Hallo Helmut Enz,
als ich das erste Mal davon hörte, aus religiösen Gründen eine Befreiung von den Rundfunkgebühren zu erwirken, hielt ich das für eine etwas skurrile Vorgehensweise.
Es schien mir zumindest nicht geeignet, als das es von einer größeren Schar von Gebührenverweigerern/ Klägern übernommen werden könnte.
Verstehe ich Dich richtig, daß Du den ÖRR als eine „neuartige“ Religion mit „missionarischem“ Anspruch siehst und Du dich der allumfassenden Einwirkung entziehen möchtest?
Das deutsche Grundgesetz sichert die Glaubens-und Gewissensfreiheit in
Artikel 4
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werde. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.Wie dieser Sachverhalt im Detail geregelt oder gehandhabt wird oder wie es von Juristen oder Theologen kommentiert wird, welche Gerichtsurteile zu dem Thema vorliegen, welche rechtsphilosophischen Spitzfindigkeiten da hineinspielen usw. ist mir nicht bekannt.
Da sind Fachleute (z.B. Theologen, alternativ aber auch Menschen mit freidenkerischen Vorstellungen?) gefragt, die sich mit der Materie länger und grundlegend befasst haben und hier etwas beisteuern könnten.
Mich hier über Fragen praktizierten Glaubens oder ungestörter Religionsausübung auszulassen wäre lächerlich und das wollte ich mir und anderen eigentlich nicht antun.
Dennoch ist mir etwas eingefallen.
Wenn der ÖRR wesentliche Funktionen übernommen hat, die früher in der Hand der Kirche lagen, könnte man doch sagen, daß er bzw das gesendete Programm wesentliche Merkmale einer Religion aufweist?
Der ÖRR verabreicht den Gläubigen ein Wertesystem, liefert den Orientierung Suchenden eine Welterklärung, er präsentiert emotional aufgeladene Inszenierungen, er schafft ein Gemeinschaftsgefühl durch kollektiv erlebte Events, - wenn auch nur virtuell und fremdgesteuert.
Radio und Fernsehen definieren das Wahre, Gute und Schöne. (Zumindest liefern sie für diese Qualitäten jeweils die ganze Skala und die Optima darf man sich dann herauspicken)
Aus dem Äther sprechen erlauchte Menschen, Übermenschen, Prominente, Wichtigtuer zu uns.
Der ÖRR ist staatstragend, so wie die Kirche immer eine wesentliche Säule des Staates war.
Er hält alle Glieder des Gemeinwesens durch aktuelle Nachrichten auf dem Laufenden. Die Zeiten ändern sich, dauernd passiert etwas, es kommen immer neue Informationen hinzu, die wiederum eine neue Kommentierung erfordern. Die wird gleich mitgeliefert oder ergibt sich aus dem Rahmen. Das System ist auf Dauer angelegt, es wird zur Gewohnheit und, - weil es abhängig macht, unverzichtbar.
Ein vertrautes, verlässliches „Koordinatensystem“ ist natürlich wichtig.
Ich würde sagen, daß auch ich in einer komplizierten Welt darauf (auf Medieninformationen, speziell Radio) zurückgreifen möchte, - neben Zeitung und Internet.
Durch die - wie auch immer gesteuerte - Themenauswahl definiert der ÖRR was relevante Informationen sind.
Er reklamiert das „wir“, sozusagen die Autorität der Gemeinschaft, dem ich als singuläres einfaches Würstchen wenig Substanzielles entgegenstellen kann.
Meine eigenen persönlichen Erlebnisse erscheinen banal und belanglos im Vergleich zu den öffentlich rechtlichen Sensationsmeldungen (Äußerungen von Politikern, Königshochzeiten, Formel1-Events, Flugzeugabstürzen, Kriegen und anderen Wichtigkeiten).
Da werden also in penetranter Weise Anregungen zum Denken, Fühlen oder auch zum Abstumpfen und Resignieren an mich herangetragen, raffiniert aufbereitet, so daß ich mich der Dauerberieselung möglichst nicht entziehen kann.
Das spielt sich alles im virtuellen Bereich ab, ist nicht echt, ich kann mich nicht einbringen, kann nicht reagieren, werde fortwährend verleitet als passiver Konsumidiot an der fernen Show teilzunehmen.
Die Fernsehmacher erwarten also, daß ich mein Gehirn als „Resonanzboden“ zur Verfügung stelle und zwar um eine Fülle von Sendungen zu konsumieren, die von wem und mit welcher Zielsetzung auch immer inszeniert wurden,.
Das ist an sich nichts Besonderes.
Aber eine Gleichschaltung und Bevormundung durch einen federführenden „Geist“, der mich in eine bestimmte Richtung manipulieren möchte und den ich gelegentlich und bei bestimmten Themen systembedingt immer wieder beim Lügen ertappe, möchte ich mir gern ersparen.
Die ö.r. Rundfunkanstalten treten mir mit einem Informationsangebot entgegen, - in ganz harmloser und fürsorglicher Weise tun sie das.
Ich sehe mich mit einem Welterklärungsanspruch konfrontiert und werte diese Indoktrinierung als einen unzulässigen Machtanspruch.
Die öffentlichkeitsgeilen Politiker werden als Trittbrettfahrer mitgenommen.
Diese sind unverzichtbar, u.a. weil sie den Status des ÖRR und die Rundfunkgebühren legitimieren.
Es wäre sicher etwas hart gesagt, dies sei eine Kumpanei unter Spitzbuben zum gemeinsamen Vorteil.
Es ist – um in diesem Kontext zu bleiben - eine unheilige Allianz, es sind knallharte materielle Interessen der Beteiligten im Hintergrund, die ihrem Unternehmen den „heiligen“ Anstrich geben, gesellschaftlich Wertvolles zu liefern.
Indem sich die ö.r. Rundfunkanstalten eine noble, idealistische Attitüde geben, sind sie scheinheilig, - sie waren das immer schon, jetzt durch die Zwangsabgabe kommt der wahre Charakter (Geldgier, Machtgier, Verschwendung auf Kosten der Allgemeinheit usw.) um so deutlicher zum Vorschein.
Den Bürgern wird Geld für eine gar nicht oder immer weniger gewünschte Leistung aus der Tasche gezogen, es wird Ihnen eine Ideologie aufgedrückt, sie werden dumm gehalten usw. und es werden Durchschnittsidioten, die etwas dreister und pfiffiger sind, zu prominenten Politstars aufgebaut, - durch die Magie des Mediums.
Und alle Profiteure haben ein Interesse daran, daß dies - wie geschmiert - so weiter läuft.
Die modernen, demokratischen Politiker scheinen in der Mehrheit daran keinen Anstoß (an der Zwangsabgabe) zu nehmen.
(In dem lesenswerten Artikel „Die entwickelten Demokratien der Welt stehen am Abgrund“ von Wolfgang J. Koschnik
http://www.heise.de/tp/artikel/40/40546/3.html fand ich folgendes Zitat:
Politik ohne Gemeinwohlperspektive
Die Politik hat mit dem Gemeinwohl nichts mehr zu tun. Vielmehr sind alle davon überzeugt, dass Politiker ihr eigenes Süppchen kochen. Politische Beobachter gehen heute davon aus, dass sich in den etablierten Demokratien eine vom Volk weitgehend losgelöste Kaste von Politikern gebildet hat ("die politische Klasse" ), die in einer eigenen Welt betriebsamer Geschäftigkeit und hochtrabender Herablassung lebt und die sich immer unverhüllter gegen das Volk wendet, es jedoch auf gar keinen Fall repräsentiert.
Es mag durchaus sein, dass diese Kaste sich nicht als solche empfindet. Sie hat dennoch deutliche Züge einer Kaste und sie wird vor allem von der breiten Bevölkerung und anderen politischen Beobachtern als solche wahrgenommen. …..
…... Das grassierende Misstrauen großer Teile der Bevölkerung kommt nicht von ungefähr; denn diese Kaste hat sich in etablierten demokratischen Systemen komfortabel eingerichtet. Nur sind die sozialen Prozesse, durch die sie ihre politische Herrschaft errichten und verfestigen konnte, wesentlich diffiziler als die relativ grobschlächtigen Prozesse, durch die Herrschaft in vordemokratischen System entstand und bestand.
Die in praktisch allen etablierten Demokratien herrschende und sich kontinuierlich weiter ausbreitende Politikverachtung kann nur Gründe haben, die im System der etablierten Demokratien selbst ruhen. Das System "repräsentative Demokratie" selbst hat die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht. Und wenn sich die Verantwortungsträger weiter gegen die Erkenntnis wehren, dass der Niedergang der Herrschaftsform "Demokratie" bereits in vollem Gange ist, dann wird das Ende der Demokratie unvermeidlich sein und gewissermaßen über Nacht über alle hineinbrechen.
….