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Autor Thema: EuGH C-6/90 - Vertragsverletzung, wenn Schaden nicht ersetzt wird  (Gelesen 270 mal)

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Urteil des Gerichtshofes vom 19. November 1991.
Andrea Francovich u. a. gegen Italienische Republik.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura di Vicenza und Pretura di Bassano del Grappa - Italien.
Nichtumsetzung einer Richtlinie - Haftung des Mitgliedstaats.
Verbundene Rechtssachen C-6/90 und C-9/90

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A61990CJ0006&qid=1707995268458

Zitat
a) Zum Grundsatz der Staatshaftung

31 Der EWG-Vertrag hat eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von den nationalen Gerichten anzuwenden ist. Rechtssubjekte dieser Rechtsordnung sind nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch der einzelne, dem das Gemeinschaftsrecht, ebenso wie es ihm Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen kann. Solche Rechte entstehen nicht nur, wenn der EWG-Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch aufgrund von eindeutigen Verpflichtungen, die der EWG-Vertrag dem einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt (Urteile vom 5. Februar 1963 in der Rechtssache 26/62, Van Gend & Loos, Slg. 1963, 1, und vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache 6/64, Costa, Slg. 1964, 1251).

32 Nach ständiger Rechtsprechung müssen die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden haben, die volle Wirkung dieser Bestimmungen gewährleisten und die Rechte schützen, die das Gemeinschaftsrecht dem einzelnen verleiht (vgl. insbesondere die Urteile vom 9. März 1978 in der Rechtssache 106/77, Simmenthal, Slg. 1978, 629, Randnrn. 14/16, und vom 19. Juni 1990 in der Rechtssache C-213/89, Factortame, Slg. 1990, I-2433, Randnr. 19).

[...]

36 Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Ersatz dieser Schäden findet auch in Artikel 5 EWG-Vertrag eine Stütze, nach dem die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfuellung ihrer Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht zu treffen haben. Zu diesen Verpflichtungen gehört auch diejenige, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht zu beheben (zu der ähnlichen Bestimmung des Artikels 86 EGKS-Vertrag s. das Urteil vom 16. Dezember 1960 in der Rechtssache 6/60, Humblet, Slg. 1960, 1163).

37 Es ist nach alledem ein Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, daß die Mitgliedstaaten zum Ersatz der Schäden verpflichtet sind, die dem einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, die diesen Staaten zuzurechnen sind.

b) Zu den Voraussetzungen der Staatshaftung

38
Die Voraussetzungen, unter denen diese gemeinschaftsrechtlich gebotene Staatshaftung einen Entschädigungsanspruch eröffnet, hängen von der Art des Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht ab, der dem verursachten Schaden zugrunde liegt.

39 Verstößt ein Mitgliedstaat wie im vorliegenden Fall gegen seine Verpflichtung aus Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag, alle erforderlichen Maßnahmen zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen Ziels zu erlassen, so verlangt die volle Wirksamkeit dieser gemeinschaftsrechtlichen Regelung einen Entschädigungsanspruch, wenn drei Voraussetzungen erfuellt sind.

40 Erstens muß das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rechten an einzelne beinhalten. Zweitens muß der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können. Drittens muß ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden bestehen.

41 Diese Voraussetzungen reichen aus, um dem einzelnen einen Anspruch auf Entschädigung zu geben, der unmittelbar im Gemeinschaftsrecht begründet ist.

42 Hiervon abgesehen hat der Staat die Folgen des verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben. Mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung ist es nämlich Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und das Verfahren für die Klagen auszugestalten, die den vollen Schutz der dem einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (Urteile vom 22. Januar 1976 in der Rechtssache 60/75, Russo, Slg. 1976, 45, vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, und vom 7. Juli 1981 in der Rechtssache 158/80, Rewe, Slg. 1981, 1805).

43 Auch dürfen die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, daß sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen (zu dem ähnlichen Bereich der Erstattung von unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobenen Abgaben s. insbesondere das Urteil vom 9. November 1983 in der Rechtssache 199/82, San Giorgio, Slg. 1983, 3595).

Schlussanträge des Generalanwalts Mischo vom 28. Mai 1991.
Andrea Francovich u. a. gegen Italienische Republik.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Pretura di Vicenza und Pretura di Bassano del Grappa - Italien.
Nichtumsetzung einer Richtlinie - Haftung des Mitgliedstaats.
Verbundene Rechtssachen C-6/90 und C-9/90

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/TXT/?uri=CELEX:61990CC0006

Zitat
39.
Die innerstaatlichen Gerichte müssen ihrer Verpflichtung nachkommen, die Rechte, die das Gemeinschaftsrecht den einzelnen verleiht, zu schützen, [...]

Das gilt nicht nur für nationale Gesetze, sondern für jede Bestimmung des innerstaatlichen Rechts, denn, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache 6/64 (Costa, Slg. 1964, 1259, 1270) ausgeführt hat, [...]

40.
Hat die Anwendung nationaler Vorschriften, die unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht verletzen, zur Erhebung bestimmter Beträge zu Lasten des einzelnen geführt, so obliegt es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes zur ungerechtfertigten Bereicherung dem betroffenen Mitgliedstaat, für die Erstattung dieser Beträge zu sorgen; diese Verpflichtung ergibt sich aus der unmittelbaren Wirkung der verletzten Bestimmung des Gemeinschaftsrechts ( 9 ). Mit anderen Worten, [...]

41.
[...]  Der Gerichtshof hat im übrigen bereits festgestellt, daß die unmittelbare Wirkung einer gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung als Grundlage einer Schadensersatzklage dienen kann: Als Beispiel verweise ich auf das Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache C-188/89 (Foster, Slg. 1990, I-3313).

42.
Aus alledem geht hervor, daß die eventuelle Entschädigung einer Einzelperson für durch die Verletzung einer mit unmittelbarer Wirkung ausgestatteten gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift erlittenen Nachteile ihre Grundlagen in der Gemeinschaftsrechtsordnung selbst findet. Sicherlich kann — falls es sie gibt — auch auf Rechtsbehelfe des innerstaatlichen Rechts zurückgegriffen werden, die die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts gewährleisten. Wie der Gerichtshof jedoch in seinem Urteil vom 9. Juli 1985 in der Rechtssache 179/84 (Bozzetti, Sig. 1985, 2301, Randnr. 17) in Erinnerung gerufen hat, [...]

Wenn also eine Entschädigung im gegebenen Fall der einzige Weg zur Sicherung eines solchen wirksamen Schutzes ist, so trifft den Mitgliedstaat nach Gemeinschaftsrecht die Verpflichtung, den Bürgern den angemessenen Rechtsweg zur Verfügung zu stellen, der es ihnen gestattet, diesen Schutz in Anspruch zu nehmen.

47. [...] Ich bin daher der Auffassung, daß ein Mitgliedstaat einer gegen ihn erhobenen, auf die Verletzung eines dem einzelnen unmittelbar durch das Gemeinschaftsrecht gewährten Rechts gestützten Schadensersatzklage nicht entgegenhalten kann, in seiner eigenen Rechtsordnung gelte der Grundsatz, daß die öffentliche, namentlich die gesetzgebende Gewalt nicht haftbar gemacht werden könne: Wenn ein Rechtsbehelf, wie ihn die Schadensersatzklage darstellt, besteht, so kann ein Mitgliedstaat sich nicht mehr auf die Rechtsnatur derjenigen Stelle berufen, die angeblich haftet, um die Einzelpersonen dieses Behelfs zu berauben und hierdurch die Wirksamkeit des unmittelbar wirkenden Gemeinschaftsrechts in Frage zu stellen.

51. [...] „daß das Recht auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts erhoben hat, eine Folge und eine Ergänzung der Rechte darstellt, die den einzelnen durch die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften eingeräumt worden sind, nach denen Abgaben mit gleicher Wirkung wie Zölle oder — gegebenenfalls — die diskriminierende Erhebung von inländischen Abgaben verboten sind“ (Randnr. 12).

62.
Schließlich hatte der Gerichtshof bereits Gelegenheit, klarzustellen, daß die Artikel 169 bis 171 EWG-Vertrag darauf abzielen, die Verstöße und deren Folgen in Vergangenheit und Zukunft tatsächlich zu beseitigen. Gewiß hat er in seinem Urteil vom 12. Juli 1973 in der Rechtssache 70/72 (Kommission/Deutschland, Slg. 1973, 813, Randnr. 13) hinzugefügt, daß [...]

Diese Entscheidung ist vom 19. November 1991, was dem Einzelnen die Möglichkeit gibt, ab diesem Tag an jedweden Schaden ersetzt zu bekommen, der ihm, dem Einzelnen, durch Mißachtung der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes entstanden ist, wenn die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes ihm, also dem Einzelnen, Rechte verliehen haben, die das Mitgliedsland mißachtet hat.

Die Konsequenzen dieser Entscheidung reichen aber noch weiter?

Wenn nationale Gerichte dem Ersatz eines entstandenen Schadens nicht entsprechen, ist bereits das eine Vertragsverletzung?


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