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Autor Thema: EuGH C-377/98 - Menschenwürde - Biomedizin - Patentrecht  (Gelesen 917 mal)

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Diese Entscheidung soll deswegen hier publiziert werden, weil sie darstellt, daß das Unionsrecht einen Vertrag des Europarates, (bspw.), per Richtlinie oder Verordnung als im Grunde unionsweit bindendes Regelwerk realisieren kann, obwohl das Regelwerk des Europarates auf Ebene der Mitgliedsländer des Europarates nur von einem kleinen Teil jener Nationalstaaten ratifiziert worden ist, die zeitgleich Mitgliedsländer der Union sind.

Die Klage wurde zwar zurückgewiesen, aber die Entscheidung dazu enthält incl. des Wortlautes des dazugehörigen Schlußantrages durchaus interessante Aussagen; der Fokus dieser Aufarbeitung liegt in der Begrifflichkeit "Menschenwürde", die ja in Belangen der realen Rundfunkfinanzierungspraxis nicht gänzlich unbedeutend ist. Den interessierten Leser*innen bleibt es unbenommen, den Rest der Dokumente in den Originalen nachzulesen.

Dieses Thema ist nicht zur Diskussion vorgesehen.

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URTEIL DES GERICHTSHOFES
9. Oktober 2001 (1)

„Nichtigerklärung - Richtlinie 98/44/EG - Rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen - Rechtsgrundlage - Artikel 100a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 95 EG), Artikel 235 EG-Vertrag (jetzt Artikel 308 EG) oder Artikel 130 und 130f EG-Vertrag (jetzt Artikel 157 EG und 163 EG) - Subsidiarität - Rechtssicherheit - Völkerrechtliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten - Grundrechte - Menschenwürde - Kollegialprinzip für Gesetzgebungsvorschläge der Kommission“

In der Rechtssache C-377/98

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=46255&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1261701

Rn. 52
 
Zitat
Die Rechtmäßigkeit einer Handlung der Gemeinschaft hängt grundsätzlich nicht von ihrer Vereinbarkeit mit einem internationalen Übereinkommen ab, an dem die Gemeinschaft nicht beteiligt ist, wie dem EPÜ. Ihre Rechtmäßigkeit kann auch nicht anhand völkerrechtlicher Instrumente beurteilt werden, die, wie das WTO-Übereinkommen und das dazu gehörende TRIPS-Übereinkommen und das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse, wegen ihrer Natur und ihrer Struktur grundsätzlich nicht zu den Vorschriften gehören, an denen der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane misst (Urteil vom 23. November 1999 in der Rechtssache C-149/96, Portugal/Rat, Slg. 1999, I-8395, Randnr. 47).

Rn. 58
Zitat
In der Tat nimmt die Richtlinie den Mitgliedstaaten die Befugnis, die das TRIPS-Übereinkommen den Vertragsparteien hinsichtlich der Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren einräumt. Die in Artikel 4 der Richtlinie getroffene Entscheidung ist jedoch als solche mit dem Übereinkommen vereinbar, das bestimmten Vertragsparteien auch nicht verbietet, hinsichtlich seiner Durchführung eine gemeinsame Position einzunehmen. Eine Entscheidungsbefugnis, die ein völkerrechtliches Abkommen, an dem die Mitgliedstaaten beteiligt sind, den Vertragsparteien einräumt, gemeinsam auszuüben, hält sich im Rahmen der in Artikel 100a EG-Vertrag vorgesehenen Angleichung der Rechtsvorschriften.
Ein Regelwerk der Union, (hier: Richtlinie), kann also die Mitgliedsländer der Union dahingehend "ausbremsen", als daß sie Rechte aus einem internationalen Regelwerk nicht wahrnehmen dürfen, sofern die Union nicht selbst Vertragspartner dieses internationalen Regelwerkes ist.

Rn. 72
Zitat
Bestandteile des menschlichen Körpers sind als solche ebenso wenig patentierbar und ihre Entdeckung kann nicht geschützt werden. Gegenstand einer Patentanmeldung können nur Erfindungen sein, die einen natürlichen Bestandteil mit einem technischen Verfahren verknüpfen, durch das dieser im Hinblick auf eine gewerbliche Anwendung isoliert oder reproduziert werden kann.

Rn. 73
Zitat
Somit kann ein Bestandteil des menschlichen Körpers, wie die 20. und die 21. Begründungserwägung ausführen, Teil eines Erzeugnisses sein, das durch ein Patentgeschützt werden kann, aber er kann in seiner natürlichen Umgebung nicht Gegenstand einer Aneignung sein.

Rn. 76
Zitat
Zusätzliche Sicherheit bietet Artikel 6 der Richtlinie, wonach Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen, Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens und die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten und daher als nicht patentierbar gelten. Die 38. Begründungserwägung stellt klar, dass diese Aufzählung nicht abschließend ist und dass alle Verfahren, deren Anwendung gegen die Menschenwürde verstößt, ebenfalls von der Patentierbarkeit auszunehmen sind.

Rn. 77
Zitat
Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass die Richtlinie das Patentrecht in Bezug auf lebende Materie menschliche Ursprungs so streng fasst, dass der menschliche Körper tatsächlich unverfügbar und unveräußerlich bleibt und somit die Menschenwürde gewahrt wird.

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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
FRANCIS G. JACOBS
vom 14. Juni 2001(1)
Rechtssache C-377/98

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=46432&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1261701

Rn. 101
Zitat
Die Anwendung der Begriffe der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sittlichkeit durch nationale Behörden wird allerdings stets der Überprüfung durch den Gerichtshof unterliegen: Die Mitgliedstaaten haben bei der Festlegung ihres Umfangs kein unbegrenztes Ermessen. Der Gerichtshof hat entschieden, dass „die Berufung einer nationalen Behörde auf den Begriff der öffentlichen Ordnung, wenn er gewisse Beschränkungen der Freizügigkeit von dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen rechtfertigen soll, jedenfalls voraus[setzt], dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“(118). Diese Feststellung belegt eindeutig, dass die Auffassung des Gerichtshofes im Wesentlichen der des Europäischen Patentamts gleicht, in dessen Richtlinien für die materielle Prüfung es heißt, Zweck der Vorschrift über die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit sei es, „Erfindungen vom Schutz auszuschließen, die wahrscheinlich einen Anreiz zum Aufruhr oder zur Störung der öffentlichen Ordnung bieten würden oder die zu einem verbrecherischen oder generell offensiven Verhalten führen könnten“(119). Nationale Patentämter, die seit dem Inkrafttreten des Europäischen Patentübereinkommens in ihrem Mitgliedstaat im Licht dieser Richtlinien tätig geworden sind, sollten also nicht in Konflikte geraten, wenn die Richtlinie in Kraft tritt.

Rn. 160
Zitat
Artikel 53 Buchstabe a des Europäischen Patentübereinkommens bestimmt, dass europäische Patente nicht für Erfindungen erteilt werden, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, wobei ein solcher Verstoß nicht allein daraus abgeleitet werden kann, dass die Verwertung der Erfindung in allen oder einem Teil der Vertragsstaaten durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift verboten ist.   

Rn. 196
Zitat
Ich möchte darauf hinweisen, dass die dem Gerichtshof vorgetragenen Argumente zur Vereinbarkeit der Richtlinie mit den Grundrechten allein den vorerwähnten besonderen Fragen gelten. Ich habe daher meine Untersuchung der angeblichen Unvereinbarkeit der Richtlinie mit den Grundrechten auf diese Fragen zu beschränken.

Rn. 197
Zitat
Meines Erachtens unterliegt es keinem Zweifel, dass die von den Niederlanden angeführten Rechte in der Tat Grundrechte sind, deren Beachtung in der Gemeinschaftsrechtsordnung sicherzustellen ist. Das Recht auf Achtung der Menschenwürde ist vielleicht das grundlegendste Recht von allen und nunmehr in Artikel 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(174) zum Ausdruck gelangt, der festlegt, dass die Menschenwürde unantastbar und zu achten und zu schützen ist. Auch das Recht sowohl der Spender von Teilen des menschlichen Körpers als auch der Empfänger ärztlicher Behandlung auf freie Einwilligung nach vorheriger Aufklärung kann als grundlegend betrachtet werden; es ist jetzt auch in Artikel 3 Absatz 2 der Grundrechte-Charta erwähnt, der in den Bereichen Medizin und Biologie fordert, dass „die freie Einwilligung der betroffenen Person nach vorheriger Aufklärung entsprechend den gesetzlich festgelegten Modalitäten beachtet wird“. Es muss anerkannt werden, dass jedes Rechtsinstrument der Gemeinschaft, das gegen diese Rechte verstößt, rechtwidrig wäre.

Rn. 210
Zitat
Natürlich ist es durchaus wünschenswert, dass kein Bestandteil menschlichen Ursprungs einer Person ohne deren Zustimmung entnommen wird. Dieser Grundsatz findet Ausdruck im Eingang der Grundrechte-Charta der EuropäischenUnion(181); er ist ferner verankert in Kapitel II der Konvention des Europarats über Menschenrechte und Biomedizin(182), wo vorgesehen ist, dass jeder Eingriff im Gesundheitswesen nur durchgeführt werden darf, wenn die betreffende Person freiwillig und nach Aufklärung zugestimmt hat(183).

Fußnote 183:

Zitat
183: -     Das Abkommen ist seit dem 1. Dezember 1999 in Kraft, obwohl von den EU-Mitgliedstaaten lediglich Dänemark, Griechenland und Spanien es unterzeichnet und ratifiziert haben.

Dieses Abkommen hat es übrigens auch in Deutsch, da es inzwischen wohl auch von der Schweiz und dem EU-Mitglied Österreich ratifiziert worden ist.

Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin
https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list?module=treaty-detail&treatynum=164

Zitat
Artikel 5 – Allgemeine Regel
Eine Intervention im Gesundheitsbereich darf erst dann erfolgen, nachdem die betroffene Person über sie aufgeklärt worden ist und frei eingewilligt hat.

Die betroffene Person ist zuvor angemessen über Zweck und Art der Intervention sowie über deren Folgen und Risiken aufzuklären.

Die betroffene Person kann ihre Einwilligung jederzeit frei widerrufen.


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Mal noch ein Nachtrag:

Eine zur Menschenrechts-Thematik der hier vorliegenden Entscheidung passende Aussage hat es bspw. für den Bereich Meinungs- und Informationsfreiheit mit

EuGH C-260/89 - Rundfunk - Keine Maßnahme rechtens, die Art 10 EMRK mißachtet
https://gez-boykott.de/Forum/index.php?topic=35024.0

Daß die Unionsländer als Mitglieder des Europarates diese EMRK ratifiziert und damit in den Rang nationalen Rechts gehoben haben, erleichtert hier die unionsrechtliche Tragweite, wäre aber kraft dieser EuGH-Entscheidung zur Einhaltepflicht der EMRK im gesamten Unionsgebiet nicht mehr zwingend notwendig.

Diese EMRK wäre kraft EuGH in alleiniger Auslegungsbefugnis der Unionsverträge und des Unionsrechts auch in solchen Mitgliedsländern der Union bindend, die sich nicht dazu entscheiden konnten, die nationale Bindung dieser EMRK für ihr Hoheitsgebiet anzuerkennen oder die gar nicht Mitglied des Europarates sind.

Würde, mal so als Beispiel, Marokko der Union beitreten wollen, würde diese EMRK auch dort bindend sein.


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  • IP logged  »Letzte Änderung: 24. Juli 2021, 20:18 von pinguin«
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