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Autor Thema: EuGH C-371/20 - Tragweite des Begriffes "unlautere Geschäftspraxis"  (Gelesen 426 mal)

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Vorabhinweis:
Nachstehende Entscheidung bezieht sich auf in Medien vorgenommene Produktwerbung.

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)
2. September 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Richtlinie 2005/29/EG – Unlautere Geschäftspraktiken – Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind – Irreführende Geschäftspraktiken – Nr. 11 Satz 1 des Anhangs I – Werbeaktionen – Einsatz redaktioneller Inhalte in Medien zum Zweck der Verkaufsförderung – Vom Gewerbetreibenden selbst bezahlte Verkaufsförderung – Begriff ‚Bezahlung‘ – Förderung des Verkaufs der Produkte des Inserierenden und des Medienunternehmens – ‚Als Information getarnte Werbung‘“

In der Rechtssache C-371/20

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=245542&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=2858052

Zitat
34      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2005/29 die Regeln über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern auf Unionsebene vollständig harmonisiert und in ihrem Anhang I eine abschließende Liste von 31 Geschäftspraktiken aufstellt, die gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie „unter allen Umständen“ als unlauter anzusehen sind. Folglich handelt es sich dabei, wie im 17. Erwägungsgrund der Richtlinie ausdrücklich klargestellt wird, um die einzigen Geschäftspraktiken, die – ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Art. 5 bis 9 der Richtlinie 2005/29 – als solche als unlauter gelten können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2014, Kommission/Belgien, C-421/12, EU:C:2014:2064, Rn. 55 und 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zitat
35      So gilt es nämlich in Anwendung von Nr. 11 Satz 1 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29 unter allen Umständen als unlauter, wenn ein Gewerbetreibender redaktionelle Inhalte in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eines Produkts einsetzt, ohne dass aus dem Inhalt oder aus für den Verbraucher klar erkennbaren Bildern und Tönen eindeutig hervorgeht, dass er diesen redaktionellen Inhalt bezahlt hat, eine Praxis, die gemeinhin „als Information getarnte Werbung“ bezeichnet wird.

Zitat
38      Zur Richtlinie 2005/29 hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass sie durch einen besonders weiten materiellen Anwendungsbereich gekennzeichnet ist, der alle Geschäftspraktiken erfasst, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängen und sich in den Rahmen der Geschäftsstrategie eines Gewerbetreibenden einfügen (Urteil vom 14. Januar 2010, Plus Warenhandelsgesellschaft, C-304/08, EU:C:2010:12, Rn. 39).

Zitat
39      Das mit der Richtlinie verfolgte Ziel besteht somit u. a. darin, ein hohes Niveau für den Schutz der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken zu gewährleisten, und beruht auf dem Umstand, dass sich ein Verbraucher gegenüber einem Gewerbetreibenden, insbesondere hinsichtlich des Informationsniveaus, in einer unterlegenen Position befindet und dabei zwischen den Parteien unbestreitbar ein großes Ungleichgewicht bei der Information und den Kompetenzen herrscht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 2012, Purely Creative u. a., C-428/11, EU:C:2012:651, Rn. 48, und vom 12. Juni 2019, Orange Polska, C-628/17, EU:C:2019:480, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zitat
41      Daraus ergibt sich, dass Nr. 11 Satz 1 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29 u. a. konzipiert wurde, um sicherzustellen, dass alle Veröffentlichungen, auf die der betreffende Gewerbetreibende in seinem wirtschaftlichen Interesse Einfluss genommen hat, eindeutig gekennzeichnet und als solche für den Verbraucher erkennbar sind. In diesem Zusammenhang kommt es aus dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes und des Vertrauens der Leser in die Neutralität der Presse nicht auf die konkrete Form der Bezahlung – mittels der Zahlung eines Geldbetrags oder mittels einer anderen geldwerten Gegenleistung – an.

Zitat
45      Wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nr. 72 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt sich aus dem Wortlaut von Nr. 11 Satz 1 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29 nämlich, dass die Bezahlung im Sinne dieser Bestimmung darauf abzielen muss, den Verkauf des Produkts durch den Einsatz des redaktionellen Inhalts in den Medien zu fördern, was einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem vom betreffenden Gewerbetreibenden gewährten geldwerten Vorteil und dem redaktionellen Inhalt voraussetzt. Eine solche Auslegung wird durch das Ziel der Bestimmung bestätigt, das, wie sich den Rn. 40 und 41 des vorliegenden Urteils entnehmen lässt, im Schutz des Verbrauchers gegen versteckte Werbung – d. h. gegen redaktionelle Inhalte, für die inserierende Gewerbetreibende ohne eine Kenntlichmachung Vorteile gewährt haben – und im Schutz des Vertrauens der Leser in die Neutralität der Presse liegt.

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MACIEJ SZPUNAR
vom 24. Juni 2021(1)
Rechtssache C-371/20

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=243424&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=2858052

Zitat
67.      Da die wörtliche Auslegung von Anhang I Nr. 11 der Richtlinie 2005/29 keine zufriedenstellende Schlussfolgerung zulässt, und unter Berücksichtigung der eindeutigen Schlussfolgerungen, die sich aus der systematischen und teleologischen Auslegung des Anhangs I Nr. 11 der Richtlinie 2005/29 ergeben und denen die historischen Auslegung nicht entgegensteht, ist diese Bestimmung meines Erachtens dahin auszulegen, dass der Einsatz eines redaktionellen Inhalts zu Zwecken der Verkaufsförderung vom Gewerbetreibenden „bezahlt“ wird, wenn dieser dem Medienunternehmen einen Vorteil verschafft, der in Waren oder Dienstleistungen oder sonstigen Vermögenswerten besteht.

Zitat
70.      Insoweit ist auf eine Nuance hinzuweisen, durch die sich die in dieser Bestimmung des Unionsrechts enthaltene Beschreibung von vornherein von derjenigen im deutschen Recht unterscheidet. Nach Anhang I Nr. 11 der Richtlinie 2005/29 besteht die Geschäftspraxis, die mit dem Ausdruck „als Information getarnte Werbung“ bezeichnet wird, nämlich im Einsatz redaktioneller Inhalte zu Zwecken der Verkaufsförderung, sofern der Gewerbetreibende diese Verkaufsförderung bezahlt hat, während es nach Nr. 11 des Anhangs zum UWG der Einsatz redaktioneller Inhalte zu Zwecken der Verkaufsförderung ist, der vom Unternehmer finanziert sein muss. Der Gerichtshof hat bereits im Urteil RLvS(37) eine Klarstellung zu Nr. 11 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29 gegeben, indem er festgestellt hat, dass diese Bestimmung den inserierenden Unternehmen aufgibt, deutlich darauf hinzuweisen, dass sie einen redaktionellen Medieninhalt finanziert haben. Dieses Urteil bestätigt somit die von mir dargelegte Auslegung des Begriffs „bezahlt“.

Zitat
84.      Im Übrigen weise ich darauf hin, dass für die Feststellung, ob eine unter allen Umständen als unlauter geltende Geschäftspraxis im Sinne von Anhang I Nr. 11 der Richtlinie 2005/29 vorliegt, stets zu prüfen ist, ob auch die von dieser Bestimmung verlangten anderen Voraussetzungen als die der Bezahlung der Verkaufsförderung erfüllt sind. Unter Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits ist insbesondere zu prüfen, ob es sich um einen „redaktionellen Inhalt“ im Sinne dieser Bestimmung handelt, wobei der Gerichtshof diesen Begriff in seiner Rechtsprechung noch nicht ausgelegt hat, und ob aus dem fraglichen Artikel nicht eindeutig hervorgeht, dass es sich um einen vom Gewerbetreibenden kofinanzierten Inhalt handelt. Diese weiteren Voraussetzungen sind jedoch nicht Gegenstand der dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen und werden daher in den vorliegenden Schlussanträgen nicht geprüft.
Hier hat es also noch Stoff für eine Vorlage an den EuGH, zu klären, was genau das Unionsrecht darunter versteht?

Hinweis:
Es wird bestätigt, daß die Bestimmungen über unlautere Geschäftspraktiken unionsweit vollständig harmonisiert sind; hierzu siehe auch

EuGH C-391/12 - "Unlautere Geschäftspraktiken" vollständig harmonisiert
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35407.0

und grundsätzlich alle Geschäftspraktiken als unlauter gelten, die in der Richtlinie 2005/29 als unlauter genannt sind.


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Ein feiner Fund, was man da alles den Redaktionen vorwerfen könnte. Hier einmal reduhziert auf einen aktuellen Aspekt.


Die Dienstfahrzeuge der meisten Intendanten und der Regierungsmitglieder gelten als hochgradig gesponsert. Wenn also im Fernsehen der klassisch langweilige Vorspann ist, wo eine Oberklasse-Person aus einer Oberklasse-Limousine ausstreigt, wir wissen nun, das Zeigen der Automarke ist Sponsoring.

Eigentlich müsste die Erkennbarkeit, meist am Kühler angezeigt, durch gängige Software gelöscht werden; ober aber der Sprecher müsste mitteilen, dass hier in eine redaktionelle Darbietung ein Sponsern eingefügt wurde. Zwar hier nicht zu Gunsten des Senders, aber der Sender ist ja der Umsetzer des Sponsoring-Faktors.

Noch ausgeprägter wäre es natürlich, wenn Intendanten von Sendern in dieser Weise gezeigt werden. Aber das kommt wohl zu selten vor.

Das wird hier einmal intern so festgehalten als überdenkungsbedürftig. Es ist nicht prioritär, weil die Rechtslage etwas verschlungen ist. Generell ist das verdeckte Sponsoring nie so ganz zu verhindern. Das ist kein besonders effizienter Angriffspunkt bei der Suche nach juristischen Hebelwirkungen.


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