den Zugang des Verwaltungsakts für ungewiss halte. Zur Darlegung von Zweifeln genüge regelmäßig das einfache Bestreiten des Zugangs, weil einem Adressaten, der den Zugang überhaupt bestreite – anders als bei einem verspäteten Zugang – eine weitere Substantiierung typischerweise nicht möglich sei. Denn in aller Regel lägen die Umstände der Postbeförderung und -zustellung, aus denen sich Schlüsse auf den Zugang oder Nichtzugang eines mit einfacher Post versandten Bescheids ziehen ließen, außerhalb der Sphäre des Adressaten, so dass dieser aufgrund eigener Wahrnehmung nicht mehr vortragen könne als die Tatsache, den Bescheid nicht erhalten zu haben. Bestreite der Adressat den Zugang, hätten die Behörde bzw. das Gericht die Glaubhaftigkeit seines Vortrags und seine Glaubwürdigkeit zu würdigen (BVerwG, U.v. 29.11.2023 – 6 C 3.22 – juris Rn. 24 m.w.N.).

16
Erweise sich das Bestreiten des Zugangs unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls als bloße Schutzbehauptung, bestünden keine Zweifel und es bleibe bei der gesetzlichen Bekanntgabevermutung. Anhaltspunkte für Schutzbehauptungen könnten sich aus der Rechtsbeziehung zwischen der Behörde und dem Adressaten ergeben, aber auch aus der Sphäre des Adressaten selbst herrühren (BVerwG, U.v. 29.11.2023 – 6 C 3.22 – juris Rn. 25 m.w.N.).

17
Ein qualifiziertes Bestreiten des Bescheidszugangs würde es dem Adressaten unmöglich machen, die gesetzliche Vermutung im Einzelfall zu widerlegen. Umstände wie die Dokumentation des Postausgangs und ein fehlender Rücklauf mehrerer Schreiben ermöglichten einem Adressaten weder einzeln noch in der Kombination eine über das schlichte Bestreiten des Zugangs hinausgehende Substantiierung. Darlegungslasten, die auf etwas objektiv Unmögliches gerichtet seien, dürfe es aber in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht geben. Überdies erschwerten derartige Substantiierungserfordernisse den Rechtsschutz des Adressaten gegen die hoheitliche Maßnahme unverhältnismäßig. Es ließen sich lediglich dann für den Adressaten ausnahmsweise weitergehende Darlegungsobliegenheiten begründen, wenn es ihm tatsächlich möglich sei, konkrete Indizien für das Fehlen eines Zugangs vorzutragen (BVerwG, U.v. 29.11.2023 – 6 C 3.22 – juris Rn. 26 m.w.N.)

18
bb) Die rechtlichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG, die im Übrigen in einem Rundfunkbeitragsverfahren ergangen sind, sind auf den vorliegend in Bezug auf die Zustellung des Festsetzungsbescheids vom 2. Januar 2023 anzuwendenden und im wesentlichen gleichlautenden Art. 17 Abs. 2 VwZVG übertragbar. Die vom Antragsgegner vorgetragenen Einwände geben keinen Anlass, die Würdigung des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen, er habe keinen Nachweis dafür erbracht, dass der Festsetzungsbescheid dem Antragsteller zugegangen ist,.

19
Da der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 ordnungsgemäß an den Antragsteller adressiert, es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Brief nicht verschlossen war, und der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post zudem im – in den Akten des Antragsgegners befindlichen – Historiensatz vermerkt ist, sind die Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutungsregelung in Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwZVG zwar grundsätzlich erfüllt. Anders als der Antragsgegner meint, hat das Verwaltungsgericht jedoch nachvollziehbar begründet, warum es den Vortrag des Antragstellers für glaubhaft hält, er habe den Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 nicht erhalten. Anhaltspunkte dafür, dass vom Antragsteller ausnahmsweise weitergehende Darlegungsobliegenheiten zu fordern wären, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen. Dass im Mahnschreiben vom 16. Februar 2023 der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 erwähnt ist, führt nicht zu dessen Zustellung.

20
Nach alledem ist die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs.


Ergänzung: Urteil vom 29.11.2023 - BVerwG 6 C 3.22

Zitat
Widerlegung der Bekanntgabevermutung beim Bestreiten des Zugangs eines Verwaltungsakts

Leitsätze:

1. Einfaches Bestreiten reicht grundsätzlich aus, um Zweifel am Zugang eines Verwaltungsakts im Sinne des § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG darzulegen.

2. Bestreitet der Adressat den Zugang, sind die Glaubhaftigkeit seines Vortrags und seine Glaubwürdigkeit zu würdigen. Die ungewöhnlich hohe Anzahl vermeintlich nicht zugegangener Schreiben, für die es keine Erklärung gibt, reicht für sich genommen nicht aus, um von einer Schutzbehauptung auszugehen. Sie bietet aber einen Anlass für die Suche nach weiteren Anhaltspunkten in dieser Richtung.
Weiterlesen auf:
https://www.bverwg.de/291123U6C3.22.0





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