Aus Kindheitstagen hatte ich den für mich ungeheuerlichen Spruch im Gedächtnis:“Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ (Das steht in der Bibel und einige prominente Leute haben es bei irgendwelchen Anlässen zitiert.)
Ich habe das damals als längst überholten Ausfluß einer harten Lebenswirklichkeit und einer nationalsozialistischen Prägung eingeordnet und natürlich abgelehnt.
Das Leitprinzip des AlgII ist die Formel „Fördern und Fordern“ und das heißt nichts anderes, als daß die Hartz4ler arbeiten müssen, - andernfalls, wenn sie sich weigern, sollen sie auch „nicht essen“.
Die Konsequenz wäre also, sie sollen „verrecken“.
Jeder halbwegs intelligente Mitarbeiter der Kreisjobcenter ist sich bewußt, daß er „Sklavenbetreuung“ betreibt.
Wegen der Inhaltsleere, wegen der erkannten Überflüssigkeit der eigenen Tätigkeit, die eigentlich Stellenabbau zur Folge haben müßte, ist die gesamte Mitarbeiterschaft jetzt ja auch hoch euphorisch, weil sich dank der Flüchtlinge neue Betätigungsfelder abzeichnen.
Jeder weiß, daß es nicht mehr für alle genügend sozialversicherungspflichtige Jobs gibt mit einer Entlohnung, die eine bescheidene Existenz ermöglicht. Und unser kapitalistisches Wirtschaftssystem produziert nicht nur Gewinne und Gewinner, sondern fortlaufend auch Verlierer.
Manche Arbeiten sind nicht einträglich, z.B. um eine Sicherung im Alter oberhalb der Grundsicherung zu gewährleisten, sondern erniedrigend und zehrend.
Und unsere Wirtschaft ist so aufgebaut, daß die Reichen weiter die Profite einstreichen können und reicher werden, gerade dann wenn sie zu Billigstbedingungen Harzt4ler einstellen.
(In diesem Zusammenhang würde ich zu den Profiteuren alle Nutznießer zählen, die in dieses Gesellschafts-/Wirtschaftssystem integriert sind und das umfasst z.B. gut versorgte Rentner, Selbständige, Beamte und alle möglichen Einkommensbezieher und das reicht m.E. bis zu Niedriglohnbranchen. Wo soll man eine Grenze ziehen?
Indem sie eine Arbeit annehmen, bekennen sie sich zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die ungleichen Reichtum schafft und durch Medienunterhaltung (Fußball, Nachrichten, Krimis, Unterhaltung, Spiele…) ideologisch zusammengehalten wird.
Die übergrosse Mehrheit der Gesellschaft steht sozusagen in Opposition zu den Hartz4-Beziehern und solidarisiert sich eher mit den Interessen der Mächtigen und Reichen.
(Kleiner Exkurs: In Afghanistan und in anderen Unruhestaaten haben die wenigsten Arbeit und profitieren eben nicht von dem Wirtschaftssystem, das zum großen Teil aus einem Geldzufluß aus dem Ausland basiert. Entsprechend gering ist die Loyalität zur Zentralregierung und zur „Gewinngemeinschaft“. Bei Abrücken der ISAF-Soldaten und dem Versiegen der ausländischen Subventionen erobern jetzt die Taliban Dörfer und Städte fernab der Hauptstadt Kabul zurück)
Die Zusammenhänge soziologisch zu analysieren ist wichtig.
R. Boes kann das und ich habe ihn vor ca. einem Jahr wahrgenommen als einen eloquenten Kritiker des Harzt4 Systems und zwar als „Einzelkämpfer“, der selber in der Hartz4-Mangel steckt und es geschafft hat, seine Probleme öffentlich zu machen und die Verlogenheit von Politik und Bürokratie zu entlarven.
Er hat mir Argumente geliefert, die mir so nicht bewußt waren.
Seine Leistung respektiere ich sehr, weil mir nun mal jeder sympathisch ist, der sich gegen ein Unterdrückungssystem zur Wehr setzt.
Und ich sehe in seinem Kampf gegen das Hartz4-System und gegen die neoliberale Ausrichtung unserer Gesellschaft eine Parallele zum Widerstand gegen die Haushaltsabgabe.
Die Einführung der Haushaltsabgabe ist ein wesentlicher Schritt zu einem System der Manipulation und der geistigen Unterdrückung der Bevölkerung in einem Staat (demnächst Überstaat Europa), der weitgehend von kapitalgesteuerten Interessen beherrscht wird und Mitbestimmung ausschließt. Ich unterstelle, daß die meisten Hartz4ler resigniert haben und isoliert ihren persönlichen Kampf mit dem Amt führen.
Das dürfte bei den Mitmenschen auf Bedauern stoßen, aber wer von denen, die ein halbwegs erfolgreiches, „gelungenes“ Leben hingelegt haben oder sich noch voll dafür ins Zeug legen, sollte über ein paar warme Worte hinausgehend sich mit Hartz4-Beziehern und R. Boes identifizieren oder solidarisieren?
Zitat R.Boes:
“ ...und da heißt mein Satz: Je wichtiger eine Arbeit ist, um so weniger schaut man auf Geld.... „
und
„Sämtliche Kulturleistungen der Welt verdanken sich nur solchen Arbeiten, die nicht nur gemacht worden sind, weil sie Geld bringen...“
(Diese Feststellung von Herrn Boes finde ich etwas schwärmerisch und nicht richtig)
R. Boes macht aus seiner Protestaktion ein Kunstprojekt, ein Happening. Damit bringt er das (nicht nur sein) Problem in die öffentliche Wahrnehmung insbesondere auch der Nicht-Hartz4-Bezieher.
Er bietet eine Argumentation an, die sich alle zu eigen machen können. Viele, die heute noch von Hartz4 verschont sind, werden im Alter davon betroffen sein.
R. Boes ist allerdings (noch) nicht der gewählte Interessenvertreter der Hartz4-Bezieher.
Die Konsequenz, die von seiner Kritik an Hartz4 zwingend zu der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen führt, sehe ich nicht. Allerdings kenne ich hier seine Begründung nicht.
Voraussetzung einer gerechteren Verteilung des Reichtums in einer Gesellschaft ist (erst einmal das Vorhandensein von Reichtum und) das Vorhandensein von Grenzen, also die Ausgrenzung von notleidenden Menschen aus ärmeren Weltgegenden(?).
Welcher politischen Richtung R. Boes nahe steht weiß ich nicht. Wenn er mit SPD, Grünen und Linken sympathisiert(?), die unsere Grenzen für Flüchtlinge aus aller Welt (Armutsflüchtlinge auch nur aus Europa gibt es viele) weitgehend öffnen würden, und wenn er sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt, könnte das dazu führen, daß alle diese Menschen dann sehr schnell das hiesige Sozial-, Gesellschafts-, Renten- oder Wirtschaftsgefüge usw. aus den Angeln heben würden.
Welche Politiker, welche Interessenvertreter der hier seit Generationen lebenden deutschen Bürger, sollten das dann neu ordnen? Und wer sollte diese Politiker legitimieren? Der weitaus größte Teil der Deutschen möchte eine Begrenzung der Zuwanderung und möchte in der eigenen Nachbarschaft kein Flüchtlingslager.
Der ÖRR wirbt für die tolerante Aufnahme der Flüchtlinge und macht Stimmung gegen eine konsequente Abschiebung von Leuten, die nach der „gültigen Rechtslage“ hier kein Aufenthaltsrecht haben.
Der ÖRR plädiert eher nicht für die Abschaffung des Hartz4-Systems.
Auch die ca. 85 bis 90% der Gesellschaft, die (noch) nicht von Hartz4 betroffen sind, tun nichts und haben ja auch nichts zu melden.
Bei aller Wertschätzung für ihn, aber diese Probleme (i.w.S. eine gerechtere Reichtumsverteilung) in meinem Sinn zu lösen, das würde ich Herrn Boes nicht anvertrauen.
Indem er seine Sache nach philosophischen, soziologischen, juristischen Gesichtspunkten seziert und hinterfragt ist er nicht mehr das ausgelieferte Objekt.
Er hat es geschafft, die Repressalien des bürokratischen Vollzugs umzufunktionieren zu einem willkommenen und notwendigen Substrat, um das Unrechtssystem als solches darzustellen.
Er ist jetzt Künstler und stilisiert sich gerade zu einer prominenten Figur des öffentlichen Interesses.
Andere „Dampfplauderer“ machen gesellschaftskritisches politisches Kabarett gegen Eintrittskarte.
Und für Künstler ist typisch, daß sie auf ihr Werk bezogen einen Absolutheitsanspruch haben.
Sie ziehen ihr Ding durch und lassen sich da nicht reinreden.
Ich halte seinen Protest für richtig und würde ihn unterstützen, aber wenn seine Aktion politische Ableitungen und Forderungen zur Folge hat, so sollten die demokratisch entschieden werden (wohlwissend, daß dies in unserem medienmanipulierten Gemeinwesen leicht gesagt ist).
Gibt es eine Interessengemeinschaft, eine politische Vertretung der Hartz4-bezieher?
http://www.gegen-hartz.de/