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Autor Thema: VGH München 07.03.2024–7 CE 23.1749 Festsetzungsbescheid nicht erhalten  (Gelesen 357 mal)

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  • Das Ende des Rundfunkzwangsbeitrags naht!
Aus aktuellem Anlass wird auf ein Urteil des VGH Münschen zum Thema Vollstreckung hingewiesen:

Erfolgreicher Eilantrag:

VGH München, Beschluss v. 07.03.2024 – 7 CE 23.1749
https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2024-N-4497?hl=true

Zitat
Leitsätze:

1. Aus der entsprechenden Anwendung des § 754 Abs. 2 S. 1 ZPO ergibt sich, dass ein Gerichtsvollzieher zur Vornahme der Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Rundfunkbeiträge allein durch den Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung des Ausstandsverzeichnisses ermächtigt ist, ohne dass er noch die Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit des dort aufgeführten Festsetzungsbescheids prüfen muss. (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

2. Zu den formalinhaltlichen Mängeln eines Ausstandsverzeichnisses, die – falls sie tatsächlich vorliegen – die Vollstreckung bereits aus formalen Gründen verbieten würden, zählt die Geltendmachung eines Leistungspflichten, der Feststellungsbescheid sei ihm nicht zugegangen. (Rn. 7 – 8  ) (redaktioneller Leitsatz)

3. Um die Bekanntgabevermutung des Art. 17 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 VwZVG zu widerlegen, genügt die Behauptung, den Festsetzungsbescheid nicht erhalten zu haben. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

4. Die rechtlichen Ausführungen des BVerwG zu § 41 Abs. 2 S. 3 VwVfG sind auf den auf die Zustellung eines Festsetzungsbescheids zum Rundfunkbeitrag anzuwendenden und im wesentlichen gleichlautenden Art. 17 Abs. 2 VwZVG übertragbar. (Rn. 13 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 176,72 Euro festgesetzt.

1
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsgegner zu Recht aufgegeben, die gegen den Antragsteller eingeleitete Zwangsvollstreckung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig einzustellen, soweit sich diese auf einen Betrag in Höhe von 176,72 Euro aus dem Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 bezieht. Die vom Antragsgegner mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach Maßgabe von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung des angegriffenen Beschlusses.

2
1. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte einstweilige Anordnung hat. Soweit der Antragsgegner meint, dem stehe entgegen, dass das Beitragskonto des Antragstellers „mit Eingang des Klage- und Antragsschriftsatzes vom 30.07.2023“ kulanzweise „bis zum erstinstanzlichen Abschluss der vorliegenden Verwaltungsstreitsache, längstens jedoch bis zum Ablauf von zwei Jahren seit Rechtshängigkeit, mahnausgesetzt“ worden sei, was bedeute, dass „vorläufig keine Beitragsbescheide und keine (weiteren) Vollstreckungsersuchen ergehen“, geht er in Bezug auf den vorliegenden Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO fehl. Die vom Antragsgegner mit Schriftsätzen an das Verwaltungsgericht vom 2. August und 11. September 2023 ausgesprochene Mahnaussetzung lässt das Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegend inmitten stehenden Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht entfallen.

3
a) Mit Vollstreckungsersuchen vom 3. April 2023 und unter Beifügung eines mit einer Vollstreckungsanordnung versehenen Ausstandsverzeichnisses suchte der Antragsgegner um Durchführung der Zwangsvollstreckung, insbesondere um Bestimmung eines Termins zur Abnahme der Vermögensauskunft gemäß § 802f Abs. 1 ZPO gegen den Antragsteller nach. Das Ausstandsverzeichnis wies dabei drei Bescheide aus, mit denen rückständige Rundfunkbeiträge und Säumniszuschläge über insgesamt 297,72 Euro festgesetzt worden waren. Nachdem er sich zivilgerichtlich vergeblich gegen die erfolgten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gewandt hatte, stellte der anwaltlich nicht vertretene Antragsteller mit Schreiben an das Verwaltungsgericht vom 30. Juli 2023 den „Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 und 6 VwGO“ der Festsetzungsbescheide vom 2. November 2020, 2. Juni 2022 und 2. Januar 2023. Nach Anhörung der Beteiligten legte das Verwaltungsgericht das Begehren des Antragstellers sachlich als Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche gegen den Festsetzungsbescheid des SWR vom 2. November 2020 und den Festsetzungsbescheid des Antragsgegners vom 2. Juni 2022 sowie als Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Festsetzungsbescheid des Antragsgegners vom 2. Januar 2023 in Höhe von 176,72 Euro aus.

4
b) Die Mahnaussetzung und die Ankündigung, auf (weitere) Vollstreckungsersuchen bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu verzichten, entfalten in Bezug auf den vorliegenden Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO keine Rechtswirkungen.

5
aa) Nach dem Rundfunkbeitragsstaatsvertrag rückständige Rundfunkbeiträge werden gemäß § 10 Abs. 5 RBStV durch die zuständige Landesrundfunkanstalt festgesetzt und zusammen mit Zinsen, Kosten und Säumniszuschlägen, die nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 RBStV in Verbindung mit den entsprechenden Satzungsregelungen zu entrichten sind, im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt (§ 10 Abs. 6 RBStV). In Bayern erfolgt die Zwangsvollstreckung gemäß Art. 7 Satz 1 des Ausführungsgesetzes Medienstaatsverträge – AGM – im Vollstreckungsverfahren nach den Vorschriften des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes. Der Antragsgegner ist insoweit als Anstalt des öffentlichen Rechts (Art. 1 Abs. 1 Bayerisches Rundfunkgesetz) gemäß Art. 27 Abs. 1 Satz 1 und Art. 26 Abs. 1 VwZVG in Verbindung mit Art. 7 Satz 2 AGM die zuständige Anordnungsbehörde i.S.v. Art. 20 Nr. 1 VwZVG. Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG ordnet die Anordnungsbehörde die Vollstreckung dadurch an, dass sie auf eine Ausfertigung des Leistungsbescheids oder eines Ausstandsverzeichnisses die Klausel setzt: „Diese Ausfertigung ist vollstreckbar“. Gemäß Art. 7 Satz 2 AGM ist der Antragsgegner befugt, für die Vollstreckung seiner Forderungen eine Vollstreckungsanordnung zu erteilen und zu diesem Zweck die Vollstreckungsklausel auf die Ausfertigung des Leistungsbescheids oder eines Ausstandsverzeichnisses zu setzen. Bei einer Vollstreckungsanordnung, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können Unterschrift und Dienstsiegel fehlen (Art. 7 Satz 3 AGM, Art. 24 Abs. 3 VwZVG).

6
Gemäß Art. 26 Abs. 7 Satz 1, Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VwZVG sind auf die Vollstreckung von Ausstandsverzeichnissen die Vorschriften des Achten Buchs der Zivilprozessordnung über die Zwangsvollstreckung mit Ausnahme der §§ 883 bis 898 ZPO und damit auch § 754 ZPO entsprechend anzuwenden. Aus der entsprechenden Anwendung von § 754 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergibt sich, dass der Gerichtsvollzieher zur Vornahme der Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Rundfunkbeiträge in Bayern allein durch den Besitz der vollstreckbaren Ausfertigung des Ausstandsverzeichnisses ermächtigt ist. Eine rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit eines dort aufgeführten Festsetzungsbescheids durch den Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht findet im Vollstreckungsverfahren nicht statt (vgl. BGH, B.v. 26.7.2018 – I ZB 78/17 – juris Rn. 15).

7
bb) Der Antragsgegner hat mit der Vollstreckungsanordnung vom 3. April 2023 die Verantwortung dafür übernommen, dass die in den Art. 19 und 23 VwZVG bezeichneten Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung in Bezug auf die im Ausstandsverzeichnis aufgeführten Festsetzungsbescheide gegeben sind. Dem hält der Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO entgegen, der im Ausstandsverzeichnis enthaltene Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 über Rundfunkbeiträge sei ihm zu keinem Zeitpunkt zugegangen. Da der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG nur vollstreckt werden darf, wenn er dem Leistungspflichtigen zugestellt wurde, macht der Antragsteller insoweit mit dem vorliegenden Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO formalinhaltliche Mängel des Ausstandsverzeichnisses geltend, die – falls sie tatsächlich vorliegen – die Vollstreckung bereits aus formalen Gründen verbieten würden (vgl. BayVGH, U.v. 8.6.1983 – 4 B 80 A. 590 – BayVBl 1984, 208, 209).

8
Das Begehren des Antragstellers im vorliegenden einstweiligen Anordnungsverfahren ist somit darauf gerichtet, in Anlehnung an § 732 ZPO durch gerichtliches Gebot den Antragsgegner als Anordnungsbehörde zu zwingen, die bereits begonnene Zwangsvollstreckung (nachträglich) vorläufig für unzulässig zu erklären und beim Hauptgerichtsvollzieher U. K. (als Vollstreckungsbehörde) die Einstellung der bereits eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen zu erwirken (vgl. Art. 22 Nr. 1 bzw. 4 VwZVG; BayVGH, U.v. 8.6.1983 – 4 B 80 A. 590 – BayVBl 1984, 208, 209). Anders als hinsichtlich der nach Verfahrenstrennung nicht mehr inmitten stehenden Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO kann dieses Begehren mit einer bloßen Mahnaussetzung und einem Verzicht auf (weitere) Vollstreckungsersuchen nicht erreicht werden. Dem Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO fehlt daher nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

9
2. Entgegen dem Vorbringen im Beschwerdeverfahren verfügt der Antragsteller über einen Anordnungsanspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Festsetzungsbescheid des Antragsgegners vom 2. Januar 2023 in Höhe von 176,72 Euro. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass insoweit die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG nicht vorliegen, weil der Antragsgegner keinen Nachweis dafür erbracht hat, dass der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 dem Antragsteller zugestellt wurde.

10
a) Unabhängig davon, dass es für die Wirksamkeit des Festsetzungsbescheids keiner förmlichen Zustellung bedarf (vgl. Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG), weil weder im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag noch in der Rundfunkbeitragssatzung des Antragsgegners eine (förmliche) Zustellung angeordnet ist, kann der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 als Verwaltungsakt, mit dem eine öffentlich-rechtliche Geldleistung gefordert wird (Leistungsbescheid), nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG nur vollstreckt werden, wenn er dem Leistungspflichtigen zugestellt wurde.

11
Ist die Zustellung wie hier durch Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG bestimmt (Art. 1 Abs. 5 VwVZG), richtet sie sich nach den Vorschriften des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 VwZVG). Art. 17 Abs. 1 VwZVG bestimmt, dass die Zustellung von schriftlichen Bescheiden, die – wie Festsetzungsbescheide des Antragsgegners (vgl. § 10 Abs. 5 RBStV) – bei der Heranziehung zu sonstigen öffentlichen Abgaben und Umlagen ergehen, dadurch ersetzt werden kann, dass der Bescheid dem Empfänger durch einfachen Brief verschlossen zugesandt wird. Bei Zusendung durch einfachen Brief gilt die Bekanntgabe nach Art. 17 Abs. 2 Satz 1 VwZVG mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, dass das zuzusendende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Schriftstücks und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (Art. 17 Abs. 2 Satz 2 VwZVG).

12
b) Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Antragsgegner habe keinen Nachweis dafür erbracht, dass der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 dem Antragsteller zugestellt worden sei, ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners genügt die Rüge des Antragstellers, er habe den Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 nicht erhalten, um die Bekanntgabevermutung des Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwZVG zu widerlegen. Weder der Umstand, dass der Zeitpunkt der Aufgabe des Festsetzungsbescheids zur Post im Historiensatz des Antragsgegners vermerkt ist, noch die Tatsache, dass es keinen Postrückläufer für den Festsetzungsbescheid gegeben und der Antragsteller die sonstigen Briefe des Antragsgegners erhalten hat, rechtfertigen es, das Vorbringen des Antragstellers als Schutzbehauptung zu werten oder eine über das schlichte Bestreiten des Zugangs hinausgehende qualifizierte Darlegung von ihm zu fordern.

13
aa) Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Urteil vom 29. November 2023 – 6 C 3.22 – (juris Rn. 17 ff.) ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, wann die Bekanntgabevermutung nach § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG widerlegt ist. Es hat hierzu ausgeführt, das Eingreifen der Bekanntgabevermutung gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG setze einen schriftlichen Verwaltungsakt voraus, der an die zutreffende Adresse des Empfängers adressiert sei und im Inland durch die Post übermittelt werde. Darüber hinaus sei erforderlich, dass der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post als Ereignis, das den Lauf der Drei-Tage-Frist auslöse, feststehe (BVerwG, U.v. 29.11.2023 – 6 C 3.22 – juris Rn. 22 m.w.N.).

14
Die Bekanntgabevermutung entfalle gemäß § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei (Halbsatz 1); bei Zweifeln am Zugang oder seinem Zeitpunkt sei die Behörde nachweispflichtig (Halbsatz 2). Die Zweifelsregelung in § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG komme nur dann zur Anwendung, wenn nicht bereits Gewissheit über den Nichtzugang bzw. späteren Zugang bestehe. Die Frage, ob es einen Postrücklauf gebe, sei nicht erst im Rahmen der Zweifel des § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG zu würdigen; gebe es einen Postrücklauf, stehe vielmehr positiv fest, dass der Verwaltungsakt im Sinne des § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwVfG nicht zugegangen sei. Für einen Rückgriff auf die Zweifelsregelung bestehe dann kein Raum (BVerwG, U.v. 29.11.2023 – 6 C 3.22 – juris Rn. 23 m.w.N.).

15
Zweifel im Sinne des § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG seien schon dann gegeben, wenn die Behörde oder das Gericht den Zugang des Verwaltungsakts für ungewiss halte. Zur Darlegung von Zweifeln genüge regelmäßig das einfache Bestreiten des Zugangs, weil einem Adressaten, der den Zugang überhaupt bestreite – anders als bei einem verspäteten Zugang – eine weitere Substantiierung typischerweise nicht möglich sei. Denn in aller Regel lägen die Umstände der Postbeförderung und -zustellung, aus denen sich Schlüsse auf den Zugang oder Nichtzugang eines mit einfacher Post versandten Bescheids ziehen ließen, außerhalb der Sphäre des Adressaten, so dass dieser aufgrund eigener Wahrnehmung nicht mehr vortragen könne als die Tatsache, den Bescheid nicht erhalten zu haben. Bestreite der Adressat den Zugang, hätten die Behörde bzw. das Gericht die Glaubhaftigkeit seines Vortrags und seine Glaubwürdigkeit zu würdigen (BVerwG, U.v. 29.11.2023 – 6 C 3.22 – juris Rn. 24 m.w.N.).

16
Erweise sich das Bestreiten des Zugangs unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls als bloße Schutzbehauptung, bestünden keine Zweifel und es bleibe bei der gesetzlichen Bekanntgabevermutung. Anhaltspunkte für Schutzbehauptungen könnten sich aus der Rechtsbeziehung zwischen der Behörde und dem Adressaten ergeben, aber auch aus der Sphäre des Adressaten selbst herrühren (BVerwG, U.v. 29.11.2023 – 6 C 3.22 – juris Rn. 25 m.w.N.).

17
Ein qualifiziertes Bestreiten des Bescheidszugangs würde es dem Adressaten unmöglich machen, die gesetzliche Vermutung im Einzelfall zu widerlegen. Umstände wie die Dokumentation des Postausgangs und ein fehlender Rücklauf mehrerer Schreiben ermöglichten einem Adressaten weder einzeln noch in der Kombination eine über das schlichte Bestreiten des Zugangs hinausgehende Substantiierung. Darlegungslasten, die auf etwas objektiv Unmögliches gerichtet seien, dürfe es aber in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht geben. Überdies erschwerten derartige Substantiierungserfordernisse den Rechtsschutz des Adressaten gegen die hoheitliche Maßnahme unverhältnismäßig. Es ließen sich lediglich dann für den Adressaten ausnahmsweise weitergehende Darlegungsobliegenheiten begründen, wenn es ihm tatsächlich möglich sei, konkrete Indizien für das Fehlen eines Zugangs vorzutragen (BVerwG, U.v. 29.11.2023 – 6 C 3.22 – juris Rn. 26 m.w.N.)

18
bb) Die rechtlichen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zu § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG, die im Übrigen in einem Rundfunkbeitragsverfahren ergangen sind, sind auf den vorliegend in Bezug auf die Zustellung des Festsetzungsbescheids vom 2. Januar 2023 anzuwendenden und im wesentlichen gleichlautenden Art. 17 Abs. 2 VwZVG übertragbar. Die vom Antragsgegner vorgetragenen Einwände geben keinen Anlass, die Würdigung des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen, er habe keinen Nachweis dafür erbracht, dass der Festsetzungsbescheid dem Antragsteller zugegangen ist,.

19
Da der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 ordnungsgemäß an den Antragsteller adressiert, es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Brief nicht verschlossen war, und der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post zudem im – in den Akten des Antragsgegners befindlichen – Historiensatz vermerkt ist, sind die Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutungsregelung in Art. 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwZVG zwar grundsätzlich erfüllt. Anders als der Antragsgegner meint, hat das Verwaltungsgericht jedoch nachvollziehbar begründet, warum es den Vortrag des Antragstellers für glaubhaft hält, er habe den Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 nicht erhalten. Anhaltspunkte dafür, dass vom Antragsteller ausnahmsweise weitergehende Darlegungsobliegenheiten zu fordern wären, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen. Dass im Mahnschreiben vom 16. Februar 2023 der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 erwähnt ist, führt nicht zu dessen Zustellung.

20
Nach alledem ist die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs.


Ergänzung: Urteil vom 29.11.2023 - BVerwG 6 C 3.22

Zitat
Widerlegung der Bekanntgabevermutung beim Bestreiten des Zugangs eines Verwaltungsakts

Leitsätze:

1. Einfaches Bestreiten reicht grundsätzlich aus, um Zweifel am Zugang eines Verwaltungsakts im Sinne des § 41 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG darzulegen.

2. Bestreitet der Adressat den Zugang, sind die Glaubhaftigkeit seines Vortrags und seine Glaubwürdigkeit zu würdigen. Die ungewöhnlich hohe Anzahl vermeintlich nicht zugegangener Schreiben, für die es keine Erklärung gibt, reicht für sich genommen nicht aus, um von einer Schutzbehauptung auszugehen. Sie bietet aber einen Anlass für die Suche nach weiteren Anhaltspunkten in dieser Richtung.
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  • IP logged  »Letzte Änderung: 06. Juni 2024, 13:08 von Markus KA«
GANZ DEUTSCHLAND WIRD VON EINEM ZWANGSBEITRAG IN ANGST UND SCHRECKEN VERSETZT. GANZ DEUTSCHLAND? NEIN! EINE GROSSE ANZAHL VON UNBEUGSAMEN BÜRGERINNEN UND BÜRGERN IN DIESEM LAND HÖRT NICHT AUF DEM ZWANGSBEITRAG WIDERSTAND ZU LEISTEN.

K
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off-Topic

An der Stelle sei angemerkt, dass der VGH München einen schlichten "Festsetzungsbescheid" fälschlicherweise als "Leistungsbescheid" bezeichnet.
Ein "Festsetzungsbescheid" fordert keine öffentlich-rechtliche Geldleistung: er setzt lediglich einen bestimmten Betrag fest. Nicht mehr - nicht weniger.
Ein Leistungsbescheid - also ein Verwaltungsakt, mit dem eine öffentlich-rechtliche Geldleistung gefordert wird - ist jedoch lt. dem Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) die zwingende Voraussetzung, dass eine Vollstreckung überhaupt beginnen darf.***

VGH München, Beschluss v. 07.03.2024 – 7 CE 23.1749
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Zitat
Leitsätze:
[..]
10
a) Unabhängig davon, dass es für die Wirksamkeit des Festsetzungsbescheids keiner förmlichen Zustellung bedarf (vgl. Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG), weil weder im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag noch in der Rundfunkbeitragssatzung des Antragsgegners eine (förmliche) Zustellung angeordnet ist, kann der Festsetzungsbescheid vom 2. Januar 2023 als Verwaltungsakt, mit dem eine öffentlich-rechtliche Geldleistung gefordert wird (Leistungsbescheid), nach Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG nur vollstreckt werden, wenn er dem Leistungspflichtigen zugestellt wurde.
[..]
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***
Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG)
Zitat
Zweiter Hauptteil Vollstreckungsverfahren

Erster Abschnitt Gemeinsame Vorschriften

Art. 18 Geltungsbereich
(1)   Verwaltungsakte, die zur Leistung von Geld oder zu einem sonstigen Handeln, einem Dulden oder einem Unterlassen verpflichten oder zu einer unmittelbar kraft einer Rechtsnorm bestehenden solchen Pflicht anhalten, werden nach diesem Gesetz vollstreckt, [..]

Zweiter Abschnitt Vollstreckung von Verwaltungsakten, mit denen eine Geldleistung gefordert wird

Art. 23 Besondere Voraussetzungen der Vollstreckung
(1) Ein Verwaltungsakt, mit dem eine öffentlich-rechtliche Geldleistung gefordert wird (Leistungsbescheid), kann vollstreckt werden, [..]

Art. 26 Vollstreckung von Geldforderungen der Gemeinden, Landkreise, Bezirke und Zweckverbände
(1) Gemeinden, Landkreise, Bezirke und Zweckverbände sind berechtigt, zur Beitreibung von Geldforderungen, die sie durch einen Leistungsbescheid geltend machen, eine Vollstreckungsanordnung zu erteilen. [..]

Art. 27 Vollstreckung von Geldforderungen sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts
(1) Für die Vollstreckung von Geldforderungen sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts gilt Art. 26 entsprechend, soweit sie Verwaltungsakte erlassen können und zur Anbringung der Vollstreckungsklausel befugt sind. [..]
Quelle: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayVwZVG

off-Topic Ende


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"Deutschland, unendlich viele (ok: 16) Bundesländer. Wir schreiben das Jahr 2024. Dies sind die Abenteuer abertausender ÖRR-Nichtnutzer, die sich seit nunmehr 11 Jahren nach Beitragseinführung immer noch gezwungen sehen Gesetzestexte, Urteile usw. zu durchforsten, zu klagen, um die Verfassungswidrigkeit u. die Beitragsungerechtigkeit zu beweisen. Viele Lichtjahre von jeglichem gesunden Menschenverstand entfernt müssen sie sich Urteilen unterwerfen an die nie zuvor je ein Mensch geglaubt hätte."

 
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