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Autor Thema: EuGH C-509/09 - Medien -> Persönlichkeitsrecht vs. Informationsfreiheit  (Gelesen 570 mal)

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URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
25. Oktober 2011(*)

„Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Zuständigkeit für Klagen aus ‚unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist‘ – Richtlinie 2000/31/EG – Veröffentlichung von Informationen im Internet – Verletzung von Persönlichkeitsrechten – Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht – Auf Dienste der Informationsgesellschaft anwendbares Recht“

In den verbundenen Rechtssachen C-509/09 und C-161/10

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=111742&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=6768388

Rn. 35
Zitat
Jedenfalls hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 5 Nr. 3 der Verordnung nach seinem Wortlaut nicht voraussetzt, dass der Schaden gegenwärtig vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2002, Henkel, C-167/00, Slg. 2002, I?8111, Randnrn. 48 und 49). Daher fällt eine Klage, mit der verhindert werden soll, dass sich ein als rechtswidrig angesehenes Verhalten wiederholt, unter diese Bestimmung.

Rn. 40
Zitat
Nach ständiger Rechtsprechung beruht die besondere Zuständigkeitsregel, mit der in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung vom Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte am Beklagtenwohnsitz abgewichen wird, darauf, dass zwischen der Streitigkeit und den Gerichten des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt (vgl. Urteil Zuid-Chemie, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Rn. 43
Zitat
In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof zudem festgestellt, dass zwar die Beschränkung der Zuständigkeit der Gerichte des Verbreitungsstaats auf die im Gerichtsstaat verursachten Schäden Nachteile mit sich bringt, der Kläger jedoch stets die Möglichkeit hat, seinen Anspruch insgesamt entweder bei dem für den Wohnsitz des Beklagten zuständigen Gericht oder bei dem Gericht anhängig zu machen, das für den Ort der Niederlassung des Herausgebers der ehrverletzenden Veröffentlichung zuständig ist (Urteil Shevill u. a., Randnr. 32)¹.

Rn. 44
Zitat
Diese Erwägungen lassen sich, wie der Generalanwalt in Nr. 39 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, auf andere Medien und Kommunikationsmittel übertragen und auf vielfältige in den verschiedenen Rechtsordnungen bekannte Verletzungen von Persönlichkeitsrechten erstrecken, zu denen auch die von den Klägern der Ausgangsverfahren gerügten gehören.

Rn. 45
Zitat
Wie jedoch sowohl die vorlegenden Gerichte als auch die Mehrzahl der Parteien und Beteiligten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, vortragen, unterscheidet sich die Veröffentlichung von Inhalten auf einer Website von der gebietsabhängigen Verbreitung eines Mediums wie eines Druckerzeugnisses dadurch, dass es grundsätzlich auf die Ubiquität dieser Inhalte abzielt. Die Inhalte können von einer unbestimmten Zahl von Internetnutzern überall auf der Welt unmittelbar abgerufen werden, unabhängig davon, ob es in der Absicht ihres Urhebers lag, dass sie über seinen Sitzmitgliedstaat hinaus abgerufen werden, und ohne dass er Einfluss darauf hätte.

Rn. 46
Zitat
Das Internet schränkt also den Nutzen des Verbreitungskriteriums ein, da die Reichweite der Verbreitung im Internet veröffentlichter Inhalte grundsätzlich weltumspannend ist. Auch ist es nicht immer technisch möglich, diese Verbreitung sicher und zuverlässig für einen konkreten Mitgliedstaat zu quantifizieren und so den ausschließlich in diesem Mitgliedstaat verursachten Schaden zu beziffern.
Hier ließe sich, siehe Hervorhebung in Rot, doch trefflich zwischenfragen, ob es Auftrag des ÖRR ist, unter Einsatz nationaler öffentlicher Mittel weltweit erreichbar zu sein?

Rn. 47
Zitat
Die Schwierigkeiten bei der Übertragung des im Urteil Shevill u. a. aufgestellten Kriteriums der Verwirklichung des Schadenserfolgs auf den Bereich des Internets kontrastieren, wie der Generalanwalt in Nr. 56 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, mit der Schwere der Verletzung, die der Inhaber eines Persönlichkeitsrechts erleiden kann, der feststellt, dass ein dieses Recht verletzender Inhalt an jedem Ort der Welt zugänglich ist.

Rn. 50
Zitat
Die Zuständigkeit des Gerichts des Ortes, an dem das mutmaßliche Opfer den Mittelpunkt seiner Interessen hat, steht mit dem Ziel der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften im Einklang (vgl. Urteil vom 12. Mai 2011, BVG, C-144/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 33), und zwar auch hinsichtlich des Beklagten, da der Urheber eines verletzenden Inhalts zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser Inhalt im Internet veröffentlicht wird, in der Lage ist, den Mittelpunkt der Interessen der Personen zu erkennen, um die es geht. Daher ermöglicht es das Kriterium des Mittelpunkts der Interessen sowohl dem Kläger, ohne Schwierigkeiten festzustellen, welches Gericht er anrufen kann, als auch dem Beklagten, vorherzusehen, vor welchem Gericht er verklagt werden kann (vgl. Urteil vom 23. April 2009, Falco Privatstiftung und Rabitsch, C-533/07, Slg. 2009, I?3327, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Rn. 51
Zitat
Anstelle einer Haftungsklage auf Ersatz des gesamten Schadens sind nach dem im Urteil Shevill u. a. aufgestellten Kriterium der Verwirklichung des Schadenserfolgs ferner die Gerichte jedes Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist.

Rn. 65
Zitat
Der Gerichtshof hat hierzu bereits entschieden, dass zwingenden Bestimmungen einer Richtlinie, die für die Verwirklichung der Ziele des Binnenmarkts erforderlich sind, ungeachtet einer abweichenden Rechtswahl zur Anwendung zu verhelfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. November 2000, Ingmar, C-381/98, Slg. 2000, I-9305, Randnr. 25, und vom 23. März 2006, Honyvem Informazioni Commerciali, C-465/04, Slg. 2006, I-2879, Randnr. 23).
Zitat

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass im Fall der Geltendmachung einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Inhalte, die auf einer Website veröffentlicht worden sind, die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, die Möglichkeit hat, entweder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, eine Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben. Anstelle einer Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist.

2.      Art. 3 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) ist dahin auszulegen, dass er keine Umsetzung in Form einer speziellen Kollisionsregel verlangt. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch vorbehaltlich der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/31 gestatteten Ausnahmen im koordinierten Bereich sicherstellen, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht.

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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PEDRO CRUZ VILLALÓN
vom 29. März 2011(1)
Rechtssachen C-509/09 und C-161/10

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=80953&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=6768388

Zitat
35. Der Ansatz dieses Urteils, der das Eintreten materieller Schäden betraf, wurde mit dem Urteil Shevill auf immaterielle Schäden ausgeweitet. In der Rechtssache Shevill hat der Gerichtshof bekanntlich die Anwendbarkeit des eben dargelegten Ansatzes auf Fälle der Verletzung von Persönlichkeitsrechten anerkannt(11). Der Gerichtshof hat bei dieser Gelegenheit präzisiert, dass im Fall einer „grenzüberschreitenden Ehrverletzung“ durch Presseerzeugnisse (genau darum ging es in der Rechtssache Shevill) „die Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens einer Person durch eine ehrverletzende Veröffentlichung an den Orten verwirklicht [wird], an denen die Veröffentlichung verbreitet wird, wenn der Betroffene dort bekannt ist(12). Allerdings kann der Inhaber des beeinträchtigten Persönlichkeitsrechts in diesem Fall an diesem Gerichtsstand Schadensersatz nur für in dem jeweiligen Staat erlittene Schäden beanspruchen.

Zitat
36.      Mit der Anerkennung des Ortes, an dem der Geschädigte bekannt ist, als Anknüpfungsfaktor hat der Gerichtshof, dem Vorschlag der Generalanwälte Darmon und Léger(13) folgend, die Rechtsprechungsorgane der Staaten, in denen die ehrverletzende Information verbreitet und der Ruf des Inhabers des Persönlichkeitsrechts seiner Behauptung nach beeinträchtigt wurde, als für die Entscheidung über die dem Ansehen des Geschädigten in dem jeweiligen Staat zugefügten Beeinträchtigungen zuständig angesehen(14). Im Hinblick auf die Vermeidung der Nachteile, die mit diesem Gerichtsstand verbunden sein könnten, hat der Gerichtshof ergänzt, dass der Kläger stets die Möglichkeit habe, seinen Anspruch insgesamt entweder bei dem für den Wohnsitz des Beklagten zuständigen Gericht oder bei dem Gericht anhängig zu machen, das für den Ort der Niederlassung des Herausgebers der ehrverletzenden Veröffentlichung zuständig sei.(15)

Zitat
37. Auf diese Weise wurden im Urteil Shevill auf der Grundlage von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 für den Fall von mittels Kommunikationsmitteln zugefügten Verletzungen der Persönlichkeitsrechte zwei alternative Gerichtsstände anerkannt, zwischen denen der Kläger wählen kann: einer im Staat des Wohnsitzes des Beklagten oder der Niederlassung des Herausgebers, wo der Inhaber des Rechts den gesamten erlittenen Schaden geltend machen kann, und einer in dem Staat, in dem der Betroffene bekannt ist, in dem er allein die in diesem Staat verursachten Schäden geltend machen kann – eine Begrenzung, die im Schrifttum zum Teil als „Mosaikprinzip“ qualifiziert wird(16).

Zitat
38.      Mit dem Urteil Shevill wird ein vernünftiges Gleichgewicht erreicht, das im Schrifttum im Allgemeinen gut aufgenommen wurde(17). Die entsprechende Lösung berücksichtigt zum einen die Notwendigkeit, Klagen betreffend den gesamten geltend gemachten Schaden in nur einem Staat, dem des Herausgebers oder des Beklagten, zu bündeln, und erlaubt es zum anderen dem Inhaber des Persönlichkeitsrechts, dort zu prozessieren – wenn auch in begrenzter Form –, wo ein Schaden an einem immateriellen Gut wie dem eigenen Bild eintritt. So besehen wird mit dem Ansatz des Urteils Shevill vermieden, aus dem besonderen Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 einen dem allgemeinen Gerichtsstand, der dem Gericht des Wohnsitzes des Beklagten den Vorrang einräumt, gleichwertigen zu machen, aber auch das forum actoris umgangen, ein Kriterium, das in der Verordnung offen verworfen wurde, indem – wie in ihrem Vorläufer, dem Brüsseler Übereinkommen – die allgemeine Zuständigkeitsregel actor sequitur forum rei zur Grundlage gemacht wurde(18).

Zitat
39.      Die Shevill-Rechtsprechung erfasst nachweislich diejenigen Verletzungen von Persönlichkeitsrechten, bei denen es zu einem Spannungsverhältnis zwischen der Informationsfreiheit und dem Recht auf Privatleben oder am eigenen Bild kommt. Sie reicht weit und ist nicht ausschließlich auf gedruckte Zeitungsmedien beschränkt, da ihr Anwendungsbereich auch andere Kommunikationsmittel wie die Information über das Fernsehen oder das Radio umfasst. Sie deckt damit einen mannigfaltigen Fächer von Verletzungen der Persönlichkeitsrechte ab, seien es Verleumdungen oder Beleidigungen in dem Sinne, der diesen Verletzungen allgemein in den kontinentalen Rechtsordnungen beigemessen wird, oder eine „Ehrverletzung“, wie sie für die Rechtsordnungen des common law kennzeichnend ist.(19)

Zitat
48.      Dagegen befinden sich die potenziellen Opfer von Veröffentlichungen, durch die Persönlichkeitsrechte verletzt werden, in einer Lage, in der sie besonders verletzlich sind, wenn die Veröffentlichung über das Internet erfolgt. Die universelle Reichweite der Information trägt dazu bei, dass die Schädigung potenziell einschneidender ist als die, die sie etwa bei einem herkömmlichen Medium erleiden würden.(28) Die Schwere der Schädigung kontrastiert mit der Vielfalt der anwendbaren Regelungen, da die territoriale Zersplitterung die Koexistenz verschiedener nationaler Systeme und damit ebenso vieler nationaler Gerichtssysteme zur Folge hat, die für die Entscheidung über den Rechtsstreit zuständig sind. Der Inhaber des verletzten Persönlichkeitsrechts kann demnach Opfer potenziell umso schwererer Beeinträchtigungen werden, als sein rechtlicher Schutz aufgrund der Zersplitterung und der rechtlichen Unsicherheit vermindert ist.

Zitat
53.      Zum anderen muss bei jedem Ansatz, der eine Änderung der Shevill-Doktrin voraussetzt, zwingend das Erfordernis der Technologieneutralität beachtet werden. Die Antworten des Gerichtshofs auf die durch das Aufkommen des Internets verursachten Auslegungsprobleme dürfen sich also auch nicht übermäßig auf dieses Kommunikationsmittel konzentrieren, da sie sonst vom technischen Fortschritt überholt würden oder die Gefahr bestünde, dass sie Ungleichbehandlungen aufgrund eines Kriteriums bewirkten, das sich als willkürlich erweisen kann, wie das der Verwendung einer bestimmten Technologie.(36) Zwar stellt sich der Konflikt zwischen Informationsfreiheit und dem Recht am eigenen Bild im Internet in ganz besonderer Form dar, doch muss die vom Gerichtshof gefundene Lösung so weit wie möglich auf alle Medien unabhängig von ihrem Träger anwendbar sein.(37) Dieser Schluss wird noch durch die Beobachtung gestärkt, dass sich gegenwärtig, insbesondere bei der Tagespresse von gewisser Bedeutung, kaum Medien finden, die keine elektronische, im Netz vertriebene Ausgabe haben. Die Informationsinhalte sind „vertretbar“ und finden sich auf wechselnden Trägern. Folglich muss der einschlägige Gerichtsstand nach Maßgabe von Kriterien bestimmt werden, bei denen Schäden berücksichtigt werden, die gleichzeitig z. B. durch ein gedrucktes Medium und eine Website zugefügt werden.(38)

Zitat
56.      Die Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Medien im Netz führt zu einem bereits in den Nrn. 42 bis 44 der vorliegenden Schlussanträge dargestellten Spannungsverhältnis. Die zusätzliche Schwierigkeit besteht in dem grenzübergreifenden oder sogar schlicht globalen Charakter dieses Spannungsverhältnisses, das es erforderlich macht, Gerichtsstände zu suchen, mit denen die in Rede stehenden Rechte und Interessen sowohl des Mediums als auch der betroffenen Einzelnen zum Ausgleich gebracht werden können. Grundsätzlich könnte daher ein mögliches Anknüpfungskriterium auf der Zugänglichkeit der Information beruhen, was eine automatische Anknüpfung in allen Mitgliedstaaten rechtfertigen würde, da die mutmaßlich schädigende Information in der Praxis in allen Mitgliedstaaten zugänglich ist. Diese Option würde allerdings, wie alle an dem vorliegenden Verfahren Beteiligten hervorgehoben haben, unmittelbar zu einem forum shopping führen, das für ein im Netz tätiges Informationsmedium nicht tragbar wäre(39). In gleicher Weise steht die Schwere der Verletzung, die der Inhaber des Grundrechts auf Privatleben erleiden kann, der sieht, wie die sein Ansehen beeinträchtigende Information an jedem Ort des Planeten zugänglich ist, einer Lösung entgegen, die sein Recht in jedem Mitgliedstaat, in dem er bekannt ist, fragmentiert.(40)

Zitat
58.      So kurz wie möglich ausgedrückt wäre der Ort des „Schwerpunkts des Konflikts“ dort, wo ein Gericht unter den günstigsten Umständen einen Konflikt zwischen der Informationsfreiheit und dem Recht am eigenen Bild entscheiden kann. Das ist in dem Staat der Fall, in dem die potenzielle Beeinträchtigung des Rechts am eigenen Ansehen oder auf Privatleben und der der Mitteilung einer bestimmten Information oder Meinung innewohnende Wert am stärksten „sichtbar“ wird oder sich äußert. In diesem Staat erlitte der Inhaber des Persönlichkeitsrechts seinerseits einen besonders umfassenden und intensiven Schaden. Dies wäre auch das Gebiet – was zweifellos unter dem Aspekt der Rechtssicherheit von Bedeutung ist –, für das das Medium hätte vorhersehen können, dass es eventuell zu einer solchen Schädigung kommen kann und dass damit die Gefahr besteht, dort verklagt zu werden. Der Schwerpunkt befindet sich somit dort, wo das Gericht am besten in der Lage ist, den Konflikt zwischen den in Rede stehenden Interessen umfassend zu beurteilen.

Zitat
61.      Die Besonderheit des charakteristischen Spannungsverhältnisses, in dem sich die beiden Rechte befinden können – das, meine ich, lässt sich ohne allzu großes Risiko sagen –, besteht darin, dass der Schwerpunkt der potenziellen Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte tendenziell mit dem Schwerpunkt oder dem Interessenschwerpunkt der fraglichen Nachricht oder Meinung zusammenfällt. Kurz und gut, gerade weil die Nachricht oder die Meinung an einem bestimmten Ort von besonderem Interesse sein kann, kann die mögliche Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte an diesem Ort auch den höchsten Schädigungsgrad erreichen.

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¹
Urteil des Gerichtshofes vom 7. März 1995.
Fiona Shevill, Ixora Trading Inc., Chequepoint SARL und Chequepoint International Ltd gegen Presse Alliance SA.
Ersuchen um Vorabentscheidung: House of Lords - Vereinigtes Königreich.
Brüsseler Übereinkommen - Artikel 5 Nr. 3 - Ort, an dem das schädigende Ereignis eintretreten ist - Ehrverletzung durch Presseartikel.
Rechtssache C-68/93.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A61993CJ0068&qid=1627761583891

Zitat
28 Der Schadenserfolg ist an dem Ort verwirklicht, an dem die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten.

Zitat
29 Im Fall einer grenzueberschreitenden Ehrverletzung durch Presseerzeugnisse wird die Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens einer Person durch eine ehrverletzende Veröffentlichung an den Orten verwirklicht, an denen die Veröffentlichung verbreitet wird, wenn der Betroffene dort bekannt ist.

Zitat
30 Somit sind die Gerichte jedes Vertragsstaats, in dem die ehrverletzende Veröffentlichung verbreitet und das Ansehen des Betroffenen nach dessen Behauptung beeinträchtigt worden ist, für die Entscheidung über die in diesem Staat am Ansehen des Betroffenen entstandenen Schäden zuständig.

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Schlussanträge des Generalanwalts Léger vom 10. Januar 1995.
Fiona Shevill, Ixora Trading Inc., Chequepoint SARL und Chequepoint International Ltd gegen Presse Alliance SA.
Ersuchen um Vorabentscheidung: House of Lords - Vereinigtes Königreich.
Brüsseler Übereinkommen - Artikel 5 Nr. 3 - Ort, an dem das schädigende Ereignis eintretreten ist - Ehrverletzung durch Presseartikel.
Rechtssache C-68/93.

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A61993CC0068%2801%29&qid=1627761583891

Zitat
15. Beispielsweise muß das Opfer einer Ehrverletzung, die dadurch verursacht worden ist, daß im Vertragsstaat A eine auch im Vertragsstaat B, in dem es besonders bekannt ist, verbreitete Zeitung veröffentlicht worden ist, nach seiner Wahl im Gerichtsstand des ersten Staates klagen können, wenn es der Ansicht ist, daß sich sein Schaden über die gesamte Gemeinschaft erstreckt, oder im Gerichtsstand des zweiten Staates, wenn es meint, daß sich sein Schaden auf das Gebiet dieses zuletzt genannten Schadens beschränkt.

Zitat
57. Die Notwendigkeit, jeder Gefahr eines Forum shopping vorzubeugen, ist besonders groß, wenn der Rechtsstreit ein Gebiet zum Gegenstand hat, auf dem das in den Vertragsstaaten anwendbare materielle Recht nicht harmonisiert ist und zu Lösungen führt, die von einem Vertragsstaat zum anderen sehr stark voneinander abweichen. Dies ist im betreffenden Recht der Ehrverletzungen in ganz besonderem Maß der Fall.


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