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Autor Thema: BGH 2 BGs 408/20 - Freiheitsentzug -> Tragweite des Richtervorbehaltes  (Gelesen 2031 mal)

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Beschluss des Ermittlungsrichters vom 16.12.2020 - 2 BGs 408/20 -
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=121849&pos=0&anz=614

Rn. 16
Zitat
1. Rechtlich gilt insoweit – wie bereits an anderer Stelle wiederholt ausgeführt (vgl. etwa BGH [ER], Beschlüsse vom 12. Mai 2020 – 2 BGs 254-259/20, vom 22. Mai  2020 – 2 BGs 342/20, vom 15. Juni 2020 – 2 BGs 373/20, vom 9. Juli 2020 – 2 BGs 395/20 und vom 16. Juli 2020 – 2 BGs 408/20) - grundsätzlich Folgendes:

Rn. 17
Zitat
a) Durch den Richtervorbehalt wird eine vorbeugende Kontrolle der beantragten Ermittlungsmaßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz garantiert, die insbesondere dafür zu sorgen hat, dass die Interessen des Betroffenen angemessen berücksichtigt werden (vgl.  BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142, 151; BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 – 1 BvR 595/07, BVerfGE 120, 274, 332). Der Richter darf deshalb einem Antrag auf Anordnung einer Zwangsmaßnahme nur entsprechen, wenn er sich aufgrund einer eigenverantwortlichen Prüfung der Ermittlungen davon überzeugt hat, dass die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. März 2010 – StB 16/09, NStZ 2010, 711, 712). Insofern handelt es sich zwar lediglich um eine punktuelle Entscheidung über den von der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Vorverfahrens“ mit Blick auf § 162 StPO formulierten konkreten Antragsgegenstand; Grundlage der richterlichen Prüfung ist aber das zum Antragszeitpunkt bestehende, in den Ermittlungsakten Ausdruck findende vorläufige Gesamtergebnis des Ermittlungsverfahrens. Das hierin angelegte System wechselseitiger Kontrolle gehört zum Wesen des auf Wahrheitsfindung und Wiederherstellung von Rechtsfrieden ausgerichteten deutschen Strafverfahrensrechts  (vgl. etwa bereits K. Peters, NStZ 1983, 275, 276). Um eine solche eigenverantwortliche und ordnungsgemäße Prüfung durch den Richter zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass die Ermittlungsbehörden die Einhaltung des Grundsatzes der Aktenwahrheit und der Aktenvollständigkeit gewährleisten. Dies folgt bereits aus der Bindung der Verwaltung (und der Justiz) an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) und der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Pflicht zur Objektivität (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 6. Juni 1983 – 2 BvR 244/83, 2 BvR 310/83, NJW 1983, 2135, und vom 14. Juli 2016 – 2 BvR 2474/14, StV 2017, 361; vgl. ferner Gusy in Barton/Kölbel/Lindemann, Wider die wildwüchsige Entwicklung des Ermittlungsverfahrens [2015], S. 195 ff.).

Rn. 19
Zitat
[...] Es muss in einem rechtsstaatlichen Verfahren schon der bloße Anschein vermieden werden, die Ermittlungsbehörden wollten etwas verbergen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016 – 2 BvR 2474/14, StV 2017, 361, 362; BGH, Urteile vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 338 f., vom 11. Dezember 2013 – 5 StR 240/13, NStZ 2014, 277, 281, und vom 26. April 2017 – 2 StR 247/16, NJW 2017, 3173; BGH, Beschluss vom 2. September 2015 – 5 StR 312/15, BeckRS 2015, 15773; vgl. ferner zum Aktenbegriff NdsStGH, Urteil vom 24. Oktober 2014 – StGH 7/13, NordÖR 2015, 16, 19).

Rn. 23
Zitat
b) Um eine eigenverantwortliche und ordnungsgemäße Prüfung durch den Ermittlungsrichter sicherzustellen, haben Aufbau, Vollständigkeit und Klarheit der Ermittlungsakten zahlreichen, in der deutschen Strafverfolgungspraxis seit jeher etablierten Anforderungen zu genügen. Hierzu an dieser Stelle (vgl. hierzu im Einzelnen Beschluss vom 12. Mai 2020 – 2 BGs 254-259/20 aus dem Verfahren 2 BJs 146/20-9) nur Folgendes:

Rn. 30
Zitat
e) Allein dem angerufenen Richter obliegt vom Zeitpunkt seiner Befassung an die Entscheidung, ob es vor seiner Entscheidung weiterer Sachaufklärung durch die Ermittlungsbehörden bedarf und in welcher Form ihm die Entscheidungsgrundlagen – etwa in Papierform oder als elektronische Hilfsakte – vermittelt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 – 2 BvR 2718/10, 1849 und 2808/11, BVerfGE 139, 245, 274, 277 ff.;  BGH, Beschluss vom 23. März 1996 – 1 StR 685/95, BGHSt 42 103, 105).

Rn. 32
Zitat
bb)  Den verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Anforderungen an die Gewährleistung einer eigenverantwortlichen gerichtlichen Prüfung bei Grundrechtseingriffen wird auch das sog. Repräsentat nach § 2 der Verordnung der Bundesregierung über die technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die elektronische Aktenführung im Strafverfahren (Bundesstrafaktenführungsverordnung  [BStrafAktFV]  vom  9.  Dezember 2019 [BGBl. 2019 I S. 2140]) in jeder Hinsicht Rechnung zu tragen haben (in diesem Sinne auch (vgl. BT-Drucks. 18/9416, S. 42; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, a.a.O., § 32 Rn. 1; im Einzelnen Graalmann-Scheerer in FS Wolf [2018], S. 187 ff.; vgl. ferner Growe/Gutfleisch, NStZ 2020, 633, 637 ff.).

Rn. 35
Zitat
bb) Zugleich besteht in diesen Verfahrenskonstellationen grundsätzlich kein Raum mehr, auch fortan weitere ermittlungsrichterliche Anordnungen lediglich auf der Grundlage einer staatsanwaltschaftlichen Auswahl von Ermittlungsergebnissen zu erwirken. Der angerufene Ermittlungsrichter wird in dem betroffenen Verfahren nämlich nicht mehr davon ausgehen können, dass zukünftig zusammengestellte Aktenteile alle aktuellen und maßgebenden Ermittlungsergebnisse enthalten. Deshalb ist jedenfalls von diesem Zeitpunkt an grundsätzlich die Vorlage der gesamten Ermittlungsakte zur Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen der beantragten gerichtlichen Untersuchungshandlungen erforderlich

Rn. 36
Zitat
g) Soll im Ermittlungsverfahren ein Haft- oder Unterbringungsbefehl und damit eine freiheitsentziehende Ermittlungsmaßnahme erwirkt werden, kommt allerdings die Vorlage nur ausgewählter Aktenteile nicht in Betracht. Denn die den vorstehend benannten Maßgaben entsprechende Dokumentation des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens als Grundlage einer eigenverantwortlichen und unabhängigen Anordnung des Ermittlungsrichters sichert gerade auch den effektiven Rechtsschutz des Beschuldigten bei beantragten Freiheitsentziehungen im strafprozessualen Ermittlungsverfahren ab und verleiht dem in Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG verankerten Richtervorbehalt und seiner Sicherungsfunktion (vgl. nur BVerfG,  Beschluss  vom 14.  Mai 2020 – 2 BvR 2345/16, NVwZ-RR 2020, 801, 803) besondere Wirkmacht.

Rn. 37
Zitat
aa) Im Hinblick auf die wertsetzende Bedeutung des Rechts auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist der zu gewährleistende Grundrechtsschutz bereits durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken (vgl. hierzu  BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 1979, BVerfGE 53, 3, 65, vom 22. August 2017 – 2 BvR 2039/16, BeckRS 2017, 123193, und vom 13. Oktober 2016 – 2 BvR 1275/16, BeckRS 2016, 53503). Hiernach hat der Ermittlungsrichter der rechtsstaatlich unverzichtbaren Voraussetzung Rechnung zu tragen, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, unter Beachtung der hierfür vorgeschriebenen Formen ergehen und auf zureichender – dem Gewicht der Freiheitsgarantie entsprechender – Tatsachengrundlage beruhen (vgl. BVerfG,  Beschlüsse vom 8. Oktober 1985 – 2 BvR 1150/80, BVerfGE  70, 297, 310, vom 7. Oktober 1981 – 2 BvR  1194/80, BVerfGE 58, 208, 222, vom 22. November 2011 – 2 BvR 1334/10, StV 2012, 292, 293, und vom 18. September 2018 – 2 BvR 745/18, BeckRS 2018, 25842; hierzu auch Maunz/Dürig/Mehde, GG, 91. EL., Art. 104 Rn. 135 ff.; ders. JZ 2020, 922, 923). Eine schlichte Plausibilitätsprüfung genügt dem nicht (vgl. nur BeckOK-GG/Radtke, 44. Ed., Art. 104 Rn. 13; ferner BGH, Urteil vom 29. Mai 1958 – III ZR 38/57, NJW 1959, 35, 37).

Rn. 39
Zitat
cc)  Auf eine Auswahl einzelner Ermittlungserkenntnisse und die – auch konkludente – Versicherung der Anklagebehörde, dass weitere be- oder entlastende Umstände im Zeitpunkt der Antragsstellung nicht vorliegen  (s.  B.III.1h], S. 28), hat sich der Richter bei der Frage der Freiheitsentziehung grundsätzlich nicht verweisen zu lassen. Dies gilt gleichermaßen für eine schlichte Vorlage zusammenfassender polizeilicher Ermittlungsberichte oder polizeilicher Aktenvermerke; diese ersetzen die Vorlage der Primärquellen nicht. Eine eigenverantwortliche gerichtliche Bewertung setzt die Kenntnis der Beweismittel selbst voraus und beschränkt sich nicht auf das Vertrauen auf nachvollziehbare polizeiliche Erwägungen (vgl. – freilich im Kontext zu Art. 103 Abs. 1 GG bei vollzogenem Arrest – nur BVerfG, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 2 BvR 1075/05, NStZ 2006, 459, 460).

Auch wenn es sich hier zwar um ein Strafverfahrenen handelte, ist sehr anzunehmen, daß die Aussagen in Belangen des Richtervorbehaltes grundsätzliche Gültigkeit haben, also überall dort zum Tragen kommen, wo der Richtervorbehalt gesetzlich bestimmt ist; der Freiheitsentzug steht immer unter Richtervorbehalt.

Querverweis zu:

EGMR Rechtssachen I./S., G. vs. Deutschland - Zulässigkeit des Freiheitsentzuges
https://gez-boykott.de/Forum/index.php/topic,35482.msg214666.html#msg214666


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Danke @pinguin für das Auffinden und Einstellen dieser wichtigen Entscheidung. Daß dem Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG nicht nur eine Genehmigungs-, sondern auch eine Kontrollfunktion zukommt, ist in der zitierten Entscheidung in unmißverständlicher Deutlichkeit ausgeführt.

Daß diese Kontrollfunktion in gleichem Umfang auch einem Richter obliegt, der über den Antrag eines Gläubigers auf Erlaß eines Haftbefehls zur Vollstreckung der Erzwingungshaft zu entscheiden hat, hat der BGH im Beschluß v. 14.08.2008, Az. I ZB 10/07 eindeutig klargestellt:

Leitsatz:
Zitat
Wird beim Amtsgericht nach § 208 Abs. 8 AO die Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung beantragt, hat der Richter sämtliche Voraussetzungen für die Anordnung der Erzwingungshaft und damit auch das Bestehen der Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und das Vorliegen eines Haftgrunds zu überprüfen.

aus den Entscheidungsgründen:
Zitat
Weitgehend Einigkeit besteht, dass das Gericht jedenfalls das Vorliegen eines Haftgrundes prüfen muss (so OLG Köln Rpfleger 2000, 461; LG Kassel DGVZ 1996, 27; LG Hamburg Rpfleger 1997, 173, 174; LG Dresden Rpfleger 1999, 501; LG Potsdam Rpfleger 2000, 558; LG Detmold Rpfleger 2001, 507; LG Braunschweig Rpfleger 2001, 506; LG Köln MDR 2004, 355; LG Stendal DGVZ 2003, 188; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Stand Juni 2002, § 284 AO Rdn. 98; Klein/ Brockmeyer, Abgabenordnung, 9. Aufl., § 284 AO Rdn. 17; Kruse in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Stand August 2006, § 284 AO Rdn. 33; v. Wedelstädt/Lemaire, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 18. Aufl., § 284 AO Rdn. 25; MünchKomm.ZPO/Eickmann, 3. Aufl., § 901 Rdn. 4; Musielak/Voit, ZPO, 6. Aufl., § 901 Rdn. 7; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 901 Rdn. 4). Wie das Beschwerdegericht geht die wohl überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum davon aus, dass das Amtsgericht darüber hinaus das Bestehen einer Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu prüfen hat (so OLG Köln Rpfleger 2000, 461 [anders noch OLG Köln OLG-Rep. 1993, 278]; LG Hamburg Rpfleger 1997, 173, 174; LG Dresden Rpfleger 1999, 501; LG Potsdam Rpfleger 2000, 558; LG Braunschweig Rpfleger 2001, 506; LG Köln MDR 2004, 355; LG Stendal DGVZ 2003, 188; Klein/Brockmeyer aaO § 284 AO Rdn. 17; Kruse in Tipke/Kruse aaO § 284 AO Rdn. 33; v. Wedelstädt/Lemaire aaO § 284 AO Rdn. 25; Musielak/Voit aaO § 901 Rdn. 7; a.A. LG Kassel DGVZ 1996, 27; LG Detmold Rpfleger 2001, 507; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler aaO § 284 AO Rdn. 99; MünchKomm.ZPO/Eickmann aaO § 901 Rdn. 4). Der Senat teilt diese Auffassung.

Zitat
Die Anordnung der Erzwingungshaft ist nach § 208 Abs. 8 AO i.V. mit § 901 ZPO dem Richter vorbehalten. Diese Regelung ist bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung so zu verstehen, dass das Amtsgericht das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen für die Anordnung der Erzwingungshaft und damit auch das Bestehen der Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und das Vorliegen eines Haftgrundes zu überprüfen hat. Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG der Richter zu entscheiden. Diese Bestimmung regelt zwar nicht, unter welchen Voraussetzungen der Richter eine Freiheitsentziehung anordnen darf. Maßgeblich sind insoweit die einfachgesetzlichen Bestimmungen, die gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG das Nähere regeln. Das sind im Streitfall die § 208 AO, § 901 ZPO. Aus dem Sinn und Zweck des Richtervorbehalts folgt jedoch, dass die Einschaltung und die Entscheidung des Richters nicht nur eine Formsache sein, sondern gewährleisten soll, dass der unabhängige und neutrale Richter selbst umfassend prüft und entscheidet, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung gegeben sind (vgl. zu Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 57, 346, 355 f.; 83, 24, 33).

Zitat
Ein Verwaltungsakt entfaltet im Zivilprozess zwar grundsätzlich Tatbestandswirkung, so dass nicht nur der Erlass des Bescheids als solcher, sondern auch sein Ausspruch von den Zivilgerichten hinzunehmen und ihren Entscheidungen zugrunde zu legen ist (BGH, Urt. v. 19.10.2007 - V ZR 42/07 Tz. 17, juris m.w.N.). Die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts, mit dem die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung angeordnet wird, kann das um Anordnung der Erzwingungshaft ersuchte Amtsgericht jedoch nicht an der nach Art. 104 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gebotenen eigenständigen Prüfung hindern, ob der Schuldner nach den Vorschriften der Abgabenordnung zur eidesstattlichen Versicherung verpflichtet ist.

Zitat
Entsprechendes gilt für die Prüfung, ob ein Haftgrund besteht. Selbst wenn der Antrag der Vollstreckungsbehörde an das zuständige Amtsgericht zur Anordnung der Haft zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung als Verwaltungsakt anzusehen wäre (so BFH BStBl II 1985, 197; MüllerEiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler aaO § 284 AO Rdn. 95; a.A. FG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 8.7.1999 - 1 U 112/99, juris; Klein/Brockmeyer aaO § 284 AO Rdn. 17; Kruse in Tipke/Kruse aaO § 284 AO Rdn. 32), wäre das Amtsgericht aus den dargelegten Gründen nicht an die Beurteilung der Vollstreckungsbehörde gebunden, dass ein Haftgrund vorliegt.

Diese Worte sind eindeutig.

Jetzt bleibt nur noch die Frage, ob es eine eindeutige Rechtsprechung zu der Frage gibt, ob durch eine willentlich unterlassene vollständige Prüfung der Voraussetzungen für den Erlaß des Haftbefehls der Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt wird.

Bitte zur Wahrung der Übersichtlichkeit hierzu keine Diskussion, sondern nur Hinweise / Links auf entsprechende gerichtliche Entscheidungen.


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@querkopf

Dank gebührt auch Dir; der von Dir ergänzend eingestellte BGH-Beschluß führt zu mehreren Entscheidungen des BVerfG, die sich mit dem Begriff "Zwangsvollstreckung" und "Richtervorbehalt" befassen.

Dieser "Richtervorbehalt" ist dabei absolut, denn Art 13 Abs 2 GG betreffs der Unverletzlichkeit der Wohnung entfaltet unmittelbare Wirkung.

BVerfGE 51, 97 - Zwangsvollstreckung I
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv051097.html

Rn. 19
Zitat
Die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts ist begründet. Die Durchsuchungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers haben das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 GG verletzt, da sie ohne richterliche Anordnung vorgenommen worden sind.

Auch hier hat es den Richtervorbehalt; weder Gerichtsvollzieher, noch Vollstreckungsdienstkraft dürfen so einfach fremde Wohnungen betreten; siehe weiter zitierte Rn. 24.

Rn. 20
Zitat
Als Prüfungsmaßstab kommt allein Art. 13 GG (Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung), und zwar im besonderen Art. 13 Abs. 2 GG (Grundrechtsschutz gegen die Durchsuchung von Wohnungen), in Betracht. Die weiter als verletzt gerügten Grundrechtsnormen des Art. 1 und des Art. 2 Abs. 1 GG scheiden gegenüber jener Spezialvorschrift aus.

Rn. 24
Zitat
aa) Es kann dahingestellt bleiben, wie weit der Begriff der Durchsuchung in Art. 13 Abs. 2 GG reicht und wie er gegenüber den "Eingriffen und Beschränkungen" im Sinne des Art. 13 Abs. 3 GG abzugrenzen ist (vgl. BVerfGE 32, 54 (73)). Denn jedenfalls beschränkt sich Art. 13 Abs. 2 GG nicht auf strafprozessuale Durchsuchungen, sondern gilt auch für andere behördliche Durchsuchungen der Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 32, 54 (73) und 16, 239 (240f); sa Bettermann, in: Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, 3. Bd, 2. Halbband, S 894; Knemeyer, a.a.O., m.w.N.; Gentz, Die Unverletzlichkeit der Wohnung, 1968, S 53ff; aA Friedrich Klein, in: von Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl, 1957, Art. 13 Anm IV 2a; - zum Begriff der Wohnung vgl. BVerfGE 32, 54 Leitsatz 1 und S 68ff, bes S 68, 72). Insoweit kann die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herangezogen werden (vgl. ebenso BVerfGE 32, 54 (73)), wonach für den Begriff der Durchsuchung kennzeichnend ist das zielgerichtete und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (BVerfGE 47, 31 (37); 28, 285 (287ff)).

Rn. 25
Zitat
Durchsuchungen einer Wohnung mit dem Ziel, pfändbare Gegenstände aufzufinden und für die beabsichtigte Zwangsvollstreckung zu pfänden, gehören danach begrifflich zu den Durchsuchungen im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG.

Rn. 26
Zitat
bb) Im übrigen ist der Wortlaut der Vorschrift insofern eindeutig und keiner Auslegung zugänglich, als Durchsuchungen schlechthin dem hier statuierten Richtervorbehalt unterworfen werden. Es wird weder nach den unterschiedlichen Formen der Durchsuchung noch nach den verschiedenen Anwendungsgebieten in irgendeiner Hinsicht differenziert.

Rn. 27
Zitat
b) Auch der Schutzzweck der Grundrechtsbestimmung spricht für die wörtliche Auslegung. Zwar erscheint bei Durchsuchungen im Wege der Zwangsvollstreckung die Gefahr von Mißbräuchen geringer als in anderen Fällen. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß solche Durchsuchungen vom Schutzzweck der Regelung nicht mitumfaßt sind. Das gewaltsame Eindringen staatlicher Organe in eine Wohnung und deren Durchsuchung bedeutet regelmäßig einen schweren Eingriff in die persönliche Lebenssphäre des Betroffenen. Der - ebenso wie bei dem elementaren Grundrecht der Freiheit der Person (vgl. Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) - verstärkte verfassungsrechtliche Schutz gerade der Wohnräume im engeren Sinn entspricht daher dem grundsätzlichen Gebot unbedingter Achtung der Privatsphäre des Bürgers (BVerfGE 32, 54 (73)) und hängt eng zusammen mit dem Schutz der Persönlichkeitsentfaltung in Art. 2 Abs. 1 GG. Dem Einzelnen soll das Recht, "in Ruhe gelassen zu werden" (BVerfGE 27, 1 (6)), in seinen Wohnräumen gesichert werden (BVerfGE 32, 54 (75)). Der in einer Durchsuchung liegende Eingriff soll daher grundsätzlich nur stattfinden, wenn zuvor eine neutrale, mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattete Instanz geprüft hat, ob die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen.

Rn. 43
Zitat
c) Gegenüber der Stringenz einer Regelung mit Verfassungsrang müssen ferner alle Einwände scheitern, die sich darauf stützen, daß die Mitwirkung eines Richters bei sämtlichen Vollstreckungsdurchsuchungen zu einer starken Arbeitsbelastung und zu viel Leerlauf führen müsse.

Rn. 44
Zitat
Es trifft zunächst nicht zu, daß der Richter - wie vielfach behauptet wird - nichts zu prüfen und keinerlei Entscheidungsspielraum habe. Die Anordnung der Durchsuchung steht auch bei der Vollstreckung zivilrechtlicher Titel - ebenso wie im Strafverfahren (vgl. BVerfGE 20, 162 (186); 42, 212 (220)) - unter dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Für den Fall eines möglicherweise unangemessen schweren Eingriffs (Vollstreckung zur Nachtzeit und an Sonntagen und allgemeinen Feiertagen) ordnet § 761 ZPO ohnehin die automatische Einschaltung des Richters an. Hinzu kommen aber noch weitere Fälle, in denen die Vollstreckung eines zivilrechtlichen Titels gerade im Wege der Durchsuchung der Wohnung des Schuldners für diesen eine unverhältnismäßige Härte bedeuten könnte (zB Krankheit des Schuldners oder eines Familienangehörigen, Bagatellforderungen usw). Außerdem darf die Vollstreckungsdurchsuchung nur unter bestimmten förmlichen und materiellen Voraussetzungen stattfinden, die einer Nachprüfung zugänglich sind, wenngleich im Vollstreckungsverfahren der Inhalt des Titels keiner materiellrechtlichen Prüfung mehr unterliegt.

Rn. 47
Zitat
d) Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann schließlich auch der nachträglichen Billigung der Maßnahmen des Gerichtsvollziehers durch die Entscheidung des Amtsrichters über die Erinnerung des Beschwerdeführers nicht die Wirkung einer richterlichen Anordnung im Sinne des Art. 13 Abs 2 GG beigelegt werden. Denn die dort vorgesehene Einschaltung des Richters betrifft nicht eine nachträgliche Rechtskontrolle, wie sie schon durch Art. 19 Abs 4 GG gewährleistet ist, sondern soll im Interesse eines wirksamen Schutzes der "räumlichen Privatsphäre" eine präventive richterliche Kontrolle sicherstellen.

Rn. 48
Zitat
Veranlaßt ist die Grundrechtsverletzung ersichtlich dadurch, daß § 758 ZPO entsprechend der bisher vorherrschenden restriktiven Interpretation des Art. 13 Abs 2 GG keine Bestimmung über das Erfordernis einer richterlichen Anordnung für die Durchsuchung enthält (ebenso § 287 der Abgabenordnung vom 16. März 1976 - BGBl I S 613 - vgl. hierzu die Begründung der Bundesregierung zu § 270 des Entwurfs einer Abgabenordnung - BTDrucks VI/1982 S 179f). Indessen ist Art. 13 Abs 2 GG unmittelbar geltendes und anzuwendendes Recht (vgl. BVerfGE 3, 225 (239f) zu Art. 3 Abs 2 GG und BVerfGE 10, 302 (329) zu Art. 104 Abs 2 Satz 1 und 2 GG). § 758 ZPO wird daher durch Art. 13 Abs 2 GG dahin ergänzt, daß die Durchsuchung, soweit nicht Gefahr im Verzuge ist, der Anordnung durch den Richter bedarf. Das dabei einzuhaltende Verfahren kann ohne besondere Schwierigkeiten in Analogie zu dem Verfahren gemäß § 761 ZPO gestaltet werden. Es sind die einschlägigen Vorschriften des achten Buches der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

Weiterführend und thematisch passend hat es auch eine Entscheidung des BVerfG zum Richtervorbehalt selbst.

BVerfGE 105, 239 - Richtervorbehalt
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv105239.html

Rn. 22
Zitat
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als "unverletzlich". Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 10, 302 [322]; 29, 312 [316]; 32, 87 [92]; 65, 317 [322] ). Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen (vgl. BVerfGE 94, 166 [198]; 96, 10 [21]), also vor Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 22, 21 [26]).

Rn. 23
Zitat
1. Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 [322]; 58, 208 [220] ). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 [323]; 29, 183 [195]; 58, 208 [220] ). Freiheitsbeschränkungen, also Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit, bedürfen einer materiell-gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfGE 2, 118 [119]; 29, 183 [195] ), wobei ein Bundes- oder Landesgesetz in Betracht kommt. Inhalt und Reichweite der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes sind von den Gerichten so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten (vgl. BVerfGE 65, 317 [322 f.]; 96, 68 [97]

Rn. 24
Zitat
2. Freiheitsbeschränkung (Art. 104 Abs. 1 GG) und Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 2 GG) grenzt das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität des Eingriffs ab. Freiheitsentziehung ist die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung (vgl. BVerfGE 10, 302 [323] ). Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist. Der Tatbestand der Freiheitsentziehung kommt nur in Betracht, wenn die -- tatsächlich und rechtlich an sich gegebene -- körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird (vgl. BVerfGE 94, 166 [198]).

Rn. 25
Zitat
3. Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 [323] ). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. zu Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 103, 142 [151 ff.] ). Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters -- jedenfalls zur Tageszeit (vgl. etwa § 188 Abs. 1 ZPO, § 104 Abs. 3 StPO) -- zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 156).

Rn. 26
Zitat
a) Gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Die Freiheitsentziehung setzt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus (vgl. nur BVerfGE 10, 302 [321]; 22, 311 [317]; Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 104 Rn. 23; Grabitz, Freiheit der Person, in: HStR VI, § 130 Rn. 25).


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