URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
21. Juli 2016(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wettbewerb – Art. 101 Abs. 1 AEUV – Rein innerstaatlicher Sachverhalt – Anwendung einer entsprechenden nationalen Vorschrift – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Abgestimmte Verhaltensweise – Haftung eines Unternehmens für das Fehlverhalten eines Dienstleisters – Voraussetzungen“
In der Rechtssache C-542/14https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=181950&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=25472034Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein Unternehmen grundsätzlich nur dann aufgrund des Fehlverhaltens eines selbständigen Dienstleisters, der für das Unternehmen Leistungen erbringt, für eine abgestimmte Verhaltensweise verantwortlich gemacht werden kann, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:
– Der Dienstleister war in Wirklichkeit unter der Leitung oder der Kontrolle des beschuldigten Unternehmens tätig, oder
– das Unternehmen hatte von den wettbewerbswidrigen Zielen seiner Konkurrenten und des Dienstleisters Kenntnis und wollte durch sein eigenes Verhalten dazu beitragen, oder
– das Unternehmen konnte das wettbewerbswidrige Verhalten seiner Konkurrenten und des Dienstleisters vernünftigerweise vorhersehen und war bereit, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.
Der Beitragsservice wurde seitens aller ÖRR geschaffen, ist kein Produkt gesetzgeberischen Handelns; folglich haften alle diese ÖRR auch unionsrechtlich für das Tun dieses, ihres gemeinsamen Beitragsservices.
Rn. 22Weiter ist darauf hinzuweisen, dass ein Unternehmen im Rahmen des Wettbewerbsrechts der Union als eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen ist, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird (Urteile vom 12. Juli 1984, Hydrotherm Gerätebau, 170/83, EU:C:1984:271, Rn. 11, und vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, C-97/08 P, EU:C:2009:536, Rn. 55).
Rn. 24Zur Feststellung von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht der Union kann also ein etwaiges wettbewerbswidriges Verhalten eines Angestellten dem Unternehmen zugerechnet werden, dem er angehört, da dieses prinzipiell dafür haftet.
Rn. 27Es lässt sich allerdings nicht ausschließen, dass unter bestimmten Umständen ein Dienstleister, der sich als selbständig ausgibt, in Wirklichkeit unter der Leitung oder der Kontrolle eines Unternehmens, das seine Dienste in Anspruch nimmt, tätig ist. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn er bezüglich der Art und Weise, wie er die vereinbarte Tätigkeit ausübt, über wenig oder überhaupt keine Autonomie und Flexibilität verfügt und seine angebliche Selbständigkeit ein Arbeitsverhältnis verschleiert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Dezember 2014, FNV Kunsten Informatie en Media, C-413/13, EU:C:2014:2411, Rn. 35 und 36). Eine solche Leitung oder Kontrolle könnte im Übrigen – wie bei der Beziehung zwischen Mutter? und Tochtergesellschaften – aus besonderen organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zwischen dem betreffenden Dienstleister und demjenigen, der die Dienste in Anspruch nimmt, abgeleitet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2015, Fresh Del Monte Produce/Kommission und Kommission/Fresh Del Monte Produce, C-293/13 P und C-294/13 P, EU:C:2015:416, Rn. 75 und 76 und die dort angeführte Rechtsprechung). Unter solchen Umständen könnte das auftraggebende Unternehmen für ein eventuelles Fehlverhalten des Dienstleisters verantwortlich gemacht werden.
Rn. 29Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Unternehmen dann für wettbewerbswidrige Absprachen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen verantwortlich gemacht werden kann, wenn es durch sein Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele hat beitragen wollen und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten Verhalten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni, C-49/92 P, EU:C:1999:356, Rn. 87).
Rn. 30Demnach kann die in Streit stehende abgestimmte Verhaltensweise dem auftraggebenden Unternehmen insbesondere dann zugerechnet werden, wenn es von den wettbewerbswidrigen Zielen seiner Konkurrenten und des Dienstleisters Kenntnis hatte und durch sein eigenes Verhalten dazu beitragen wollte. Eine solche Voraussetzung ist zwar erfüllt, wenn das Unternehmen die Absicht hatte, seinen Konkurrenten über seinen Dienstleister seine vertraulichen Geschäftsinformationen zu offenbaren, oder wenn es ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt hat, dass der Dienstleister diese vertraulichen Geschäftsinformationen mit den Konkurrenten teilt (vgl. entsprechend Urteile vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 82 bis 84, und vom 21. Januar 2016, Eturas u. a., C-74/14, EU:C:2016:42, Rn. 28), doch ist dies nicht der Fall, wenn der Dienstleister, ohne das auftraggebende Unternehmen darüber zu informieren, dessen vertrauliche Geschäftsinformationen genutzt hat, um die Angebote der Konkurrenten zu erstellen.
Rn. 31Die in Streit stehende abgestimmte Verhaltensweise kann dem auftraggebenden Unternehmen auch dann zugerechnet werden, wenn es vernünftigerweise vorhersehen konnte, dass der von ihm beauftragte Dienstleister seine Geschäftsinformationen mit seinen Konkurrenten teilen würde, und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.
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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MELCHIOR WATHELET
vom 3. Dezember 2015(1)
Rechtssache C-542/14https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=172581&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=25472034Hinweis: Die Darstellung des in Grün hervorgehobenen Wortes ist nicht ganz korrekt, aber die Tastatur verweigert die Darstellung des "u" mit "dem Strich darüber", wie er bei den "ý" dargestellt wird.35. Allerdings seien diese beiden Kriterien weder abschließend noch kumulativ. Aus dem Urteil Energetický a prumyslový und EP Investment Advisors/Kommission (T-272/12, EU:T:2014:995) gehe hervor, dass auch die Feststellung wichtig sei, ob das fragliche rechtswidrige Verhalten im Bereich der Kompetenzen des Beauftragten lag, während das Kriterium des wirtschaftlichen Risikos oder der Ausschließlichkeit nicht immer entscheidend sei.
37. Was zweitens die für die Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn für Handlungen seiner Beauftragten geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätze angeht, führt die Kommission aus, dass im französischen Recht(4) ein Geschäftsherr für das Verhalten des von ihm Beauftragten hafte, wenn die Zuwiderhandlung im Rahmen seiner - tatsächlichen oder scheinbaren - Aufgaben(5) begangen worden sei.
Was das französische Recht hier jetzt gerade direkt mit zu tun hat, erschließt sich nicht, da sich diese Rechtssache in einer Vorlage aus Lettland begründet. -> Ok; Originalsprache Französisch.
40. Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass eine abgestimmte Verhaltensweise einem Unternehmen nicht ohne Nachweis seiner bewussten Beteiligung daran zugerechnet werden kann. In diesem Rahmen ist, auch wenn die Rechtsprechung des Gerichtshofs keinen Beweis für einen bewussten Verstoß gegen Art. 101 AEUV fordert, dennoch die Feststellung erforderlich, dass das Unternehmen nicht ignorieren konnte, dass sein Verhalten eine Wettbewerbsbeschränkung zur Folge hatte( 8 ).
41. Insbesondere aufgrund der schweren Sanktionen für Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht kann die Verantwortlichkeit grundsätzlich nur persönlich sein, unabhängig davon, ob die Zuwiderhandlung vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde.
Aus den Rnn. 40 und 41 folgt, daß das Unionsrecht von Unternehmen erwartet, daß sie sich allzeit mit den Wettbewerbskonditionen der Union vertraut machen und diese einhalten, da es, wenn sie dagegen verstoßen, weder auf Vorsatz, noch Unwissen ankommt.
44. Wenn das Unternehmen selbst sich durch seine Vertreter oder Angestellten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Unternehmen wettbewerbsrechtswidrig verhält, haftet es unmittelbar, unabhängig davon, ob die Zuwiderhandlung vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. In diesem Fall setzt die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf das Unternehmen „keine Handlung und nicht einmal Kenntnisse der Inhaber oder Geschäftsführer des betreffenden Unternehmens voraus, sondern es genügt die Handlung einer Person, die berechtigt ist, für das Unternehmen tätig zu werden“( 9 ).
45. Dem Gerichtshof zufolge „findet die Beteiligung an nach dem AEU-Vertrag verbotenen Kartellen im Übrigen meistens im Verborgenen statt und unterliegt keinen Formvorschriften. Es kommt selten vor, dass ein Vertreter eines Unternehmens, der an einem Treffen teilnimmt, über eine Vollmacht für die Begehung einer Zuwiderhandlung verfügt.“ Daher ist „Art. 101 Abs. 1 AEUV … dahin auszulegen, dass es für die Bejahung des Vorliegens einer den Wettbewerb beschränkenden Vereinbarung nicht notwendig ist, das persönliche Handeln des satzungsgemäßen Vertreters eines Unternehmens oder die in Form einer Vollmacht erteilte persönliche Zustimmung dieses Vertreters zum Handeln eines seiner Mitarbeiter, der an einem wettbewerbswidrigen Treffen teilgenommen hat, nachzuweisen“( 10 ).
46. Die Rechtsprechung hat außerdem die Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften für gegen das Wettbewerbsrecht verstoßende Handlungen ihrer Tochtergesellschaften festgestellt, wenn diese Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden: „Verstößt eine solche wirtschaftliche Einheit gegen die Wettbewerbsregeln, hat sie nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für diese Zuwiderhandlung einzustehen“( 11 ).
47. Nach ständiger Rechtsprechung kann ferner „einer Muttergesellschaft das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft insbesondere dann zugerechnet werden, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt …, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssubjekte verbinden“( 12 ).
Es wäre möglicherweise interessant, der Frage nachzugehen, ob alle dt. ÖRR aus unionsrechtlicher Sicht 1 Unternehmen darstellen, da sie via ARD und BS freilich auf alle unionsrechtlich denkbaren Weisen miteinander verbunden sind, obschon es keine formale Muttergesellschaft hat, da weder ARD noch BS national als rechts-, partei- und prozessfähig geschaffen worden sind. Auch eine der Fragen, die unionsrechtlich noch ungeklärt sind, sofern man sie überhaupt klären wollen würde.
Die Tragweite dieser Entscheidung könnte aber auch Auswirkung auf die Printmedien haben, wo Zustellgesellschaften Tochtergesellschaften der Verlagshäuser sind, denn wenn sich diese Zustellgesellschaften über Unionsrecht hinwegsetzen, könnten das die Verlagshäuser selber letztlich an die Backe bekommen, wenn sie derartige Praktiken bei ihren Zustellgesellschaften nicht unterbinden. Es könnte unionsrechtlich als Mißachtung des Unionsrechts behandelt werden, wenn sich Zustellgesellschaften über die vom Bundesarbeitsgericht per Leitsatzentscheidung 5 AZR 25/17, (Leitsatz 2), bei lediglich Mindestlohn-Entlohnung festgesetzten 30%-Nachtarbeitszuschlages für in Dauernachtarbeit beschäftigten Zusteller*innen hinwegsetzen;
BAG 5 AZR 25/17http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&sid=42f643919c548aa2ab0669b97f64d44a&nr=20776&pos=0&anz=1
Bei Verarbeitung pers.-bez.-Daten ist das Unionsgrundrecht unmittelbar bindend; (BVerfG 1 BvR 276/17 & BVerfG 1 BvR 16/13)
Keine Unterstützung für
- Amtsträger, die sich über europäische wie nationale Grundrechte hinwegsetzen oder dieses in ihrem Verantwortungsbereich bei ihren Mitarbeitern, (m/w/d), dulden;
- Parteien, deren Mitglieder sich als Amtsträger über Grundrechte hinwegsetzen und wo die Partei dieses duldet;
- Gegner des Landes Brandenburg wie auch gesamt Europas;