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Autor Thema: EuGH C-221/11 - Begriff "passive Dienstleistungsfreiheit"  (Gelesen 455 mal)

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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
24. September 2013(*)

„Assoziierungsabkommen EWG–Türkei – Zusatzprotokoll – Art. 41 Abs. 1 – Stillhalteklausel – Visumpflicht für die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats – Freier Dienstleistungsverkehr – Recht eines türkischen Staatsangehörigen, in einen Mitgliedstaat einzureisen, um einen Familienangehörigen zu besuchen und potenziell Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen“

In der Rechtssache C-221/11

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=142081&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=24860

Zitat
35      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs schließt die in Art. 56 AEUV den Angehörigen der Mitgliedstaaten und damit den Unionsbürgern gewährte Dienstleistungsfreiheit daher die „passive“ Dienstleistungsfreiheit ein, d. h. die Freiheit der Dienstleistungsempfänger, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen daran gehindert zu werden (Urteile Luisi und Carbone, Randnr. 16, vom 2. Februar 1989, Cowan, 186/87, Slg. 1989, 195, Randnr. 15, Bickel und Franz, Randnr. 15, vom 19. Januar 1999, Calfa, C-348/96, Slg. 1999, I-11, Randnr. 16, und vom 17. Februar 2005, Oulane, C-215/03, Slg. 2005, I-1215, Randnr. 37).
Bei der "passiven" Dienstleistungsfreiheit geht es also nicht um die Dienstleistungsfreiheit der Unternehmen, sondern um die Freiheit der Dienstleistungsnehmer, bspw., der Verbraucher*innen, sich den Ort der von ihnen gewünschten Dienstleistung unionsweit selber auszusuchen.

Da könnte die Frage gestellt werden, ob ein per Zwang erhobener Rundfunkbeitrag dieses durch den dadurch bewirkten Entzug eines Teils der finanziellen Mittel der Verbraucher*innen unmöglich macht? Wäre doch denkbar, daß man den dt. ÖRR nicht in Deutschland konsumieren möchte, sondern in Spanien?

Der Schlußantrag birgt weitere Aussagen zur passiven Dienstleistungsfreiheit.

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PEDRO CRUZ VILLALÓN
vom 11. April 2013(1)
Rechtssache C-221/11

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=136126&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=24860

Zitat
2.      Die passive Dienstleistungsfreiheit

47
.      Der Begriff der passiven Dienstleistungsfreiheit entstammt der heute üblichen Einteilung der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen in drei Grundtypen. Erstens kann die Dienstleistung selbst ohne Ortswechsel von Dienstleistungserbringer und ?empfänger die Grenze überqueren (sogenannte Korrespondenzdienstleistung). Zweitens kann der Dienstleistungserbringer zur Erbringung der Dienstleistung die Grenze überqueren (aktive Dienstleistungsfreiheit), und drittens kann der Dienstleistungsempfänger zur Inanspruchnahme der Dienstleistung in das Land des Dienstleistungserbringers reisen (passive Dienstleistungsfreiheit)(21). Beschränkungen der ersten beiden Komponenten der Dienstleistungsfreiheit lassen sich wirtschaftlich sinnvoll abbauen, ohne dass damit auch Beschränkungen der passiven Dienstleistungsfreiheit fallen müssen(22).

48.      Erscheint die passive Dienstleistungsfreiheit auf den ersten Blick als Spiegelbild der aktiven Dienstleistungsfreiheit(23), so zeigen sich bei dem Schutz der beiden Typen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs quantitative und qualitative Unterschiede. Es handelt sich um zwei Erscheinungsformen, deren jeweilige Reichweite sich keinesfalls deckt. Die Anerkennung des Schutzes der einen Form gibt folglich keine automatische Antwort hinsichtlich des Schutzes der anderen Form.

49.      Quantitativ verhindert die aktive Dienstleistungsfreiheit Behinderungen der Grenzüberschreitung der Dienstleistungserbringer, also einer verhältnismäßig klar definierbaren Gruppe. Die passive Dienstleistungsfreiheit jedoch steht Hindernissen für die Grenzüberschreitung der Dienstleistungsempfänger entgegen. Sie bezieht damit die Gruppe der Konsumenten von Dienstleistungen, zu der potenziell jeder zählt, in den Schutz der Dienstleistungsfreiheit ein.

50.      Eben diese Erstreckung der Dienstleistungsfreiheit auf den Konsumenten führt zu einem qualitativen Unterschied der beiden Aspekte der Dienstleistungsfreiheit. Der Dienstleistungserbringer ist eng mit der geschützten Dienstleistung verbunden. Er erhält das Entgelt, für das eine Dienstleistung erbracht wird. Seine Fähigkeiten beschränken die Dienstleistungen, die er erbringen kann. Jeder konsumiert dagegen fast täglich die verschiedensten Dienstleistungen, ohne dass eine von ihnen für den Konsumenten als Teilnehmer des Wirtschaftsverkehrs typisch wäre. Auch muss sich die Dienstleistung für den Konsumenten nicht als wirtschaftliche Tätigkeit darstellen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss nämlich das Entgelt für eine Dienstleistung nicht notwendig vom Empfänger der Dienstleistung erbracht werden(24). Durch diesen breiten Schutz der Grenzüberschreitung von Konsumenten enthält die passive Dienstleistungsfreiheit eine Schutzkomponente, die faktisch kaum von der Freizügigkeit zu trennen ist(25).

51.      Zwar umfasst der Begriff des „freien Dienstleistungsverkehrs“ des Art. 56 AEUV nach ständiger Rechtsprechung auch die passive Dienstleistungsfreiheit. Grundlegend wurde dies im Urteil Luisi und Carbone entschieden(26). Der Gerichtshof hielt dort fest, dass die passive Dienstleistungsfreiheit die „notwendige Ergänzung“ zur aktiven Dienstleistungsfreiheit darstelle, die dem Ziel entspreche, „jede gegen Entgelt geleistete Tätigkeit, die nicht unter den freien Waren- und Kapitalverkehr und unter die Freizügigkeit der Personen fällt, zu liberalisieren“(27). Dies bedeutet jedoch nicht, dass automatisch auch Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls die passive Dienstleistungsfreiheit umfasst.

Zu der in Rn. 51 des Schlußantrages benannten Rechtssache:

Urteil des Gerichtshofes vom 31. Januar 1984.
Graziana Luisi und Giuseppe Carbone gegen Ministero del Tesoro.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale civile e penale di Genova - Italien.
Unsichtbare Transaktionen - Innerstaatliche Kontrollvorschriften.
Verbundene Rechtssachen 286/82 und 26/83

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A61982CJ0286&qid=1667846064606

Zitat
16 DARAUS FOLGT , DASS DER FREIE DIENSTLEISTUNGSVERKEHR DIE FREIHEIT DER LEISTUNGSEMPFÄNGER EINSCHLIESST , SICH ZUR INANSPRUCHNAHME EINER DIENSTLEISTUNG IN EINEN ANDEREN MITGLIEDSTAAT ZU BEGEBEN , OHNE DURCH BESCHRÄNKUNGEN - UND ZWAR AUCH IM HINBLICK AUF ZAHLUNGEN - DARAN GEHINDERT ZU WERDEN , UND DASS TOURISTEN SOWIE PERSONEN , DIE EINE MEDIZINISCHE BEHANDLUNG IN ANSPRUCH NEHMEN , UND SOLCHE , DIE STUDIEN- ODER GESCHÄFTSREISEN UNTERNEHMEN , ALS EMPFÄNGER VON DIENSTLEISTUNGEN ANZUSEHEN SIND .
Wäre ein per Zwang erhobener Rundfunkbeitrag jene Zahlung, die es den Verbraucher*innen in Deutschland finanziell unmöglich macht, diese Dienstleistung in einem anderen Unionsland zu konsumieren, könnte das unionsrechtswidrig sein.


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