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Autor Thema: EuGH C-305/08 - Begriff "Wirtschaftsteilnehmer"  (Gelesen 420 mal)

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EuGH C-305/08 - Begriff "Wirtschaftsteilnehmer"
Autor: 25. Dezember 2023, 16:32
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
23. Dezember 2009(*)

„Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Richtlinie 2004/18/EG – Begriffe ‚Unternehmer‘, ‚Lieferant‘ und ‚Dienstleistungserbringer‘ – Begriff ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ – Universitäten und Forschungsinstitute – Gruppe (‚consorzio‘) von Universitäten und Behörden – Satzungsmäßiger Zweck, der nicht in erster Linie auf Gewinnerzielung gerichtet ist – Zulassung zur Teilnahme an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags“

In der Rechtssache C-305/08

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=77183&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=9394728

Zitat
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Bestimmungen der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, insbesondere Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 8 Unterabs. 1 und 2, die auf den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ Bezug nehmen, sind dahin auszulegen, dass sie es Einrichtungen, die nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstreben, nicht über die Organisationsstruktur eines Unternehmens verfügen und nicht ständig auf dem Markt tätig sind, wie Universitäten und Forschungsinstitute sowie Gruppen von Universitäten und Behörden, gestatten, an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrag teilzunehmen.

2.      Die Richtlinie 2004/18 ist dahin auszulegen, dass sie der Auslegung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die es Einrichtungen wie Universitäten und Forschungsinstituten, die nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstreben, untersagt, sich an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zu beteiligen, obwohl sie nach nationalem Recht berechtigt sind, die auftragsgegenständlichen Leistungen zu erbringen.

Zitat
30      Ferner erkennt Art. 1 Abs. 8 Unterabs. 1 und 2 dieser Richtlinie die Eigenschaft als „Wirtschaftsteilnehmer“ nicht nur natürlichen und juristischen Personen, sondern ausdrücklich auch öffentlichen Einrichtungen oder Gruppen dieser Einrichtungen zu, die auf dem Markt Leistungen anbieten. Der Begriff „öffentliche Einrichtung“ kann aber auch Einrichtungen erfassen, die nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstreben und weder unternehmerisch strukturiert noch ständig auf dem Markt tätig sind.

Zitat
35      Aus diesen Erwägungen folgt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Begriff „Wirtschaftsteilnehmer, der Leistungen auf dem Markt anbietet“ nicht auf unternehmerisch strukturierte Wirtschaftsteilnehmer beschränken oder besondere Bedingungen einführen wollte, die geeignet sind, den Zugang zu Ausschreibungen von vornherein auf der Grundlage der Rechtsform und der internen Organisation der Wirtschaftsteilnehmer zu beschränken.

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
JÁN MAZÁK
vom 3. September 20091(1)
Rechtssache C-305/08

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=75284&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=9394728

Zitat
20.      Obwohl u. a. auch in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie von „Wirtschaftsteilnehmern“ die Rede ist, enthält die Richtlinie keine genaue Definition dieses Begriffs. Art. 1 Abs. 8 der Richtlinie bestimmt lediglich, dass der Begriff „ausschließlich der Vereinfachung des Textes [dient]“ und „natürliche oder juristische Personen, öffentliche Einrichtungen oder Gruppen dieser Personen und/oder Einrichtungen, die auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, … die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbieten“, bezeichnet.(14)

21.      Insoweit lässt sich aus dem Umstand, dass sich Art. 1 Abs. 8 der Richtlinie auf „Anbieter auf dem Markt“ bezieht, meines Erachtens keine Absicht herleiten, den Kreis der öffentlichen Einrichtungen, die zum Abschluss von Verträgen mit öffentlichen Auftraggebern berechtigt sind, auf diejenigen zu beschränken, die die Tätigkeit, die der Zuschlagsempfänger als Dienstleistung erbringen soll, (als Unternehmen) ausüben und die Erwerbszwecke verfolgen. Für die Einstufung als Wirtschaftsteilnehmer ist die kontinuierliche und systematische Erbringung von Dienstleistungen auf dem Markt keine zwingende Voraussetzung.

22.      Meines Erachtens verlangt die Richtlinie eindeutig keine bestimmte Rechtsform und schreibt nicht vor, dass ein Wirtschaftsteilnehmer ein Unternehmen sein oder Erwerbszwecke verfolgen oder gefestigt oder regelmäßig auf dem Markt präsent sein muss.

23.      Die Richtlinie bestimmt lediglich, dass unter „Wirtschaftsteilnehmern“ u. a. öffentliche Einrichtungen zu verstehen sind, die auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbieten. Mehr sagt sie nicht.

Zitat
28.      An dieser Stelle lässt sich vielleicht eine Parallele zu dem gefestigten Begriff des Unternehmens im Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft ziehen.

29.      Dies mag auch insoweit angebracht sein, als die Richtlinie betont, dass der Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ ausschließlich der Vereinfachung des Textes dient. Außerdem liegt auf der Hand, dass das Wettbewerbsrecht und die Vorschriften zur Gewährleistung lauteren Wettbewerbs in Ausschreibungsverfahren einen verwandten Bereich regeln.

30.      Daher ist es aufschlussreich, sich die mit dem Urteil Höfner und Elser(16) begründete Rechtsprechung zum Begriff „Unternehmen“ im Wettbewerbsrecht vor Augen zu führen, der „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung[, umfasst]“. Darüber hinaus hat der Gerichtshof ausgeführt, dass „eine wirtschaftliche Tätigkeit … jede Tätigkeit ist, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten“.(17) In diesem Zusammenhang ist die Feststellung von Generalanwalt Jacobs, dass „eine Tätigkeit nicht zwangsläufig ihren wirtschaftlichen Charakter [verliert], nur weil keine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt“(18), besonders treffend.

Zitat
31.      In meiner Auslegung des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ sehe ich mich auch durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum öffentlichen Auftragswesen bestätigt.

32.      Erstens gibt es eine Entscheidung(19), in der der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet der öffentlichen Aufträge auf eine „auf dem Markt tätige Wirtschaftsteilnehmerin“ anzuwenden seien. Meines Erachtens sollte man aus dieser Aussage jedoch nicht ableiten, dass ein Wirtschaftsteilnehmer gefestigt oder regelmäßig auf dem Markt präsent sein muss.

33.      Ich meine im Gegenteil, dass der Begriff des Wirtschaftsteilnehmers weit auszulegen ist, um alle Personen zu erfassen, die Dienstleistungen auf dem Markt anbieten, auch wenn dies zum ersten Mal oder lediglich vereinzelt bzw. gelegentlich erfolgt.

Der Begriff "Wirtschaftsteilnehmer" erfasst im Unionsrahmen alle Personen, seien sie natürlich oder juristisch, öffentlich oder privat, die Dienstleistungen auf einem Markt anbieten, also in einem Bereich der Wirtschaft, der dem Wettbewerb durch verschiedene private und/oder öffentliche Anbieter geöffnet ist.

Da die ÖRR audio-visuelle Mediendienstleistungen anbieten und untereinander als auch mit den privaten Rundfunkunternehmen in Wettbewerb, bspw., um Werbekunden stehen, sind sie Wirtschaftsteilnehmer im Sinne des Unionsrahmens; einem Wirtschafstteilnehmer darf der Staat aber keine personen-bezogenen Daten seiner Bürger/-innen ohne deren vorherige Genehmigung zwecks Weiterverarbeitung zur Verfügung stellen.

Querverweise:
EuGH C-439/19 - DSGVO - Datenübertragung an Wirtschaftsteilnehmer unzulässig
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35594.0

BGH KZR 31/14 - Dt. ÖRR = Unternehmen im Sinne des Kartellrechts
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=33155.0


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Ergänzung aus einer weiteren Entscheidung:


URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
10. November 2022(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Erteilung des Zuschlags – Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 – Begriff ‚Wirtschaftsteilnehmer‘ – Einbeziehung einer offenen Handelsgesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit – Art. 19 Abs. 2 und Art. 63 – Gemeinschaftsunternehmen oder Inanspruchnahme der Kapazitäten anderer Unternehmen der beteiligten Personen – Art. 59 Abs. 1 – Verpflichtung, eine oder mehrere Einheitliche Europäische Eigenerklärungen (EEE) einzureichen – Zweck der EEE“

In der Rechtssache C-631/21

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=267939&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=9591289

Zitat
43      Insoweit ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24 in Verbindung mit ihrem 14. Erwägungsgrund, dass der Begriff „Wirtschaftsteilnehmer“ weit auszulegen ist, so dass er insbesondere alle Personen oder Einrichtungen umfasst, die die Erbringung von Dienstleistungen auf dem Markt anbieten, ungeachtet der Rechtsform, die sie für sich gewählt haben, und unabhängig davon, ob es sich um juristische Personen handelt oder nicht.


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