Die Entscheidung wird sicherlich einige interessieren, die von Straßenausbaumaßnahmen betroffen sind oder sein könnten; sie sei deswegen zur Kenntnisnahme publiziert. Zudem lassen sich möglicherweise auch in Belangen des Rundfunkbeitrages Kenntnisse daraus ableiten, da auch die Erhebung von Straßenausbau-Erschließungsbeiträgen zwischenzeitlich zu Landesrecht geworden ist.
BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 03. November 2021
- 1 BvL 1/19 -, Rn. 1-92,http://www.bverfg.de/e/ls20211103_1bvl000119.htmlLeitsätze
1. Das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) erstreckt sich auf alle Abgaben zum Vorteilsausgleich. Daher muss auch die Möglichkeit zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage zeitlich begrenzt werden (Fortführung von BVerfGE 133, 143).
2. Das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt zudem, dass der Zeitpunkt des Eintritts der tatsächlichen Vorteilslage für die Beitragspflichtigen erkennbar ist.
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Da Erschließungsbeiträge nach § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nur für öffentliche, zum Anbau bestimmte Straßen erhoben werden können, ist Voraussetzung für die Entstehung der Erschließungsbeitragspflicht zudem, dass die Anbaustraße nach Maßgabe der einschlägigen landesrechtlichen Vorgaben als öffentliche Straße gewidmet ist. Erst mit der Widmung steht die Erschließungsanlage für die Benutzung durch die Allgemeinheit gesichert zur Verfügung (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Mai 1985 - 8 C 17.84 u.a. -, Rn. 23).
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Da kommunale Abgaben keine Ähnlichkeiten zu Verbrauchsteuern oder Verbrauchsteuervergütungen aufweisen, beträgt die Festsetzungsfrist für Erschließungsbeiträge danach grundsätzlich vier Jahre (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 KAG RP in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist eine Beitragsfestsetzung nicht mehr zulässig. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 KAG RP in Verbindung mit § 47 AO zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Beitragsschuldverhältnis.
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1. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (vgl. BVerfGE 132, 302 <317 Rn. 41>; 133, 143 <158 Rn. 41>). Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug. Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können. Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten (BVerfGE 133, 143 <158 Rn. 41> m.w.N.).
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Für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber daher verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass Beiträge nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt – unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens – in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 133, 143 <159 f. Rn. 45>; 137, 1 <17 Rn. 38 ff.>; 149, 222 <249 f. Rn. 54 ff.>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Beitragspflichtige würden sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen. Dies ist ihnen im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen können, ob und in welchem Umfang sie die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen müssen (vgl. BVerfGE 133, 143 <159 f. Rn. 45>).
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2. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz erstrecken sich auf alle Abgaben zum Vorteilsausgleich und damit auch auf Erschließungsbeiträge (a). Zudem erfasst das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht nur Konstellationen, in denen sich der Eintritt der (Festsetzungs-)Verjährung durch die gesetzliche Ausgestaltung des Beginns oder des Endes der Verjährungsfrist auf unbestimmte Zeit verzögert, sondern es bezieht alle Fälle ein, in denen eine tatsächliche Vorteilslage eintritt, die daran anknüpfenden Abgaben aber wegen Fehlens einer sonstigen Voraussetzung nicht verjähren können (b). Dies gilt auch im Erschließungsbeitragsrecht, in dem die Vorteilslage zum Zeitpunkt der zulässigen tatsächlichen Nutzbarkeit der Anlage eintritt, für die Beiträge erhoben werden (c).
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a) Das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gilt für alle Abgaben zum Vorteilsausgleich und damit insbesondere für das gesamte Beitragsrecht. Da es aus der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips abgeleitet ist, ist seine Geltung nicht auf die Erhebung von Beiträgen für die Herstellung leitungsgebundener Einrichtungen beschränkt.
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b) Mit seiner Forderung nach einer zeitlichen Begrenzung der Heranziehung des Bürgers zu Abgaben zum Vorteilsausgleich knüpft das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit an den Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage an. Seine Anwendbarkeit ist damit insbesondere nicht auf Fälle beschränkt, in denen sich der Beginn (oder das Ende) der Festsetzungsfrist verzögert. Vielmehr fordert das Gebot eine zeitliche Begrenzung der Beitragserhebung in allen Fällen, in denen die abzugeltende tatsächliche Vorteilslage in der Sache eintritt, die daran anknüpfenden Beitragsansprüche aber wegen des Fehlens einer sonstigen Voraussetzung nicht entstehen und deshalb auch nicht verjähren können (so auch BVerwGE 149, 211 <215 Rn. 17>; BayVGH, Urteil vom 14. November 2013 - 6 B 12.704 -, Rn. 21; OVG Magdeburg, Urteil vom 2. Oktober 2018 - 4 L 97/17 -, Rn. 43).
Ist die zeitlich unbegrenzte Erhebung von Rundfunkbeiträgen überhaupt zulässig?
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Die nähere Bestimmung, wann die Vorteilslage eintritt, richtet sich nach der jeweils mit der Abgabe abzugeltenden Leistung. Dabei knüpft das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit an einen in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossenen Vorgang an (vgl. BVerfGE 133, 143 <158 Rn. 41>). Daher ist der Eintritt der Vorteilslage von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängig (vgl. BVerfGE 133, 143 <158 Rn. 41>) zu beurteilen. Maßgeblich ist damit, wann und unter welchen Umständen der die individuelle Vorteilslage begründende Vorgang in tatsächlicher Hinsicht als abgeschlossen zu betrachten ist, weil sich der durch den Beitrag abzugeltende Vorteil für die jeweiligen Beitragspflichtigen verwirklicht hat (vgl. OVG Münster, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 1812/16 -, Rn. 45).
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Das verfassungsrechtliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verlangt, dass Betroffene nicht dauerhaft im Unklaren gelassen werden dürfen, ob sie noch mit Belastungen rechnen müssen (vgl. BVerfGE 133, 143 <159 f. Rn. 45>). Daher muss der Zeitpunkt, in dem der abzugeltende Vorteil entsteht, für die Betroffenen unter Zugrundelegung eines objektiven Empfängerhorizonts erkennbar sein (vgl. OVG Münster, Urteil vom 24. November 2017 - 15 A 1812/16 -, Rn. 47; Beschluss vom 24. Oktober 2019 - 15 B 1090/19 -, Rn. 25; VGH Mannheim, Urteil vom 29. Oktober 2019 - 2 S 465/18 -, Rn. 129). Der Begriff der Vorteilslage muss deshalb an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten anknüpfen und rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld außen vor lassen. In Ansehung dieser Vorgaben obliegt die nähere Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts des Eintritts der tatsächlichen Vorteilslage im Einzelfall vorrangig den Fachgerichten. Ihnen steht im Rahmen der grundgesetzlichen Bindungen ein Spielraum zu, der in verfassungsrechtlicher Hinsicht nur eingeschränkt überprüfbar ist.
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