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Autor Thema: BGH KVR 78/23 - Sekundärrecht kann Primärrecht nicht ausschließen  (Gelesen 459 mal)

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Nachstehend eine Aussage des BGH-Kartellsenates in gefestigter Rechtsprechung, die weitergehende Fragen für alle anderen Rechtsbereiche aufwirft.

Beschluss des Kartellsenats vom 16.1.2024 - KVR 78/23 -
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=137461&pos=9&anz=1369

Zitat
21
cc)  Gleichwohl schließen die Vorschriften der Fusionskontrollverordnung die Anwendung der Art. 101, 102 AEUV durch die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten auf Zusammenschlüsse im Sinne des Art. 3 FKVO nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht generell aus (EuGH, WuW 2023, 207 Rn. 39 - Towercast). Das folgt zum einen daraus, dass Vorschriften des Sekundärrechts nicht geeignet sind, die Anwendbarkeit des höherrangigen und subjektive Rechte gewährenden Primärrechts auszuschließen (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - KZR 39/19, Rn. 22 - Trassenentgelte; EuGH, WuW 2023, 207 Rn. 42 ff. - Towercast; Schlussanträge Generalanwältin Kokott, NZKart 2022, 648 Rn. 29 ff. - Towercast). Zum anderen hat der Unionsgesetzgeber mit Art. 21 Abs. 1 FKVO nur klarstellen wollen, dass lediglich die anderen Verordnungen zur Durchführung der Wettbewerbsregeln, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 1/2003, grundsätzlich auf Zusammenschlüsse nicht anwendbar sind, und zwar sowohl auf solche, die einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV darstellen, als auch auf solche, die den beteiligten Unternehmen die Macht verleihen, einen wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt im Sinne des Art. 101 AEUV zu verhindern (vgl. EuGH, WuW 2023, 207 Rn. 35 - Towercast, s.a. die Selbstverpflichtung der Kommission in den Erklärungen für das Ratsprotokoll vom 19. Dezember 1989, WuW 1990, 240, 243).

Urteil des Kartellsenats vom 29.10.2019 - KZR 39/19 -
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=fbe81c721c2d919c3a5ce1cff33eade0&nr=104406&pos=0&anz=1

Zitat
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bb) Auch das Sekundärrecht der Union schließt Art. 102 AEUV sowie die aus dieser Vorschrift folgenden subjektiven Rechte der Marktteilnehmer weder aus, noch vermag es das Missbrauchsverbot einzuschränken. Dies folgt aus dem gegebenen Vorrang des Primärrechts vor dem Sekundärrecht der Union (vgl. EuGH, Urteil vom 11. April 1989 - 66/86, Slg. 1989, 803 Rn. 45 = NJW 1989, 2192 - Ahmed Saeed Flugreisen). Ein Vorrang der sektorspezifischen Entgeltregulierung gegenüber den höherrangigen Wettbewerbsregeln der Art. 101, 102 AEUV besteht daher - anders als die Revisionserwiderung meint - nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - C-295/12, juris Rn. 128 - Telefónica; Fuchs in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., Bd. 1, Art. 102 AEUV Rn. 404 mwN; Bulst in Langen/Bunte, Kartellrecht, 13. Aufl., Bd. 2, Art. 102 AEUV Rn. 137, 389; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl., § 1 Rn. 67; Mestmäcker in Festschrift Zuleeg, S. 397; differenzierend Kühne in Festschrift Immenga, 2004, S. 243, 256 f.). Aus diesem Grund können die sektorspezifischen Vorgaben der Richtlinie 2001/14/EG auch nicht gegenüber dem Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV als speziellere Regelung angesehen werden (vgl. Fuchs in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 6. Aufl., Art. 102 AEUV Rn. 404 unter Hinweis darauf, dass der Spezialitätsgrundsatz - lex specialis derogat legem generali - nur für Normen derselben Hierarchieebene gilt). Ungeachtet dessen sind der Richtlinie 2001/14/EG auch keine Vorschriften zu entnehmen, die einen Ausschluss oder eine Einschränkung der Anwendbarkeit des Art. 102 AEUV für die Zwecke der Überprüfung von Wegeentgelten begründeten.

Wenn das rangniedere Sekundärrecht das höherrangigere Primärrecht nicht ausschließen kann, dann führt das doch dazu, daß dieses Primärrecht nicht unbeachtet bleiben darf?

Unionsseitig gehört das Unionsgrundrecht zum Primärrecht, denn das Unionsgrundrecht, das in der Charta fixiert wurde, erhielt mit dem Vertrag von Lissabon den Rang der Unionsverträge und wurde daher zum Primärrecht der Union.

Es besteht also die starke Wahrscheinlichkeit, daß jedwede nationale Maßnahme nichtig ist, die dieses Unionsgrundrecht nicht berücksichtigt; siehe hierzu die im Forum thematisierte Entscheidung des EuGH

EuGH C-234/17 - Mit Unionsgrundrechten unvereinbare Maßnahmen sind unzulässig
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35193.0

Die fast noch interessantere Aussage des Kartellsenates in KZR 39/19 ist der Hinweis darauf, daß

Zitat
dass der Spezialitätsgrundsatz - lex specialis derogat legem generali - nur für Normen derselben Hierarchieebene gilt)

denn dieses führt doch dazu, daß eine allgemeine Regel des Unionsrechts, da stets im Normenrang höher, eine speziellere Regel des nationalen Rechts, da stets im Normenrang niedriger, immer überlagert, bzw., aushebelt?

Audio-visuelle Medien werden unionsseitig bekanntermaßen mit Richtlinie 2010/13/EU rahmenreguliert.

Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) (kodifizierte Fassung) (Text von Bedeutung für den EWR)
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32010L0013

Zitat
in Erwägung nachstehender Gründe:

(16)

Die vorliegende Richtlinie verbessert die Wahrung der Grundrechte und trägt den in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (12), insbesondere in Artikel 11, anerkannten Grundrechten und Grundsätzen vollständig Rechnung. In dieser Hinsicht werden die Mitgliedstaaten durch diese Richtlinie in keiner Weise in der Anwendung ihrer Verfassungsvorschriften über die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit in den Medien eingeschränkt.

->
EuGH C-401/19 - Mittel zum Vertrieb der Information durch Grundrecht geschützt
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=36779.0

Die stets höherrangige Unionsnorm, (hier: Richtlinie 2010/13/EU über audio-visuelle Mediendienste als Teil des Sekundärrecht der Union), tätigt die Aussage, daß die Unionsgrundrechte, (Teil des Primärrechts der Union), vollständig zu entsprechen ist.

Da könnte sich doch die Frage stellen, ob die nationalen Umsetzungsmaßnahmen überhaupt den Unionsvorgaben entsprechen, wenn sie so gar keine Aussagen zu den Unionsgrundrechten enthalten?

Auch wenn Erwägungsgründe als solches nicht bindend sind, sind auch diese ranghöher gegenüber den nationalen Umsetzungsmaßnahmen und sollten schon deswegen nicht unbeachtet bleiben?

Die Mittel zur Verbreitung der Informationen sind durch das Unionsgrundrecht aus Art 11 Charta geschützt; die nationale Nichtbeachtung führt doch dann zur Nichtigkeit/Rechtswidrigkeit jeder nationalen Maßnahme, die die Vorgabe der Union hätte einhalten müssen?

Zudem daran erinnert wird, daß die öffentliche Hand unlauter und damit verboten handelt, wenn sie zugunsten ihrer eigenen Unternehmen zu Maßnahmen greift, die den privaten Wettbewerbern der öffentlichen Unternehmen nicht möglich sind.

BGH I ZR 193/99 - Marktteiln. auf Basis amtl. erlangter Daten ist unlauter
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=37880.0

Es besteht also die sehr starke Vermutung, daß die Länder mit dem Wortlaut ihrer Rundfunkverträge nicht nur das höhere Bundesrecht mißachten, sondern auch das noch über dem Bundesrecht stehende Unionsrecht, soweit sie den ÖRR Maßnahmen gestatten, die den privaten Wettbewerbern der ÖRR nicht zugestanden sind und den Behörden erlaubt, den Wünschen des ÖRR zu entsprechen, obwohl es den Behörden verwehrt ist, gleichartigen Wünschen der privaten Wettbewerber des ÖRR nachzukommen.

Es bleibt den Leser/-innen zu ergründen, was die privaten Wettbewerber der ÖRR nicht dürfen, um daraus zu ermitteln, welches Tun auch die ÖRR nicht tun dürfen sollten.




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