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Autor Thema: EuGH C-293/14 - Begriff "Ausübung öffentlicher Gewalt"  (Gelesen 402 mal)

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Vorabhinweis:
Die hier thematisierte Entscheidung betrifft das Unionsland Österreich, stützt sich aber auch auf zwei das Unionsland Deutschland betreffende Entscheidungen.

Der EuGH tätigt in "gefestigter Rechtsprechung" die Aussage, daß die Bestimmungen über Dienstleistungen einzig für den konkreten Vorgang der "Ausübung öffentlicher Gewalt" nicht gelten, bei allen vorbereitenden Maßnahmen, bzw., Hilfstätigkeiten aber einzuhalten sind.

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
23. Dezember 2015(*)
[Text berichtigt mit Beschluss vom 29. November 2016]

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2006/123/EG – Sachlicher Anwendungsbereich – Tätigkeiten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind – Rauchfangkehrergewerbe – Aufgaben im Bereich der ‚Feuerpolizei‘ – Territoriale Beschränkung der Gewerbeberechtigung – Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse – Erforderlichkeit – Verhältnismäßigkeit“

In der Rechtssache C-293/14

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=173250&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7096748

Zitat
33      Im Licht dieser Rechtsprechung ist zunächst festzustellen, dass die Ausnahmebestimmung des Art. 2 Abs. 2 Buchst. i der Richtlinie 2006/123 als Ausnahme von einer Grundfreiheit so auszulegen ist, dass sich  ihre Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, deren Schutz diese Bestimmung den Mitgliedstaaten erlaubt, unbedingt erforderlich ist (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Belgien, C-47/08, EU:C:2011:334, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung). Sie muss somit auf die  Tätigkeiten beschränkt werden, die als solche unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind (vgl. entsprechend Urteile Kommission/Belgien, C-47/08, EU:C:2011:334, Rn. 85, und SOA Nazionale Costruttori, C-327/12, EU:C:2013:827, Rn. 51).

34      [Berichtigt mit Beschluss vom 29. November 2016] Ferner sind, wie ebenfalls aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, helfende und vorbereitende Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Ausübung öffentlicher Gewalt als von einer solchen Ausnahme ausgeschlossen anzusehen (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Deutschland, C-404/05, EU:C:2007:723, Rn. 44), da sie nicht die Wahrnehmung autonomer Entscheidungsbefugnisse umfassen, im Rahmen einer unmittelbaren staatlichen Aufsicht ergehen (vgl. entsprechend Urteile Kommission/Portugal, C-438/08, EU:C:2009:651, Rn. 36 und 41, sowie SOA Nazionale Costruttori, C-327/12, EU:C:2013:827, Rn. 53) und nicht mit Zwangsbefugnissen (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Spanien, C-114/97, EU:C:1998:519, Rn. 37) oder Befugnissen zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen einhergehen (vgl. entsprechend Urteile Anker u. a., C-47/02, EU:C:2003:516, Rn. 61, und Kommission/Portugal, C-438/08, EU:C:2009:651, Rn. 44).

Die in den zitierten Rnn. 33 und 34 benannten Entscheidungen sind nachstehend verlinkt wie zitiert, wobei hierfür auf EU-Lex zurückgegriffen wird.

Zu Rn. 33:
Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 24. Mai 2011.
Europäische Kommission gegen Königreich Belgien.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Art. 43 EG - Niederlassungsfreiheit - Notare - Staatsangehörigkeitsvoraussetzung - Art. 45 EG - Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt - Richtlinie 89/48/EWG.
Rechtssache C-47/08

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=ecli%3AECLI%3AEU%3AC%3A2011%3A334

Zitat
84      Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung stellt Art. 45 Abs. 1 EG eine Ausnahme von der Grundregel der Niederlassungsfreiheit dar. Als solche ist er so auszulegen, dass sich seine Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, deren Schutz diese Bestimmung den Mitgliedstaaten erlaubt, unbedingt erforderlich ist (Urteile Kommission/Griechenland, Randnr. 7, Kommission/Spanien, Randnr. 34, vom 30. März 2006, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, C-451/03, Slg. 2006, I-2941, Randnr. 45, vom 29. November 2007, Kommission/Österreich, C-393/05, Slg. 2007, I-10195, Randnr. 35, und Kommission/Deutschland, C-404/05, Slg. 2007, I-10239, Randnrn. 37 und 46, sowie Kommission/Portugal, Randnr. 34).

85      Ferner hat der Gerichtshof wiederholt hervorgehoben, dass die in Art. 45 Abs. 1 EG vorgesehene Ausnahmeregelung auf Tätigkeiten beschränkt werden muss, die als solche unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind (Urteile Reyners, Randnr. 45, Thijssen, Randnr. 8, Kommission/Spanien, Randnr. 35, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, Randnr. 46, Kommission/Deutschland, Randnr. 38, und Kommission/Portugal, Randnr. 36).

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 12. Dezember 2013.
Ministero dello Sviluppo economico und Autorità per la vigilanza sui contratti pubblici di lavori, servizi e forniture gegen SOA Nazionale Costruttori – Organismo di Attestazione SpA.
Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato.
Art. 101 AEUV, 102 AEUV und 106 AEUV – Öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren – Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind – Begriffe – Einrichtungen, die damit betraut sind, zu überprüfen und zu zertifizieren, ob die Unternehmen, die öffentliche Arbeiten ausführen, die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen beachten – Art. 49 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Beschränkung – Rechtfertigung – Schutz der Dienstleistungsempfänger – Qualität der Zertifizierungsdienstleistungen.
Rechtssache C-327/12

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=ecli%3AECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A827

Zitat
51
Diese Ausnahmeregelung ist nämlich auf die Tätigkeiten beschränkt, die als solche unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind (Urteil vom 24. Mai 2011, Kommission/Belgien, C-47/08, Slg. 2011, I-4105, Randnr. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zu Rn. 34:
Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 29. November 2007.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland.
Landwirtschaftliche Erzeugnisse des ökologischen Landbaus - Private Kontrollstellen - Erfordernis einer Niederlassung oder dauerhaften Infrastruktur im Mitgliedstaat der Erbringung der Leistung - Rechtfertigungsgründe - Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt - Art. 55 EG - Verbraucherschutz.
Rechtssache C-404/05

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=ecli%3AECLI%3AEU%3AC%3A2007%3A723

Zitat
44     Es zeigt sich also, dass die privaten Kontrollstellen ihre Tätigkeit unter aktiver Überwachung durch die zuständige Behörde ausüben, die letztlich die Verantwortung für die Kontrollen und Entscheidungen dieser Stellen trägt, wie die in der vorstehenden Randnummer genannten Pflichten dieser Behörde belegen. Diese Schlussfolgerung wird im Übrigen durch § 3 Abs. 1 ÖLG bekräftigt, wonach die Wahrnehmung von Kontrollaufgaben im Sinne der Verordnung Nr. 2092/91 durch private Kontrollstellen nicht mit der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens verbunden sein kann. Daraus ergibt sich, dass die helfende und vorbereitende Rolle, die den privaten Kontrollstellen durch die Verordnung gegenüber der Überwachungsbehörde übertragen wurde, nicht als unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 55 EG in Verbindung mit Art. 45 Abs. 1 EG angesehen werden kann.

Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 22. Oktober 2009.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Portugiesische Republik.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Niederlassungsfreiheit -Richtlinie 96/96/EG - Nationale Regelung - Restriktive Zugangsvoraussetzungen für die Tätigkeit der Untersuchung von Fahrzeugen - Art. 45 EG- Tätigkeiten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind - Sicherheit des Straßenverkehrs - Verhältnismäßigkeit.
Rechtssache C-438/08

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=ecli%3AECLI%3AEU%3AC%3A2009%3A651

Zitat
36. Mithin muss sich die in diesem Artikel vorgesehene Ausnahmeregelung nach ständiger Rechtsprechung auf Tätigkeiten beschränken, die als solche unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind (vgl. Urteile Reyners, Randnr. 45, vom 13. Juli 1993, Thijssen, C-42/92, Slg. 1993, I-4047, Randnr. 8, und vom 31. Mai 2001, Kommission/Italien, C-283/99, Slg. 2001, I-4363, Randnr. 20); dies schließt aus, dass reine Hilfs- und Vorbereitungsfunktionen gegenüber einer Einrichtung, die durch den Erlass der abschließenden Entscheidung tatsächlich öffentliche Gewalt ausübt, als im Sinne der genannten Ausnahme „mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden“ angesehen werden (Urteile Thijssen, Randnr. 22, Kommission/Österreich, Randnr. 36, und Kommission/Deutschland, Randnr. 38).

41. Hierbei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über die Erteilung oder Versagung der Bescheinigung der technischen Überprüfung, die im Wesentlichen nur das Protokoll über die Ergebnisse der technischen Besichtigung umsetzt, zum einen der Entscheidungsautonomie entbehrt, die der Ausübung hoheitlicher Befugnisse eigen ist, und zum anderen im Rahmen einer unmittelbaren staatlichen Aufsicht ergeht.

44. Außerdem verfügen die mit der Fahrzeuguntersuchung betrauten privatwirtschaftlichen Organisationen, wie die Kommission – von der Portugiesischen Republik unwidersprochen – angemerkt hat, im Rahmen ihrer Tätigkeiten nicht über Zwangsbefugnisse, da die Sanktionen bei einem Verstoß gegen die Vorschriften über die Fahrzeuguntersuchung in die Zuständigkeit der Polizei- und Justizbehörden fallen.

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 12. Dezember 2013.
Ministero dello Sviluppo economico und Autorità per la vigilanza sui contratti pubblici di lavori, servizi e forniture gegen SOA Nazionale Costruttori – Organismo di Attestazione SpA.
Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato.
Art. 101 AEUV, 102 AEUV und 106 AEUV – Öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren – Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind – Begriffe – Einrichtungen, die damit betraut sind, zu überprüfen und zu zertifizieren, ob die Unternehmen, die öffentliche Arbeiten ausführen, die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen beachten – Art. 49 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Beschränkung – Rechtfertigung – Schutz der Dienstleistungsempfänger – Qualität der Zertifizierungsdienstleistungen.
Rechtssache C-327/12

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=ecli%3AECLI%3AEU%3AC%3A2013%3A827

Zitat
53
Wie der Generalanwalt in den Nrn. 47 und 48 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, fallen nämlich die Entscheidungen über die Erteilung oder Versagung der Bescheinigung der technischen Überprüfung, die im Wesentlichen nur die Ergebnisse der technischen Besichtigung wiedergibt, da sie zum einen der Entscheidungsautonomie entbehren, die der Ausübung hoheitlicher Befugnisse eigen ist, und zum anderen im Rahmen einer unmittelbaren staatlichen Aufsicht ergehen, nicht in den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des Art. 51 AEUV (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Oktober 2009, Kommission/Portugal, C-438/08, Slg. 2009, I-10219, Randnrn. 41 und 45). Ebenso kann die helfende und vorbereitende Rolle, die den privaten Kontrollstellen gegenüber der Überwachungsbehörde übertragen wurde, nicht als unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 51 AEUV angesehen werden (vgl. Urteil vom 29. November 2007, Kommission/Deutschland, C-404/05, Slg. 2007, I-10239, Randnr. 44).

Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 29. Oktober 1998.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich Spanien.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Niederlassungsfreiheit - Dienstleistungsfreiheit - Tätigkeit privater Sicherheitsdienste - Erfordernis der Staatszugehörigkeit.
Rechtssache C-114/97

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=ecli%3AECLI%3AEU%3AC%3A1998%3A519

Zitat
37 Die Ausübung dieser Tätigkeit bedeutet nicht, daß den Sicherheitsunternehmen und dem Sicherheitspersonal Zwangsbefugnisse verliehen sind. Der blosse Beitrag zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, zu dem jeder verpflichtet sein kann, stellt nämlich keine Ausübung öffentlicher Gewalt dar.

Urteil des Gerichtshofes vom 30. September 2003.
Albert Anker, Klaas Ras und Albertus Snoek gegen Bundesrepublik Deutschland.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht - Deutschland.
Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Artikel 39 Absatz 4 EG - Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung - Schiffsführer von Seefischereischiffen - Verleihung hoheitlicher Befugnisse an Bord - Den Staatsangehörigen des Flaggenstaats vorbehaltene Stellen.
Rechtssache C-47/02

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=ecli%3AECLI%3AEU%3AC%3A2003%3A516

Zitat
61 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das deutsche Recht den Kapitänen der Seefischereischiffe unter deutscher Flagge Rechte im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit und der Ausübung polizeilicher Befugnisse, insbesondere bei Gefahr an Bord, verleiht, gegebenenfalls in Verbindung mit Untersuchungs-, Zwangs- oder Sanktionsbefugnissen, die über den bloßen Beitrag zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, zu dem jedermann verpflichtet sein kann, hinausgehen. Darüber hinaus werden dem Kapitän einige nicht nur durch die Erfordernisse der Schiffsführung zu erklärende personenstandsrechtliche Hilfsfunktionen verliehen, insbesondere die Entgegennahme der Mitteilung von der Geburt oder dem Tod einer Person während der Reise, auch wenn ein Standesbeamter an Land die öffentlichen Urkunden auszustellen hat. Auch wenn hinsichtlich dieser personenstandsrechtlichen Aufgaben gewisse - vom vorlegenden Gericht auszuräumende - Zweifel daran bestehen bleiben mögen, ob sie eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse mit sich bringen, so steht doch außer Frage, dass die mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit und der Ausübung polizeilicher Befugnisse verbundenen Aufgaben eine Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zur Wahrung der allgemeinen Belange des Flaggenstaats darstellen.

Nachstehend noch der Schlußantrag:

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MACIEJ SZPUNAR
vom 16. Juli 2015(1)
Rechtssache C-293/14

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=165870&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7096748

Zitat
1.      Zur Ausübung öffentlicher Gewalt

28.      Diese Frage geht allerdings davon aus, dass Rauchfangkehrer in Kärnten im Rahmen ihrer Tätigkeit öffentliche Gewalt ausüben.

29.      Auf der Grundlage des Vorabentscheidungsersuchens des vorlegenden Gerichts und der Angaben in der mündlichen Verhandlung ergibt sich folgendes Bild: In Kärnten üben Rauchfangkehrer eine Reihe von Tätigkeiten aus. Zum allergrößten Teil handelt es sich dabei um privatwirtschaftliche Tätigkeiten, die keinerlei Bezug zur Ausübung öffentlicher Gewalt aufweisen. Daneben nehmen Rauchfangkehrer, soweit sie durch landesrechtliche Vorschriften zur Wahrnehmung verwaltungspolizeilicher Tätigkeiten, insbesondere Tätigkeiten der Feuerpolizei, Baupolizei oder vergleichbarer Tätigkeiten verpflichtet werden, öffentliche Aufgaben wahr(7).

30.      Sind solche öffentlichen Aufgaben mit der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. i der Richtlinie 2006/123 und Art. 51 AEUV verbunden?

31.      Das in Art. 51 AEUV genannte Tatbestandsmerkmal „öffentliche Gewalt“, bei dem es sich insofern um einen autonomen Begriff handelt, als er ausschließlich nach Unionsrecht zu bestimmen ist und nicht von den einzelnen Mitgliedstaaten definiert werden kann, normiert eine Ausnahme vom Grundsatz der Niederlassungsfreiheit und ist als solche eng auszulegen. Der Gerichtshof hat den Begriff zwar nicht abstrakt definiert( 8 ), jedoch ausgeführt, dass er sich nur auf Tätigkeiten erstrecke, die, in sich selbst betrachtet, eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellten(9). So handelt es sich dem Gerichtshof zufolge z. B. bei der Beurkundungstätigkeit der Notare nicht um eine unmittelbare und spezifische Teilnahme(10).

32.      Außerdem sind Tätigkeiten, die lediglich eine helfende oder vorbereitende Rolle bei der Ausübung öffentlicher Gewalt spielen(11), nicht vom Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit ausgenommen. Das Gleiche gilt für Tätigkeiten, die zwar einen Verkehr mit den Verwaltungs- und Justizbehörden mit sich bringen und womöglich sogar regelmäßig und systematisch erbracht werden und auf eine obligatorische Mitarbeit bei der Erfüllung der Aufgaben der Behörden hinauslaufen, jedoch die Beurteilung und die Entscheidungsbefugnis unberührt lassen(12), sowie für bestimmte Tätigkeiten, die keine Ausübung von Entscheidungsbefugnissen(13), Zwangsgewalt(14) bzw. Zwangsbefugnissen(15) umfassen.

33.      Ferner hat der Gerichtshof unlängst im Hinblick auf die für die öffentliche Verwaltung geltende Ausnahme nach Art. 45 Abs. 4 AEUV – diese Bestimmung entspricht Art. 51 AEUV im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer – entschieden, dass die hoheitliche Gewalt vom Stelleninhaber regelmäßig ausgeübt werden müsse und nicht nur einen sehr geringen Teil seiner Tätigkeiten ausmachen dürfe(16).

34.      In der mündlichen Verhandlung ist vorgetragen worden, dass nach Kärntner Recht nicht der Rauchfangkehrer, sondern die Kommunalverwaltung in Person des Bürgermeisters für feuerpolizeiliche Aufgaben zuständig sei. Es sei Sache des Bürgermeisters, öffentliche Gewalt auszuüben und die Erfüllung der Pflichten von Rauchfangkehrerkunden durch Zwangsmaßnahmen durchzusetzen.

35.      Angesichts dessen bezweifle ich, dass solche feuerpolizeilichen Aufgaben in den Bereich der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 51 AEUV fallen, da die Tätigkeiten des Rauchfangkehrers nur eine helfende Rolle bei der Ausübung öffentlicher Gewalt spielen und der Rauchfangkehrer über keinerlei Vollzugs-, Verbots- oder Zwangsbefugnisse verfügt.

36.      Wenn keine der von Herrn Hiebler ausgeübten Tätigkeiten unter Art. 2 Abs. 2 Buchst. i der Richtlinie 2006/123 fällt, findet die Richtlinie auf seinen gesamten Tätigkeitsbereich Anwendung(17).

Fußnote:
Zitat
16 – Vgl. Urteil Haralambidis (C-270/13, EU:C:2014:2185, Rn. 58).

Querverweis dazu:
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
10. September 2014(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Art. 45 Abs. 1 und 4 AEUV – Begriff des Arbeitnehmers – Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung – Amt des Präsidenten einer Hafenbehörde – Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse – Staatsangehörigkeitsvoraussetzung“

In der Rechtssache C-270/13

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=157484&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=6186788

Zitat
58      Der Rückgriff auf diese Ausnahme kann jedoch nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass nach dem nationalen Recht dem Präsidenten einer Hafenbehörde hoheitliche Befugnisse zugewiesen sind. Hinzu kommen muss, dass diese Befugnisse von dem Stelleninhaber tatsächlich regelmäßig ausgeübt werden und nicht nur einen sehr geringen Teil seiner Tätigkeiten ausmachen.

Vermutung:
Eine dem ÖRR zugestandene Funktion als "Vollstreckungsbehörde" ist unionsrechtswidrig, weil die damit verbundene Tätigkeit nur einen kleinen Teil der Tätigkeiten des ÖRR erfasst?

Querverweis:
Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32006L0123&qid=1711652639488


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Keine Unterstützung für
- Amtsträger, die sich über europäische wie nationale Grundrechte hinwegsetzen oder dieses in ihrem Verantwortungsbereich bei ihren Mitarbeitern, (m/w/d), dulden;

- Parteien, deren Mitglieder sich als Amtsträger über Grundrechte hinwegsetzen und wo die Partei dieses duldet;

- Gegner des Landes Brandenburg wie auch gesamt Europas;

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Nachtrag aus dem Schlußantrag der hier im Thema bereits zitierten wie verlinkten Rechtssache C-47/08

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PEDRO CRUZ VILLALÓN
vom 14. September 20101(1)
Rechtssache C-47/08

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=78700&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7605714

Zitat
2.      Die Tätigkeit der Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt

a)      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs

87.
      Betrachtet man den gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung zu den Art. 43 EG und 45 Abs. 1 EG, ist als Erstes die Beharrlichkeit hervorzuheben, mit der der Gerichtshof auf das Erfordernis einer strikten Auslegung hingewiesen hat. Bereits 1974 zeigte sich im Urteil in der Rechtssache Reyners(58), dass sich die Rechtsprechung anschickte, die Bestimmung auf ein sehr enges Gebiet einzugrenzen. Belegt wird diese Haltung dadurch, dass nach mehr als einem halben Jahrhundert Rechtsprechung und mehr als fünfzehn ergangenen Urteilen der Gerichtshof bisher nicht festgestellt hat, dass eine bestimmte Tätigkeit durch Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG gedeckt werde.

88.      Als Zweites ist in der Rechtsprechung klargestellt worden, dass eine „Tätigkeit“ nicht gleichbedeutend ist mit einem „Beruf“. Dass eine Tätigkeit eine Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellt, heißt daher nicht per se, dass sich Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG auf alle übrigen Tätigkeiten erstreckten, die der betreffende Berufsangehörige ausübt. Diese Überlegung hat den Gerichtshof zu der Feststellung geführt, dass Reichweite und Anwendbarkeit von Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG nur in den Fällen, in denen sich die Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt nicht von den übrigen Tätigkeiten trennen lassen, mit einem Beruf als Ganzes zusammenfallen. Wie der Gerichtshof im Urteil Reyners ausgeführt hat, ist ein Entscheid über einen Beruf als Ganzes nicht möglich, „wenn im Rahmen eines freien Berufes die Tätigkeiten, die gegebenenfalls mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, einen abtrennbaren Teil der betreffenden Berufstätigkeit insgesamt darstellen“(59).

89.      Als Drittes hat der Gerichtshof in der Rechtssache Reyners betont, dass die Reichweite von Art. 43 EG und Art. 45 Abs. 1 EG auf Tätigkeiten beschränkt ist, „die, in sich selbst betrachtet, eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen“(60), ohne dass die Mitgliedstaaten insoweit einseitige Bestimmungen erlassen dürfen, die diese Reichweite erweitern oder verringern(61).

90.      Als vierter und letzter Gesichtspunkt, der in der Rechtsprechung Hervorhebung verdient, ist das Erfordernis zu nennen, die spezifischen Funktionen zu analysieren, die mit der jeweiligen Tätigkeit ausgeübt werden, und zwar im Sinne einer eng mit den konkreten Umständen des Einzelfalls verknüpften Prüfung, die den Gerichtshof zur vertieften Erörterung nicht immer leicht zu lösender Fragen des nationalen Rechts verpflichtet. So ist im Urteil Reyners klargestellt worden, dass die Merkmale, die für die Anwendung des Art. 45 Abs. 1 EG erfüllt sein müssen, „für jeden Mitgliedstaat gesondert anhand der nationalen Bestimmungen über die Struktur und die Ausübung des betreffenden Berufes zu würdigen“ sind(62). Dies hat dazu beigetragen, dass die Rechtsprechung kasuistisch, wenig aussagekräftig und stark den Eigenheiten der jeweiligen Tätigkeit verhaftet ausgefallen ist. Dies ist in solchem Maße der Fall, dass gegenwärtig keine einzige Entscheidung vorliegt, in der der Gerichtshof die Bedeutung der Begriffe „unmittelbar“, „spezifisch“ oder „öffentliche Gewalt“ erläutert hätte.

91.      Was das praktische Ergebnis dieser Rechtsprechung angeht, so ist, wie bereits erwähnt, zu konstatieren, dass der Gerichtshof in seinen bisher ergangenen Entscheidungen nicht zu dem Schluss gelangt ist, dass eine Tätigkeit unmittelbar und spezifisch an der Ausübung öffentlicher Gewalt teilnimmt(63). Der Beruf des Rechtsanwalts(64), der Lehrerberuf oder die Leitung von privaten Unterrichtsanstalten(65), der Betrieb von Datenverarbeitungssystemen für die öffentliche Verwaltung(66), Wirtschaftsprüfer bei Versicherungsunternehmen(67), die Durchführung von Fahrzeuguntersuchungen(68), der Verkauf von Lottoscheinen und die Wettannahme(69), private Sicherheitsdienste(70), öffentliche Rettungsdienste(71) oder private Stellen für die Kontrolle landwirtschaftlicher Erzeugnisse des ökologischen Landbaus(72), alle diese Tätigkeiten sind der Prüfung durch den Gerichtshof unterzogen worden, und in allen Fällen wurde verneint, dass diese Tätigkeiten mit der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 45 Abs. 1 EG verbunden seien(73).

b)      Die erforderliche Vertiefung des Begriffs der öffentlichen Gewalt

92.      Wie dargelegt, lassen sich der Rechtsprechung derzeit nur wenige Gesichtspunkte zur näheren Bestimmung des Wesens oder der Beschaffenheit der „öffentlichen Gewalt“ im Sinne der hier in Rede stehenden Vorschrift entnehmen. Für die Definition dessen, was öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 45 Abs. 1 EG ist(74), lässt es sich nicht vermeiden, von einem bestimmten Vorverständnis der Idee der öffentlichen Gewalt als allgemeiner Kategorie der Staatstheorie auszugehen, in das sich die Union als eine Staatengemeinschaft notwendig begrifflich einfügt(75).

93.      In diesem Sinne ist „öffentliche Gewalt“ vor allem „Gewalt“, d. h. die Fähigkeit zur Erzwingung einer einem unwiderstehlichen Willen entsprechenden Verhaltensweise. Im Sinne einer friedfertigen Akzeptanz und in ihrem höchsten Ausdruck kommt diese Fähigkeit ausschließlich dem Staat zu, d. h. der Einrichtung, in der sich die Rechtsordnung als Instrument der Verwaltung und Anordnung legitimer Gewalt verkörpert(76). Öffentliche Gewalt ist somit die Gewalt des Souveräns qui superiorem non recognoscens in regno suo.

94.      Dies bedeutet, dass es im Staat nicht mehr legitime Zwangsgewalt gibt als die, welche die öffentliche Gewalt ausübt, sei es im Interesse der Existenz des Staates und der Verwirklichung seiner Ziele (allgemeines Interesse), sei es im Dienst der berechtigten Erwartungen der Privatpersonen hinsichtlich ihres Verhaltens untereinander (privates Interesse). Im letztgenannten Fall geschieht dies stets unter Wahrung der zuvor festgelegten Bedingungen(77).

95.      Gewiss bildet der Zweck, dem die vom Staat monopolisierte und verwaltete Gewalt dient, ein erstes Kriterium für die Grenzziehung zwischen öffentlicher Gewalt und Privatpersonen. Denn die öffentliche Gewalt hat die Erreichung jener Ziele allgemeiner Art zu bewirken, die die Legitimationsgrundlage der von der politischen Gewalt gewählten konkreten Staatsform bilden (in Europa typischerweise der soziale und demokratische Rechtsstaat). Hingegen können sich Privatpersonen in der Wahrnehmung ihrer Autonomie als Individuen der Befriedigung ihrer privaten Interessen widmen. Und sie können sich hierfür unter den durch die Rechtsordnung festgelegten Voraussetzungen der Zwangsmittel bedienen, die die öffentliche Gewalt verwaltet, welche insoweit grundsätzlich ein Instrument im Dienst von Interessen nicht allgemeiner Art darstellt.

96.      Das traditionell üblichste Kriterium zur Identifizierung der öffentlichen Gewalt ist also das der Fähigkeit öffentlicher Gewalt zur einseitigen Durchsetzung ihres Willens, d. h., ohne dass es der Zustimmung des Verpflichteten bedarf. Hingegen kann der Einzelne seinen Willen gegenüber einem anderen Einzelnen nur mit dessen Zustimmung realisieren.

97.      Freilich liegen die Dinge nicht so einfach, wenn es sich, wie in allen uns hier beschäftigenden Fällen, um einen demokratischen Staat handelt. Denn in diesen Fällen ist die Zustimmung, in der einen oder anderen Form und in letzter Instanz, immer erforderlich. Zum anderen ist der Satz zu relativieren, dass der Wille der öffentlichen Gewalt unwiderstehlich seine Befolgung erzwingt. Und aus der Perspektive nunmehr des Rechtsstaats, wie er auch der Union eignet, unterliegt jede Betätigung der öffentlichen Gewalt einer möglichen Überprüfung. In Wirklichkeit ist unter diesem Blickwinkel die souveräne Gewalt des demokratischen Staates eher auctoritas als bloßes imperium(78). Dies bedeutet Herrschaftsgewalt, die durch den Willen der ihr Unterworfenen ausgeübt wird und in ihrer Herrschaft mehr als durch bloße Drohung mit physischem Zwang durch den legitimen Ursprung des Herrschaftswillens gesichert wird(79).

98.      Dieser Aspekt impliziert, dass der in Frage stehende Begriff kein absoluter, sondern ein relativer Begriff ist, der somit der gradweisen Abstufung unterliegt(80). Je größer die Fähigkeit zur Durchsetzung einer Verhaltensweise ist, desto größer ist die Nähe zur Qualität der öffentlichen Gewalt, jedoch stets unter Ausschluss apodiktischer und unwiderstehlicher Erzwingung.

99.      Aus allen diesen Gründen beschreitet, wer auf das Kriterium des Zwecks (Allgemeininteresse/privates Interesse) oder auf das Kriterium der Art und Weise der durch Gewalt gesicherten Auferlegung einer Pflicht (einseitig/zweiseitig) abstellt, damit einen Weg, der unweigerlich auf ungesichertes Gelände führt. Wir stoßen hier in der Tat auf überaus unscharfe Begriffe, die in ihrer Beschaffenheit der Willkür relativer Größen unterliegen und daher einem minimalen Grad an Objektivität unzugänglich sind. Natürlich handelt es sich um taugliche Kriterien, soweit unzweifelhafte Tatbestände der Ausübung öffentlicher Gewalt in Frage stehen, wie dies für die Tätigkeiten gilt, die am unmittelbarsten mit der Ausübung der mit der Souveränität verbundenen Prärogativen verbunden sind (Armee, öffentliche Sicherheitskräfte, Justiz, Regierung). Aber sie genügen nicht, um die anderen öffentlichen Tätigkeiten zukommende Einordnung zu begründen, die nur in geringerem Maße mit Zwangsausübung verbunden sind, sich aber qualitativ von privater Tätigkeit unterscheiden.

100. Führt man diese Überlegungen einen Schritt weiter, so ist die Qualität des modernen Staates als eine wesentlich elaboriertere Form der Trägerschaft von Macht als die früher bekannten zu berücksichtigen. Letztere blieben reduziert auf die Verwaltung des physischen Zwangs mittels überaus vereinfachter Verfahren zur Festlegung der Voraussetzungen für die Zwangsausübung. Um dem Phänomen der öffentlichen Gewalt in seiner ganzen Komplexität gerecht zu werden, ist es darum heute praktisch unumgänglich, sich eines Begriffs der öffentlichen Gewalt zu bedienen, der von der Logik der Rechtsordnung her konzipiert ist, in der diese Gewalt ausgeübt wird.

101. Aus dieser Perspektive stellt die Rechtsordnung ein Verfahren zur Gestaltung der Ausübung legitimer Gewalt dar, das gegebenenfalls zu deren Anwendung in einer konkreten Situation führen kann. Verhält es sich so, ist nichts einzuwenden gegen die Auffassung, dass die Handlungen, die die Rechtsordnung letztlich setzt (nämlich dort, wo das Verfahren der legitimen Gewalt mit einer Handlung endet, die dieses Verfahren abschließt und zu einem endgültigen Stand führt), als ihr vollkommenster Ausdruck erscheinen(81).

102. Nach diesem Gedankengang ist das entscheidende Kriterium für die Einstufung einer Handlung als von der öffentlichen Gewalt abgeleitet somit das der Art ihres Verhältnisses zur Staatsordnung. Konkret wäre die Qualität einer Tätigkeit nach dem Kriterium ihrer Einbettung in diese Rechtsordnung (ihrer Zugehörigkeit zu dieser) als eine Teilhabe an der Ausübung öffentlicher Gewalt zum Ausdruck bringend zu werten. Das Kriterium wäre somit nicht das ihrer bloßen Übereinstimmung mit dieser Rechtsordnung, sondern das ihrer Eingliederung als Handlung der Rechtsordnung(82).

103. In diesem Sinne kann die Judikative als der charakteristischste Ausdruck der öffentlichen Gewalt angesehen werden. Mit ihren Entscheidungen nämlich spricht sie endgültig Recht, und in diesem Sinne verschmilzt die Rechtsordnung mit diesen(83). Aus demselben Grund lässt sich aber auch sagen, dass Handlungen, die diese Bedingung erfüllen können, öffentliche Gewalt sind, ohne dass es der iurisdictio bedarf. Zunächst ist das Gesetz per se vollstreckbar, wie auch Verwaltungsvorschriften oder hoheitliche Anordnungen. Es handelt sich stets um Handlungen oder Vorschriften, die der gerichtlichen Überprüfung unterliegen, aber in keinem Fall einer „Ermächtigung“ bedürfen, um unmittelbar ihre Wirkungen zu entfalten.

104. Nach dem Vorstehenden ist klar, dass kein Privater zu Rechtshandlungen in der Lage ist, die gegenüber einem Dritten durchgesetzt werden können, es sei denn, mittels des Tätigwerdens der öffentlichen Gewalt. Ist die Zwangsausübung durch Private einmal ausgeschlossen, erfordert die Durchsetzung des eigenen Rechts stets eine öffentliche Ermächtigung. Die öffentliche Gewalt ist in diesen Fällen nicht darauf beschränkt, eine Handlung zu überprüfen, die aus sich selbst heraus eine einen Dritten bindende Wirkung hervorbringen kann, wie es bei Handlungen der Verwaltung, Regierung oder gesetzgebenden Gewalt der Fall ist. Vielmehr wird die öffentliche Gewalt in diesen Fällen stets als diejenige Autorität tätig, durch die die Verpflichtung, die ein Privater gegenüber einem Dritten geltend macht, konstituiert wird. Es handelt sich hier um Verpflichtungen, die aus einer Willensübereinstimmung (Vertrag/Dispositionsgrundsatz) hervorgegangen sein können, aber ihre Erfüllung einzufordern, steht dem Einzelnen nicht zu Gebote, es sei denn vermittelt durch staatliches Handeln.

105. Aus allem Vorstehenden ist daher, stets mit dem im vorliegenden Fall gebotenen Abstraktionsgrad, der Schluss zu ziehen, dass unter den Merkmalen, die für die öffentliche Gewalt in den verschiedenen nationalen Traditionen kennzeichnend sind, auf dasjenige abzustellen ist, das seinen Ausdruck in ihrer Fähigkeit findet, eine Handlung, Vorschrift oder Verhaltensweise mittels der Rechtsordnung dem formalisierten Staatswillen zuzuordnen. Denn dies ist ein kleinster gemeinsamer Nenner, in dem alle diese Traditionen übereinstimmen, die in der Möglichkeit, einen Einzelwillen dem allgemeinen Staatswillen zuzuordnen, das entscheidende Kriterium sehen, um die Grenzlinie zu ziehen, die den Bereich des Öffentlichen von dem der Privatpersonen trennt.

Zur Rn. 102:
Wenn das "Verhältnis zur Staatsordnung" der dt. ÖRR, bzw., der Medien allgemein, als "staatsfern" zu gelten hat, so ist es damit nicht vereinbar, daß dt. ÖRR, bzw., Medien allgemein, Handlungsweisen realisieren, die nur dem Staat selber zustehen; die Rundfunkstaatsverträge wären insofern unionsrechtswidrig?


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