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Autor Thema: BVerfG 2 BvR 184/22 - Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs je Instanz neu  (Gelesen 86 mal)

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BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 04. März 2024
- 2 BvR 184/22 -, Rn. 1-56,

https://www.bverfg.de/e/rk20240304_2bvr018422.html

Zitat
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a) Art. 103 Abs. 1 GG gibt dem Verfahrensbeteiligten das Recht, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 84, 188 <190> m.w.N.; 86, 133 <144>). Da dies nicht nur durch tatsächliches Vorbringen, sondern auch durch Rechtsausführungen geschehen kann, gewährleistet Art. 103 Abs. 1 GG dem Verfahrensbeteiligten, sich nicht nur zum Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 60, 175 <210>; 83, 24 <35>; 86, 133 <144>; 98, 218 <263>). Grundsätzlich verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht jedoch weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung (vgl. BVerfGE 31, 364 <370>; 84, 188 <190>; 86, 133 <145>; 98, 218 <263>). Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (BVerfGE 86, 133 <145>; 98, 218 <263>).

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Lediglich in besonderen Fällen ist es von Verfassungs wegen geboten, den Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will (vgl. BVerfGE 86, 133 <144>; 98, 218 <263>). Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Verfahrensbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfGE 86, 133 <144 f.>; 98, 218 <263>; 108, 341 <345 f.>). Art. 103 Abs. 1 GG enthält damit ein auf die Rechtslage bezogenes Verbot von Überraschungsentscheidungen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410>).

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Aus diesem Grund dürfen die Parteien des Berufungsverfahrens grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihnen das Berufungsgericht, wenn es in einem entscheidungserheblichen rechtlichen Gesichtspunkt von der Rechtsauffassung des vorinstanzlich mit der Sache befassten Gerichts abweicht, einen Hinweis gemäß § 139 ZPO erteilt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Oktober 2016 - 2 BvR 1313/16 -, Rn. 11). Der Umfang des Äußerungsanspruchs im Berufungsverfahren entspricht in diesem Fall dem eines vom Gericht noch nicht angehörten Beteiligten in erster Instanz und hängt nicht davon ab, ob neue Tatsachen oder Beweisergebnisse vorliegen (vgl. BVerfGE 65, 227 <234>). Das Äußerungsrecht im Rechtsmittelverfahren ist insbesondere deshalb erforderlich, weil sich in weiteren Instanzen aufgrund neuer tatsächlicher Gegebenheiten oder anderer rechtlicher Auffassungen der nun entscheidenden Richter neue oder veränderte relevante Gesichtspunkte ergeben können. Deshalb müssen die Parteien ihren Sachvortrag danach ausrichten können. Wird ihnen dies verwehrt, ist die Garantie rechtlichen Gehörs verletzt (vgl. BVerfGE 107, 395 <410>).

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(1) Grundsätzlich kann ein Verstoß gegen den verfassungsmäßigen Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG durch das Anhörungsrügeverfahren geheilt werden (vgl. BVerfGE 5, 22 <24>; BVerfGK 15, 116 <119>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Mai 2021 - 2 BvR 1719/16 -, Rn. 16). Unterbleibt dies, so ist der Zurückweisungsbeschluss des Anhörungsrügeverfahrens jedoch nur dann selbstständig mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar, wenn er eine eigenständige Beschwer enthält und nicht lediglich eine bereits eingetretene Verletzung rechtlichen Gehörs fortbestehen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. März 2007 - 2 BvR 547/07 -, juris, Rn. 8 ).

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(2) Nach diesen Maßstäben wurde der ursprüngliche Gehörsverstoß durch die Entscheidung im Anhörungsrügeverfahren nicht geheilt (a). Zudem ist diese Entscheidung selbstständig mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar, weil sie darüber hinaus eine eigenständige Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör enthält (b).

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(a) Der Zurückweisungsbeschluss ist nicht dazu geeignet, den Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Anhörungsrügeverfahren zu heilen. Das Oberlandesgericht setzt sich nämlich nicht hinreichend mit den von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwänden hinsichtlich der von ihr gerügten Gehörsverletzung auseinander. Soweit das Oberlandesgericht ausführt, es könne nicht feststellen, ob der von der Beschwerdeführerin nach einem gerichtlichen Hinweis nachgeholte Vortrag „für die Entscheidung des Senats (möglicherweise) erheblich gewesen“ wäre, überspannt es die Beruhensanforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG, weil danach lediglich erforderlich ist, dass die Erheblichkeit für den Verfahrensausgang nicht ausgeschlossen werden kann (im Einzelnen vgl. nachfolgend Rn. 47 ff.).

In jeder Instanz entsteht der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art 103 Abs 1 GG also in vollem Umfang für alle Beteiligten neu? Und ein Gericht, das von der Entscheidung der Vorinstanz abweichen will, hat dieses ausführlich zu begründen?


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